Thomas Rietzschel / 24.09.2024 / 10:00 / Foto: Kobako / 38 / Seite ausdrucken

„Frankfurter Armutskonferenz“: Für Verpflegung ist gesorgt

Wo es keine Probleme gibt, die dringend gelöst werden müssen, werden sie kurzerhand kreiert, um nachher den Eindruck zu erwecken, man habe sie gelöst. 

Wer sich besser fühlen wollte als der Rest des Volkes, war am vergangenen Samstag zur „1. Frankfurter Armutskonferenz“ eingeladen. Allerdings waren nicht jene Frauen, Männer und Kinder zur Versammlung aufgerufen, die sich von den Essenresten Anderer ernähren und unter den Brücken der Stadt schlafen müssen. Sie wären ohnehin nur schwer aufzutreiben gewesen.

Denn was immer man dem deutschen Staat anlasten mag, dass er sich um die „Armen“ nicht kümmern würde, stimmt nicht. Wo das Gegenteil suggeriert wird, läuft es immer auf einen Schwindel hinaus. Die deutsche Armut ist eine relative, keine tatsächliche. Als arm gilt, wer als Single nicht mehr als 1.189 Euro im Monat verdient. Für eine Familie mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 2.496 Euro. Das ist nicht viel, damit sind keine großen Sprünge zu machen, keine Reisen ans Meer oder in die Berge. Doch es reicht, um davon leben zu können. 

Kein Grund also, Konferenzen über die Armut in Deutschland abzuhalten, jedenfalls nicht für die, die unter die statistische Armutsgrenze fallen. Aber die waren ja auch gar nicht eingeladen in die „Räumlichkeiten der Goethe-Universität“. Wenn es in der Einladung hieß: „für Verpflegung ist gesorgt“, dann standen Speis und Trank bereit für das „Spektrum relevanter Akteur:innen aus Stadtverwaltung, freien Trägern und Zivilgesellschaft“.

Eulen nach Frankfurt getragen

Natürlich waren auch sie nicht aufgerufen, sich den Bauch vollzuschlagen. Vielmehr sollten sie „eine gesamtgesellschaftliche Strategie zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut in Frankfurt am Main“ entwickeln. Ob ihnen das gelungen ist, mögen die kommenden Monate zeigen. Nicht ganz fehl geht man aber schon jetzt in der Annahme, wieder einmal wären Eulen in diesem Fall nicht nach Athen, sondern nach Frankfurt getragen worden. 

Erstens, wo sollten die Opfer, derer sich die Versammelten annehmen wollten, im deutschen Sozialstaat herkommen? Zweitens, was könnte bei dem ganzen Aufsehen herauskommen, was den relativ Verarmten nicht jetzt schon zustünde? Und dennoch war die Veranstaltung nicht umsonst, nicht für jene, die sie ausgerichtet haben. Sie allein bedürfen der Armut, von der die angeblich Betroffenen weniger Notiz nehmen wollen als ihre Anwälte. Wo es keine Probleme gibt, die dringend gelöst werden müssen, werden sie kurzerhand kreiert, um nachher den Eindruck zu erwecken, man habe sie gelöst.

Manchmal dürfen sich die Samariter dabei im Erfolg sonnen, immer jedoch im aufwändig zelebrierten Engagement für jene, die weniger haben als man selbst. Man macht sich ein gutes Gewissen auf Kosten der Beladenen.

Die Guten wollen gut sein

Wie bei anderen Veranstaltungen ähnlicher Art ging es bei der 1. Frankfurter Armutskonferenz nicht um das, was der Aufruf zum Treffen glauben machen wollte, eher darum, sich mit einem Aufmerksamkeit versprechenden Thema besorgt, mitleidig und verantwortungsbewusst aufzublasen. Wollen sich die „Guten“ als Gute präsentieren, schrecken sie vor nichts zurück, auch nicht davor, ein Thema aus der Luft zu greifen. 

Dass mit dem Elend ein gutes Geschäft zu machen ist, wusste bereits der alte Peachum in Bertolt Brechts Dreigroschenoper. „Bettlers Freund“ hieß seine Firma. Das Unternehmen lief wie geschmiert zu jedermanns Zufriedenheit. Peachums „Außendienst-Mitarbeiter“ durften ein paar Cent für sich behalten, die edlen Spender genossen ihr Gutsein. Kürzer gesagt: Armut geht immer – heute wie im London der zwanziger Jahre.

Natürlich gibt es Fälle, in denen Einzelne von großer Not betroffen sind. Nur – was vermag dagegen die gramvolle Unterhaltung von gut bezahlten Vertretern des sozialen Gewissens bei freier Kost bewirken? Ein Gang zum Sozialamt würde bestimmt schneller helfen, den Magen zu füllen, ein Dach über den Kopf zu finden. Allein die Betschwestern und die Bettelmönche des zelebrierten Mitleids stünden dann ratlos im Regen. Zu ihrem Vergnügen und zu ihrer bedeutungsvoll berauschenden Selbstdarstellung bedarf es der Armutsshow, gestern in Frankfurt/M. und bald auch in Ihrer Stadt. 

 

Dr. phil. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“.   

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Leserpost

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Andreas Bitz / 25.09.2024

Dokumentieren Sie doch bitte die Namen und Organisationen, welche konkret von der Armut und dieser Veranstaltung - wie bei Migration - profitieren, schmarotzen. Durch Honorare, Aufträge, Zuschüsse.

Andrea Lorenz / 24.09.2024

Was ich schon immer mal wissen wollte: könnten die vielen Bettler in unseren Städten eigentlich Bürgergeld beantragen? Oder bekommt das nicht jeder?

W. Renner / 24.09.2024

Dann dürfen wir wohl bald mit den ersten Demos der „Omas essen gegen den Hunger“ rechnen.

W. Renner / 24.09.2024

Ja, der Durchschnittsgermane hat allemal noch genug Sondervermögen, um sich ein drei Gänge Menü an der Tafel zu leisten. Allemal eine Konferenz der armen Ritter der Tafelrunde wert.

Burkhard Mundt / 24.09.2024

Wären diese “Gutmenschen” wie der barmherzige Samariter, dann würden sie den “Armen” (trotz Bürgergeld plus Miete und andere Zusatzleistungen) mit eigenem Geld helfen.  Was sie aber gewiss nicht tun.

Chris stock / 24.09.2024

@ Thomas Ebs, genau das ist der springende Punkt. Wären die sich aber ihrer Macht bewusst,sähe es im Shithole anders aus.

finn waidjuk / 24.09.2024

Diese ganzen Diskussionen über Armut in Deutschland gehen mir, ehrlich gesagt, auf die Nerven. Nach heutigen Maßstäben gerechnet wuchs ich in den 50er und 60er Jahren in Armut auf. Tatsächlich habe ich aber davon nichts gemerkt, weder meine Eltern noch ich hielten uns für arm. Wir hatten immer genug zu essen, waren ordentlich gekleidet (eigentlich viel ordentlicher als ein großer Teil des wohlstandsverwahrlosten Nachwuchses heute) und hatten es im Winter warm. Wir wohnten bei meinen Großeltern, damals absolut üblich. Restaurantbesuche waren damals etwas exotisches, ein Theater gab es in der nächsten Stadt, aber das wäre etwas mega-exotisches gewesen, ich kannte niemanden, der sich das leisten konnte, aber mit der Arbeitskammer war jedes Jahr ein Urlaub im Schwarzwald oder Bayern möglich. 1962 konnte sich mein Vater sogar sein erstes Auto leisten (mit 35 Jahren), einen Opel 1200. Er hatte lange darauf gespart. Ich kann nur sagen, dass mir in meiner Kindheit materiell nichts gefehlt hat, wahrscheinlich war ich zufriedener als die meisten Kinder heute.

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