Herbert Ammon, Gastautor / 18.07.2024 / 15:00 / Foto: Imago / 3 / Seite ausdrucken

US-Wahlen: Fragen zum demokratischen Führungspersonal

Parteifreunde fordern, Joe Biden, der alte kranke Mann, solle aufgeben. Und was dann? Er kam doch nur ins Amt, weil es den Demokraten schon vor vier Jahren an geeignetem Führungspersonal mangelte.

Vom blutig gescheiterten Attentat auf Donald Trump erfuhr ich per Internet nach dem Besuch der Shakespeare–Komödie „Viel Lärm um nichts“. Das unerhörte – vor dem Hintergrund einer langen Geschichte ähnlicher Gewalttaten nicht völlig undenkbare – Ereignis zieht eine Kette von Fragen nach sich, die alle anderen bedrängenden Fragen zum Weltgeschehen vorerst überlagern. 

War ein psychisch gestörter Einzeltäter, ein Spinner, am Werk, oder handelte der als Republikaner – und als Spender für eine Initiative der Demokraten – registrierte Zwanzigjährige aus ideologischen Motiven? Die Gewalttat wirft erneut die Frage nach dem Charakter der – nicht erst seit der Ära Obama tief gespaltenen amerikanischen Gesellschaft auf. Pessimistische Beobachter der Szenerie sprechen seit längerem von einer angespannten Atmosphäre wie am Vorabend eines Bürgerkriegs.

Tatsächlich treffen die radikalen „wokies“ – samt ihren Unterstützern seitens besonders progressiver liberals – mit ihren Forderungen nach kompensatorischer Gerechtigkeit sowie Proklamationen von DEI (diversity, equity, inclusion) auf Ablehnung seitens der in ihren Wertvorstellungen – wie Familie, Religion, Patriotismus, Leistungsbereitschaft, Selbstverantwortung – konservativen Bevölkerung. Diese Bevölkerung des amerikanischen heartland sowie die von Existenznöten betroffene Arbeiterschicht sind empfänglich für Trumps Botschaft von der zu erneuernden Größe Amerikas. Von einem Bürgerkrieg träumen indes nur die am äußersten rechten Rand angesiedelten, gewaltbereiten militias.

Die schwindende Hoffnung der Demokraten

Das um Haaresbreite überlebte Attentat mitsamt seiner kämpferischen Geste hat die Siegeschancen Trumps gegenüber dem altersschwachen Biden noch einmal gesteigert. Zu seinem Wahlerfolg dürfte beitragen, dass er seinen früheren Kritiker und jetzigen Bewunderer J.D. Vance, Autor von Hillbilly Elegy, aus Ohio zum running mate erkoren hat.

Im nunmehr wahrscheinlichen Falle eines Wahlsiegs Trumps am 5. November 2024 ergeben sich vielerlei Fragen. Welche Folgen hätte eine neuerliche Präsidentschaft Trumps für die innere Verfassung der USA, für das Verhältnis der USA zum Hauptrivalen China, zu Russland, zum Nahen Osten, zu Europa, zu Deutschland, für die Welt?  Kommt es zu einem Deal mit Putin auf Kosten der Ukraine oder nötigt Trump – kaum anders als bislang die Regierung Biden - die „Europäer“, obenan Deutschland, zur Fortsetzung des Krieges mit allen denkbaren Kosten? 

Nicht erst seit dem Anschlag auf Trump sehen die Demokraten ihre Hoffnungen schwinden. Bis zum dem demokratischen Wahlkonvent, der in der dritten Augustwoche in ihrer alten Hochburg Chicago stattfindet, dürfen wir spekulieren: Gelingt es den um ihre Siegeschancen besorgten Strippenziehern im Parteiapparat sowie deren Unterstützern – von der New York Times und CNN, über George Clooney bis zu Nancy Pelosi – noch in letzter Minute, den altersdebilen,  von Starrsinn beseelten Joe Biden zum Verzicht auf seine – mutmaßlich aussichtslose – Kanditatur zu bewegen?  Und wer käme sodann als Kandidat bzw. als Kandidatin in Frage? Bidens unbeliebte Vizepräsidentin Kamala Harris? Die außerhalb von Michigan kaum bekannte Gouverneurin Gretchen Whitmer? Der unlängst in der FAZ von dem westdeutsch linksgrünen Politologen Claus Leggewie – als Repräsentanten eines „modernen“ Familienmodells – favorisierte Pete Buttegieg aus Indiana? Oder am Ende doch die „unpolitische“ Michelle Obama? 

Unter welchen Voraussetzungen gelangen hierzulande Personen „nach oben“?

Wenn die Aufregung über das Attentat in Pennsylvania abgeklungen ist, werden sich die deutschen Medien wieder an dem ungehobelten, „rechten“ Trump abarbeiten. Tiefergehende Analysen der politischen Szenerie sind nicht zu erwarten. In der medialen Aufbereitung – und selbst in den anspruchsvolleren „Diskursen“ zur „Demokratiebildung“ (siehe dazu: „Die Furcht der Lehrer vor heiklen Themen“ in: FAZ v. 12. Juli 2024, S. 10) – werden die grundlegenden Fragen zum Wesen der Politik und zu den Mechanismen der Macht gemieden. 

Aus der Distanz betrachtet, geht es in den politischen Systemen, die sich als Demokratien verstehen, um die aus dem Begriff der „Volkssouveränität“ abgeleiteten Verfahren zur Bestellung des politischen Führungspersonals.Trump gelangte 2017 dank seines spezifischen Charismas – als „rechter Populist“ – gegen den Willen der republikanischen Parteiführung ins Weiße Haus. Biden verdankt seine Präsidentschaft im Wesentlichen dem Parteiapparat der Demokraten, die ihn anno 2008 aus Kalkül zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft unter Obama erhoben. 

Unter welchen Voraussetzungen gelangen hierzulande Personen „nach oben“, die unter Berufung auf „unsere Werte“ vermeinen, die gefahrvollen Weltläufte steuern zu können? Diese Frage betrifft das in der Bundesrepublik Deutschland verfestigte Parteienwesen, welches längst den im Grundgesetz verankerten Gedanken der „Mitwirkung“ an der „politischen Willensbildung des Volkes“ zugunsten selbstgenügsamer Rituale, innerparteilicher Rivalitäten und Abschottung gegen „populistische“ Konkurrenz hinter sich  gelassen hat. Wie steht es allgemein mit der Etablierung politischer Eliten in westlichen Demokratien? Nur selten sind es „the best and the brightest“, in der Regel sind es diejenigen, welche die Techniken der Machtgewinnung erlernt und „verinnerlicht“ haben.

 

Herbert Ammon, geb. 1943 in Brieg (Schlesien), ist ein deutscher Publizist, Historiker, Studienrat a.D. Er engagierte sich in den 1980ern in der damaligen Friedensbewegung, u.a. als Repräsentant des „Offenen Briefes“ des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. 1981 zusammen mit Peter Brandt Herausgeber des Buches „Die Linke und die nationale Frage“. Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa.

Foto: Imago

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Leserpost

netiquette:

Elias Schwarz / 18.07.2024

Näher Nancy’s Neffe

Rainer Niersberger / 18.07.2024

So berechtigt die Fragen nach dem Personal sind, denn es entscheidet immerhin ueber existentielle Fragen, so kurz waere es, das System hier aussen vor zu lassen. Die Staatsform Demokratie, mehr ein Etikett als Inhalt, weist qua machthabender Parteien ( dazu auch v. Arnim) interessante Mechanismen der Personalrekrutierung und Auswahl bzw Beförderung auf. Es gibt kurz gefasst zwischen dem, was wir repraesentative Demokratie nennen und der Personalqualitaet gewisse Verbindungen. Anders formuliert wird man die Qualitaet, was natuerlich dringend Not taete, in diesen Systemen nicht verbessern. Im Gegenteil. Man ist auf den Zufall angewiesen,cder rein logisch oder systemisch immer unwahrscheinlicher wird.  Gewisse, unterschiedliche Rahmenbedingungen koennen das miserable Ergebnis leicht beeinflussen. Die wohl ungünstigsten Bedingungen, was Qualitaet betrifft, gibt es in Sch’land. Qualitaet meint hier natuerlich Intelligenz, Charakter und zumindest hinreichendes Wissen. Da hat es diese Republik mit ihrem System weit gebracht. Und es wird nicht nur nicht besser, sondern, wie der erfahrene Personaler weiss, noch schlechter. Kaum zu glauben, aber die nach unten weisende Skala laesst noch einiges zu. Es sieht nicht danach aus, dass die Repräsentierten damit ein Problem haetten, vermutlich aufgrund gewisser Ähnlichkeiten. Das Problem ist, dass eine Verbesserung politisch bzw parlamentarisch praktisch ausgeschlossen ist. Nun kann man immer weiter fest daran glauben, aehnlich wie auf Godot zu warten, wie der Autor, dass es warum auch immer besser wird, durch göttliche Fuegung vielleicht, man kann aber auch der schnöden, dunklen Wirklichkeit ins finstere Antlitz schauen. Wo die Guten herkommen sollen und vor allem wie sie es systemisch! und friedlich an die Macht schaffen, weiss hoffentlich der Autor. Ich weiss es auch, anders, aber das lassen wir lieber.

Jana Hensel / 18.07.2024

Zur Person Gretchen Whitmer: Die ist US-weit durchaus bekannt, denn sie ist eine Art amerikanisches Pendant zu “unserem” Karl Lauterbach. Jedenfalls hatte sie in ihrem Bundesstaat eine geradezu besessen eine fanatische Coronamaßnahmenpolitik zu verantworten. Die bei weitem strikteste in den USA! Kurioserweise geisterte auch bei ihr -genau wie bei KL- zu einem Zeitpunkt als die Unterstützung in der Bevölkerung deutlich nachließ die Meldung durch die Presse man habe in letzter Sekunde ein “Komplott” gegen diese umstrittene Person aufgedeckt. Man berichtete von einer Gruppe von Internetverschwörern, die verhaftet wurden, weil sie Whitmer angeblich entführen und/oder ermorden wollten. (Gab es da nicht auch ein paar gehbehinderte Senioren die angeblich KL entführen wollten? Schon erstaunlich wie sich die Abläufe glichen…) Bei Gretchen standen die angeblichen Verschwörer nun bereits vor Gericht und wurden freigesprochen- zu viele FBI-Agenten waren an dem angeblichen Komplott gegen Whitmer beteiligt, als dass man irgendwelche konkreten Planungen nachweisen konnte. Jedensfalls ist Whitmer kein Präsidentinnenmaterial. So wie Karl Lauterbach kein Kanzlermaterial ist.

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