Rainer Bonhorst / 31.05.2016 / 07:19 / Foto: Renee Comet / 4 / Seite ausdrucken

Fräulein Sahra und das Gespür für Coolness

Ich kann mir nicht helfen, aber seit der Tortenattacke finde ich Sahra Wagenknecht noch aufregender. Sie fasziniert mich seit langem. Zum einen ist sie das überlegene Gegenstück zur kühlen Blonden: An diese kühle Brünette kommt keine noch so Helle aus dem Norden heran. Und dann ist da noch diese andere Sache, die ich in eine Frage kleiden will: Wie kann man nur so klug sein und gleichzeitig so schief liegen?

Es ist kein unbekanntes Phänomen. Die Engländer nennen Leute, die vor lauter Schläue im Gegenteil landen „too clever by half“. Bei Sahra Wagenknecht ist es der Wunsch nach „Reichtum ohne Gier“. Ein frommer Wunsch in der doppelten Bedeutung des Wortes. Er frommt uns, aber er hält der Wirklichkeit nicht Stand. Des Lebens bittere Erfahrung lehrt leider: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass es Reichtum ohne Gier gibt.

Doch was heißt das schon. Wo wären wir, wenn nur die Dummen fromme Wünsche formulieren würden. Wenn sich alle klugen Köpfe vor der Tristesse der Realität verneigen würden. Und kann man fromme Wünsche attraktiver predigen als Sara Wagenknecht mit ihrer kerzengeraden Eleganz und der argumentativen Strenge ihrer politischen Romantik? Und dann muss ich sagen: Wenn schon links – dann doch wohl wagenknechtlinks und nicht gysilinks. Gregor Gysi würde inzwischen vor lauter Regierungslust einen Kanzlerkandidaten Gabriel oder gar Steinmeier schlucken. Da beweist Sahra Wagenknecht ein anderes Kaliber, wenn sie der braven SPD einen Jeremy Corbyn oder einen Bernie Sanders an den Hals wünscht, um sie reif für die Linke zu machen.

Wenn schon links – dann wagenknechtlinks und nicht gysilinks

Da scheint sie auf, die Wahlverwandtschaft der interessanten, ja aufregenden Politiker in einer sonst so betulichen Polit-Belegschaft. Wer Politik, wozu ich immer rate, auch als ein Entertainment betrachtet, der kann sich über Sanders und Corbyn, die Starklinken der Demokraten und der Labour Party, nur freuen. Ebenso wie über die interessante Sahra in ihrer vergleichsweise bescheidenen Abseitsstellung.

Hillary Clinton ist das Gegenstück: unfaszinierend mittig. Leicht könnte sie die Tragik eines Sigmar Gabriel ereilen, wäre ihr da nicht bei den Republikanern das Unikum Trump als unfreiwilliger, aber gottgesandter Helfer erschienen. Ausgemacht ist die Sache aber noch nicht. Auch Donald Trump gehört – anders als Hillary Clinton - in die Reihe der spannenden Politiker. Nur halt auf der anderen, der rechten Seite. Wenn er denn eine Seite hat: Seine Gegnerschaft zum Freihandelsabkommen mit Europa dürfte links genauso gefallen wie rechts.

Der offiziellen journalistischen Sortierung folgend gehört Trump allerdings klar zu den Rechtspopulisten. Man könnte ihn also einen Wahlverwandten der Frauke Petry nennen, wäre er nicht um ein Vielfaches interessanter als die unaufregende AfD-Chefin. Trumps rechtslastige Beleidigungen und seine im Ungewissen wabernden Phrasen haben etwas Genialisches, was deutsche Rechtspopulisten einfach nicht schaffen. Ein Boateng-Stuss, wie ihn Gauland geliefert hat, wäre bei Trump Dutzendware, ein Stückchen rhetorischer Frühsport vor der populistischen Tages-Agenda.

Der Linkspopulismus schafft es einfach nicht, das Licht der Welt zu erblicken

Tja, der Populismus. Die populären Linken wie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders, die massenhaft junge Protestbürger anziehen, sind keine Populisten, weil die mediale Einsortierung links keine Populisten anerkennt. Rechtspopulisten – ja, Linkspopulisten – nein. Warum ist das so? Keine Ahnung. Wenn ich ein strammer Linker wäre, wäre ich gerne ein Linkspopulist. Schon aus Gründen der Gerechtigkeit. Aber dem Linkspopulismus fehlt nun mal die mediale Hebamme, er schafft es einfach nicht, das Licht der Welt zu erblicken.

Sahra Wagenknecht wäre auch dann keine Linkspopulistin, wenn es Linkspopulisten gäbe. Sie ist einfach zu kühl und zu kopfgesteuert, um im  populistischen Fach zu reüssieren. Der Torten-Antifa, deren Opfer sie neulich wurde, ist sie nicht einmal links genug. Tatsächlich hat Sahra Wagenknecht gesagt, Deutschland könne nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Das macht sie in den Augen Backwaren produzierender Antifaschisten wahrscheinlich zu einer Rechtspopulistin.

Egal. Ich finde es erstaunlich, mit welcher Gelassenheit sie die  braune Torte wegsteckt hat, die ihr ins Gesicht gedrückt worden ist! Ich habe den Verdacht, dass sie sich mit der Torte ausschließlich zeitgeschichtstheoretisch befasst hat, als gebackenen Beleg für die traditionelle Zersplitterung der Linken. Im übrigen ging es ruck-zuck: Frisches Make-up, Kostümwechsel von rot zu blau, und fertig. Die jungen Anhänger der angelsächsischen Polit-Opas Corbyn und Sanders würden sagen: The lady is cool. Ich sage das auch. So cool wie Sarah Wagenknecht ist keiner in der politischen Menagerie unseres Landes. 

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Leserpost

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Gabriele Kremmel / 01.06.2016

Herrlich auf den Punkt gebracht, Herr Bonhorst! Frau Wagenknecht ist mit ihrer “kerzengeraden Eleganz” und “argumentativen Strenge” mit wenigen Worten so trefflich portraitiert wie es besser gar nicht möglich wäre. Ja, und die Coolste ist sie auf jeden Fall auch. Man muss kein Linker sein, um Frau Wagenknecht gut zu finden.

Mona Rieboldt / 31.05.2016

Ein Fräulein ist Sarah Wagenknecht ganz sicher nicht, sie ist eine über 40jährige Frau. Da klingt Fräulein schon recht abwertend, auch wenn man in Ihrer Jugend noch “Fräulein” sagte.  Ganz offensichtlich bewundern Sie Sahras gutes Aussehen. Aus dem Grund wird sie auch ständig in Talkshows eingeladen.  Als Frau Wagenknecht noch gut verdienende Europa-Politikerin war, ist von ihrer Tätigkeit nicht bekannt, dass sie dort irgendetwas getan hat. Lediglich bekannt ist ihr Hummer-Essen, bei dem sie anschließend Fotos vernichten ließ, damit es nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollte. Und sich nach einem Tortenwurf neu anzuziehen bei einem Parteitag und dann einfach weiter zu machen, ist selbstverständlich und kaum “cool”.  Ihre Bewunderung der schönen Sarah soll Ihnen unbenommen bleiben. Dennoch kein Grund, sie derart hochzuloben.

Karla Kuhn / 31.05.2016

Frau Wagenknecht ist nicht nur klug, sie ist auch eine sehr gute Rhetorikerin und läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegensatz zu anderen Politikern geht sie auch nie unter die Gürtellinie. Sie könnte in jeder Partei Karriere machen. Abgesehen davon, sieht sie auch noch toll aus. Eine Seltenheit bei Frauen in der   Politik. Schade, dass sie ausgerechnet bei den Linken gelandet ist

Thomas Schenk / 31.05.2016

Ihrer Beurteilung von Frau Wagenknecht kann ich in vollem Umfang beipflichten. Im Gegensatz zu Ihrem Parteikollegen Gysi, der Populismus in persona verkörpert, wirkt Sie aufrecht und glaubwürdig, darüber hinaus auch noch gut informiert. Warum Sie diese Eigenschaften Frau Petry absprechen, bleibt vermutlich Ihr Geheimnis. Dabei reicht ein Blick in Wikipedia um zu sehen, was diese Frau in Ihrem Leben schon geleistet hat, und angesichts medialer Diffarmierungen und Anfeindungen leistet. Wer weiß schon, dass die promovierte Chemikerin aufgund einer bedeutenden Erfindung mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde.  Außerdem hat Sie vier Kinder zur Welt gebracht, und steht nun an der Spitze einer aufstrebenden Partei, deren drohenden Untergang Sie verhindert hat. Und das ohne Quote, allein durch Ihre Überzeugungskraft. Ob Sarah Wagenknecht angesichts einer Schmutzkampagne, wie sie Frau Petry ausgesetzt ist, ähnlich gut aussehen würde bleibt offen.

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