Wir haben Halbzeit in unserem Häuschen auf dem Lande. Ein Stockwerk bewohnen wir bereits, die Heizung funktioniert, wir können – sehr weit entfernt von dem Begriff „Kochen“ – uns Essen machen und müssen auch nicht mehr unserem anatolischen Savoir-Vivre folgen und hinters Haus, um das Essen wieder loszuwerden. Wenn es regnet, wird geduscht. Die Grundbedürfnisse sind also gestillt.
Und die Fliesen fürs Bad sind da. Nach zwölf Wochen. „Wegen Corona“, wie wir alle derzeit reihum gebullshitted werden, selbst wenn die Pizzabestellung zum Mittagessen erst als letztes Abendmahl eintrudelt. Deswegen fand ich es sinnvoll, den Fliesenleger anzurufen, ich würde Weihnachten gerne baden. Vielleicht sogar mit einer Person unseres gemeinsamen Haushalts.
„Sie wissen aber schon, dass wir Corona haben“, sagte mein Fliesenleger am Telefon, „ich kann derzeit nur Homeoffice machen!“ Ich war verblüfft: „Und wie soll das gehen? Ich nenne eine x-beliebig große Fläche, auf der Sie dann zu Hause meine Fliesen verlegen und Sie schicken mir dann die Verlegerechnung?“ Mein Fliesenleger lachte. „Nein“, erklärte er, „wir haben das Jahr 2020. Es gibt heutzutage ja auch Telemedizin. Und ich habe mich auf Telefliesenlegen verlegt. Sie stellen ein Notebook mit Kamera in Ihr Badezimmer, und ich sage Ihnen, was Sie machen müssen. Abgerechnet wird pro Stunde, je nachdem, wie gut Sie sich anstellen! Ist ein Pilotprojekt.“ Ich fand das ziemlich fair, und da ich ja mit der Zeit gehen soll, stimmte ich leichtsinnigerweise dem Vorschlag zu.
Ich bin stinkfaul, sehr ungeduldig und extrem ungeschickt
Ich muss allerdings dazu sagen, dass es einen Grund hat, warum ich lieber vor einer Tastatur als vor irgendeiner Baumaschine stehe – und sei es nur ein Hammer oder Spaten. Da bin ich froh, wenn ich das richtige Ende in der Hand habe. Ich kann gar nichts. Meine handwerklichen Fähigkeiten beschränken sich in höchstem Maße darauf, richtigen Handwerkern im Weg herumzustehen. Und dabei ist es völlig unerheblich, welches Gewerk sie ausführen, Handwerker können sich bei mir sicher sein, dass ich ihre Laufwerke blockiere. Selbst wenn ich während der Arbeiten in einer anderen Stadt wäre – ich wäre im Weg. Mit unter Umständen tödlicher Sicherheit. Abgesehen davon habe ich tatsächlich drei negative Eigenschaften: Ich bin stinkfaul, sehr ungeduldig und extrem ungeschickt.
Das Notebook aufzubauen, war kein Problem. Wir haben daneben, hier auf dem bewaldeten Land, ein überraschend und erfreulich fixes Internet, wie immer die das mit ihren antiken Kupferkabeln hingebracht haben. Ich winkte dem Fliesenleger in die Kamera, er winkte zurück. Dann schaltete ich die Stoppuhr ein und es ging los. „Gut“, sagte Herr Mungelmann, „als erstes dichten wir den Raum wasserdicht ab. Sie benötigen hierzu Grundierung. Haben Sie die?“ „Klar“, sagte ich lässig, „aber wir können uns das sparen. Ich habe hier eine erstklassige Plastikfolie und ein Schussgerät eines namhaften Werkzeugherstellers für diese Krampen hier ...“, ich hielt beides in die Kamera, „… Folie tackern dürfte schneller gehen“, machte ich einen, wie ich fand, sehr ökonomischen und rationalen Vorschlag.
„Nein“, lehnte Herr Mungelmann meine Idee rundheraus ab, „das wird nicht dicht genug. Sie nehmen die Grundierung und streichen damit die Wände ein. Danach tragen Sie den Dichtanstrich mit einem Pinsel oder einer Rolle auf, wie beim Tapezieren“, erklärte er, während er sich aus irgendeiner außerhalb des Kamerasichtfelds liegenden Ecke ein Leberkäsebrötchen angelte. „Sie fangen in den Ecken und dem Übergang von der Wand zum Boden an und streichen sich sozusagen nach oben und unten. Tragen Sie den Anstrich satt, aber nicht ZU satt auf“, dozierte er weiter. „Wenn Sie das gemacht haben, dann kleben Sie in den noch feuchten Anstrich Abdichtband und zwar in jeden Übergang zwischen Boden, Wand und Decke. Sie tun sich leichter, wenn Sie das Dichtband vorher zuschneiden“, schloss er seine Ausführungen ab und biss in sein Brötchen.
„Wieso Zweitanstrich, wenn ich den Erstanstrich ordentlich gemacht habe?“
Ich war ratlos. „Womit fang ich an?“ „Mit der Grundierung.“ „Aber das sind Trockenbauwände, wieso soll ich die grundieren?“ „Damit der Dichtanstrich besser hält.“ „Warum sollte er nicht halten? Das sind ja keine Glas- oder Marmorwände.“ Herr Mungelmann seufzte genervt und biss ein weiteres Mal in seine Vesper. „Machen Sie es einfach und diskutieren Sie nicht. Vertrauen Sie mir. Ich bin Fliesenleger“, insistierte er. „Ja, aber Sie legen ja im Moment gar keine Fliesen. Sie essen. Sie können gar nicht wissen, wie meine Trockenbauwände sind. Sie haben sie ja noch nicht einmal angefasst!“, protestierte ich empört.
„Haben Sie an Dichtmanschetten für die Aussparungen um die Armaturen herum gedacht?“, ignorierte er meinen Einwand. „Ja, habe ich“, sagte ich und zeigte ihm die besten Dichtmanschetten, die der Baumarkt zu bieten hatte. „Gut“, lobte er mich, „nach dem Erstanstrich sollten Sie etwa drei Stunden warten. Danach tragen Sie den Zweitanstrich auf …“ „Wieso Zweitanstrich? Wenn ich den Erstanstrich ordentlich gemacht habe, brauche ich keinen Zweitanstrich!“, widersprach ich. Herr Mungelmann stopfte sich den Rest Leberkäsebrötchen in den Mund.
„Wollen Sie, dass Ihr Badezimmer dicht wird?“, wollte er wissen. Ja, natürlich wollte ich das! „Dann machen Sie bitte gefälligst, was man Ihnen sagt!“ „Es ist nicht so, dass ich mich grundsätzlich weigere“, erklärte ich in die Kamera, „ich will ja nur wissen, warum ich etwas grundieren, streichen und dann noch einmal streichen soll, was ich mit einer Plastikfolie und einem Krampentacker grob geschätzt in einer Stunde hinter mich bringen könnte. Ich mag keine sinnlosen Arbeiten! Außerdem bezahle immer noch ich und mache die ganze Arbeit, während Sie lustig zu Hause hocken und Leberkäsebrötchen essen!“
Pilzzucht. Grundieren. Zweitanstrich.
Herr Mungelmann schien etwas indigniert. „Man macht das eben so, wie ich es Ihnen gesagt habe. Nach dem Zweitanstrich wartet man auch zwölf Stunden, bis man die Fliesen endlich verlegt. Unter einer Plastikfolie bekämen Sie gelegentlich Kondenswasser, damit würden Sie Ihr Badezimmer in eine 1A-Pilzaufzuchtstation verwandeln. Grundieren Sie, machen Sie die Abklebearbeiten und die Anstriche und dann verlegen wir morgen gemeinsam die Fliesen, in Ordnung?“ „Sind Sie die ganze Zeit online?“, wollte ich wissen, in der sicheren Gewissheit, er würde von seiner Kamera verschwinden, sobald ich ihm den Rücken drehe.
„Nein, ich beobachte jetzt Ihre ersten Schritte und teile Ihnen mit, ob Sie das richtig machen. Danach arbeiten Sie selbstständig weiter und rufen mich an, sobald Sie grundiert haben!“ Das fand ich annehmbar, aber als ich mich umdrehen wollte, um das Schussgerät abzulegen, kam ich wohl an den Auslöser und eine Krampe zischte direkt in die Kamera des Notebooks. „Sie sind weg, Sie sind weg“, hörte ich Herrn Mungelmann verzweifelt rufen und konnte mich für einen Moment nicht der Vorstellung erwehren, wie er vor seinem Notebook rückwärts vom Stuhl fiel, die Finger noch feucht vom Leberkäs und mit einer Krampe in der Stirn.
Ich schaltete das Notebook ab. Pilzzucht. Grundieren. Zweitanstrich. 12 Stunden warten. In dieser Zeitspanne erschaffen andere Weltreiche oder zeugen wenigstens Söhne. Ich mache jetzt das mit der Plastikfolie. Kann ja kein Hexenwerk sein. Der Mann hat keine Ahnung …
(Weitere textliche Fliesenlegearbeiten des Autors jetzt auch unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.