Felix Perrefort / 21.01.2022 / 14:10 / Foto: Pixabay / 22 / Seite ausdrucken

Flaschenpost: Die Vergangenheit verheißt nun den Fortschritt

To whom it may concern.

Wisst Ihr eigentlich, wer niemandem Tod, Jobverlust oder Gefängnis gewünscht hat? Die Ungeimpften. – Twitter-Nutzer

Würde man einer anderen Randgruppe plötzlich jegliche Rechte absprechen oder sie moralisch so verunglimpfen, wie es derzeit mit den Nichtgeimpften geschieht, würde die gesamte Linke Zeter und Mordio schreien. – Ulrike Guérot

Mir verschlägt es die Sprache zu häufig, als dass ich es zählen könnte. Perplex innehalten, die Gedanken kreisen schließlich zurück zum Anfang: Wie konnte es so weit kommen, so schnell und abrupt, so total? Man kann die Corona-Krise zwar durchaus rekonstruieren, wie vielfach geschehen, und damit dem Verstehen zugänglich machen; dennoch bleibt bei mir ein sich dem deutlich entziehender Rest, der mich ungläubig zurücklässt, weil sie als Ganzes so surreal ist. 

Nun ist die Paralyse, die sicher nicht nur mich überfällt, sobald ich etwa von Blut abnehmenden Polizisten, eingeführter Testpflichten in Kitas oder wegen des Impfstatus entzogener Sorgerechte erfahre, ja auch ein gutes Zeichen. Schließlich bezeugt sie, dass keineswegs alle so abgestumpft sind, wie es die Gewohnheit von ihnen eigentlich erfordert.

Was mich zu einem wenig reflektierten Phänomen führt. Von Anfang an gab es eine Verweigerung, die sich nicht im argumentativen Schlagabtausch wichtigmachte; die die mathematische Diskussion eines Für-und-Widers hinsichtlich unterschiedlicher Länder und Maßnahmenintensität nicht führte; die mit den plötzlich allgegenwärtigen Diagrammen und Kurven so wenig anfangen konnte wie mit dem Sperrband auf den Kinderspielplätzen; die auf Social-Media-Schlachten einfach nichts gab. Warum?

Weil dieser neuen, unheimlichen Art, Bescheid zu wissen und andere zu bedrängen, eine Intuition vorausging, so einfach nicht sein zu wollen; zuerst die Abneigung, dann der Wille, sie mit Fakten und Argumenten zu untermauern – nicht verwunderlich, soweit es um die Substanz bürgerlichen Miteinanders geht. Bei mir hatte es übrigens länger gedauert, andere (*) begriffen sofort. 

Verachten, ohne zu verbittern

Nun, was mag die Verweigerung solch intuitiv-kritischer Menschen schon anderes gewesen sein als das reflexartige Festhalten an einer wegstürzenden Gesellschaftsform? Der Westen, der mit der konsequenten Garantie von Individualrechten steht und fällt, verschwimmt in vielen seiner einstigen Vertretergebiete mehr und mehr zur einer Erinnerung, die in solchen Subjekten fortlebt; teils im Stillen, teils im offenen Widerspruch leben sie wider die Gegenwart.

Dafür, dass das Gesellschaftliche einem einzigen höheren Ziel unterworfen wird, sind sie nicht zu haben. Hinter einer Erkältung lauert für sie nicht die eigentlich viel dunklere Gefahr, sondern der Wahnsinn von Spinnern und Mythologen; und auf die geben sie auch dann nichts, wenn die Pandemiewächter in der Cancel Culture den Ton angeben. Sie verachten, ohne zu verbittern, und lächeln noch, ohne zu verzweifeln. Sie hätten allen Grund dazu.

Auf der anderen Seite die eiskalten Verwalter, kreativ-entrückten Architekten und stupiden Mitläufer der neuen Normalität, die in bald zwei Jahren hinreichend gezeigt haben, wie schamlos und unbedarft sie an allgemeine Umgangsformen und Lebensverhältnisse ihre desinfizierten Hände legen. Weil sie nie ein paar ernsthafte Gedanken daran verschwendeten, was moderne Gesellschaft im Kern auszeichnet: Grund- und Freiheitsrechte, die keineswegs nur individuelle Interessen und Entfaltung, oder gar Egoismus verbürgen, sondern immer auch die gesellschaftliche Voraussetzung dafür sind, sich zueinander empathisch, ja solidarisch ins Benehmen zu setzen.

Negativ zeigen das test-reglementierte Familienfeiern genauso wie ver-maskierte Seniorenzentren, die mit anderen Orten maßnahmen-bedingter Entfremdung etwas Allgemein-Verbindliches zeigen: Der Zwang muss überall weg, wo er lediglich Ausdruck sich selbst genießender Herrschsucht ist. Woran es wohl liegt, dass sie so unverdrossen akzeptiert wurde?

Nun, wer mit der Ästhetik des Tatorts so zufrieden ist wie mit dem Humor der heute show, weil er Intelligenz bei den WDR-Wissenschaftsredakteuren von Quarks identifiziert, der lässt sich von einem Lothar Wieler eben allen Ernstes erklären, warum der achtjährige Sohnemann nun stundenlang nicht frei atmen darf und die Tochter nur noch geimpft zum Reitverein darf – follow the science, lose your mind.

Ohne die unterwürfig-umfassende Anspruchslosigkeit aktueller Normalos – zu denen man längst auch das meiste dessen zählen darf, was sich links und antifaschistisch nennt – wäre das allgemeine Irrenhaus längst eingestürzt. 

Es würde nicht aufhören

Fortschritt erinnert sich, wie es einmal gewesen sein mochte und hätte sein können. Er möchte wahr machen, was historisch reif ist und auf die Menschheit wartet. Was heute zu erkämpfen, ja zurückzugewinnen und gegebenenfalls noch zu vollenden wäre, spricht aus Büchern, Filmen und Platten, deren untergegangene Gegenwart uns bald als Utopie erscheinen könnte. Indessen hat sich das Dystopische der Gegenwart bemächtigt, die Vergangenheit ist nun bei Weitem fortschrittlicher als die Gegenwart. Sie sagen, es sei nur eine Pandemie, die uns zeitweise ihre Einschränkungen aufzwingt, doch ist jedem bei Verstand klar, dass es nicht aufhören wird, jedenfalls nicht aufhören würde, wenn die Menschen es nicht beenden.  

Der 2002 entstandene Science-Fiction Film Equilibrium erzählt von einer dystopischen Zukunft nach einem Dritten Weltkrieg. Gefühle werden mit einer psychotropen Droge unterdrückt, weil sie für menschliche Katastrophen verantwortlich gemacht werden. In einer Schlüsselszene entdeckt der Hauptprotagonist, ohne noch unter der Gewalt der chemischen Substanz zu stehen, ein Zimmer voller kunstvoller und anachronistischer Gegenstände.

Er legt eine Platte auf, zum ersten Mal in seinem Leben hört er eine Sinfonie Beethovens. Die Kamera führt den Zuschauer langsam an seine Augen bis in seine dunklen Pupillen hinein und schließlich, indem von dort fließend zum Schwarz der Schallplatte geschnitten wird, von diesen wieder weg. Es rührt ihn zu Tränen, weil er in der musikalischen Virtuosität eine Menschlichkeit spürt, die von seinen Zeitgenossen verstellt ist.

Wo die Mehrheit glaubt, sie sei unweigerlich im Recht, leidet das Denken unter Selbstgefälligkeit. Die Dummheit kommt dann unter gegenseitigem Schulterklopfen mit allem durch; nur nicht auf ewig. Jede Ideologie muss letztlich an der materiellen Resilienz all dessen scheitern, was sich dem Willen zur Macht nicht beugt. Sie sagen, Unwissenheit sei Stärke und Geschlechter gebe es viele; der Islam bedeute Frieden und die Impfung sei nur ein Piks. Nun lässt sich die Wirklichkeit zwar ideologisch einkleiden und in neuen Farben verkaufen; doch unterhalb der zuweilen schlichtweg gestörten Manipulationen besteht sie ungerührt fort. Bis die Kapazitäten der Ideologen irgendwann am Limit sind und sie ins Stolpern geraten. Schubsen erlaubt. 

Übrigens: Träumen tut gut, es entlastet: Ich für meinen Teil werde am Tag, an dem dieser ganze Mist ein für allemal vorbei sein wird – einem lauwarmen Frühlingsvormittag –, in den hinteren Reihen sitzen, vielleicht ein Glas Sekt gegen die aufgehende Sonne halten und auf Ulrike Guérot trinken. 

P.S.: Sollte die Herrschaft künftig erneut auf die lukrative Schnapsidee kommen, lausige Erkältungen und gefährliche Lungenentzündungen zu menschheitsgefährdenden Seuchen zu erklären, sind Massen an Menschen schon aufgeklärt und vernetzt. Der Unterschied wäre dann einer ums Ganze.

*Der oben verlinkte Text von Boris Kaiser (hinter einer Paywall) lässt sich hier als Podcast anhören.

Die erste Flaschenpost finden Sie hier, die zweite hier und die dritte hier

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Leserpost

netiquette:

Wilfried Cremer / 21.01.2022

Lieber Herr Perrefort, normal kommt man aus diesem Wahnsinn nicht mehr raus. Da braucht es schon ein welterschütterndes Geschehen. Oder ist es nur die Ebbe der Vernunft vor der Erleuchtung?

Hans Reinhardt / 21.01.2022

Ja, Herr Perrefort, wir verlieren gerade etwas, von dem wir aber nur dachten, dass wir es hätten. Und ich würde Ihnen nicht nur Ihr Glas Sekt von Herzen gönnen, das Sie so gerne trinken würden wenn das alles vorbei ist, nein, es wäre mir eine Ehre, Ihnen zu diesem Anlass eine Kiste Champagner zu schicken. Allein, dazu wird es nie kommen, da dieser Irrsinn nie vorbei sein wird und wenn doch, dann nahtlos durch etwas noch Idiotischeres ersetzt wird. Es wird keinen Moment des Innehaltens geben, der Wahnsinn ist ein Meister aus Deutschland und uns immer einen Schritt voraus. Sie glauben mir nicht? Hier meine Nummer 1 in der wöchentlichen Hitparade der Bekloppten: mein Schwager erzählte mir, dass er vor ein paar Tagen mit einem Geschäftsfreund skypte. Er hielt ihn bis dahin für einen rationalen und intelligenten Geschäftsmann. Bis zu dem Augenblick, in dem er sah, was hinter ihm auf einem Sideboard im Wohnzimmer stand: ein GERAHMTES FOTO VON KARL LAUTERBACH!

T. Weidner / 21.01.2022

“Wie konnte es so weit kommen, so schnell und abrupt, so total”? Werter Herr Perrefort, wer Entwicklungen deuten und verstehen will, braucht ein Blatt Papier mit einem Koordinatensystem. Hier die x-Achse als Zeitachse und die y-Achse als Grad des Niedergangs der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Beginn ist der Einzug der Grünen in die Regierung. Nun zeichen die den Niedergang der fdG ein - und voilá, sie bekommen eine exponentielle Funktion. Da haben sie dann die Erklärung…. Schon Mitte 2020 sah die ganze Entwicklung nach Exponentialfunktion aus - wenigestens ich habe nichts anderes als den heutigen Zustand erwartet… Wobei 2015/Migrantenkrise, Haldenwang und Harbarth Meilensteine waren…

Rolf Lindner / 21.01.2022

Habe gestern beim Mittagstisch unter Kollegen die Geschichte einer Apothekerin erzählt, deren Tochter nach der Impfung im impfnebenwirkungsgefüllten Wartezimmer beim Kardiologen gelandet war. Ein junger Mann neben mir, sonst nicht dumm, meinte, dass das doch Gerüchte wären. Ich habe ihn gefragt, wie man so eine Scheiße von sich geben kann und ob er meint, dass die Apothekerin lügen würde. Es gab einige Minuten betretenes Schweigen am Tisch. Im Grunde sind die Kollegen auf der Strecke furchtbar unwissend und naiv und würden in einer pseudodemokratischen Wahl die Mehrheit stellen. Das spricht dafür, dass die Voraussetzung für eine wahre Demokratie vor einer Mehrheitsentscheidung zuerst eine allseitige Information ist. Davon ist die Realität in diesem Land der Einseitigkeit und Dominanz der regierungskriechischen Medien weit entfernt, was nichts anderes als eine dementsprechende Ferne zu einer wirklichen Demokratie bedeutet. Man hat den Eindruck, dass die Leute ahnen, dass die Wahrheit so furchtbar ist, dass sie die gar nicht hören wollen. Wie ein Krebskranker die Krankheit ahnt, aber die Diagnose nicht hören will, weiterlebt wie bisher und die Krankheit dadurch nur schlimmer wird. Obwohl mir schon seit langem klar ist, dass Deutschland unheilbar krank ist, verstärkt sich der Eindruck beim Lesen von “Der deutsche Niedergang”, Christian Graf von Krockow. Seit dem Erscheinen dieser Diagnose (1998) ist man der Krankheit nicht begegnet, sondern die fatalen Entwicklungen wurden verstärkt. Gnade uns Gott.

Th. Rosché / 21.01.2022

Ist mir alles wurscht !!! Ich habe bei meiner Apotheke den gesamten Vorrat an 10 Valium aufgekauft, damit komme ich eine Zeit unaufgeregt über die Runden.  Mein Aufreger diese Woche !  Der Vorschlag der Familienministerin statt Stiefvater solls jetzt Bonusvater heißen ? Ich bin in 2 Ehe verheiratet, bin jetzt Bonusvater und höchst wahrscheinlich bald Bonusehemann. Sind die eigentlich alle noch ganz dicht ! Schönes Wochenende !

S. Andersson / 21.01.2022

Es ist immer wieder schön wie man alles auf „die“ anderen schieben kann. Es sollte irgend wann bei jedem ankommen das wir, das Volk, herrschen und Politfiguren nur das umsetzen müssen was zum Wohle des Volkes ist. Wenn nicht sind diese Figuren die wir sehr teuer bezahlen zu entfernen… da gibt es eigentlich keine Diskussion mehr! Also ... los gehts

Peter Wachter / 21.01.2022

Der Mist wird erst vorbei sein, wenn die EU wieder einmal in Schutt und Asche liegt, Bärbäckchen hat es angedeutet: Wir werden Europa verenden, wobei sie sich versprach, sie meinte die EU und nicht Europa. Neuester Annalenchens Versprecher: Fressefreiheit in Deutschland!

S.Buch / 21.01.2022

#KeineGuteZeit

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