Von Detlef Rogge.
Der hier kürzlich veröffentlichte Gruselartikel von Johannes Eisleben, „Euro im Multiorganversagen“, hat sicher nicht nur mir den ganzen Tag ruiniert. Mein Gemüt neigt zur Simplifizierung: Der Euro als Währung wird scheitern, rette sich, wer kann. So oder in ähnlichen Beiträgen prognostizieren sachkundige Autoren seit Jahren meinen baldigen finanziellen Ruin, gut zu wissen, aber was tun? Vielleicht noch ganz schnell in Immobilien investieren, was Gutmeinende mir schon immer geraten haben. Mit sogenanntem „Betongold“ konnte ich mich allerdings noch nie anfreunden, denn um Grundbesitz und Wohneigenheim muss man sich immer irgendwie kümmern, wofür ich nicht den geringsten Ehrgeiz mitbringe; ich wohne lieber bequem und flexibel zur Miete. Außerdem sind Eigenheime nun mal immobil und, wenn es darauf ankommt, zum Tausch auf schwarzen Märkten eher ungeeignet.
Von Finanz- und Wirtschaftspolitik verstehe ich so viel wie die Kuh vom Radfahren. Und weil das so ist, tendiert mein Vertrauen selbst seriös geltenden Vermögensberatern gegenüber gegen Null. Offerten zu lukrativen und zugleich todsicheren Anlagemodellen begegne ich mit höchstem Argwohn. Abgebrühte Verkäufer setzen bei verstockter Kundschaft gern auf ihren letzten Trumpf. Mehr oder weniger subtil wird Widerborstigen schon mal Naivität unterstellt, denn weshalb sonst würde man auf sichere monetäre Zuwächse verzichten. Mir macht die Einstufung als geistig minderbemittelter, beratungsresistenter Klient nichts aus. Je nach Stimmungslage kontere ich derartig durchschaubare Strategie gern mit der Bemerkung: Wenn das angepriesene Modell denn so sicher und attraktiv wäre, weshalb dann Wildfremde davon überzeugen und am Gewinn beteiligen? Sicher stünden sämtliche Verwandten, Bekannten und Kollegen des Verkäufers zur Zeichnung längst Schlange. Solcherart Flapsigkeit ist meist der Contenance abträglich; Kundenbetreuer und Anlageberater meiden mich inzwischen wie der Teufel das Weihwasser.
Eines ist selbst finanzpolitischen Dilettanten wie mir nicht entgangen, die gegenwärtige Geldpolitik enteignet den Sparer diskret, aber dennoch nachhaltig. Wer nicht beizeiten auf Immobilien oder Wertpapiere gesetzt hat, saturiert seit Jahren unfreiwillig den maroden Staatshaushalt mit der Entwertung seines Barvermögens. Die Tilgung nicht mehr beherrschbarer Verschuldung durch Zwangshaftung seiner Bürger ist in Deutschland nichts wirklich Neues. Bereits zweimal in der jüngsten Vergangenheit bezahlten die Deutschen die Torheiten ihrer politischen Anführer mit dem Verlust ihrer Vermögen. Herrn Eislebens Ausblick auf die Zukunft des Euros lässt die Annahme zu, dass ich die Erfahrungen staatlicherseits ausgeplünderter Vorfahren teilen werde.
Folgen für den sparsamen Zeitgenossen
Der Bankrott der Weimarer Staatsfinanzen ruinierte das Bürgertum nicht nur finanziell, sondern auch drastisch deren ohnehin geringes Zutrauen in die republikanische Staatsform. Als Nachfahre bekümmerte mich die Hyperinflation von 1923 wenig. Die Ereignisse lagen weit zurück und erlaubten mir zudem, in meiner Kindheit leicht Milliardengewinne einzufahren. Oma mochte das unansehnliche Monopoly-Spielgeld nämlich nicht und ersetzte es gern durch noch reichlich vorhandenes Inflationsgeld aus der, wie sie es nannte, „schweren Zeit“, in der sie alles verloren hatte. Auch die Auswirkungen der Währungsreform von 1948 konnten mich nicht mehr erreichen. Lediglich eine banale Bagatelle in der Vita meines Vaters ist mir dazu erinnerlich geblieben. Kürzlich machte ich mir die Mühe, diese mit Originalbelegen weitgehend zu rekonstruieren; sie dokumentiert exemplarisch in kleinem Maßstab, welch unterhaltsame Folgen die Währungsreform von 1948 für den sparsamen Zeitgenossen und dessen Angehörige haben konnte.
Der Senior besaß nach Kriegsende ein für seine Verhältnisse stattliches Sparguthaben von 3.000 RM bei der Postsparkasse Wien, das er 1950 als sogenanntes „Uraltguthaben“ gerade noch rechtzeitig zum DM-Umtausch anmeldete. Weshalb der Berliner ausgerechnet ein Sparkonto in Wien favorisierte, hatte er doch dort weder Verwandtschaft noch Bekanntschaft, bleibt sein Geheimnis und für die Angelegenheit ohne Belang.
Nachvollziehbar sind dagegen seine wirtschaftlichen Verhältnisse, unter denen er seinerzeit lebte, und, ob es ihm überhaupt möglich gewesen sein konnte, unter jenen Gegebenheiten eine derartige Summe regulär anzusparen. Mein Vater, Jahrgang 1920, in seiner Kindheit Hungerleider und wohl daher bis zum Lebensende zwanghaft knauserig, schloss seine Berufsausbildung zum Feinmechaniker im Dezember 1938 ab. Anschließend war er, bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht Mitte 1942 unabkömmlich gestellt, dreieinhalb Jahre als Geselle in einem Berliner Rüstungsbetrieb tätig.
Nichts blieb vom „Eisernen Sparen“
Das Durchschnittsjahreseinkommen im Reich lag in diesem Zeitraum bei 2.000 RM, für Industriearbeiter eher darunter bei 1.800 RM. Folglich standen ihm in diesem Zeitraum in etwa 6.300 RM brutto zur Verfügung. Weil er noch bei seinen Eltern wohnte, Stube-Küche, zur „Friedensmiete“ von 24 RM monatlich, und somit erheblich an Lebenshaltungskosten sparte, könnte der noch unverheiratete kinckrige Feinmechanikergeselle durchaus in der Lage gewesen sein, einiges zur Seite zu legen.
Seine sich anschließende Karriere beim deutschen Militär brachte ihm den Rang eines Obergefreiten ein. Der Wehrsold für einen solchen Mannschaftsdienstgrad betrug 0,75 RM zuzüglich 1 RM Frontzulage pro Tag. Zusammen ergab sich daraus ein bescheidenes monatliches Entgelt von rund 53 RM, pro Jahr also 636 RM, für knapp drei Jahre in etwa 1.800 RM. Bei Bewahrung seiner asketischen Grundsätze nicht auszuschließen, dass er selbst davon noch einiges hat zurücklegen können. Von den mühsam angesparten 3.000 RM, die er schließlich 1950 zur Auszahlung anmeldete, verblieben ihm nach Abzug von Bearbeitungsgebühren gerade noch 148,50 DM, was einem Umtauschverhältnis von 1:20 entsprach.
Vom „Eisernen Sparen“, einer Art Kriegsanleihe, Ende 1941 leichtfertig abgeschlossen, fällig frühestens ein Jahr nach Endsieg, sah mein Vater dagegen überhaupt nichts. Wegen Geringfügigkeit wurde die Spareinlage vom Umtausch ausgeschlossen.
Modalitäten der Quasi-Enteignung
Getrieben wohl vom Argwohn in die Solidität der neuen Währung spendierte er sich, sobald er von der anstehenden Auszahlung der 148,50 DM in zeitlich gestreckten drei Raten wusste, mit dem unverhofften Erlös ein Fahrrad. Weil zwischen Feststellung der zu erwartenden Gutschriften am 21. April 1950 und seinem Fahrradkauf am 4. Mai 1950 lediglich zwei Wochen lagen, ist eine Kausalität zwischen beiden Ereignissen wahrscheinlich, Eile schien ihm jedenfalls geboten. Das Rad, der Marke „Express“, zum Komplettpreis von 153 DM, dürfte der Händler selbst zusammengebaut haben, denn der Rahmen – ein sogenannter „Jubiläumsrahmen“, anlässlich des fünfzigsten Firmenjubiläums kurzzeitig aufgelegt – entstammte, erst kürzlich von mir ermittelt, bereits dem Produktionsjahr 1936. Der beim Kauf ausgegebene Fahrradbrief der Reichsmechaniker-Gesellschaft beschreibt ein „Herrenrad, Marke: Express, Rahmen-Nr.: 36 11 12, Farbe: schwarz, Rahmenhöhe: 55, Tourenlenker, Felgenbremse, Drahtfelgen, Felgengröße: 28, Freilaufrücktritt, Bereifung: Hochdruck, Rennsattel Elastik dunkel, Kettenteilung: ½.“
Mein Vater, von eloquentem Naturell, trug die Modalitäten der ihm widerfahrenen Quasi-Enteignung in unterhaltsamer Kleinkunstmanier gern arglosen Besuchern vor. Dabei versicherte er, ihm hätte das „vom Munde abgesparte“ und mit der Erbschaft seines Großvaters angereicherte Guthaben von 3.000 RM bereits im Sommer 1939 zur Verfügung gestanden, sodass ihm seinerzeit beispielsweise der Kauf eines neuen Autos vom Typ Opel-Kadett – damaliger Kaufpreis circa 2.200 RM – möglich gewesen wäre. Oder er hätte sich stattdessen auch gleich zwei schwere BMW-Motorräder – eine R51 kostete 1939 1.595 RM – leisten können. Dass er an den Gefährten kaum lange Freude gehabt hätte, behielt er lieber für sich, denn mit Kriegsbeginn begann das Heereszeugamt fast alle im Privatbesitz befindlichen Fahrzeuge für die Wehrmacht zu requirieren, wofür das spätere Lastenausgleichsgesetzt keine Entschädigungsleistungen vorsah. Die frühzeitige Geldanlage hätte ihm im Verhältnis zu den Verlusten der Währungsreform also nicht zum Vorteil gereicht.
Zur Veranschaulichung der Geschichte präsentierte er seinem konsternierten Publikum neben dem Wiener Sparbuch, vergilbten Auto- und Motorradprospekten und diversen Umtauschunterlagen auch gern als Corpus delicti das besagte Fahrrad, von dem er nicht müde wurde zu betonen, sich in gleicher Ausstattung und Qualität 1939 (laut Großhandelskatalog von 1935) gleich 33 Stück hätte leisten können, jetzt hätte er gerade mal eines. Zur Abrundung folgten am Ende noch umfangreiche Schuldzuweisungen. Mein Vater war nachtragend, sein finanzielles Fiasko schob er bemerkenswerterweise dem „österreichischen Antichristen“ in die Schuhe, was für mich immerhin den Vorteil bot, von den bei anderen Vätern damals nicht unüblichen Lobpreisungen auf das Dritte Reich nebst heldenhaft verklärten Kriegserinnerungen verschont zu bleiben.
Der Wertlosigkeit entgegen irrlichtern
Das Gefährt meines Vaters, das er bis zu seinem Tode nutzte, ist in meinen Besitz übergegangen; es vergegenständlicht nicht nur velozipede Technikgeschichte, sondern steht zudem als Artefakt eines finanzpolitischen Desasters. Ein Fahrrad also im Gegenwert von einst 3.000 RM, was einer gegenwärtigen Kaufkraft von 13.000 Euro entsprechen würde.
Heutzutage lässt sich der Geschichte leicht ein komödienhafter Einschlag abgewinnen. Für Betroffene dagegen scheinen derartige Erlebnisse wohl eher Anlass einer fortan von Sarkasmus und Ironie getragenen Weltsicht gewesen zu sein. Das Fazit meines Vaters zu der Angelegenheit, die sich so oder ähnlich hunderttausendfach zugetragen haben dürfte, war profan. Der redliche „Kleine Mann“, der, dem der preußische Staatsminister von Rochow „beschränkten Untertanenverstand“ attestierte („…Es ziemt dem Untertanen nicht, an die Handlungen des Staatsoberhaupts den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermut ein öffentliches Urteil über die Allgewalt derselben anzumaßen…“), wird für die Folgen katastrophaler Politik stets in Zwangshaftung genommen, gestern wie heute; Sparen war und bleibt für ihn ein riskantes Unterfangen.
Heutige, mit Verstand und Bildung gesegnete Untertanen täten eigentlich gut daran, auf das Sparen ganz zu verzichten oder besser noch, sich möglichst hoch zu verschulden, denn nur wer nichts hat, kann auch nichts verlieren. Die Einsicht wird sich kaum durchsetzen, widerspricht sie doch dem Urtrieb des Menschen, Vorräte für schlechte Zeiten zu horten. Vor einem Jahr meldete das Handelsblatt, die Deutschen hätten 6,1 Billionen Euro an privatem Geldvermögen angesammelt, rund ein Viertel davon würde als Bargeld oder auf extrem niedrig verzinsten Bankkonten seiner sukzessiven Wertlosigkeit entgegen irrlichtern. Noch könnte man sein Vermögen in Fahrrädern anlegen; angesichts bundesdeutscher Verkehrs- und Energiepolitik sicher keine ganz abwegige Investition. Ich muss handeln, bevor es zu spät ist.