Die Demokratie gerät bekanntlich in Lebensgefahr, sobald irgendwas mit rechts ist. Aber was ist rechts – und wenn ja, wie viele? Zur Klärung ein konstruktiver Vorschlag für die Verantwortlichen des Free-TV.
Vorab ein Geständnis, liebe Praktizierende der öffentlich-rechtlichen Verstrahlung: Wir von Achgut schauen euch – nicht immer, aber immer wieder. Ja, sorry, ist uns mindestens so unangenehm wie euch. Da kommt schnell der Verdacht von Kontaktschuld auf, und das ist für beide Seiten keine schöne Sache. Womöglich liegt sogar Kontaktschande vor, wie der Herr Kühnert von der SPD sagt. Das wiederum ist für die Frau Künast von den Grünen eine „sehr, sehr rechte Sprechweise“, weshalb die grün-linke Frau Künast den rot-linken Herrn Kühnert „außerhalb des demokratischen Umgangs“ sieht. Also da, wo die Rechten wohnen.
Klingt kompliziert, finden wir. Deshalb dachte ich, wir fragen besser mal nach zu der Rechts-links-Angelegenheit, bevor wir wieder was falsch machen. Beziehungsweise falsch sagen, denn das falsch Sagen ist ja heutzutage fast schlimmer als das falsch Machen. Vor dem Fragen haben wir uns gefragt, wen wir am besten fragen. Drei Möglichkeiten sind uns eingefallen: die Straßenverkehrsordnung, die Politik und ihr Anstaltsbetreiber.
Laut StVO gilt im Normalfall rechts vor links. Das finden wir prinzipiell stabil, aber ein bisschen undifferenziert. Die Politik fragen bringt nichts, da voreingenommen. Was bleibt, seid ihr vom Bezahlfernsehen. Beziehungsweise Free-TV, wie ihr euren Zuschauern zu jeder EM-Übertragung erklärt habt. Verständlich, Gebühren-TV klingt irgendwie nach Ordnungsamt, was vom Feeling her nicht ideal ist. Deswegen war es prima, dass ihr die Gebühren in Beiträge und die GEZ in Beitragsservice umgetauft habt. Seitdem empfinden sich die Schonlängerhierzahlenden gar nicht mehr so sehr als Opfer.
Was ist rechts – und wenn ja, wie viele?
Gut, da war auch noch die Demokratie-Abgabe, die sich eine eurer Führungskräfte als Ersatzsprech für Gebühren ausdachte. Hat sich allerdings bei den Demokratie-Abgebenden nicht so richtig durchgesetzt. Nicht wenige meinen halt, sie wollten die Demokratie lieber selber behalten.
Jedenfalls, wenn jemand weiß, was man wie am besten sagt, dann seid ihr das, wie nicht zuletzt euer praktisches Framing-Handbuch beweist. Außerdem müsst ihr als sozusagen amtliche Meldeportale zwar nicht neutral, aber ausgewogen sein. Damit seid ihr quasi automatisch die natürlichen Ansprechpartner für alles mit Politik und Demokratie – und Sprache. Die ist schließlich das wichtigste Kulturwerkzeug, das der moderne Homo erfunden hat, noch vor Übergangsjacke, Sekundenkleber und Stoßlüften. Ohne Sprache würde es eng werden, nicht nur mit euren Jobs.
Da wir ähnlich stark ins Sprach-Game involviert sind wie ihr, wenden wir uns also an euch. Wer wissen will, wie man mit einer Hilti umgeht, fragt ja auch keine Fußpflegerin. In diesem Zusammenhang gibt es eine Sache, die uns gerade wieder besonders umtreibt. Um es in Anlehnung an Richard David Precht zu sagen, den Lieblingsphilosophen der Menopause: Was ist rechts – und wenn ja, wie viele?
Demokratie in Lebensgefahr
Machen wir’s konkret. Nehmen wir die Tagesthemen von dem Sonntag, als die Franzosen sich ein neues Parlament zusammenwählten. Ich meine die erste Abstimmungsrunde. Da wart ihr natürlich fürchterlich aufgeregt, wie es sich gehört. Das grundsätzliche Problem mit der Demokratie ist ja, dass sie zum größten Teil von Leuten verübt wird, die keine Ahnung davon haben. Deshalb ist die Demokratie immer dann in Lebensgefahr, wenn demokratisch gewählt wird – egal, ob bei uns oder im Ausland (apropos, darf man Ausland noch sagen?).
Bei uns wurde das spätestens Anfang 2020 deutlich, als ein Herr namens Kemmerich von der FDP ein Inland namens Thüringen eroberte. Der Herr Kemmerich wurde als lupenreiner Demokrat lupenrein demokratisch zum Ministerpräsidenten gekürt, und zwar von lupenrein demokratisch bestimmten Abgeordneten. Trotzdem war es „ein schlechter Tag für die Demokratie“ (© A. Merkel), wie alle sofort erkannten, die wissen, wie Demokratie richtig geht. Und weil die Demokratie einen gebrauchten Tag erwischt hatte, war die Wahl „unverzeihlich“ (© A. Merkel).
Für den Herrn Kemmerich hatten nämlich nicht nur FDP und CDU gestimmt, sondern auch die AfD. Letzteres war eine Frechheit, da die AfD der CDU eine Menge Wähler abgenommen hatte. Also sorgte die Frau Merkel dafür, dass die Wahl „rückgängig“ (© A. Merkel) gemacht wurde. Zuvor war der Richtige von den Falschen gewählt worden, anschließend konnte der Falsche von den Richtigen gewählt werden. Damit lief alles wieder in gewohnter Bahn, und die Demokratie war gerettet.
Rechts-Sprechung im halben Dutzend
Später urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Merkel-Intervention illegal war, aber das machte nichts. Es gibt schließlich einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Parkverstoß und einem Verfassungsverstoß: Der Verfassungsverstoß kostet nichts. Außerdem sprachen die Richter freundlicherweise erst nach zweieinhalb Jahren Recht. Da war die Frau Merkel nicht mehr im Amt, und das Urteil interessierte keinen mehr – außer vielleicht den Herrn Kemmerich. Der ist seither für das liberale Spitzenpersonal ein Ausgestoßener, obwohl er einer der wenigen ist, die die FDP noch vor dem finalen Abgang bewahren könnten. Tja, so kann’s gehen, wenn die Demokratie mit dem falschen Fuß aufgestanden ist.
Bei den Franzosen war es ganz ähnlich wie damals in Thüringen. In Frankreich drohte Ungemach, weil sich eine Mehrheit für die Frau Le Pen mit ihrem Rassemblement National abzeichnete. Das heißt so viel wie Nationale Sammlungsbewegung und steht für irgendwas mit rechts, denn national ist von früher. Heute hat man international. Entsprechend wart ihr vom Free-TV in großer Sorge, dass die Demokratie nun auch bei unseren Nachbarn einen schlechten Tag haben könnte. Klar, man weiß ja auch nicht, ob der Herr Macron eine unverzeihliche Wahl genauso easy rückgängig machen könnte wie die Frau Merkel.
Also habt ihr in den Tagesthemen zum ersten Wahlgang alles gegeben – ganz so, als könnten die Franzosen euch hören. Da gab es Rechts-Sprechung im halben Dutzend: „extrem Rechte“, „Extreme“, „Rechtspopulisten“, „rechtsaußen“, „rechtsnational“, und „Rechtsextreme“. Wohlgemerkt, es ging nicht etwa um vier oder fünf unterschiedliche Vereine, sondern nur um einen: den Rassemblement National.
Alles mit rechts eine Soße?
Was mir persönlich im bunten Reigen der Attribute fehlte, war „rechtsradikal“, „faschistisch“, „neofaschistisch“, „postfaschistisch“ und „nationalsozialistisch“. Dass Letzteres schon mit der CDU anfängt, hatte euer Hofclown Jan Böhmermann klargestellt: Bei der Union handele es sich um „Nazis mit Substanz“. Ein anderer Free-TV-Humorist verglich Donald Trump mit dem Gröfaz. Am Tag vor dem Attentat auf den Ex-US-Präsidenten gestand ZDF-Korrespondent Elmar „E.T.“ Theveßen in einem Podcast: „Ich persönlich sehe ihn als Faschisten an.“ Trump habe „typische Kennzeichen“ von „Führern aus der Geschichte, die ähnliches getan und gemacht haben“, nämlich „Mussolini und Hitler“. Folgerichtig bedauerte ein dritter ÖRR-Komiker, der RBB-Moderator „El Hotzo“, den missglückten Tyrannenmord an Trump („leider knapp verpasst“) und bekannte: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.“
Jetzt frage ich mich, ist aus öffentlich-rechtlicher Sicht etwa alles mit rechts eine Soße? Das legt zumindest auch euer brandneues Inklusionsformat für kognitiv Herausgeforderte nahe. Am 1. Juli erklärte die Tagesschau in einfacher Sprache den Rassemblement National erschöpfend wie folgt: „Die Partei macht rechte Politik.“ Also ungefähr so wie Friedrich Merz, Donald Trump und Adolf Hitler, richtig?
Klar, das Grundprinzip habe ich verstanden: Linke Politik ist nie schlecht, man muss sie nur besser erklären. Und wer linke Politik nicht so prall findet, „übernimmt die Positionen der AfD“ und ist deshalb irgendwie Nazi. Mein Gefühl sagt allerdings, dass es da möglicherweise gewisse Unterschiede gibt. Nehmen wir zum Beispiel die Union. Unter der Frau Merkel war das CDU-Programm angenehm kurz und eingängig: Hauptsache regieren, egal wie. Deshalb stand immer „Die Mitte“ auf CDU-Rednerpulten, damit jeder sofort wusste, wo die Null-Linie in Sachen Überzeugung verläuft.
Zur Abwechslung rechts
Seit kurzem steht im CDU-Grundsatzprogramm plötzlich wieder das Wort „konservativ“, also ist die Partei nun rechts. Die Frage ist nur, wie viel rechts. Ist ja ähnlich wie beim Fußball. Man kann halbrechts spielen oder rechtsaußen. Bestimmt kein Zufall, dass der Impfverweigerer Kimmich bei der EM gerne am rechten Rand herumdribbelte.
Oder ich zum Beispiel. Ich meine, was linke Politik so alles in die Grütze reiten kann, erleben wir gerade hautnah. Warum also nicht zur Abwechslung rechts ausprobieren? Dass ich kein Linker bin, heißt aber nicht, dass ich zu den Friends of Adolf gehöre. Dessen USP war die konsequente Entfernung von Juden aus dem globalen Genpool. Ich hingegen bin hundertpro Team Israel. Außerdem hielte ich es für übertrieben, meinen Freund Henryk zu meucheln.
Oder der Herr Merz von der CDU, der Herr Scholz von der SPD und der Herr Nouripour von den Grünen. Die haben allesamt „Positionen von der AfD übernommen“, nämlich, dass es eher mittelschlau ist, wenn man Fremde ohne Ende ins Land lässt. Das sagen die zwar nicht so, aber es geht natürlich in erster Linie um die Problembären aus islamisch geprägten Kulturkreisen. Kanadier, Australier und Isländer gehen einem halt vergleichsweise selten auf die Nüsse, speziell was hieb- und stichfeste Kommunikation in Bahnhofsnähe angeht.
Nun ist mein – zugegeben subjektiver – Eindruck, dass der Herr Merz, der Herr Scholz und der Herr Nouripour trotz ihrer AfD-Affinität weder die zeitnahe Errichtung einer Diktatur noch die Vollendung der Shoa planen. Ich würde sie daher nicht unmittelbar als Nazis einordnen.
Fifty shades of rechts
Deshalb habe ich einen Vorschlag für euch, liebe Free-TV-Nachrichtende. Wie wäre es, wenn ihr als Orientierungshilfe eine Tabelle mit den unterschiedlichen Rechts-Schattierungen zusammenstellen würdet? Arbeitstitel: „Fifty shades of rechts“. Und wenn ihr schon dabei seid, könntet ihr auch gleich was Entsprechendes für links basteln. Mit rechts und links ist es ja ähnlich wie mit Alkohol. Die Dosis macht das Gift. Nach meiner Erfahrung hat ein halber Liter Bier eine andere Wirkung als die gleiche Menge Eierlikör oder Stroh-80-Rum.
Zwecks Veranschaulichung wäre eine Zuordnung von Personen, Attributen und Rechts-Gehalt wünschenswert. In der Liste könnte dann zum Beispiel stehen: „Carsten Linnemann, CDU, rechts light (4,8 Prozent)“ – oder meinetwegen 15 Prozent oder 47 Prozent, je nachdem, ob ihr den Herrn Linnemann so gefährlich einstuft wie Kölsch, Rosé oder Bombay Sapphire.
Mit einer solchen Leitlinie wüssten alle Bescheid, und sie wäre eine tolle Hilfe für besseres Rechts-Verständnis auch in eurem eigenen Haus. Verirrte und Verwirrte wie euer E.T. in Washington oder der Hetzer Hotzo hätten es leichter, sich in dieser ganzen komplizierten Politiksache zurechtzufinden. Anderenfalls bestünde das Risiko, dass sich „die Menschen da draußen“ durch falsche Zuschreibungen verleumdet und verunglimpft fühlen. Im schlimmsten Fall könnte gar so etwas wie eine „Spaltung der Gesellschaft“ entstehen – rubbeldiekatz wäre die Demokratie wieder in Lebensgefahr. Und das wollen wir doch alle nicht, oder?
Für unsere Rubrik „Achgut zum Hören“ wurde dieser Text professionell eingelesen. Lassen Sie sich den Artikel hier vorlesen.
Robert von Loewenstern ist Jurist und Unternehmer. Von 1991 bis 1993 war er TV-Korrespondent in Washington, zunächst für ProSieben, später für n-tv. Er lebt in Bonn und Berlin.