Beda M. Stadler, Gastautor / 10.04.2012 / 22:04 / 0 / Seite ausdrucken

Fetter Staat oder dicker Bürger?

Was derzeit in der Schweiz als Präventionsgesetz zur Diskussion steht, ist über weite Strecken nicht mehr als blosse Bevormundung. Der Staat will Kosten sparen und schafft sich dafür neue Freiräume, um uns zu bemuttern – mit erhobenem Drohfinger.

Was sind die Beweggründe, um ein neues Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung auszuarbeiten? Die Frage kann wahrscheinlich von den meisten Bürgern beantwortet werden: Wir haben nur ein Leben und wollen dieses möglichst lange voller Glück geniessen. Der Bund fand hingegen im Wesentlichen nur eine triftige Antwort: «Angesichts der sich abzeichnenden Verknappung der personellen und finanziellen Ressourcen im Bereich der kurativen Medizin sind verstärkte Massnahmen zur Gesunderhaltung der Bevölkerung durch Prävention und Gesundheitsförderung notwendig.» Unser Glück ist dem Staat egal, es geht also bloss ums Geld. Explizit erwähnt er die Rahmenbedingungen für die Verwendung des Prämienzuschlags im Krankenversicherungsgesetz und der Tabakpräventionsabgabe – also Paradebeispiele für Bundesfinanzen, die regelmässig in den Sand gesetzt wurden.

Finanzielle Gründe sind eine dürftige Grundlage für ein neues Gesetz, welches die persönliche Lebensgestaltung der Bürger massiv einschränkt und keinerlei Mitsprache bei den Ausgaben gibt. Eine Regierung, die den Alkohol-, Fett- oder Zuckerkonsum ihrer Bürger regulieren will, braucht bessere Gründe. Das ist die Crux des neuen Gesetzentwurfs: Es fehlt ihm die philosophische und wissenschaftliche Grundlage.

Was derzeit in dem Gesetzespaket daherkommt, ist über weite Strecken blosse Bevormundung wie in einem Kindermädchenstaat. Der Staat schafft sich neue Freiräume, um uns zu bemuttern, und er tut es mit erhobenem Drohfinger. Kaum auszumalen, was uns durch die kommende Verordnung noch blühen wird. Verordnungen sind ja meist unkontrollierte Spielwiesen der Verwaltung. Tür und Tor sind offen, um ein Gesetz zu verschärfen. Dabei geht es um unseren sogenannt freien Willen. Aber Achtung: nicht so, wie dies gemeinhin angenommen wird. Seit neuestem sind sich nämlich Philosophie und Wissenschaft einig: Es gibt keinen freien Willen! Bevor Sie als Leser aufschreien, sollten Sie sich wenigstens einige Argumente anhören.

Ich nehme an, wir sind uns einig, dass der Staat weder Körpergrösse noch Hautfarbe mit einem Präventionsgesetz einschränken darf. Wieso sollte er aber ein ideales Körpergewicht vorschreiben? In diesem Fahrwasser wurden bereits Präventionspolitiker übermütig und verlangten höhere Krankenkassenprämien für Dicke. Es ist also der Glaube an den freien Willen, der die Bevormundung legitimiert. Wenn Dicke einen freien Willen hätten, gäbe es keine, nur das versteht ein Dünner nicht. Man ist weder freiwillig blöd noch dick.

Solange bloss ganz wenige Philosophen, etwa Friedrich Wilhelm Nietzsche, den freien Willen negierten, durften die Profiteure der Illusion eines freien Willens verächtlich die Nase rümpfen und uns damit weiterhin bevormunden. Jetzt, da die Wissenschaft messen kann, dass unser Gehirn Bruchteile bis hin zu einigen Sekunden vorher die Entscheide fällt, bevor uns dies bewusst wird, sollte dies der Gesetzgeber zur Kenntnis nehmen. Damit wäre eine rationale Basis für ein allfälliges Präventionsgesetz vorhanden. Noch lässt sich der Staat aber von der Idee leiten, dass seine Bürger sich gefälligst etwas am Riemen reissen sollen, damit er nicht selber den Gürtel enger schnallen muss.

Einiges, was in letzter Zeit unter dem Deckmantel «Prävention» auf uns Bürger losgelassen wurde, grenzt entweder an Hass gegen eine Minderheit oder ist blanke Diskriminierung, etwa die Massnahmen zum Schutz vor dem Passivrauchen. Es gibt aber auch Ausnahmen. Hätten wir Aids so bekämpft, wie man derzeit die Fresssucht bekämpfen will, wären Schwule heute noch diskriminiert. Zumindest das Bundesamt für Gesundheit tut dies nicht, aber es gibt noch genügend Menschen, welche die wissenschaftliche Erkenntnis ablehnen, dass es weder Schöpfung noch freien Willen gibt. Jeder darf seine privaten Glaubens- und Wahnvorstellungen haben, sie dürfen aber nicht Grundlage für unsere Gesetze sein. Es soll nicht der Eindruck entstehen, wir brauchten gar keine Prävention. Wir müssen uns aber darüber klarwerden, was sinnvolle Prävention ist. Vor wem oder was wollen wir geschützt sein? Soll der Staat sich das Recht herausnehmen, uns vor uns selber zu schützen? Genauso wie Aids dank Aufklärung und neuen Medikamenten eingedämmt werden konnte, könnte eine moderne Präventionsstrategie gegen andere Infektionskrankheiten aussehen. Man bringt die Leute nicht mit christlicher Nächstenliebe, veralteten Moralbegriffen oder vermeintlichem Eigennutz dazu, sich zu impfen. Es braucht bessere Impfstoffe und die Einsicht, dass kein Bürger das Recht hat, einen anderen Menschen anzustecken.

Ein neues Präventionsgesetz sollte für möglichst alle Bürger einen Nutzen haben. Auch wenn wir wissen, dass der freie Wille bloss eine Illusion ist, bleibt uns nämlich noch die Handlungsfreiheit.Wir können zwar nicht frei wählen, wohl aber aus dem bestehenden Angebot wählen. Lust und Laster sind nun einmal im Angebot, und ohne freien Willen gibt es keine Sünde. Will der Staat das Angebot einschränken, darf also die Lebensqualität nicht abnehmen. Natürlich gibt es Gesundheitsapostel, die Lustgewinn durch Verzicht erlangen. Viele Bürger möchten aber lieber Spass am Leben haben als ewig leben. Dem Entwurf zum Präventionsgesetz fehlt aber die Lebensfreude, so dass der Verdacht aufkommt, der Gesetzgeber mache die Gesetze nur für seinen trostlosen Apparat.

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