Der 21. Juni 2017 ist ein Tag, an dem deutsche Fernsehgeschichte geschrieben wird. Der vom WDR bestellte, abgenommene und damit dann wohl auch bezahlte Film „Ausgewählt und ausgegrenzt“ von Joachim Schroeder und Sophie Hafner wird in der ARD gezeigt, gefolgt von einem Talk-Tribunal gegen die abwesenden Autoren. Das Tribunal muss wohl sein, denn die beteiligten öffentlich-rechtlichen Sender WDR und arte wurden erst durch eine breite öffentliche Debatte und der Veröffentlichung des Films im Internet durch die Bild-Zeitung zur Ausstrahlung des in Auftrag gegebenen und bezahlten Werks genötigt.
Der Anfang ist unspektakulär. Der WDR gibt den Film in Auftrag. Zuvor wurde üblicherweise neben dem Budget selbstverständlich auch ausgehandelt, wie der Film ungefähr aussehen soll, was und wo voraussichtlich gedreht wird, welche inhaltlichen Schwerpunkte er hat. Seit bekannt wurde, dass arte und WDR den Film nicht senden wollten, argumentierten die Sender mit handwerklichen Mängeln des Films und dass die inhaltliche Schwerpunktsetzung eine andere gewesen sei, als verabredet, obwohl der Film doch redaktionell abgenommen wurde. Wären diese Gründe tatsächlich zutreffend, so hätte der WDR allerdings vor allem bewiesen, wie unprofessionell im Hause gearbeitet wird.
Wer mit dem Metier schon einmal in Berührung gekommen ist, weiß, dass es eigentlich nicht sein kann, dass eine Redaktion von der Machart eines Films erst nach dessen Fertigstellung grundsätzlich überrascht wird. Sicher weiß kein Redakteur vor der Rohschnittabnahme, ob das Vorhaben gelungen ist, aber normalerweise gibt es vor Drehbeginn, während der Dreharbeiten, vor Schnittbeginn und während des Schnitts viele Abstimmungen des Autors mit der Redaktion. Da jeder, der länger an einem Werk arbeitet, zur Betriebsblindheit neigt, ist dies ja auch sinnvoll. Manchmal verfehlen Redaktionen auch das gesunde Maß und oft hört man Autoren ob der vielen nötigen Gespräche seufzen und klagen – da fühlt sich der Medienalltag nicht anders an, als die Zusammenarbeit mit Auftraggebern im richtigen Leben.
Vertraute Beißhemmungen sind gefallen
Eines aber ist bei einer Auftragsproduktion in einem funktionierenden Sender ausgeschlossen, dass der verantwortliche Redakteur nicht weiß, wo was gedreht und wer interviewt wird. Von ungeahnten neuen inhaltlichen Schwerpunkten kann die Redaktion nicht überrascht werden, wenn sie denn richtig arbeitet. Insofern war es folgerichtig, dass der Film redaktionell abgenommen wurde.
Erst danach erfuhr man, dass zuerst arte und hernach auch der WDR die Ausstrahlung verweigerten. Die Melange der vorgebrachten Gründe ist dabei bezeichnend. Auf der einen Seite deuten sie ja an, worum es wirklich geht. Die Inhalte gefallen nicht, denn sie berühren Tabuthemen. Antisemitismus anzuprangern, das gilt natürlich in jeder öffentlich-rechtlichen Anstalt immer noch als gut und richtig, wenn er denn von rechts bzw. aus der autochthonen Bevölkerung kommt. Das tut der Film ja auch, doch er widmet sich ebenso den linken und – noch schlimmer – den islamischen Antisemiten. Und er deckt auf, dass vom Steuerzahler bis zu kirchlichen Hilfsorganisationen unter dem schönen Etikett der Hilfe für entrechtete Palästinenser indirekt auch Antisemitismus-Förderung betrieben wird, auch wenn die Beteiligten das nicht unbedingt wissen bzw. geflissentlich ignorieren.
Islamideologen dürfen sich auch als Antisemiten in Europa inzwischen aber besonderer Rücksichtnahme erfreuen. Die ist inzwischen so groß, dass selbst vertraute Beißhemmungen im Medienbetrieb gefallen sind. Die o.g. Fakten hätte auch schon vor einigen Jahren kaum einer versenden wollen, aber keiner hätte sich getraut, einen fertig produzierten und abgenommenen Film mit belegbaren Fakten zu diesem Thema einfach zu unterschlagen. Da hat sich in letzter Zeit etwas gewaltig verschoben.
Dummerweise ließ sich der ungeliebte Film nicht in der Stille entsorgen, die sich die Verantwortungsträger im Medienbetrieb gewünscht hätten. Allein der Umstand, dass Entscheidungsbefugte im gebührenfinanzierten Journalismus die stillschweigende Unterschlagung hochwertiger und deshalb auch nicht billiger journalistischer und filmischer Arbeit versucht haben, wäre Skandal genug. Doch der weitere Umgang mit „Auserwählt und ausgegrenzt“ offenbart die dreiste Gutshofmentalität, die leider vielerorts in den Leitungsebenen öffentlich-rechtlicher Sender Einzug gehalten hat.
Rechtfertigung in absurder Lage
Statt zu erklären, wie der Film überhaupt hatte redaktionell abgenommen werden können, hieß es nun von den Sendern, dass der Film Fehler und handwerkliche Mängel aufweisen würde, ohne die allerdings konkret zu benennen. Inhaltlich sprangen den Autoren Antisemitismus-Experten wie die Historiker Götz Aly und Michael Wolfssohn zur Seite. Ahmad Mansour, der als Ko-Autor angefragt worden war, aber nicht mit einsteigen konnte, hatte sich ebenfalls voll hinter die Aussagen des Films gestellt:
„Anscheinend ist man bei Arte davon ausgegangen, dass der Film ‚ausgewogener‘ wird, wenn ein Autor mit einem arabischen Namen dabei ist. Ich konnte damals nicht durch die Welt reisen und drehen, weil ich Vater geworden bin. Aber ich halte muslimischen Antisemitismus in Europa für sehr problematisch, und mit mir wäre die Ausrichtung der Dokumentation nicht anders gewesen. Die Ausstrahlung wurde abgelehnt, weil der Film zu unbequem war. […] Ja, aber es war offenbar eine Frage der Political Correctness. Und es ist nicht das erste Mal, dass es Schwierigkeiten gibt, wenn wir Islamismus und Antisemitismus im Fernsehen zeigen wollen. Dann kommen immer die Relativierer und Verharmloser und sagen, das sollte man nicht zeigen, weil es ein gefundenes Fressen für die Rechten sei, und weil es den gesellschaftlichen Frieden gefährde. Aber man muss über Probleme berichten, das ist Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In dieser Frage hat er jetzt total versagt. Er hat einen Film geblockt, der schockiert und klar auf Probleme hinweist, und das darf nicht hingenommen werden.“
Als nun die Bild-Zeitung den Film von Schroeder und Hafner jüngst im Internet veröffentlichte, gerieten die Sender in eine vollends absurde Lage. Zur Rechtfertigung sammelten sie nun die Stimmen, die dem Film auch irgendwie so etwas wie handwerkliche Mängel attestierten. Abgesehen davon, dass es sich um Kleinigkeiten handelte, die alle mit einem unaufwendigen Umschnitt zu erledigen wären, sind es doch oft auch Geschmacksfragen. Und wer weiß schon, ob nicht der eine oder andere „Fehler“, den manch ein Zuschauer zu entdecken vermeint, erst durch einen nach der Rohschnittabnahme verordneten redaktionell verordneten Umschnitt in das Werk gekommen ist.
Das ist alles Mutmaßung. Ich weiß nicht, wie viel die Autoren nach der ersten Rohschnittabnahme noch umschneiden mussten. Aber erfahrungsgemäß bleibt kaum ein Film völlig umschnittfrei, es sei denn, die redaktionelle Begleitung des Schnitts war besonders intensiv.
Heute nun wollen die Sender doch senden. Erst den Film, danach eine Diskussion. Weder die Autoren noch die Redakteurin sind nach derzeitigem Informationsstand dazu eingeladen. Dafür Verantwortliche des Senders, die dem Zuschauer nach dem Film erklären können, warum man ihn besser nicht gezeigt hätte und was alles falsch darin war. Die Macher können sich nicht rechtfertigen, während ihr Ruf öffentlich von öffentlich-rechtlichen Programmverantwortlichen demontiert wird.
Jeder Zuschauer wird darin die Botschaft sehen, dass Schroeder und Hafner aus der Gemeinschaft der Nutznießer deutscher Rundfunkgebühren ausgeschlossen werden. Viele andere freie Autoren und Produzenten, die vom marktbeherrschenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk leben, werden dies als Warnung verstehen, lieber die Hände von heiklen Themen zu lassen und sich keinesfalls mit der Sender-Obrigkeit anzulegen. Selbst wenn die Diskussion über den Film am Ende noch so moderat und zurückhaltend abläuft, es wird ein Fernseh-Schauprozess über die abwesenden Autoren.