Erst vor kurzem bestand Hillary Clinton darauf, dass ihr Mann Bill keineswegs seine Macht missbraucht habe, als er seiner Praktikantin Monica Lewinsky, die halb so alt war wie er, erlaubte, ihm sexuell zu Diensten zu sein. Hillarys Worte sind unglaublich und mehr als peinlich.
Als jemand, der sich seit fast 50 Jahren mit sexueller Gewalt gegen Frauen beschäftigt, sehe ich mit tiefer Sorge, wie dieses Thema für parteipolitische Zwecke missbraucht wird. Das ist Wasser auf die Mühlen von Antifeministen, aber noch wichtiger, es bremst die Dynamik der #MeToo-Bewegung und macht es für das nächste Vergewaltigungsopfer, wie ich fürchte, schwieriger, nicht einfacher, erfolgreich Anklage zu erheben.
Mein neuestes Buch, A Politically Incorrect Feminist, beschäftigt sich lang und ausführlich mit diesem Thema. Zu meiner Zeit wurden die meisten Frauen in Amerika quasi routinemäßig sexuell belästigt und auch sexuell missbraucht. Uns wurde beigebracht, bei uns selbst die Schuld dafür zu suchen. Uns war klar, dass man uns nicht glauben, sondern uns vielmehr noch mehr beschämen würde, sollten wir uns beschweren. Wir lernten, feindselige Arbeitsplätze, feindselige öffentliche Räume und feindselige Wohnumgebungen zu tolerieren. Viele von uns wurden zu abgebrühten Überlebenskämpferinnen. Einige, vor allem Inzestopfer, fielen durch alle Netze.
All dies wurde vergessen, oder besser gesagt, es handelt sich um Wissen, das systematisch verschwand. Mitte der 80er Jahre, wenn nicht gar früher, wurden unsere besten und radikalsten feministischen Arbeiten nicht mehr an den Universitäten gelehrt. Die #MeToo Bewegung musste das feministische Rad neu erfinden.
Niemals vergisst oder vergibt ein Inzestopfer der Mutter
Niemals vergisst eine Frau eine Vergewaltigung – besonders nicht, wenn sie eine feministische Leitfigur ist, denn ist ihr völlig klar, dass Vergewaltigung ein Akt der gewalttätigen Dominanz ist, dazu gedacht, Frauen zu demütigen und zu traumatisieren. Wenn die sexuelle Belästigung und Vergewaltigung durch den Arbeitgeber erfolgt, fallen Frauen in einen schlimmen Teufelskreis, besonders, wenn sie auf den Job angewiesen sind und ihn nicht aufgeben können.
Ein Vergewaltigungsopfer behauptet sich unter dem Gewicht der erlittenen Tat, versucht den Schlag einzustecken und weiterzumachen. Manche Frauen schaffen es nicht und zerbrechen daran. Aber selbst jemand, der es irgendwie schafft weiterzumachen, wird danach für immer von gelegentlichen Anfällen von Scham oder Trauer heimgesucht werden.
Auch ein Kind, das von seinem Vater vergewaltigt wurde, kann weiterleben, aber niemals vergisst oder vergibt ein Inzestopfer der Mutter, die es nicht beschützt hat, die es für Mietgeld verkauft hat, die sich geweigert hat, ihm zu glauben oder es sogar aus der Familie vertrieben hat, nachdem seine Proteste zu viel Aufsehen erregt hatten. Die meisten Inzestopfer wüten weniger gegen ihre vergewaltigenden Väter als gegen ihre Mütter, von denen sie sich in ihrem intimsten Bereich verraten sehen.
Solche traumatischen Ereignisse sind schwierig zu erörtern. Das Opfer zögert und begibt sich nur widerwillig zurück in den Sumpf der Erinnerung. Die Erinnerung kann es buchstäblich krank machen. Nicht-Therapeuten und Nicht-Feministen bekommen da oft glasige Augen. Aber feministische Therapeutinnen sind darauf trainiert, zuzuhören – nur dauert eine gute Therapie lange, und die Details sind wirklich wichtig, sie sind alles, was zählt.
In einer Zeit, in der erwartet wird, dass man Frauen glaubt, die behaupten, sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, schreibe ich ebenfalls über sexuelle Belästigung und Vergewaltigung – durch meinen Chef bei den Vereinten Nationen. Ich kann nicht vergessen, dass zwei Ikonen des amerikanischen Feminismus, Robin Morgan und Gloria Steinem (die auch meine Freundinnen und Verbündeten waren), meine Vergewaltigung vertuschten, mit meinem Vergewaltiger gemeinsame Sache machten und mich wegen Whistleblowing ausgrenzten.
Ja, das haben sie getan. Es bereitet mir keine Freude, sie bloßzustellen – und ich glaube nicht, dass das, was sie getan haben, den Feminismus als Ganzes diskreditiert. Morgan war die wahre Täterin, die ultimative Opportunistin. Steinem hat sie gedeckt. Auf diese Weise bekam das Ms. Magazin seinen festen Stammplatz auf dem Gebiet des internationalen Feminismus.
Von Feministinnen verspottet
Ein Jahrzehnt später schien Steinem ihre Lektion gelernt zu haben, zumindest als ein konservativer Richter, Clarence Thomas, kurz davorstand, an den Obersten Gerichtshof berufen zu werden. Für Anita Hill setzte sie sich ein. Aber für mich setzte sie sich nicht ein – auch nicht für Paula Jones, Juanita Broderick oder Monica Lewinsky (die allerdings nicht behauptete, dass ein Verbrechen geschehen sei), als es um Bill Clintons Sexualtrieb und seine Kavaliersdelikte ging. Tatsächlich wurde Lewinsky von einigen führenden Feministinnen noch auf „böse-Mädchen-Art“ verspottet. Sie hat darüber in Vanity Fair geschrieben.
Das war für sie genauso schlimm wie der ursprüngliche Verrat ihrer Freundin Linda Tripp, einer Frau, die viel älter war als sie. Psychologisch gesehen fühlen wir Frauen uns durch Frauen, die wir für unsere Freundinnen halten, sehr stark verletzt, wenn sie sich gegen uns wenden. Oft erinnern sich Opfer, auch Opfer weitaus schrecklicherer Verbrechen als Vergewaltigung, ganz deutlich an die Zuschauer, angeblich „gute“ Menschen, die nur dabeistanden und nichts taten.
Maureen Dowd nahm sich Gloria auf den Seiten der New York Times zur Brust, weil sie Bill Clintons Machtmissbrauch und Priapismus gedeckt hatte. Dowd schrieb: Der institutionelle Feminismus starb, als Gloria Steinem, Madeleine Albright und andere Top-Feministinnen für Präsident Clinton bürgten, als dieser unverschämt log, er habe nie eine sexuelle Beziehung zu dieser Frau – Monica Lewinsky – gehabt.
Wurde den anderen, bis jetzt bekanntgewordenen Opfern Bill Clintons geglaubt? Wurde ihnen Gerechtigkeit zuteil? Was ist mit den unbekannten Opfern?
Gegen Ende 2017 zeichnete ein Artikel von Peggy Noonan im Wall Street Journal die Rolle von Gloria bei der Verteidigung von Bill Clinton nach. Sie zitierte einen Artikel von Caitlyn Flanagan im Atlantik, in dem es heißt, dass in den 1990ern „die [feministische] Bewegung zu einer parteilichen Organisation verknöchert war“. Flanagan erinnerte uns an den berühmten März 1998, in dem Gloria in einem Meinungsartikel für die New York Times bei den Opfern von Bill Clinton slut-shaming,victim-blaming und age-shaming betrieb, aber um Mitgefühl und Dankbarkeit bat für den Mann, den diese Frauen beschuldigten. Sie hob dabei hervor, dass Steinem die Tätlichkeiten Clintons als „Anmache“ verharmloste
Mainstream-Medienblockade gegen mein Buch
Am 30. November 2017 reagierte Gloria in einem Interview auf den Seiten des Guardian nicht besonders klug auf diese Kritik. Sie wird darin so zitiert: „Was man in einem Jahrzehnt schreibt, schreibt man nicht unbedingt im nächsten.“ Ich interpretiere das so, dass sie behauptet, die Zeiten seien damals anders gewesen, wir hätten damals nicht gewusst, was wir heute wissen. Das ist aber nicht wahr. Feministinnen wussten damals schon alles über Vergewaltigung und sexuelle Belästigung.
Das war die Gloria, der ich in den frühen 1980er Jahren begegnet war. Damals vertuschte sie Robins opportunistische Zusammenarbeit mit einem Vergewaltiger und ihren Verrat an seinem Opfer; Gloria wusste, dass ich es als Versagen von feministischem Mut und Bruch feministischer Prinzipien und persönlicher Loyalität betrachtete, dass sie, Gloria, nicht in der Lage war, mit mir zusammen meinen Vergewaltiger zu konfrontieren und zur Rede zu stellen (das ist es, worum ich sie gebeten hatte). Gloria wusste, dass ich der Meinung war, ein Mann wie mein Vergewaltiger würde weiterhin Frauen nachstellen. Das alles machte aber keinen Unterschied.
Letzte Woche habe ich direkt an eine führende Feministin geschrieben, die Gloria sehr nahesteht, und sie gebeten, ihren beträchtlichen Einfluss auf die großen Mainstream- und feministischen Medien zu nutzen, um meine Arbeit bekannt zu machen. Ich habe nichts mehr von ihr gehört. Ich tat es, weil es eine Art Mainstream-Medienblockade gegen mein Buch zu geben scheint. Mindestens 40 große linke, feministische und Mainstream-Medien haben dieses Buch noch nicht einmal verrissen. Für sie existiert es nicht. Ich bin nach wie vor ein Dissident im amerikanischen Gulag. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.
Und jetzt könnte das passieren, was ich befürchtet habe. Die konservativen Medien, die mein Buch bisher sehr, sehr positiv bewertet haben, werden diese spezielle Geschichte bald aufgreifen und damit spielen. Feministinnen hatten viele Monate Zeit, um anzuerkennen, dass sich feministische Anführerinnen manchmal genauso verhalten haben wie Mütter in Inzestfamilien. Sie hätten das Thema „besetzen“ können, es weiterspinnen, hinterfragen, aus ihm lernen können. Sie und die von ihnen beeinflussten Medien haben dabei versagt, diese Aufgabe anzunehmen. Ich bin nicht verantwortlich für das, was als nächstes passieren könnte.
Der Artikel erschien zuerst im Tablet Magazin. This story originally appeared in English in Tablet Magazine, at tabletmag.com, and is reprinted with permission.
Phyllis Chesler ist Autorin von 18 Büchern, darunter die wegweisenden feministischen Klassiker „Women and Madness“ (1972), „Woman’s Inhumanity to Woman“ (2002) und „An American Bride in Kabul“ (2013). Sie ist Fellow am Middle East Forum und gehört zu den Original Women of the Wall.