Roger Schelske, Gastautor / 16.11.2021 / 16:00 / Foto: Instagramm / 39 / Seite ausdrucken

FDP: Bezwinger oder Fütterer des grünen Monsters?

Von Roger Schelske.

Inzwischen ist in den Koalitionsverhandlungen von SPD, GRÜNEN und FDP eine gewisse Ernüchterung eingetreten – und das ist gut so. Zunächst schien die Euphorie kaum Grenzen zu kennen, insbesondere in den Sondierungsgesprächen zwischen FDP und GRÜNEN. Bei Twitter überboten sich gerade auch FDP-Vertreter in ihrem Jubel über die vermeintliche Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Ein bayerischer MdB beeilte sich zu bekunden, dass man im Prinzip ja dasselbe wolle: Dekarbonisierung, Nachhaltigkeit, Mobilitätswende und überhaupt, einen großen Aufbruch, wohin auch immer. Die Freude über den Wahlerfolg und die neue Regierungsperspektive mag bei alldem eine Rolle gespielt haben. Mir scheint aber noch ein anderer Faktor im Spiel gewesen zu sein, nämlich ein grundlegendes Missverständnis: eine Verwechslung von Liberalismus und Voluntarismus. 

We want it all and we want it now

Zwischen Liberalismus und Voluntarismus besteht keine Wesensverwandtschaft, wie manche zu glauben scheinen, sondern ein schroffer Gegensatz. Liberalismus ist die aufgeklärte, eigenverantwortliche Entfaltung individueller Freiheit, Voluntarismus hingegen ist die regressive, einfältige Überzeugung: Was in meinem Kopf ist, muss wahr sein. Alles ist möglich, wenn wir nur fest genug daran glauben. Atomausstieg, Kohleausstieg und am besten gleich auch noch der Gasausstieg, alles kein Problem. Von Deutschland aus das Weltklima retten? Darunter tut man es nicht. Und selbstverständlich kann man auch Finanzminister werden, ohne die elementarsten steuerrechtlichen Zusammenhänge zu kennen. Die Welt als Wille und Vorstellung, gemäß der Sponti-Hymne „We want it all and we want it now“ – vorausgesetzt, andere bezahlen dafür bzw. tragen die Konsequenzen. Auf Zweck-Mittel-Relationen kommt es nicht an, alle Zielkonflikte lösen sich auf, nur der Wille bzw. die Gesinnung zählt, um die schöne neue Welt Wirklichkeit werden zu lassen. 

Alexander Grau hat in einem kürzlich erschienenen Beitrag in der NZZ die Problematik des Voluntarismus sehr prägnant beschrieben: „Der Wahn von der grenzenlosen Gestaltbarkeit der Welt erzeugt fast zwangsläufig eine Rigorosität des Denkens und einen Totalitarismus des Handelns. Wenn die absolut nachhaltige, gerechte, diskriminierungsfreie und ökologische Gesellschaft machbar ist, dann sind alle jene, die Zweifel äußern oder Kritik, entweder zu bequem, defätistisch oder schlicht bösartig.“ Direkte Folge des Voluntarismus ist deshalb eine aggressive Abwehr anderer Meinungen und widersprechender Fakten.

Voluntaristen ähneln trotzigen Kindern, die ihre Einbildungen und Impulse für das Maß aller Dinge halten. Werden ihre Wünsche nicht unmittelbar erfüllt, dann werfen sie sich schreiend auf den Boden und schlagen um sich. Mach kaputt, was dich kaputt macht! Bei Kindern sind es die Eltern, die alle Wünsche zu erfüllen haben, von den Sneakers und der Spielkonsole bis zum Auslandsstudium (an der LSE in London zum Beispiel) und dem Praktikum bei einer coolen NGO. Das Äquivalent von Papas Kreditkarte ist für die GRÜNEN der Staat, der dafür zu sorgen hat, dass die Blütenträume grüner Phantasten Wirklichkeit werden. Mit ihrer destruktiven Energie machen trotzige Kinder gelegentlich ein Spielzeug oder einen Einrichtungsgegenstand kaputt. Bei den GRÜNEN ist es die industrielle Basis des Landes. 

Merkel hat das Monster gefüttert, die FDP muss es nun bändigen

Gutes Zureden hilft da nicht. Noch weniger hilft es, den trotzigen Kindern ihre Wünsche zu erfüllen, wie Angela Merkel das in den letzten Jahren praktiziert hat, um sich Ruhe und kurzfristiges Wohlwollen zu erkaufen. Merkel hat keine Kinder, sonst hätte sie ahnen können, wohin das führt: Die Bälger sehen sich bestätigt, schrauben ihre Ansprüche noch höher und werden nur noch unduldsamer in ihrem infantilen Trotz. Merkel hat das Monster des Voluntarismus aus grünen Utopisten, linken Ideologen und hysterisierten Wohlstandskindern zu bedrohlicher Größe herangefüttert. Wer von einer Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, einem neuen grün-liberalen Aufbruch, schwadroniert, füttert das Monster nur weiter und verkennt die Gefahr, die von ihm ausgeht. 

Nun, da Mutti sich verabschiedet, wird das Monster unruhig. Söder hatte sich bereits als neuer Gönner und Grünenversteher in Position gebracht, wurde aber ausgebremst, was der Union den Zorn der linken Journalistenmeute eingetragen und die Macht gekostet hat. Jetzt liegt es an der FDP, das Monster zu bändigen. Nachdem Merkel dem Trotzgeschrei allzu lange nachgegeben hat, muss nun umso konsequenter dagegengehalten werden. Gefragt ist ein Gegenprogramm zur Infantilisierung und das unmissverständliche Signal, dass die Zeit der Nachgiebigkeit und der Realitätsverleugnung zu Ende ist. Die Linksmedien von taz bis WDR schnappen nach Luft? Lasst sie. Der Twitter-Mob ist außer Rand und Band? Das geht vorbei. Böhmermann steht der Schaum vor dem Mund? Soll er sich doch zum Deppen machen. Irgendwann wird sich das Gekeife nicht mehr steigern lassen. Und was dann, Böhmermann?

Das Gegenmittel: unmistakable steel

Ohne das leninistische Prinzip zu kennen (denn dafür sind sie zu unbelesen), verhalten sich Grüne und Linke nach demselben Muster: „You probe with bayonets: if you find mush, you push. If you find steel, you withdraw”. Auch Kinder merken recht schnell, wenn ihr Geschrei nicht fruchtet. Beißen sie auf Granit, dann finden sie sich irgendwann damit ab. Liberale sollten sich in diesem Punkt an Richard Nixon orientieren, der in seinen Memoiren die Strategie der USA gegenüber den Sowjet-Kommunisten als eine Politik des „unmistakable steel“ beschrieben hat. Da die Frustrationstoleranz linker und grüner Wohlstandskinder ebenso begrenzt ist wie ihre Faktenfestigkeit, dürfte sich diese Strategie bewähren, denn schließlich sehnt sich niemand so sehr nach einem Ministerposten wie Robert Habeck.

Hierfür muss sich die FDP aber zunächst über einen Punkt klar werden: Liberalismus ist nicht die bessere Version der GRÜNEN, sondern ihr Gegenpol. Grüne sind nicht liberal, sondern totalitär. Sie sind keine Partner mit denselben Zielen, sondern Feinde der Freiheit. Liberalismus bedeutet nicht infantile Narrenfreiheit auf anderer Leute Kosten, sondern aufgeklärte Selbstbestimmtheit im Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit. Oder in den Worten meines Lateinlehrers: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem (was auch immer du tust, tu es klug und bedenke die Folgen) – ein Grundatz, der im Interesse von Wohlstand und Freiheit auch auf der politischen Ebene gelten sollte. 

In psychologischen Experimenten wurde gezeigt, dass die Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub einen entscheidenden Faktor für den individuellen Lebenserfolg darstellt. Wer es im Kindesalter schafft, auf eine kurzfristige Belohnung zu verzichten, um zu einem späteren Zeitpunkt einen Zugewinn zu erhalten, erreicht deutlich mehr im Leben. Dieser Befund lässt sich umstandslos auf ganze Gesellschaften und Staaten übertragen. Eine Politik der verantwortlichen Abwägung von Kosten, Nutzen und Handlungsfolgen sichert Wachstum und Fortschritt. Wo hingegen der trotzige Voluntarismus regiert, droht ein Verlust von Freiheit und Wohlstand. Für ersteres sollte die FDP stehen, ohne wenn und aber, für letzteres stehen die GRÜNEN. Deren infantiler Maximalismus führt nicht nach Bullerbü, sondern über die Klippe – in Unfreiheit und wirtschaftlichen Abstieg. Wer Liberalismus lediglich für eine vernüftigere Version der GRÜNEN hält und glaubt, das Monster besänftigen zu können, indem man es füttert, wird mit in den Abgrund gerissen.

 

Roger Schelske ist Politikwissenschaftler.

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Michael Lorenz / 16.11.2021

Der Artikel setzt beim Gedanken über die richtige Vorgehensweise der FDP voraus, dass diese eine liberale Partei wäre. Das mag für viele der Mitglieder gelten, jedoch kaum für die Führungsmannschaft und m. E. am wenigsten für Herrn Lindner. Daher mein Vorschlag: Wenn die Jugend bei den - wie sagt man: Probebstimmungen? -  erfreulich oft die FDP ankreuzt: einfach mit 18 da eintreten, hocharbeiten und Lindner + Co. achtkantig rauswerfen. Täte dem Land sehr gut!

Moritz Cremer / 16.11.2021

Lindner hat sämtliche FDP Wähler KOMPLETT verraten, wenn er mit diesen infantil utopischen Witzfiguren/Zivilversagern ins Bett steigt!

Thomas Schmied / 16.11.2021

Man schaue sich an, was aus der CDU nach der langjährigen Koalition mit dieser SPD geworden ist. Sie wurde entkernt und entsaftet, wie eine Zitrone. Jetzt geht die FDP mit dieser SPD und den GRÜNEN ins Bett. Diese SPD ist nicht mehr die SPD Willy Brandts (“Mehr Demokratie wagen”), sie ist ein skrupelloser, kollektivistischer Machtverein mit totalitären Tendenzen, voller überschätzter Dummköpfe und Statisten der Mächtigen. Wie schon der Autor des Artikels schreibt, sind die GRÜNEN da sehr ähnlich, sie sind nicht weniger totalitär und zeigen das mit zunehmender Machtfülle immer deutlicher. Sie verkörpern das Gegenteil von dem, wofür - der Theorie nach - die FDP steht, nein, stehen sollte. Die zweite, eigentlich nicht linke Traditionspartei in Deutschlands wird so enden, wie die CDU. Die FDP wird so enden, wie eine benutzte, entkernte, ausgepresste Zitrone.

Sepp Kneip / 16.11.2021

Ein sehr guter Artikel. Ja., die FDP hat eine sehr große Verantwortung. Ob sie ihr gerecht wird, oder ob es ihr nur um, die Futtertröge geht? Von wem die Grünen gesponsert werden wissen wir. Die Avancen von Gates, Soros und Genossen sind unübersehbar. Sie wollten Baerbock als Kanzlerin. Das ging schief. Auch Merkel wollte das, da sie den Milliardären zu Diensten war und ist. Sie hat die Union in den Abgrund geführt und ihre Amtseide gebrochen und damit Deutschland den größten Schaden zugefügt. Will die FDP diese Politik fortführen? Wenn nicht, muss sie den Grünen Zügel anlegen. Sollte das in dem Koalitionsverhandlungen nicht gelingen, bleibt nichts anderes übrig als die Verhandlungen abzubrechen. Den Grünen nachzugeben, heißt Deutschland zu zerstören. Man ruiniert Deutschland nicht mit der AfD, sondern man fährt es mit den Grünen an die Wand. Hätte Merkel die CDU nicht kaputt gemacht, wäre eine satte bürgerliche Mehrheit möglich gewesen. Eine Mehrheit hätte sie aber auch jetzt. Die Bürgerlichen müssten nur zugunsten Deutschlands über ihren Schatten springen.

Fred Burig / 16.11.2021

Sicher profitieren einige Politiker von den “woken Ansichten” der Grünen, wenn sie deren momentanen “Hype” in ihren Argumentationen zu nutzen versuchen. Aber damit unterwerfen sie sich auch nichtsnutziger Propaganda - was längerfristig zum eigenen Untergang führt! Kindlich gesprochen: “Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen!” MfG

sybille eden / 16.11.2021

Da die FDP ja nicht wirklich eine liberale Partei ist, wird das nichts werden, lieber Herr Schelske. Mit einem bisschen Liberalalaliberal kann man bei den Grünen nichts ausrichten, denn weiches Wasser bricht den Stein ebend nicht. Es müsste schon eine Persönlichkeit wie der alte Graf Lambsdorff sein, der den Grünen Paroli bietet, aber Lindner, der “Fashion-Liberale”??? Und auserdem haben sie die SPD vergessen, verfolgt sie nicht die gleiche Agenda wie die Öko-Stalinisten ?

R. Schäfer / 16.11.2021

2015: “Die Grünen-Fraktionsvorsitzende in Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, ruft die Bürger auf, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Sie bezweifelt im TLZ-Interview, dass die Herausforderungen ohne neue Steuern zu bewältigen sind.” Eins der typischen Beispiele für das Grünen-Motto: ich mache was ich will, ihr könnt mich mal und ich bürde den anderen die Konsequenzen und die Kosten meines Tuns auf. Mit einem Wort: unfähig oder unwillig, Verantwortung zu übernehmen oder Volksinterssen zu vertreten. Solche Leute gibt es nicht nur in failed states wie man sieht. Da braucht es einen guten Psychologen, um so jemand zu bändigen.

Jürgen Fischer / 16.11.2021

Nachdem ich das endgültige Wahlergebnis gesehen hatte, meinte ich „die eiern jetzt wieder ein halbes Jahr für nix rum, in der Zeit darf Merkel und ihre Crew weitermurkseln und lacht sich tot, und am Ende steht wieder mal eine Koalition Union/SPD.“ Wobei ich mir noch nicht sicher bin, ob Onkel Olaf oder Tante Angela obenan steht. Es gibt ja schon Wetten auf letzteres. Aber es ist eh egal: beide sind Handpuppen des braunen Klaus.

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