Für mich gibt es einen Skandal nach dem Skandal. Das Aufenthaltsverbot ist dabei das kleinere Übel. Im Fernsehen hat gestern der Bürgermeister von Darmstadt mitgeteilt, dass er das Urteil des Gerichts, welches die Sperrung aufgehoben hatte, nicht beachten werde. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ein Bürgermeister missachtet ein bewusst und vorsätzlich ein Gerichtsurteil und teilt das auch noch in aller Öffentlichkeit mit. Diese bewusste Missachtung der Justiz müsste seine sofortige Absetzung zur Folge haben. Wie soll anderen Menschen beigebracht werden, dass das recht zu beachten ist und Gerichtsurteile nur mit rechtlichen Mitteln bekämpft werden können, wenn sie dieses prominente Vorbild haben?
Das Hauptproblem ist: Die Gesetzeslage und der praktische Vollzug in Deutschland läßt einen gezielten Kampf gegen Randalierer fast nicht zu. Egal ob nun Occupy-Gewalttäter oder Fußball-Hooligans: Selbst wenn die Polizei Täter identifizieren und festnehmen kann (was schon eher selten ist), kommt es fast nie zu einer echten Strafe. Und wenn dann noch eine Vereinsführung wie die in Frankfurt Randale eher als rustikale Fan-Kultur denn als echtes Problem betrachtet, nimmt das Gewaltpotential eben stetig zu. Im konkreten Fall wird das Verbot leider nicht umsetzbar sein, weil es nicht gerichtsfest formuliert ist. Aber es geht selbstverständlich nicht darum, irgendwelchen Leuten in den Hinterkopf zu schauen und zu raten, ob sie irgendeine Bundesliga-Präferenz haben. Sondern es geht um Gruppen von Fans, die sich versammeln um gemeinsam etwas zu machen. Nur: Was zu machen? Nicht das Spiel sehen. Es gibt keine Karten fürs Stadion und es gibt kein Public Viewing in Darmstadt (in Frankfurt übrigens auch nicht - das wäre die angemessene Lösung gewesen!). Es gibt eigentlich überhaupt keinen seriösen Grund, daß sich Frankfurter Fans am Samstag in der Darmstädter Innenstadt treffen. Sondern der einzige reale Grund für solches Verhalten ist, dort Krawall zu machen. Und es ist eine recht realitätsferne Annahme, daß der Verbotsversuch die Randalierer noch irgendwie bestärken könnte. Die wären auch ohne Verbot nicht zu Hause geblieben.
Ich stelle mir das gerade als Hamburger für den Fall St. Pauli gegen den HSV vor (oder FC Bayern gegen die Löwen) - wenn sie in derselben Liga spielen. Und wenn ein HSV-Fan im Stadtteil St. Pauli wohnt - muss er dann im Hotel übernachten? Oder: St.-Pauli-Fan aus den Elbvororten - wohin mit ihm? Deutschland wird immer mehr gaga.
Wir haben mittlerweile im Fußball die unschöne Situation, dass selbst bis in die 4./5. Liga eine Eskalation von Fan Ausschreitungen rund um Fußballspiele zu beobachten ist. Es ist erschreckend (nebenbei auch noch sehr teuer), wie viele Hundertschaften der Polizei an einem normalen Wochenende im Einsatz sind, um einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb der ersten 4 Fußballligen - oder auch Brot und Spiele - in Deutschland zu gewährleisten. Die Einsicht bei den betroffenen Fußballanhängern ist zumeist begrenzt - Schuld sind immer die anderen bzw. die Polizei. Würde jeder sog. Fan sich darauf beschränken, seine Aufmerksamkeit über 90 Minuten ausschließlich dem Geschehen auf dem grünen Rasen zu widmen, hätten wir keine Probleme. Dies ist allerdings nicht so. Von daher habe ich auch für solche unpopulären Maßnahmen ein gewisses Verständnis. Natürlich ist es immer nur eine kleine Gruppe von Fans, die gewalttätige Auseinandersetzungen provoziert. Für die anderen gilt dann hier gezwungenermaßen, mitgehangen, mitgefangen. Pech für die anständigen Fußball Fans. Aber wenn solche Maßnahmen helfen, Ausschreitungen, Sachbeschädigungen, etc. klein zu halten, ist es gerechtfertigt. Vielleicht wäre es auch mal an der Zeit, dass sich Fußball Fans, insbesondere Ultras, mal kritisch hinterfragen, was jeder dazu beitragen kann, dass auch Fußball Derbys wieder in einem würdigen - sportlichen - Rahmen stattfinden können.
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