Zuwanderung ist derzeit das alles beherrschende Thema der deutschen Gesellschaft, auch wenn die Etablierten noch so sehr versuchen, es unter den Teppich zu kehren. Es ist so dominant, weil die Ergebnisse der Fehler der vergangenen Jahre von den Bürgern als unumkehrbar erkannt worden sind. Die Fehler sind so irreversibel, dass sie sogar weiter begangen werden, um ja nicht zugeben zu müssen, dass es Fehler waren.
Die potentiellen Jamaika-Koalitionäre haben bei dem Thema bisher immer fein um den heißen Brei herumgeredet. Die Verhandlungen erinnern an ein Jamaika-Konklave und die Medien erwarten sehnsüchtig den weißen Rauch. Doch der Ausgang der Verhandlungen ist vorhersehbar. Zu groß sind die Verlockungen, als dass CSU und FDP standhaft blieben. Ich wünschte, dass ich mich da irre.
Ein „Knackepunkt“ der Verhandlungen ist die Familienzusammenführung. Familien gehören zweifellos zusammen. Sind sie getrennt, gehört es sich, dass man sie zusammenführt. Nur hartherzige Bösewichte werden dieses Prinzip leugnen. Der Schutz von Ehe und Familie ist im Artikel 6 unseres Grundgesetzes verankert.
Deshalb sollen anerkannte Asylbewerber ihre Familien nachholen dürfen. Dazu muss man wissen, wer nachgeholt werden darf. Anerkannte Asylbewerber dürfen per Gesetz ihre Ehepartner und minderjährige Kinder nachholen. Pflegebedürftige Eltern können im Ausnahmefall auch mitkommen. Anerkannte minderjährige Flüchtlinge können ihre Eltern hinterherholen, die natürlich ihre minderjährigen Kinder nicht zurücklassen müssen. Aber dürfen auch alle zu uns gekommenen Glücksritter ihre „Familien“ nachholen? Jetzt rächt sich bitter, dass eine Unterscheidung in der Zeit der Teddybär-Werfer und danach nicht gestattet wurde.
Ein potenzieller Massenzuzug in die Sozialsysteme
Auf welcher Faktenbasis könnten verantwortungsbewusste Politiker eine derartige Entscheidung fällen, um sie dann in einen Koalitionsvertrag zum Wohle ihres Staates und seiner Bürger aufzunehmen? Schließlich handelt es sich möglicherweise um einen Massenzuzug in die Sozialsysteme, die bei einer derartigen Überdehnung an ihre Grenzen geraten dürften. Das sogar dann, wenn Deutschland tatsächlich ein so reiches Land wäre. Schon für die Im Jahr 2015 zu uns Gekommenen schätzt Hans-Werner Sinn langristig Kosten in Höhe von 450 Milliarden Euro ein. Diese Nebenwirkung einfach zu ignorieren ist zutiefst unredlich den Migranten gegenüber, von den einheimischen Steuerzahlern ganz zu schweigen.
Das Bundesinnenministerium sieht sich nicht in der Lage, den absehbaren Familiennachzug von syrischen und irakischen Flüchtlingen zu beziffern. "Wissenschaftlich belegbare Zahlen, wie viele Familienangehörige der Kernfamilie im Schnitt zu einem in Deutschland anerkannten international Schutzberechtigten nachziehen, gibt es nicht", erklärte das Innenressort auf eine schriftliche Frage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke.
Zusätzlich erschwerend für eine Schätzung: da die Grenzen nach wie vor für alle Hereinwollenden offen sind, handelt es sich um ein Problem mit beweglichen Zielen. Das Innenministerium rechnet im Laufe des Jahres 2017 mit rund 180.000 neu ankommenden Migranten in Deutschland. Die deutschen Grenzen sind aber nur in einer Richtung offen, ohne Papiere kommt jeder rein, aber kaum einer raus, alle bleiben. Der Tag wird kommen, an dem auch die Neuangekommenen ihre Familien nachholen wollen.
Und eine weitere Zeitbombe tickt: Derzeit ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz bis März 2018 ausgesetzt. Diesen eingeschränkten Status - "subsidiären Schutz" - erhalten dagegen Menschen, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention oder das deutsche Grundrecht auf Asyl fallen. Sie müssen zwar nicht in die Heimat zurück, etwa weil ihnen dort Todesstrafe oder Folter drohen oder Bürgerkrieg herrscht. Oder weil sie keine Papiere haben.
Falsche Papiere statt Gummiboote
Anders als Menschen mit Asyl- oder Flüchtlingsstatus bekommen sie aber zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann. Die Subsidiären bleiben nahezu alle, da der Staat sich bei ihrer Rückführung selbst ein Bein stellt. Auch über deren Familiennachzug müssen die Koalitionäre entscheiden. Die Grünen bestehen auf das Ende der Aussetzung – as heißt alle zusammenführen – während die CSU die Aussetzung der Familienzusammenführung aufrechterhalten will. Die Kanzlerin will darüber erst 2018 nachdenken, über die Standhaftigkeit der CSU gegenüber der Chefin der Schwesterpartei konnten wir schon vor der Wahl viel lernen.
268.000 Syrer haben in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland einen Flüchtlingsschutz erhalten und damit einen Anspruch auf Familiennachzug. Doch wie viele Familienangehörige kommen eigentlich pro Antragsteller? Das scheint keiner ernsthaft zu fragen, was ich für sehr merkwürdig halte.
Das BAMF schätzt, dass jeder Syrer im Schnitt einen Angehörigen nach Deutschland nachholt. Das ist wohl sehr optimistisch, bei einer Fertilitätsrate Syrien von 3 Kindern pro Frau. Die Fertilitätsrate Afghanistan ist durchschnittlich 5,7 Kinder. Die Fertilität Irak beträgt 4,3 Kinder, die Fertilität Marokko 2,5 Kinder und die Fertilität Algerien 2,8 Kinder pro Frau. Erschwerend hinzu kommt die im Islam erlaubte Polygamie: Ein Mann darf bis zu vier Frauen haben. Und da sind noch die vielen anderen Nationen, über die bisher noch gar nicht gesprochen wird. Familiennachzug ist eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten.
Ich will ja nicht pessimistisch sein. Aber wir wissen bis heute nicht genau, wer und wie viele da zu uns gekommen sind und weiterhin kommen. Was wir wissen ist jedoch, dass dabei viel gemogelt wurde, schließlich sind 60 Prozent der Flüchtlinge ohne Papiere gekommen. Der anstehende Familiennachzug könnte nunmehr ein ganz neues Geschäftsfeld für korrupte Beamte in den Herkunftsländern und für Schlepper auftun: falsche Papiere statt Gummiboote. Und wieso sollte die deutsche Verwaltung darauf wehrhafter reagieren als bisher?
Eine Obergrenze mit "atmendem Deckel"
Das Auswärtige Amt schätzt, dass bald zusätzlich bis zu 300.000 Syrer und Iraker zu Angehörigen in Deutschland reisen. Die Grundlage für diese Kalkulation sind zum einen bereits erteilte Visa sowie die erwarteten Anträge. Auch eine zweite Schätzung mit Blick auf den durchschnittlichen Familiennachzug bei syrischen Flüchtlingen führe zu dieser Größenordnung, heißt es im Auswärtigen Amt. Die Steuerzahler würden es wohl schätzen, wenn das Auswärtige Amt dies etwas genauer wüsste.
Den Bürgern wird vorgegaukelt, dass es nur ganz kleine Probleme gibt. Schließlich gibt es ja zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU die Vereinbarung des „atmenden Deckels“ von 200.000 Migranten pro Jahr als Obergrenze.
Für die Einhaltung dieser „Obergrenze“ besteht tatsächlich keine Gefahr, ganz und gar unabhängig davon, wie viele Menschen im Familiennachzug kommen. In den offiziellen Asylzahlen werden nämlich diejenigen, die im Rahmen des Familiennachzugs kommen, nicht auftauchen. Nachziehende Angehörige müssen keinen Asylantrag stellen, wenn sie per Familiennachzug einreisen dürfen und gelten daher nicht als Asylsuchende.
So kann denn auch die lästige Frage der Zustimmung durch den deutschen Bundestag entfallen.
Manfred Haferburg ist Autor des Romans „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann