Kurz vor den Midterms wird der Einbruch bei den Pelosis politisch instrumentalisiert. Schuld sollen – mal wieder – Trump und seine Anhänger sein. Allerdings scheint der psychisch auffällige und drogenabhängige Täter mit wirrem Weltbild eher aus dem grünen Hippie-Lager zu kommen.
In der Nacht des 28. Oktober wurde Paul Pelosi, der 82-jährige Ehemann von Nancy Pelosi, Opfer eines Gewaltverbrechens in seiner eigenen Wohnung. Weil in den USA gerade Wahlkampf ist, versuchten einige Journalisten sogleich, die Tat zum Begleichen alter politischer Rechnungen zu nutzen. Auf die Frage: „Wer ist schuld daran, dass die Menschen schlecht sind und in der Welt Böses geschieht?“ antworten sie auch fast drei Jahre nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden immer noch: „Donald Trump!“
„Seit Trumps Einstieg in die Politik und seinem Wahlsieg 2016“ habe Amerika „eine Explosion von Gewaltaufrufen im öffentlichen Raum erlebt“, schreibt Welt-Korrespondent Clemens Wergin mit Bezug auf den Angriff auf Paul Pelosi. Es sei zwar, so der Autor, „nicht fair, Trump direkt verantwortlich zu machen für jede Gewalttat extremistischer Anhänger“, doch irgendwie trage Trump ja doch zumindest die Gesamtverantwortung für alles, was im Weltall seit 2016 passiert ist. „Trump und seine Unterstützer“ hätten nämlich eine „Verrohung“ in den „politischen Diskurs eingebracht“ – die es ja vor 2016 bekanntlich überhaupt nicht gab.
„Inzwischen" aber habe diese Verrohung wie ein Erkältungsvirus „beide Seiten des politischen Spektrums erfasst“. „Zwischen 2016 und 2021“ hätten sich „die Todesdrohungen gegenüber Kongressabgeordneten verzehnfacht“, hat man bei der Welt ausgerechnet.
Ah, Statistik. Der linksterroristische Anschlag von Alexandria, Virginia, im Juni 2017, bei dem der Trump-Hasser und Bernie-Sanders-Wahlhelfer James Hodgkinson den republikanischen Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, Steve Scalise, mit Schüssen aus einem Sturmgewehr lebensgefährlich verletzte, ginge demnach ebenso auf das Konto Trumps wie die schwere Körperverletzung gegen den republikanischen Senator Rand Paul im selben Jahr.
Immer ist Trump schuld
Die Liste lässt sich fortsetzen: Ein Antifa-Terrorist erschießt auf offener Straße den Trump-Unterstützer Aaron J. Danielson? Natürlich ist Trump dafür verantwortlich. Und dafür, dass kürzlich ein radikaler Abtreibungsbefürworter den von Trump eingesetzten Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh mit einer Glock um die Ecke bringen wollte, auch.
Das gilt natürlich ohnehin für die Morddrohungen gegen Trump selbst: Würde Trump nicht existieren, würde niemand ihn umbringen wollen, die amerikanische Post müsste weniger Briefe und Pakete mit dem Kampfstoff Rizin austragen.
Bei den Anschlägen auf die US-Präsidenten Ronald Reagan und John F. Kennedy haben die Politforensiker vielleicht noch nicht lange genug recherchiert, sonst wüsste man womöglich, dass auch daran die von Trump in das System eingetröpfelte Verrohung des politischen Diskurses schuld ist, ebenso wie an dem Mord an Kaiserin Sissi.
Trump-Hasser zu sein ist auch heute, im Jahr 2022, immer noch eine handfeste Zusatzqualifikation, ähnlich einem LKW-Führerschein. Sie erspart Journalisten Arbeit, weil sie einen einmal vor Jahren geschriebenen Artikel immer wieder als Matrize nutzen können. Aus einem Beitrag zu einem Terroranschlag auf eine Synagoge („Trumps Saat des Hasses geht auf“) wird im Handumdrehen einer über den Einbruch bei Paul Pelosi („Die Folgen von Trumps Politik des Hasses“).
Wer brach bei Pelosi ein?
Welches echte Wissen – im Unterschied zu dem gefühlten Wissen einiger Journalisten – gibt es über den Angriff auf Paul Pelosi? Der mutmaßliche Täter David DePape (42) war eingebrochen, indem er eine rückwärtige Glastür eingeschlagen hatte. Er hatte es offenbar auf Nancy Pelosi, die derzeitige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, abgesehen. Sie war zur Tatzeit verreist.
Paul Pelosi sagte gegenüber einem Beamten des FBI aus, der ihm bis dahin unbekannte DePape sei in sein Schlafzimmer eingedrungen, während er schlief. Er habe gefragt, wo Nancy sei. Pelosi habe geantwortet, dass sie für mehrere Tage verreist sei und gefragt, wie sie die Situation auflösen könnten.
DePape habe gesagt, er wolle Pelosi fesseln, damit er selbst sich etwas ausruhen (!) könne, da er „müde vom Tragen des Rucksacks“ (!) sei. Pelosi sei dann ins Badezimmer gegangen und habe die Polizei gerufen. DePape erinnerte sich gegenüber dem FBI daran, dass ihm „durch den Kopf gegangen“ sei, dass es „unmöglich ist, dass die Polizei den Notruf wieder vergessen wird“. Man sieht: DePape ist schlau. Er habe sich aber entschlossen, in dem Haus zu bleiben, weil auch die „Gründerväter“ „Widerstand“ gegen die „Tyrannei“ geleistet hätten. Einer von den Gründerenkeln also ist er. Als die Polizei klingelte, öffneten Pelosi und DePape. Beide hielten denselben Hammer umklammert — offenbar jener, mit dem DePape die Glastür eingeschlagen hatte.
„Die Polizisten fragten, was los sei. DePape antwortete, alles sei gut.“
Die Beamten forderten DePape und Pelosi auf, den Hammer loszulassen. In diesem Augenblick entriss DePape Pelosi den Hammer und schlug ihm damit auf den Kopf. Pelosi musste danach zur stationären Behandlung ins Krankenhaus. Auch DePape wurde nicht ins Gefängnis, sondern in ein Krankenhaus gebracht, noch ist unklar, warum. DePape gab gegenüber dem FBI an, dass er vorgehabt habe, Nancy Pelosi „gehen zu lassen“, wenn sie die „Wahrheit“ sage. Wenn sie jedoch „lügt“, würde er ihr die „Kniescheiben“ brechen. Er sei sich sicher gewesen, dass sie nicht die „Wahrheit“ sagen werde, da sie die „Rudelführerin“ der von der Demokratischen Partei erzählten „Lügen“ sei.
Leben in der Garage
DePape ist ein bekannter Pro-Nudismus-Aktivist. Der kalifornische Senator Scott Wiener (Demokraten) sagte dem Fernsehsender KRON4:
„Ich habe schon vor langer Zeit von ihm gehört, weil er mit den Pro-Nudismus-Leuten im Castro (vor allem bei Homosexuellen beliebter Stadtteil von San Francisco; S.F.) verbunden ist.“
Auch in Berkeley ist DePape als jemand bekannt, der an Demonstrationen gegen Gesetze teilnimmt, die in der Öffentlichkeit das Tragen von Kleidung vorschreiben. Nancy Pelosi hatte sich in der Vergangenheit für ein Gesetz ausgesprochen, dass Nacktheit im öffentlichen Raum San Franciscos verbietet: „Wie haben unsere Standards“, so Pelosi.
DePape lebte offenbar an mindestens zwei Orten. Zum einen in einer Garage in der Shasta Street, Richmond, Kalifornien. Das bestätigte der Besitzer der Garage. Sie wurde von der Polizei durchsucht. Dabei stellten die Beamten zwei Hämmer, ein Schwert und ein Paar Handschuhe sicher. Zudem fanden sie Belege dafür, dass DePape dort wohnte, u.a. Steuer- und Sozialversicherungsunterlagen. Der andere Wohnort war das Haus der Nudismus-Aktivistin Oxana Taub in Berkeley.
Der Schriftsteller Michael Shellenberger, u.a. Autor eines Buches über Drogensüchtige in San Francisco, ist dorthin gefahren und hat mit Frau Taub gesprochen. Sie sagte ihm, dass DePape an einer psychischen Krankheit leide, die mit Wahnvorstellungen einhergehe. „Er ist psychisch krank. Er ist seit langer Zeit psychisch krank“, erklärte sie auch gegenüber dem Fernsehsender ABC7 News. Sie und DePape hätten sich vor mehr als 20 Jahren kennengelernt. Bis vor etwa sieben Jahren hätten sie die beiden gemeinsamen Söhne und Taubs Tochter großgezogen. Taub beschrieb, wie DePape einmal nach einjährigem Verschwinden nach Hause gekommen sei:
„Er kam in einem sehr schlechten Zustand zurück. Er dachte, er sei Jesus. Er war ständig paranoid und dachte, die Leute seien hinter ihm her. Und es hat ein, zwei Jahre gedauert, bis er wieder halbwegs normal war.“
Über Politik sagt sie:
„Nun, als ich ihn traf, war er erst 20 Jahre alt und hatte keine Erfahrung in der Politik, und er stimmte sehr mit meinen Ansichten überein, und ich war immer sehr progressiv. Ich bewundere Nancy Pelosi absolut.“
BLM, Gay Pride und Hippie-Nudismus
Im Wählerverzeichnis ist DePape als Unterstützer der Grünen Partei registriert, berichten u.a. die britische Tageszeitung The Guardian und der San Francisco Chronicle.
Wie die New York Post berichtet, beschreiben Nachbarn DePape als einen obdachlosen Süchtigen mit einer Ideologie, die bis vor kurzem linksgerichtet gewesen, aber im Vergleich zu seinem psychotischen und paranoiden Verhalten von untergeordneter Bedeutung sei. „Was ich über die Familie weiß, ist, dass sie sehr radikale Aktivisten sind“, sagte eine Nachbarin von DePape, eine Frau, die nur ihren Vornamen Trish nannte:
„Sie wirken sehr links. Sie alle drehen sich um die Black-Lives-Matter-Bewegung. Gay Pride. Aber sie sind sehr weit von der Realität entfernt. Sie haben die Polizei zu mehreren Nachbarn, einschließlich uns, geschickt und behauptet, dass wir ein Komplott gegen sie planten. Es ist wirklich seltsam zu sehen, dass sie bereit sind, so aggressiv gegenüber jemand anderem zu sein, der auch ein Linker ist.“
2013 hätten DePape und Taub an einer politischen Pro-Nudismus-Veranstaltung teilgenommen, schreibt der San Francisco Chronicle.
„Damals wurde DePape im Wählerverzeichnis von San Francisco als Mitglied der linksgerichteten Grünen Partei geführt. Aber später schien er eine politische Metamorphose zu durchlaufen und sich als Evangelist für Alt-Right-Verschwörungstheorien neu zu erfinden.“
Links, rechts, grün, Hanfarmbänder und Hippie-Nudismus – niemand sagt, dass psychisch Kranke ein konsistentes Weltbild haben müssen. Ein genauerer Blick auf das Grundstück, wo DePape lebte, so Shellenberger, zeige das, „was man in Europa offene Drogenszene nennt“:
„In der Auffahrt steht ein kaputtes Wohnmobil. Auf der Straße parkt ein gelber Schulbus, von dem Nachbarn sagen, dass DePape darin häufiger gewohnt hat.“
In dem Haus und in den beiden Wagen gingen Leute ein und aus, erzählten Nachbarn. Ein Grund dafür sei der Konsum einer psychedelisch wirkenden Droge namens Ibogaine, die sie in Mexiko kauften, wo sie legal sei.
Hanfarmbänder und Gespräche mit Engeln
Eine Bekannte DePapes namens Linda Schneider erzählte dem Fernsehsender CNN, dass sie DePape vor ungefähr acht Jahren kennengelernt und er gelegentlich auf ihr Haus aufgepasst habe. Als sie sich kennenlernten, habe DePape in einem Lagerraum in der Gegend von Berkeley gelebt und ihr gesagt, er habe mit harten Drogen gekämpft, aber „versucht, sich ein neues Leben aufzubauen“. Schneider beschreibt ihn als „extrem schüchtern“: „Er sagte, er könne nicht einmal ein Bankkonto eröffnen, weil er Angst habe, mit einem Bankangestellten zu sprechen."
Später habe Schneider „wirklich beunruhigende“ E-Mails von DePape erhalten, in denen er „größenwahnsinnig und realitätsfern“ geklungen habe, sagte sie. Sie habe aufgehört, mit ihm zu kommunizieren, „weil es so gefährlich erschien“.
Laura Hayes, die ebenfalls in Kalifornien lebt, sagte CNN, sie habe vor ungefähr einem Jahrzehnt einige Monate mit DePape zusammengearbeitet, um Hanfarmbänder herzustellen, als er in einem Lagerraum in der Gegend von Berkeley lebte. DePape habe die Armbänder kommerziell verkauft.
Keine Story, wenn es ein psychisch kranker Junkie war
„Er war sehr seltsam. Er hat nicht sehr gut Augenkontakt hergestellt“, sagte Hayes. Sie erinnerte sich, dass er sagte, er habe „mit Engeln gesprochen“, es werde „eine harte Zeit kommen“. Sie habe nicht viel darüber nachgedacht, weil „es Berkeley ist“, ein Ort, an dem exzentrische Charaktere keine Seltenheit seien.
Shellenberger, der mit etlichen Menschen gesprochen hat, die DePape seit langem kennen, urteilt, dass dieser den „Hunderten von psychotischen Obdachlosen“ ähnele, die er in den letzten Jahren interviewt habe.
„Versunken in ihre Obsession mit den MAGA-Republikanern haben Journalisten die wahre Geschichte verpasst. David DePape ist kein Mikrokosmos der politischen Psychose, die Amerika im Allgemeinen betrifft. Vielmehr ist er ein Mikrokosmos der drogeninduzierten Psychose, die insbesondere die Westküste erfasst.“
Aber das können doch deutsche Journalisten nicht schreiben. Wenn der Mann, der bei Paul Pelosi eingebrochen ist, ein psychisch kranker Drogenabhängiger ist, dann gibt es keine Story. Oder jedenfalls keine, in der Donald Trump die Hauptrolle spielt – was auf’s selbe rauskommt.