Der Freistaat Sachsen gilt ja als Hort fremden- und islamfeindlicher Gesinnung. In der Landeshauptstadt Dresden protestierte Pegida schon gegen eine zu starke islamische Einwanderung, als noch kein Mensch geglaubt hätte, dass diese Bundeskanzlerin einmal die Migranten aus aller Welt nach Deutschland rufen würde. Von mehr als einer Million Zuwanderer im Jahr, ein Großteil davon mit unbekannter beziehungsweise selbsterfundener Identität, war noch gar nicht die Rede, da sahen die Sachsen in der beginnenden Migrationswelle schon ein Problem. Die Erkenntnis, dass es sich nur um Bereicherung handeln könne, verbreitete sich trotz vieler offizieller Bemühungen im östlichen Freistaat nicht so recht.
Eine Million Zuwanderer später ist die Beliebtheit der Massenmigration nicht gewachsen. Nun ist ja bekanntlich Kritik an der ungeordneten Asyl- und Einwanderungspolitik meist „rechts“. Mögen das die jeweiligen Kritiker selbst auch nicht so sehen, so sind sie doch nach offizieller Lesart mit Vorurteilen infiziert. Dagegen nun wollte die sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Petra Köpping (SPD), etwas tun.
Gegen Vorurteile sollen ja bekanntlich Fakten helfen. Und im Ministerium war man überzeugt, dass die Fakten, mit denen man Zustimmung für die Massenzuwanderung finden kann, am besten auf Bierdeckel passen. Friedrich Merz wollte noch die Steuererklärung auf einen Bierdeckel bringen. Die Sachsen dachten sich, dass sie für die Pro-Zuwanderungs-Argumente sechs Bierdeckel brauchen würden. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass man die Bierdeckel-Argumente erst nach dem sechsten Bier erarbeitet hat. Ihre Schlichtheit und Faktenfreiheit lassen jedenfalls darauf schließen, dass die meisten Argumente nicht mehr ganz nüchtern formuliert wurden.
Doch auch Bierdeckelbenutzer können rechnen...
Ohne selbst sechs Bier dazu zu trinken, würde man vielleicht sogar argwöhnen, dass das Ministerium Bierdeckelbenutzer für äußerst simple Gemüter hält. Oder ist es vielleicht gar unverstandene Satire? Sehen wir uns doch einfach mal die Bierdeckel an. Eine Seite ziert ein Stammtisch-Vorurteil, das mit einem roten „Vorurteil“ abgestempelt ist, falls ein Biertrinker das nicht gleich erkennt und auf der Rückseite kommt die amtliche Aufklärung.
Auf einem Deckel ist das Vorurteil zu lesen: „Deutschland nimmt doch die ganze Welt auf ...“. Hier kontert das Ministerium: „Lediglich 0,7 Prozent der weltweit vertriebenen 65.3 Millionen Menschen haben 2015 einen Asylantrag in Deutschland gestellt“. 0,7 Prozent, das ist doch fast nichts, oder? Gut, man könnte einwenden, dass die Zahl der Asylanträge die falsche Vergleichszahl ist, denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kam mit der Annahme von Asylanträgen 2015 gar nicht hinterher. Entscheidend ist also eine andere Zahl: Das Zuwanderungssaldo gibt das Statistische Bundesamt für 2015 mit 1,1 Millionen an. Das sind immerhin ca. 1,7 Prozent der 65,3 Millionen weltweiten Flüchtlinge.
Diese Zahl stammt vom UNHCR und erfasst auch die Binnenflüchtlinge, die temporären Schutz in anderen Landesteilen des eigenen Landes suchen. Demzufolge wäre die richtige Vergleichszahl für die Aufnahme in Deutschland eigentlich die der Flüchtlinge, die ihr Land verlassen haben und von einem anderen Staat aufgenommen wurden. Das waren Ende 2015 ungefähr 21 Millionen Menschen. Davon hätte Deutschland dann immerhin 5,7 Prozent aufgenommen. Das ist für ein Land dessen Einwohnerzahl lediglich 1,08 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht doch deutlich überproportional. Aber das merkt zum Glück ja keiner, denn wer rechnet das schon beim Biertrinken nach.
Auf einem Bierdeckel fehlt halt der Platz für Wahrhaftigkeit
„Flüchtlinge nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg“ lautet das Vorurteil auf Bierdeckel Nummer zwei. Nun könnte man auf die Rückseite schreiben, dass das gegenwärtig schon deshalb falsch ist, weil ja kaum einer der Asylbewerber arbeitet. Teils, weil sie nicht arbeiten dürfen, teils weil ihre Sprachkompetenz und Ausbildung dazu nicht ausreicht und in einigen Fällen auch, weil sie die angebotenen Tätigkeiten nicht übernehmen wollen. Aber das ist ja die Gegenwart. In der Zukunft sollen sie ja alle arbeiten. Und die Stellen, die sie übernehmen werden, warten dann schon auf sie, Deutschland würden in 20 Jahren zehn Millionen Arbeitskräfte fehlen, wenn es keine Zuwanderung gibt, argumentiert das Ministerium auf dem Bierdeckel und dann können wir ja froh sein, dass heute schon eine Million gekommen ist.
Zwar sagen Fachleute, dass die gegenwärtigen Zuwanderer nur zu einem sehr geringen Teil dem Anforderungsprofil der künftig gebrauchten Mitarbeiter entsprechen und man die wirtschaftlich notwendige Einwanderung nicht durch die Zuwanderer im Asylverfahren ersetzen kann, aber für so viele Erläuterungen hat ein Bierdeckel keinen Platz. Lassen wir dem Biertrinker doch die Hoffnung, dass wir in zwanzig Jahren alle Zuwanderer passend zum Arbeitskräftebedarf ausgebildet haben. Letztlich bleibt es in jedem Fall bei Behauptungen, denn was in 20 Jahren sein wird, wissen wir im Jahr 2036 und nicht früher.
Auch auf dem dritten Deckel geht’s um die Wirtschaft: „Die kommen doch nur aus wirtschaftlichen Gründen“ ist hier das zu widerlegende Vorurteil. Stattdessen klärt das offizielle Sachsen auf: „Rund 70 % der Asylsuchenden kommen aus Ländern, in denen Krieg und/oder Unterdrückung herrschen.“
Wir erkennen die gute Absicht und bestellen noch ein Bier
Will uns der ministerielle Bierdeckel beim dritten Bier einflüstern, dass 70 Prozent quasi asylberechtigt wären? 2016 wurden allerdings nur 52 Prozent der Asylbewerber als Flüchtlinge anerkannt. Die anderen müssen andere Gründe als Krieg oder Unterdrückung für ihre Einwanderung haben, sonst wären sie doch wohl anerkannt worden.
Andererseits ist die Zahl 70 Prozent wiederum viel zu niedrig. Asylantragsteller kommen sicher noch viel öfter aus Ländern, in denen auch Unterdrückung herrscht, denn schaut man sich die Liste der Herkunftsländer von Asylbewerbern an, findet sich darunter eigentlich kein Land, in dem Freiheit und Demokratie herrschen. Allerdings kommen viele Zuwanderer aus Ländern in denen Menschen unterdrückt werden trotzdem nicht wegen der Unterdrückung hierher, sondern beispielsweise wegen der Leistungen eines großzügigen Sozialstaats, die für jeden verlockend sind, der sonst nie solcher Leistungen teilhaftig werden könnte. So richtig erklärlich ist diese Zahl des Integrationsministeriums also nicht. Aber wir erkennen ja die gute Absicht und bestellen lieber noch ein Bier als dieser Art sächsischer Zahlenmystik auf den Grund zu gehen.
Der vierte Deckel hat es in sich: „Ausländer sind krimineller als Deutsche“ ist das Vorurteil. Wir ahnen schon, was uns die Integrationsministerin sagen will: „Die Statistik zeigt: Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche.“ Nun ja, jetzt kommt es vielleicht darauf an, welche Statistik man heranzieht. Natürlich sind nicht Zuwanderer per se schlechter oder krimineller als Einheimische. Nur wenn man über Monate jeden, der kommen will, unkontrolliert ins Land lässt und ihm außerdem die Gelegenheit gibt, sich neue Identitäten zu erfinden, dann ist das auch eine Einladung an Kriminelle. Und die sind trotz einer Mehrheit der Rechtschaffenen einfach spürbar.
Zuwanderergruppen sind in deutschen Haftanstalten überrepräsentiert - prost
Das „Antanzen“, die vermehrten sexuellen Übergriffe, die gestiegenen Einbruchszahlen, die Überfälle und Diebstähle durch kleine Gruppen „südländisch“ aussehender junger Männer sind ja keine Einbildung missgünstiger alter weißer Männer und können auch nicht einfach mit einem Bierdeckel und dem Totschlagargument, Ausländer sind doch keine schlechteren Menschen als Deutsche, weggewischt werden. Es geht hier eben nicht um moralische Bewertungen, sondern um reale Probleme, die man anpacken muss. Kümmern sich die Verantwortlichen spürbar darum, bleibt die Lust an pauschalen Vorurteilen gering, denn die stehen den praktischen Lösungen meist im Wege. Doch dass bestimmte Zuwanderergruppen in bestimmten Deliktsbereichen sowie in deutschen Haftanstalten deutlich überrepräsentiert sind, ist zwar eine ungeliebte Tatsache, doch ohne deren Kenntnis wird man nicht zielgerichtet gegensteuern können.
Aber wir nehmen lieber das fünfte Bier und hoffen, endlich vom Integrationsministerium überzeugt zu werden. Auf dem Deckel steht: „Flüchtlinge kosten uns doch nur Geld“. Zum Glück steht auch hier der rote Stempel „Vorurteil“ daneben, denn angesichts so mancher Nachricht könnte man den Satz ja sonst fast glauben. Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen hat beispielsweise errechnet, dass jeder eingewanderte Asylbewerber unterm Strich 450.000 Euro kostet. Bei 1,1 Millionen Zugewanderten läge der Gesamtaufwand bei rund 495 Milliarden Euro.
Je nachdem, wer für welche Kosten zuständig ist, schwirren die zusätzlich nötigen Milliarden nur so durch die Medien. Der Deutsche Städtetag beispielsweise prognostizierte in seinem Gemeindefinanzbericht für 2016 Kosten zwischen sieben und 16 Milliarden Euro - ja nachdem, wie viele Zuwanderer kommen. Das Institut für Weltwirtschaft rechnet mit Kosten von rund 25 bis 55 Milliarden Euro jährlich, abhängig von der Zuwandererzahl und der Integration in den Arbeitsmarkt. Die Finanzminister der Länder wiederum rechnen für die Versorgung und Integration Asylsuchender mit zusätzlichen Kosten in Höhe von mindestens 20 Milliarden Euro jährlich. Und das Bundesfinanzministerium kalkuliert für die Jahre bis 2020 eine Summe von 94 Milliarden Euro.
Was kann der sächsische Bierdeckel diesen Milliarden entgegensetzen? Wir drehen ihn um und lesen: „Die Aufnahme von Flüchtlingen führt laut IWF in Deutschland, Österreich und Schweden zu mehr Wachstum“. Das also wischt all die Berechnungen von deutschen Professoren, Stadtkämmerern und Finanzministern weg? Österreich und Schweden scheinen von dieses viele Wachstum auch zu verschmähen und machen lieber ihre Grenzen dicht. Offenbar sind deren Regierungen für die Weisheiten von IWF und Sächsischem Integrationsministerium unempfänglich. Und auch den sächsischen Biertrinker wird das selbst nach dem fünften Bier nicht überzeugen. Nehmen wir also das sechste und letzte.
Man muss sich die ministeriellen Aussagen schöntrinken
Vielleicht hat die Integrationsministerin hier doch noch ein überzeugendes Argument für den Biertisch parat. Das Vorurteil: „Flüchtlinge kriegen mehr Geld im Monat als einer mit Hartz IV“. Ohne Umzudrehen würde man sagen, das ist falsch, weil Asylbewerber nach 15 Monaten Anspruch auf die gleichen Leistungen wie Hartz IV-Empfänger haben, aber nicht auf mehr. Was sagt der Bierdeckel: „Ein erwachsener Asylbewerber erhält nach Ende der Erstaufnahme 354 Euro zur Existenzsicherung im Monat.“ Und schaut man ins Asylbewerberleistungsgesetz, so sieht man tatsächlich, dass Asylbewerber tatsächlich etwas weniger Geld als Hartz-IV-Bezieher bekommen. Erst nach der Anerkennung als Asylberechtigter gibt es dann den vollen Hartz-IV-Satz. Aber das steht nicht mehr auf dem Bierdeckel.
Trotzdem ist es doch schön, dass wenigstens einer von sechs ministeriellen Bierdeckeln mit einer zutreffenden Aussage aufwarten kann und uns von einem Irrtum befreit. Die anderen muss man sich wahrscheinlich schön trinken, obwohl man besser auf sie verzichtet hätte. Wäre die Ministerin doch Friedrich Merz gefolgt, der sich auf einen Bierdeckel beschränken konnte. Trinken wir nun sechs Biere auf die Zuwanderung in Sachsen. Prost!
Zuerst erschienen auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.