Von Karim Dabbouz.
Relativ unbeachtet kündigte die Große Koaltion vor Weihnachten an, an einem Gesetz gegen Fakenews zu arbeiten. Hiermit wolle man auf die Erfahrungen aus den Debatten um den Brexit und die US-amerikanische Präsidentschaftswahl reagieren. Diese seien von Falschmeldungen beeinflusst worden. Im Hinblick auf die Bundestagswahl sei deshalb auch hierzulande schnell ein geeignetes Mittel für den Kampf gegen Fakenews in Stellung zu bringen.
Inzwischen gibt man sich nach außen hin zwar nicht mehr so entschlossen. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte auf Nachfrage, es gebe keinen Zeitplan. Der Druck auf Facebook wird jedoch weiter erhöht. Volker Kauder spricht von Bußgeldern, die "weh tun" müssen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, gab sich gar die Blöße und sprach in einem Interview von "falschen Meinungen", die destabilisierend wirkten. Man möchte Facebook gesetzlich verpflichten, Falschmeldungen innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Andernfalls drohten Bußgelder in sechsstelliger Höhe.
Nun sollte man nicht den Fehler machen, Facebook vorzuwerfen, sie seien nicht an Qualität interessiert. Qualität bedeutet dabei einerseits, dass Nutzer die Inhalte präsentiert bekommen, die für sie relevant sind. Andererseits bedeutet es, dass Facebook ein grundlegendes Interesse daran hat, dass eindeutige Falschmeldungen eben nicht die Runde machen. Alles andere wäre dumm. Die nahtlose Integration von aktuellen und möglichst hochwertigen Nachrichten ist einer der Hauptgründe, dass die meisten von uns täglich einen Blick in ihre Timeline werfen. Dies zu vernachlässigen, wäre geschäftsschädigend.
Soziale Medien haben ein eigenes Interesse an Nachrichtenqualität
Facebook und andere Social-Media-Plattformen nutzen deshalb bereits heute komplexe Algorithmen, um das Usererlebnis möglichst angenehm und zufriedenstellend zu gestalten. Dass dies auch Kehrseiten hat, kann jeder in seinem persönlichen Newsstream überprüfen: Abhängig von diversen Faktoren und Gewichtungen versucht der Algorithmus unsere individuellen Vorlieben abzubilden und zeigt uns nur die für uns relevanten Inhalte. Dabei entsteht eine Filterbubble, in der nur noch die Inhalte angezeigt werden, für die wir uns ohnehin interessieren.
Dies gilt übrigens nicht nur für Rechte, sondern ebenso für diejenigen, die sich gerne als die "Guten" dartun. Auch deshalb schaden Boykottaktionen, wie die Achse sie vor einigen Wochen und Roland Tichy vergangene Woche erlebten, den Initiatoren und ihren Unterstützern selbst: Sie verstecken sich freiwillig in ihrer Filterbubble und verpassen bei politischen Lösungen häufig die letzte Ausfahrt. So sorgen die User selbst dafür, dass soziale Netzwerke politisch unbrauchbar und allenfalls zur alltäglichen Belustigung zu gebrauchen sind.
Das Internet ist zwar nicht Neuland, aber die Wahrheit ist, dass unser Umgang mit digitalen Medien, in denen jeder auch teilanonym an der Meinungsbildung teilhaben kann, noch in den Kinderschuhen steckt. Technologien, die uns von reinen Konsumenten zu Prosumenten von Nachrichten und Meinungen machen, sind insofern disruptiv, als sie das alte Verhältnis zwischen Meinungsproduzenten und -rezipienten auflösen. In seiner Tragweite ist dies vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks und der zunehmenden Alphabetisierung, die Menschen erstmals Zugang zu "anderen Wahrheiten" gaben. Heute kann jeder alles anzweifeln und eine Gegendarstellung veröffentlichen und jeder kann sie lesen. Das ist erstmal eine gute Nachricht.
Angst haben vor allem die Linken – vor neuen Technologien und Andersdenkenden
Leider verkommen wir zunehmend zu einer technologiefeindlichen Gesellschaft. Wir haben eine fast pathologische Angst vor den möglichen negativen Folgen neuer Technologien. Auf der einen Seite bezichtigt man konservative Medien, einen Diskurs der Angst zu führen. Auf der anderen Seite sind die Ängste vor Fortschritt und disruptiven Technologien nirgends so groß wie in den vielfach links besetzten Redaktionsstuben.
So wundert es kaum, dass eine Gesetzesinitiative gegen Fakenews nur nebenbei ein Thema ist, obwohl die Politik anfangs ganz unverhohlen plante, die Überprüfung einer Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt gleich dem Bundeskanzleramt und damit der Regierung zu unterstellen. Auch hier scheint die Angst vieler Linker vor den Möglichkeiten von Technologie größer zu sein als das schlechte Gefühl, gemeinsame Sache mit der Regierung zu machen. Hinzu kommt die klassische Angst vor dem vermeintlich unmündigen Pöbel, der bei der nächsten Wahl ja auf dumme Gedanken kommen könnte.
Statt Maas, Kauder und Grosse-Brömer die Flausen aus dem Kopf zu schreiben, scheinen viele Medien deshalb lieber gemeinsame Sache mit der Politik zu machen. Anders lässt sich nicht erklären, dass man über Fakenews hauptsächlich im Zusammenhang mit ihrer großen Gefahr für unsere Demokratie liest, während der Dammbruch einer Art „Wahrheitsministerium“ hingegen kaum ein Thema ist.
Zensur betrifft alle
Interessant ist, dass das Internet im Gegensatz zu vielen anderen Technologien wie Farbfernsehen, Atomkraft oder Computer, von Linken anfangs positiv gesehen wurde. Viele hielten es zunächst für das perfekte Instrument in ihrem Kampf gegen Herrschaft, wobei mit Herrschaft auch hier stets nur die Herrschaft des Kapitals gemeint war, während die Tyrannei der (vermeintlichen) Mehrheit oder Koalitionen zwischen Regierungskurs und Medien, wie wir sie heute erleben, kaum ein Thema waren.
Nun aber, wo auch die vermeintlich populistischen politischen Akteure das Internet als freies Medium nutzen, ist bei vielen Linken Ernüchterung eingekehrt. Da müsse man nun wirklich etwas tun, zur Not auch mit Zensur. Allerdings geht diese eben nicht nur in die eine Richtung. Auch linke Positionen könnten, wenn wir nicht aufpassen, von übereifrigen Staatsbediensteten in Zukunft einfach wegrationalisiert werden, etwa weil ein Körnchen der Story falsch recherchiert war oder sich jemand angeblich im Ton vergriffen hat. Im Prinzip sitzen wir also alle im selben Boot.
Echte Falschmeldungen lassen sich auch ohne staatliche Eingriffe erkennen
Kurz nach der US-Wahl kündigte Facebook einige Maßnahmen an, mit denen es die Verbreitung von Falschmeldungen eindämmen möchte. Konkret möchte Facebook eine Meldefunktion einführen, mit der Nutzer Beiträge als mögliche Fakenews markieren können. Wenn ausreichend viele solcher Meldungen eingegangen sind, leitet Facebook den betroffenen Beitrag an eine unabhängige Stelle weiter. In den USA kooperiert das Unternehmen hierfür mit Snopes, PolitiFact, ABC-News und anderen, die von Usern markierte Beiträge auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen sollen. Haben die Fact-Checker einen Beitrag als Falschmeldung identifiziert, erhält er bei Facebook eine entsprechende Markierung. Außerdem soll es einen Link zur Begründung des Urteils geben, sodass User sich ein möglichst genaues Bild machen können.
Dieser Ansatz erinnert an Wikipedia, das ebenfalls nach dem Prinzip "viele Augen sehen mehr als zwei" funktioniert. Wenn es um wirkliche Falschmeldungen geht, bei denen unterstellt wird, A sei passiert, obwohl nicht A, sondern B passiert ist, kann dies durchaus wirksam sein. Und natürlich funktioniert dies ganz ohne staatliche Meldestelle, Wahrheitsministerium oder Behörde gegen "Desinformation". Man kann also durchaus eine Gefahr in gezielt platzierten Falschmeldungen sehen und der Großen Koalition ihre Gesetzesinitiative vor den neosozialistischen Latz knallen.
Ein „unabhängiges“ Recherchezentrum soll in Deutschland prüfen
Seit dem Wochenden wissen wir denn auch, wen sich Facebook in Deutschland als unabhängigen Partner ausgesucht hat. Das Essener Recherchezentrum Correctiv soll in einer mehrwöchigen Testphase Falschmeldungen auf ihren (Un)wahrheitsgehalt überprüfen. Man wolle in dieser Zeit zunächst herausfinden, wie das Meldesystem für FakeNews auf Facebook funktioniert und welchen Umfang die Zusammenarbeit hätte. Leider kommt auch das unabhängige Recherchekollektiv nicht ganz ohne Weltenretterhybris aus. Man fühlt sich offenbar ganz der guten Sachen verpflichtet. Dementsprechend spricht man in der Ankündigung auf Facebook auch von „bekämpfen“ und nennt Fakenews eine der „großen Bedrohungen unserer Gesellschaft“.
Ob Correctiv eine staatliche Stelle gegen Desinformation für eine ebenso große Bedrohung hält, wissen wir nicht. Immerhin: Die Politik scheint damit zunächst einmal aus der Nummer raus – zumindest teilweise. Denn wirft man einen Blick auf die Förderer der gemeinnützigen Redaktion, dann findet man dort neben diversen Stiftungen auch die Bundeszentrale für Politische Bildung. Dies und die intensive Arbeit zum Schwerpunktthema „Neue Rechte“ inklusive Überschriften wie „Futter für AfD-Wähler“, als sei dieses Futter per se ungenießbar, werden Correctiv sicher keinen Vertrauensvorschuss einbringen. In jedem Fall wird dies ein harter Job, bei dem es vielleicht mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt. Erst heute veröffentlichte das WDR übrigens eine Studie, nach der 42 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung glauben, Medien erhielten von der deutschen Politik Vorgaben, worüber sie berichten sollen.
Siehe auch Karim Dabbouz Blog hier.