Nichts weniger als einen „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ haben jetzt neun deutsche Professoren vorgelegt. Sie bilden den „Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ und wollen den „fossilnuklearen Metabolismus“ (Stoffwechsel) der Industriegesellschaft beenden und eine „klimaverträgliche Weltgesellschaft“ schaffen. Ihre Strategien, so attestieren sie sich selbst, „unterscheiden sich somit von der inkrementellen (Anm. d. Red: kontinuierlichen, schrittweisen) Politik des kurzfristigen Krisenmanagements und der stets aufschiebenden Kompromissfindung“. Im Gespräch mit Jan-Philipp Hein erklärt der Historiker und Totalitarismusforscher Wolfgang Wippermann von der Freien Universität Berlin, warum er die Pläne und Gedanken der Forscher für gefährlich und undemokratisch hält.
Herr Professor Wippermann, im Text „Welt im Wandel“ haben sich die Autoren vorgenommen, „Pioniere des Wandels zu benennen“, „Blockademechanismen“ zu „identifizieren“ und sie sprechen von „Vetospielern“, die „Transformation hemmen“. Woran erinnert Sie das?
Die sprechen sogar von der „internationalen Allianz von Pionieren des Wandels“. Und das erinnert mich an die faschistische oder kommunistische Internationale. Ob sie da hinwollen, weiß ich nicht. Aber die Sprache ist schonmal schrecklich und das macht mir Angst. Wer so spricht, der handelt auch. Das ist eine negative Utopie, eine Dystopie. Und wenn Utopisten am Werk sind, wird es immer gefährlich.
Welches Welt- und Menschenbild steckt hinter diesem Text?
Wir haben es mit wissenschaftlichen Fanatikern zu tun, die ihre Vorstellungen durchsetzen wollen. Ich wundere, dass wir da zum ersten Mal drüber reden und wie wenig das in der Öffentlichkeit bisher beachtet wurde.
Der WBGU ist ein Beratergremium der Bundesregierung. Bestimmt können Wissenschaftler Politikern wertvolle Hinweise geben. Welches Verhältnis sollten Wissenschaft und Politik haben?
Vorab: Die Bundesregierung hätte sich schon lange davon distanzieren sollen. Das geht wirklich nicht. Und Vorschläge von Wissenschaftlern sollten sich schon mit der politischen Wertordnung decken, die wir haben. Kurz: Man kann nicht einfach sagen, dass man eine andere Demokratie, einen anderen Staat und eine andere Weltordnung wolle. Das geht einfach nicht.
Aber die Autoren meinen es doch gut und streben eine „gerechte neue Weltordnung“ an oder einen „globalen Gesellschaftsvertrag“.
Das ist doch das Schlimme: Wer was Gutes will, macht meistens was Schlechtes. Als Historiker kann ich mich schlecht zur Zukunft äußern, sondern nur zur Vergangenheit. Die Autoren dieses Papiers sagen zwar, dass sie sich an Vorlagen im Naturrecht der frühen Moderne orientieren, tatsächlich ist aber der „Contrat Social“ von Jean-Jacques Rousseau gemeint.
Nichts weniger als ein neuer „Contrat Social“ muss also geschlossen werden“, heißt es im Fazit des Papiers, ja…
... und in diesem Gesellschaftsvertrag gab es keine Gewaltenteilung und Rousseau hielt die Demokratie auch nicht für eine angemessene Staatsform. Wenn die Autoren von „Welt im Wandel“ sich daran orientieren, dann ist es eine Orientierung an etwas Undemokratischen.
Wie kommen Wissenschaftler, von denen wir doch annehmen können, dass sie reflektieren, dazu, so etwas aufzuschreiben?
Ich befürchte, dass das keine Gedankenlosigkeit ist. Denn sie führen ja weiter aus, wie sie die Welt verbessern wollen. Über ihre Diagnose kann ich nichts sagen. Nur was die Autoren hier vorschlagen, das ist eine Klimadiktatur, der Klimastaat. Und zwar in einem etwas größeren Rahmen. Sie wollen zum Beispiel Nationalstaaten abschaffen. Diese könnten nicht „alleinige Grundlage des Vertragsverhältnisses sein“, heißt es. Es geht also um einen Superstaat, eine Staatengemeinschaft mit kollektiver Verantwortung und übergreifenden Organisationen. Historisch betrachtet orientieren sie sich damit an der „Heiligen Allianz“ von 1815. Dieser Zusammenschluss wollte auch die Welt verbessern. Alexander I von Russland, Friedrich Wilhelm III von Preussen und Franz I von Österreich wollten „Schritte lenken, damit den menschlichen Einrichtungen Dauer verleihen und ihren Unvollkommenheiten abhelfen“. Tatsächlich kam es dann zu Unterdrückungen liberaler und nationaler Bestrebungen. Es gab Interventionen und Zwang. Die wollten auch was Gutes und schafften Schlechtes.
Nun beriefen sich die Gründer der „Heiligen Allianz“ auf Gott. „Welt im Wandel“ ist von Wissenschaftlern, sogar führenden Naturwissenschaftlern geschrieben worden.
Auch eine Wissenschaft kann zur Religion oder zur Ideologie werden. Wenn sie dann auch noch eine transnationale Demokratie fordern - was immer das ist - wird es eine Diktatur.
Die Autoren sehen sich fest in der Tradition der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie.
Ja, aber gleichzeitig wird „gesellschaftliche Erneuerung durch Einsicht“ gefordert. Und was, wenn jemand nicht einsichtig ist? Gewalt? Die Autoren fordern diese Einsicht ja ein. Das ist nicht Demokratie, wie wir sie haben und was wir unter Demokratie verstehen. Das ist etwas anderes. Und was die Autoren zur Behebung der Missstände fordern, ist mit den Möglichkeiten und Mitteln der modernen Demokratie auch nicht vereinbar. Aus der Geschichte kennt man genug Leute, die die Welt verbessern wollten, nachdem sie deren Untergang prophezeiten und undemokratische Systeme zum Zwang in ihre Einsichten schufen. Noch eine Bemerkung am Rande: Warum müssen schon wieder wir Deutsche nicht nur den Untergang vorhersagen, sondern wieder die Welt retten? Muss immer am deutschen Wesen die Welt genesen? Das muss doch nicht sein. Was glauben die Autoren eigentlich, wie ihre Überheblichkeit, nach der die Deutschen voran reiten sollen, um den Rest zum Folgen zu bewegen, auf andere Staaten wirkt?
Welchen Geist atmet diese Handlungsempfehlung?
Das Papier steht in der unseligen Tradition des „Revolutionären Messianismus“, wie ihn Norman Cohn analysiert hat. Es gibt eine Linie des „Revolutionärem Messianismus“ vom Mittelalter bis in die modernen totalitären Bewegungen.
Sind Geisteswissenschaftler dafür nicht eigentlich deutlich anfälliger als Naturwissenschaftler?
Naturwissenschaftler kommen direkt an den Menschen. Denken Sie an das, was aus der „Rassenforschung“ abgeleitet wurde. Wir Historiker doktorieren an vergangenen Sachen herum und können keine Geschichte mehr schaffen. Diese Naturwissenschaftler hier, die können tatsächlich Politik machen.