Ende Juni diesen Jahres fiel mir die Kinnlade herunter. Nachdem aus der „Erklärung 2018“ die „Petition 2018“ wurde und ein Nutzer von Facebook diese in wörtlicher Rede zitierte und zur Unterzeichnung ermutigte, wurde diese von dem IT-Riesen als „Hassrede“ gelöscht. Wohlgemerkt, nachdem der Text vom Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages geprüft und auch auf der Webseite des Parlaments veröffentlich worden war. Der Nutzer war bereit zu klagen und Vera Lengsfeld, Henryk M. Broder und Alexander Wendt riefen zu Spenden für das Verfahren auf. Die Unterstützung war enorm.
Die Hilfe tausender Bürger, die in Einzelfällen sogar mehrere tausend Euro zur Verfügung stellten, hat es nicht nur möglich gemacht, Facebook vor dem Landgericht Bamberg zu verklagen und das Verfahren, falls nötig, durch mehrere Instanzen zu betreiben. Es konnten auch weitere, vergleichbare Fälle betrieben werden. Die mündliche Verhandlung fand im September statt.
Die FAZ, die die Verhandlung beobachtete und die Schriftsätze von Facebook las, gelangte zu der Schlußfolgerung: „Facebook löscht mit politischer Schlagseite.“ Es ist das eine, wenn man dies aufgrund der erratischen Löschpraxis annimmt. Werden diese Löschungen aber von einer internationalen Großkanzlei in -zigseitigen Ausführungen verteidigt, ist das erfolgte Löschen Unternehmenspolitik.
Löschen nach Gutsherrenart
So auch im vorliegenden Fall. In der letzten Woche verkündete das Landgericht Bamberg (2 O 248/18) das Urteil, die begründete Entscheidung liegt seit gestern vor. Der Internet-Riese, dessen Löschen nach Gutsherrenart schon 2016 von der „Süddeutschen Zeitung“ kritisiert wurde („Wie Facebook Menschen zum Schweigen bringt“) und an dessen Praxis sich nichts geändert zu haben scheint (vergl. „BILD“ im September 2018: „Drei unglaubliche Fälle – So absurd löscht Facebook die Beiträge seiner Nutzer“) musste erneut eine demütigende Niederlage hinnehmen.
Hier einige wichtige Passagen aus dem noch nicht rechtskräftigen Urteil:
- Die Gemeinschaftsstandards von Facebook sind als allgemeine Geschäftsbedingungen zugunsten der Meinungsfreiheit der Nutzer eng auszulegen.
- Das pauschale Verwahren von Facebook gegen die Annahme einer Quasi-Monopolstellung geht ins Leere, denn es wurde nichts vorgetragen, das die Annahme einer Quasi-Monopolstellung in Abrede hätte stellen können.
- Es wäre mit dem zu treffenden Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtspositionen unvereinbar, wenn Facebook, gestützt auf ein "virtuelles Hausrecht”, den Beitrag eines Nutzers, in dem es einen Verstoß gegen seine Standards sieht, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet und im Übrigen der Wortlaut der Standards selbst eine Löschung des Kommentars nicht ermöglicht.
- Zwar enthält die Erklärung 2018 Tatsachen und Wertungen auch hinsichtlich illegaler Einwanderung, allerdings sind diese bezogen auf einen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionspunkt fußend auf der Einwanderungs(grenz)politik und damit Teil dessen, was Facebook aufgrund seiner Quasi-Monopolstellung als Meinung im Sinne des Art. 5 GG zuzulassen hat.
- Facebook verhält sich daher nach Auffassung der Kammer widersprüchlich und daher auch nicht vertragstreu, wenn dem Nutzer im Rahmen der Gemeinschaftsstandards per definitionem erlaubt ist, entsprechende Kritik zu äußern, um diese Kritik im Anschluss zu verbieten. Dabei muss außer Acht bleiben, ob die Meinung von Facebook geteilt wird oder nicht, ob sie moralisch oder unmoralisch erscheint, da grundsätzlich jede Meinung erlaubt sein muss, die Rechte Dritter nicht verletzt.
- Es handelt sich bei dem Kommentar um die Teilnahme an einer politischen und wohl auch gesellschaftspolitischen Debatte, die im Übrigen nach dem Wortlaut der Gemeinschaftsstandards selbst von der Verfugungsbeklagten zu dulden ist.
- Eine kritische, Befürchtungen äußernde Ansicht und das Begründen dieser Ansicht mit der derzeitigen Einwanderungs- und Grenzpolitik, die wohl Grundlage der Petition ist, ist einer Hetze im Sinne einer Hassrede, wie Facebook sie mittels ihrer Gemeinschaftsstandards verbieten will, nicht gleichzustellen.
- Darüber hinaus ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem von dem Verfügungsklãger wiedergegebenen Text um einen solchen einer Petition handelt. Das Petitionsrecht ist ebenfalls im Grundgesetz niedergelegt, dort in Art. 17 GG. Das Petitionsbehandlungsverfahren richtet sich im Übrigen nach Art. 45c GG. Hier ist zu berücksichtigen, dass bei Eingang einer Petition sich eine Vorprüfung anschließt, die dem sogenannten Ausschussdienst obliegt. Im Rahmen dieser Vorprüfung werden sogenannte Nicht-Petitionen ausgesondert. Darunter fallen nicht nur solche Petitionen, die keine Petitum enthalten, sondern beispielsweise auch solche, die inhaltlich verworren, unleserlich oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen oder beleidigenden, erpresserischen oder nötigenden Inhalt haben. Aufgrund des Umstands, dass die Petition im Bundestag weiterhin behandelt wird und eine anderweitige Erledigung wohl nicht erfolgte, ist jedenfalls dort bislang nicht von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen worden.
- Eine Plattform wie Facebook, die eine derartige Stellung im öffentlichen Leben und damit einhergehend auch im Rahmen gesellschaftlicher und politischer Positionen inne hat und letztlich auch inne haben will, muss es daher im Sinne der Meinungsfreiheit und der – auch erwünschten Teilnahme an Diskussionen - dulden, wenn ihre Nutzer sich - nachvollziehbar oder nicht - am politischen Meinungsaustausch beteiligen.
Facebook hätte seinen Fehler korrigieren und sich entschuldigen sollen, statt diese beschämenden Grundrechtseingriffe auch noch vor Gericht zu verteidigen. Ein Vorgehen, das dem Ruf des Unternehmens eher schadet. Man fragt sich: Wer trifft diese Entscheidungen eigentlich? Weiss man in 1 Hacker Way, was hier getrieben wird?
Jetzt wurde gerichtlich festgestellt: Facebook ist ein Quasi-Monopolist, der sich vertragsbrüchig verhalten hat, der die Grundrechte seiner Nutzer beachten muss und nicht nach eigenem Gutdünken (angebliches „Hausrecht“) zensieren, löschen und sperren darf.
Die FAZ, Telepolis und Meedia haben ebenfalls berichtet.