Im Gedächtnis bleibt uns immer nur das Entscheidende. Das Unwichtige, wie ein paar Millionen oder Milliarden ergaunerte Steuergelder, vergessen wir im Angesicht des Schönen, wie ein jeder alles vergisst bei einem Trank aus dem Flusse Lethe.
Gar nicht so blöd, der Fabio De Masi. Zeigt er doch den Olaf Scholz wegen Falschaussage an. Er, also der De Masi, bedient sich dazu des uralten aristotelischen Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, dem zufolge eine Aussage nicht gleichzeitig zutreffend und unzutreffend sein kann.
Entweder, so der De Masi, der Scholz hat keinen Kalendereintrag, dann erinnert er, also der Scholz, sich, oder er hat einen; nur im zweiten Fall kann er glaubhaft behaupten, einen Eintrag zu haben, aber sich nicht zu erinnern. So weit, so gut. Nun aber hat er, also der Scholz, keinen Kalendereintrag, und er, der Scholz, hat also ein in seinem Kalender nicht (warum nicht?) notiertes Treffen dennoch bestätigt. Selbst ein Kanzler aber kann sich nicht gleichzeitig erinnern und nicht erinnern, obwohl es ähnliche Beispiele schon gegeben haben soll, allerdings nur bei Wolfgang Schäuble und einem Koffer, und der, also der Schäuble, nicht der Koffer, war nicht Kanzler. Kurz: Der Scholz hat keinen Kalendereintrag – und kann sich folglich erinnern.
Allerdings ist das Rückzugsgefecht des Amnestischen absehbar: Er kann sich sehr wohl an den Termin erinnern, auch an den Ort und sogar an die Speisenfolge, nämlich Märkische Hochzeitssuppe, Hamburger Pannfisch, Birne „Helene“, Petits Fours und Variationen von französischen Käsen, dazu Champagne Bollinger, „Kein Wein den Faschisten“ und Eiswein Riesling; nur an den Inhalt des Gesprächs, verflixt und sehr schade, leider nicht. Wahrscheinlich, weil er, also der politische Inhalt, verglichen mit dem beschaulichen Menü nebst seinen Bu- und Alkoholika, das ja sozusagen zum nunmehr wesentlichen Inhalt des Kanzlers wurde, nicht annähernd so bedeutend war. Sonst hätte er, also der Termin, nicht der Inhalt (und auch nicht das Menü) selbstverständlich auch im Kalender des späteren Kanzlers gestanden.
Denn im Gedächtnis bleibt uns immer nur das Entscheidende. Das Unwichtige, wie ein paar Millionen oder Milliarden ergaunerte Steuergelder, vergessen wir im Angesicht des Schönen, wie weiland selbst der Göttervater Zeus zu den verschiedensten Anlässen es vergaß, als da wären Europa, Leda oder Adonis, und wie ein jeder alles vergisst bei einem Trank aus dem Flusse Lethe. Das wusste sogar Patrick Bahners, laut Deutschlandfunk bereits am 1. Januar 1980. Alle Achtung – an staatsnahen Medien ist immerhin kein Zweifel möglich! –, Bahners war damals 13 Jahre alt, ein früh gereiftes Genie! Ich wette, der Deutschlandfunk hat da entweder irgendetwas vergessen. Oder auch nicht. Ein Drittes ist unmöglich. Und kann dennoch ja durchaus mal passieren; wenn dem Deutschlandfunk, dann auch dem Kanzler.
Wetten, die zuverlässige deutsche Justiz sieht es genauso?