Gastautor / 09.07.2016 / 06:15 / Foto: Sascha Grosser / 52 / Seite ausdrucken

Europas Verheißungen und die zerstörten Träume eines Ex-DDR-Bürgers

Von Wolfram Ackner.

Im März diesen Jahres starb unser geliebter Vater Hermann Ackner, Urgestein der Sachsen-SPD, Mitgründer der sächsischen AWO und bekennender Gutmensch. Das letzte intensive Gespräch, das ich mit ihm führte, war in der offenen Besucherecke einer Krankenhausabteilung, wo wir uns - mein Vater bereits vom kommenden Tod gezeichnet - über die Themen Flüchtlingskrise und das Verhalten der Osteuropäer dermaßen in Rage redeten, dass die halbe Klinik unfreiwillig zuhören durfte, und wir kurz davor waren, vor lauter gegenseitigem Ärger auseinanderzugehen.

Es wäre grundfalsch zu behaupten, diese Spaltung der Gesellschaft habe etwas mit Alt gegen Jung, mit Stadt gegen Dorf, mit Bildung gegen Nichtbildung zu tun, auch wenn dies natürlich das bevorzugte Narrativ jener ist, die sich stets an der Seite von Fortschritt und Wahrheit wähnen. Nein, dieser Riss geht quer durch die Städte, durch alle Altersgruppen, alle Bildungsschichten, durch die Familien. Wenn ich in diesen Tagen der Post-Brexit-Hysterie die deutschen Zeitungen aufschlage oder in den sozialen Netzwerken herumstöbere, kann ich lesen, Menschen wie ich - dumme, weiße Männer - würden Europa hassen, den Jungen die Zukunft verbauen, die Demokatie zerstören. Darum sei es mir als mitangeklagtem Dunkeleuropäer gestattet, zur Verteidigung meine persönliche Sicht der Dinge zu präsentieren.

Ich wuchs in Leipzig auf. Mit Ausnahme der Küstenlinie hatten wir in alle Himmelsrichtungen spätestens nach drei Stunden Autofahrt die Grenzen unserer sehr sehr kleinen Welt erreicht, und dass es überhaupt drei Stunden dauerte, lag ausschließlich daran, dass die Straßen so schlecht und die Autos so langsam waren. Als unsere Mutter einst mit uns Kindern in Deutsch-Einsiedel im Erzgebirge Urlaub machte und beim Pilze suchen das Schild am Waldrand ignorierte, welches davor warnte, dass hier das Grenzgebiet anfängt - weil es ja schließlich nur um die Grenze zur CSSR ging - lief ich furchtsam mit eingezogenen Schultern durch den Wald, ständig nach rechts und links blickend, weil mir selbst als Kind der Gedanke präsent war: "An unserer Grenze wird scharf geschossen".

Ein unerfüllbarer Traum wird plötzlich wahr

Meine erste Zugfahrt nach Siebenbürgen als 15-jähriger Junge dauerte drei Tage und zwei Nächte, weil an jeder Grenze herrisch auftretende bewaffnete Grenzsoldaten und Zöllner zeitraubend durch die Züge marschierten und die Leute kontrollierten - Blick in den Pass, scharfer Vergleichsblick ins Gesicht, stichprobenartige Taschenkontrollen - und an der ungarisch-rumänischen Grenze mitten in der Nacht stundenlang Soldaten mit Maschinengewehren und Schäferhunden den Zug von außen absuchten. Mir ist die Sehnsucht noch sehr präsent, mit der ich im Geographie-Unterricht mit dem Finger über die Landkarte fuhr und Länder wie England, Frankreich, Italien studierte, die Lage ihrer Städte, ihrer Gebirge. Voller Sehnsucht, weil ich wusste, dass ein Besuch dieser Länder für mich Zeit meines Lebens ein unerfüllbarer Traum sein wird.

Und dann kam die Wende. Der Fall der Mauer war für mich einfach nur der pure Glücksrausch. Im ersten Urlaub in Freiheit erfüllte ich mir meinen bis dahin größten Traum, den Traum von Europa, und fuhr mit meiner damaligen Freundin und einem Interrail-Ticket kreuz und quer durch Frankreich und Spanien bis nach Lissabon runter.

Etwa eine Dekade später arbeitete ich ein halbes Jahr in Verzuolo/Italien und danach vier Jahre im südlichsten Zipfel Hollands, in Terneuzen, und fand es einfach nur phantastisch, die alten innereuropäischen Grenzstationen einfach durchfahren zu können, ohne auch nur einmal den Fuß vom Gas nehmen zu müssen. Ich arrangierte mich nach anfänglicher Ablehnung sogar mit dem Euro, weil er zu funktionieren schien, und mir tatsächlich das Leben in Holland und Belgien erleichterte. Ich fühlte mich als Europäer.

Dieses Gefühl ist tot. Wenn ich heute an die Anfangstage des Euro zurück denke, fühle ich mich an den Börsengang der Deutschen Telekom erinnert, der die Durchschnittsdeutschen - welche bis dahin dem Kauf von Aktien sehr reserviert gegenüber standen - in ein Land von Kleinaktionären verwandeln sollte. Wochenlang liefen tagtäglich Werbespots, die zum Kauf von Telekom-Aktien motivieren sollten (den 5-Ton-Jingle habe ich heute noch im Ohr), und als dann beim Börsenstart tatsächlich der Kurs dieser Aktie rauschend durch die Decke krachte, begleitet vom Sound von Expertenmeinungen, die ein neues Zeitalter des Kapitalismus eingeläutet sahen - ein Kapitalismus, der seinen ewigen Zyklus aus Krise und Aufschwung abgestreift hat und für den es nur noch eine Richtung gäbe, steil nach oben -  da gab es kein Halten mehr. Das Volk war von Sinnen und steckte seine Ersparnisse in Aktien. Noch nie hatten sich für so kurze Zeit so viele kleine Leute reich gefühlt, um sich nach dem Platzen der Dotcom-Blase plötzlich oft mittellos wiederzufinden.

Die gebrochenen Euro-Versprechen der Eliten

Ähnlich ist es mit dem Euro. Die südeuropäischen Weichwährungs-Länder, deren Kreditaufnahme bis jetzt durch die hohen Zinsen gedeckelt war, konnten nach der Einführung des Euro quasi über Nacht mit der geborgten Solvenz der Hartwährungsländer des Nordens quasi unbegrenzt Niedrigzins-Kredite aufnehmen, um im ganzen Land oftmals sinnlose, überdimensionierte Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen. Banken vergaben an wenig solvente Personen unglaubliche Kredite, um den Konsum anzukurbeln, die öffentliche Verwaltung wurde aufgebläht. Es war, als hätte man eine Gruppe Kinder unbeaufsichtigt mit einer Master-Card-Platinum ins Spielzeuggeschäft geschickt.

Und das ist in der Tat für mich als wirtschaftlichen Laien das Königsargument, das alle anderen schlägt - die PIIGS-Staaten wären wegen der hohen Zinsen auf die Staatsanleihen ihrer ursprünglichen Währungen gar nicht in der Lage gewesen, sich dermaßen heillos zu verschulden, wie sie es mit Hilfe des Euro konnten. Es sind somit Probleme, die wir ohne den Euro gar nicht hätten. Und hier möchte ich Henryk M. Broder zitieren: "Solche Fehler können nicht auf einen Mangel an Wissen zurückgeführt werden. Die EU beschäftigt Tausende von Experten. Ökonomen, Politologen, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Historiker; sie vergibt darüber hinaus Forschungsauftrage und sie produziert Unmengen von bedruckten Papier, die von Hunderten Übersetzern in 24 verschiedene Sprachen übersetzt werden. Wenn all die Erkenntnisse dort zwar angehäuft und verbreitet, aber letztlich ignoriert werden, dann nennt das der Europapolitiker 'den politischen Willen zum Erfolg'".

Ich glaube, man könnte davon sprechen, dass es damals, Mitte der 90er Jahre, so etwas wie einen unausgesprochenen Deal zwischen den europäischen Eliten und den Völkern der europäischen Länder gab. Die Eliten versprachen - um es in sehr einfachen Worten auszudrücken - das Leben der Menschen Europas zu vereinfachen, ihren Lebensstandard zu verbessern, und erwarteten dafür, dass sich die Bürger Europas in diese Form des aufgeklärten, wohlmeinenden Paternalismus fügen.

Aber wo genau stehen wir heute, 20 Jahre später? Der Euro ist eine Katastrophe, der - genau wie beim künstlichen Aktienboom der Jahrtausendwende - dafür gesorgt hat, dass der Club Med für kurze Zeit eine rauschhafte Party feiern konnte und jetzt seit sechs Jahren mit massiver Verarmung und horrender Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Für Griechenland wurde ein Rettungspaket nach dem anderen geschnürt, und das einzige, was erreicht wurde, ist, die großen institutionellen Anleger und Käufer griechischer Staatsanleihen auf Kosten - vor allem der deutschen - Steuerzahler herauszuhauen. Jedes Versprechen, das man den zweifelnden Bürgern einst gab (sei es nun, dass der Euro genauso solide sein wird wie einst die DM, dass niemals die Bürger eines Landes für die Schulden eines anderen Landes aufkommen werden, dass es niemals eine Staatsfinanzierung durch die EZB geben wird) wurde einkassiert. Verträge wurden nach Belieben gebrochen, mittlerweile finanziert die EZB nicht nur Staaten durch die Druckerpresse, sondern hat sich sogar bereit erklärt, Firmenanleihen aufzukaufen, um den Euro-Zusammenbruch zu verhindern.

Paukenschlag Brexit

Mir geht es jetzt auch überhaupt nicht um den Krümmungsgrad von Gurken, Glühbirnenverbot oder darum, dass es in Brüssel Tausende von Beamten gibt, die mehr verdienen als die deutsche Bundeskanzlerin. Über die überbordende EU-Bürokratie, ihre opulent bezahlten Beamten und Abgeordneten ist genug geschrieben worden, und sicher war da auch so manch wohlfeile Kritik dabei. Mir geht es darum, dass ich aus einer abgeschüttelten Diktatur komme und jetzt machtlos zusehen muss, wie ein Neo-Feudalismus der europäischen Eliten und ein Neo-Jakobinertum der progressiven Meinungsmacher in Kultur, Bildung und Medien Stück für Stück unsere - zumindest für uns DDR-Bürger - im Herbst 1989 erkämpfte Demokratie zersetzt. Wenn nach diesem Paukenschlag, dem Entscheid der Briten, die EU zu verlassen, die üblichen Verdächtigen reflexhaft fordern, jetzt so schnell wie möglich die europäische Integration zu vertiefen, dann fragt man sich schon, wie laut der Schuß eigentlich noch werden muss, damit er tatsächlich gehört wird.

Ich möchte mich jetzt auch nicht auf das dünne Eis begeben, mit einem "gefühlten Mehrheitswillen" zu argumentieren, ich spreche für mich. Der alte Deal, dass Leute wie ich, also das europäische Fußvolk, sich widerspruchslos zu fügen habe, wenn die europäischen Eliten etwas festlegen, ist für mich gestorben. "Ihr" Eliten habt euren Teil der Abmachung nicht erfüllt. Mein Leben ist nicht einfacher, unkomplizierter und sicherer geworden, sondern das Gegenteil ist eingetreten. Nichts hat die Völker Europas mehr gegeneinander aufgebracht als der Euro, die dümmste Idee Europas seit den Versailler Verträgen. Und das, obwohl es vor der Euro-Einführung genügend Experten gab, die genau diese Entwicklung vorhersagten und sich bei einer Volksabstimmung die übergroße Mehrheit der Bürger gegen seine Einführung ausgesprochen hätte. Einfache Leute mögen keine "Summa cum Laude"-Abschlüsse renommierter Universitäten vorzuweisen haben, aber das Beispiel Euro-Einführung zeigt in meinen Augen sehr wohl, dass auch Entscheidungen der sogenannten Eliten grundfalsch sein können, während die Schweiz in den letzten Jahrzehnten bewiesen hat, dass tatsächlich auch das einfache Volk über schwierige Fragen informierte und verantwortliche Entscheidungen treffen kann.

Aber wir EU-Europäer sind mittlerweile - im Gegensatz zur Schweiz, zu Norwegen, zu Island, und bald Großbritannien - in jeder Beziehung der "Diktatur des Alternativlos" ausgesetzt, das seine eigene Logik, seine eigenen Gesetze und seine eigenen Konsequenzen entwickelt. Der Euro - alternativlos. Nutzlos versickernde Rettungspakete - alternativlos (obwohl dies das falsche Bild ist. Diese dreistelligen Milliardenbeträge sind ja nicht versickert, sondern in andere Taschen gewandert). Immer mehr nationale Selbstbestimmung aufgeben - alternativlos. Ausnahmslos jeden, der ans nicht-mehr-vorhandene europäische Tor klopft, hereinlassen und alimentieren, egal, wie viele Millionen es noch werden - alternativlos. Und, und, und. Alles und jedes alternativlos. Ich kann es echt nicht mehr hören.

Jede Notreparatur am Euro zog anscheinend anderswo im knirschenden Gebälk eine neue Baustelle nach sich und zerstörte Glauben an Europa als eine Rechtsgemeinschaft. "Ihr" seid offensichtlich weder in der Lage noch Willens, die Grenzen unserer Gemeinschaft zu schützen und geregelten, kontrollierten Zuzug in verkraftbaren Größenordnungen sicherzustellen. "Ihr" seid nicht in der Lage, Fehlentwicklungen zu korrigieren oder Kritik an Fehlentwicklungen auch nur zu diskutieren, ohne sofort von "den Panzern' zu faseln, die bald wieder durch Europa rollen", wenn "wir" vom Fußvolk uns auch nur den kleinsten Zweifel erlauben, anstatt wie befohlen im Glauben an ein geeintes Europa fest zusammenzustehen. Wenn "ihr" in düstersten Farben kommende europäische Kriege und schwerste wirtschaftliche Verwerfungen im Falle "des Scheiterns Europas" an die Wand malt (als ob die Brüsseler EU-Blase mit Europa gleichzusetzen wäre) und es ohne selbst zu lachen im selben Atemzug schafft, die "Angstkampagnen" der Europa-Skeptiker zu geißeln, kommt "ihr" mir manchmal vor wie Sektenführer; bei anderen Reden wie die von Jean Claude Juncker während der Brexit-Debatte des Europäischen Parlaments eher wie angeheiterte Komiker: "Das britische Votum hat einige von unseren zahlreichen Flügeln abgeschnitten, aber wir fliegen weiter. Wir werden unseren Flug Richtung Zukunft nicht abbrechen. Der Horizont erwartet uns und wir fliegen Richtung der Horizonte und diese Horizonte sind die von Europa und des ganzen Planeten. Sie müssen wissen, dass jene, die uns von weitem beobachten, beunruhigt sind. Ich habe gesehen und gehört, dass Führer anderer Planeten beunruhigt sind, weil sie sich dafür interessieren, welchen Weg die Europäische Union künftig einschlagen wird."

Prost, Europa, guten Flug und auf dein Wohl!

Ich würde gerne kurz an die Europawahlen 2014 erinnern. Für diese Wahl hatten sich die Europa-Politiker etwas neues ausgedacht, um die europäische Machttektonik weiter von den Nationalstaaten weg in Richtung Europäischer Zentralstaat zu verschieben. Nicht mehr der "Europäische Rat" der 28 demokratisch legitimierten Regierungschefs sollte das Vorschlagsrecht für den EU-Kommissionspräsidenten haben, sondern der Brüsseler Klüngel wollte selbst darüber bestimmen. Zu diesem Zweck wurden erstmalig bei einer Europawahl "Spitzenkandidaten" ins Rennen geschickt, von denen nach dem Willen der Europa-Politiker der Wahlsieger zum Kommissionspräsidenten ernannt werden sollte. Offiziell wollten die Befürworter dieser neuen Variante die Wahlbeteiligung erhöhen. Dieses Ziel wurde verfehlt. Trotz des inszenierten Showdowns der beiden (wie selten vergessen wird, hinzuzufügen) "großen Europäer" Martin Schulz und Jean Claude Juncker war die Wahlbeteiligung mit europaweit 42,54% knapp geringer als bei der Europawahl 2009. In den sozialen Netzwerken kursierten Aufrufe, die Wahl zu boykottieren, in der Slowakei gingen nur 13% wählen, in Tschechien 19%. Aber dass die Wahlbürger Europa die kalte Schulter zeigten, beziehungsweise EU-skeptischen bis offen EU-feindlichen Parteien Rekordergebnisse bescherten, interessiert in Brüssel einfach niemanden. Man gewinnt als Bürger tatsächlich das Gefühl, Berufseuropäer wie Juncker oder Schulz würden sich selbst bei einer Wahlbeteiligung von 20% ausreichend demokratisch legitimiert fühlen.

Ich liebe Europa, aber das europäische Motto lautet immer noch "Einheit in Vielfalt", nicht "Einheit in Einfalt". Ich sehe in der EU durchaus keinen sinistren Plot finsterer Gestalten am Wirken. Auch glaube ich, dass die Berufseuropäer (und die ihnen sekundierenden Meinungsmacher) in ihrem heiligen Eifer tatsächlich überzeugt sind, ihr Wirken würde Wohlstand und Frieden für unsere Zeit bedeuten. Aber wie alle Utopisten unterschätzen unsere Eliten den Faktor Mensch und verachten ganz offensichtlich einfache Leute - anders kann ich mir die herablassenden bis bösartigen Kommentare nicht erklären - und mir persönlich reicht es jetzt einfach. Sorry, aber ihr hattet sechs Jahre Zeit für eine Blut-, Schweiß- und Tränenrede, für eine Rede über Bewahrung und Rückgewinnung von internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Statt dessen gab es Reden über mehr europäische Solidarität (sprich mehr Transferleistungen von Nord nach Süd), mehr Konjunkturimpulse (sprich:mehr Steuergelder mit der Gießkanne auskippen und hoffen, dass schon irgendetwas wächst), mehr UmFAIRteilung und Absurditäten wie das bedingungslose Grundeinkommen.

Ihr hattet sechs Jahre Zeit für ehrliche Worte an eure Völker, für das Eingeständnis schwerer Fehler und die Bitte um Geduld und Vertrauen, weil wir uns ja tatsächlich alle zusammen auf stürmischer See befinden. Ich wäre dafür empfänglich gewesen. Aber was ich von den Neo-Feudalisten und den Neo-Jakobinern zu hören bekam, waren Bullshit, Lügen, Beleidigungen, Verleumdungen, und jetzt bin ich mit diesem Thema einfach durch. Ich will keine "Vereinigten Staaten von Europa" und auch keine weiteren Schritte in diese Richtung. Ich will nicht von europäischen Kommissaren regiert werden. Ich will nicht für spanische Pleitebanken haften; ich will nicht, dass noch meine Urenkel für griechische Schulden zahlen müssen. Ich will keine "Europäische Arbeitslosenversicherung", und ähnliche neue Transferströme. Und vor allem will ich nicht diesen unkontrollierten Zuzug von Millionen Menschen aus den ärmsten, rückständigsten und gewalttätigsten Regionen der Welt, weil - in der Logik des bereits erwähnten "alternativlos" - der "Traum von Europa" stirbt, wenn man wieder anfängt, an Europas Grenzen Menschen zu kontrollieren.

Aber letztes Jahr beim G7-Gipfel in München war es ja schließlich auch kein Problem, zeitweilig das Schengen-Abkommen auszusetzen und Grenzkontrollen durchzuführen. Übrigens recht erfolgreich. In dieser kurzen Zeit wurden 135 mit Haftbefehl gesuchte Personen gefaßt, zahlreiche Delikte aufgedeckt und 3.517 Menschen vorläufig festgenommen, darunter viele Schleuser. Aber wenn es ok ist, für "eure" Sicherheit das Schengen-Abkommen zeitweilig auszusetzen, warum müssen dann, wenn es um unsere Sicherheit geht, selbst in Ausnahme-Situationen wie dem zeitweiligen Ansturm von bis zu 10.000 Menschen täglich, das Schengen-Abkommen in Kraft und die Grenzen offen bleiben? Weil die Nebenwirkungen dieser "Willkommenspolitik" einfach ein Preis sind, den die Politiker, Wirtschaftslenker, und die Bewohner der feinen Villengegenden und der hippen, alternativen, urbanen Zentren bereit seid, die Bewohner der Problemviertel bezahlen zu lassen?

Weil sonst schließlich "der Traum von Europa" stirbt? Wessen Traum ist das eigentlich heute noch? Meiner schon lange nicht mehr. Mein Traum ist eine ergebnisoffene Debatte über die Zukunft Europas.

Wolfram Ackner (46) ist  von Beruf Schweißer im Anlagen- und Behälterbau. Er lebt in Leipzig und schreibt neben seinem bürgerlichen Beruf Kurzgeschichten und andere Texte

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Toni Aigner / 10.07.2016

Lieber Herr Ackner, vielen Dank für ihren bewegenden Schriftsatz. Aus ihnen spricht der gesunde Menschenverstand und eine sensible, gerechtigkeitsempfindende Seele. Ihre Zeilen sollte man allen Medien zur Verbreitung anbieten. Beste Grüße aus Halle, von einem ehemaligen MAM (mit Schweißerpass).

Peter Vollmer / 10.07.2016

Brillante Analyse, schrieb hier ein Leser. Und Hut ab und Klatschen- all diesen Adjektiven schließe ich mich an:-). Nach der Wende befanden wir uns auch in einer Art Rausch- jetzt ist ALLES möglich, die Welt steht offen usw.. Aber hat denn die Welt auf uns gewartet? Und nach den Reisen zu den Niagarafällen (unser Herzenswunsch) setzte die Ernüchterung ein. Das kostet ja ´ne Menge Geld, die Leute dort haben auch Sorgen und kochen nur mit Wasser, und: ohje, wie klein die Gebäude in Niagara Falls waren und nicht sehr gepflegt. Die Reiseleiterin hat uns viel über Kanada und den Nöten und Problemen der Menschen dort erzählt. Auch die Einführung des Euros haben wir sehr skeptisch beäugt- und nun hat sich alles bewahrheitet, was der eigenständig denkende Prof. Dr. Hankel immer wieder gebetsmühlenartig gepredigt hat. Heute habe ich gelesen, dass sogar der Hardliner Friedrich Merz meinte, wenn er das Desaster mit dem Euro von heute auch schon vor 20 Jahren gewusst hätte, hätte er dem allem nicht zugestimmt. Lesen hilft manchmal, Herr Merz und wenn es “nur” der Hankel ist.

Stefan Klüppel / 10.07.2016

Ich bin auch Malocher. LKW Fahrer. Ich finde, die Schuld auf die sogenannten Eliten zu schieben, ist falsch. Denn im Gegensatz zur DDR hat man heute an der Wahlurne eine Auswahl! Demokratie lebt vom Mitmachen, vom Miteinander. Davon, sich zu informieren und eine Meinung zu bilden. Und dann die Partei zu wählen, die der eigenen Meinung am nächsten kommt. Und regelmässig alle 4-5 Jahre kann man seine Stimme erneut abgeben. Woher die Interesselosigkeit in Tschechien und der Slowakei kommt, ist mir ein Rätsel. Wenn jemand von der EU profitiert, dann gerade diese Staaten. Beim Brexit haben nur 72% ihre Stimme abgegeben. Dabei war angeblich bei den unter 50jährigen eine deutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU. Die Brexitbefürwörter Nigel Farage und Boris Johnson kommen ebenfalls aus der sogenannten Elite. Vorher haben die die Folgen eines Austritts verharmlost und für alles was schlecht ist, der EU die Schuld gegeben. Geldverschwendung und Vetternwirtschaft und Zuviel Bürokkratie gibt es schliesslich weder auf nationaler Ebene noch in den Provinzen und Kommunen??????? Keine Rede davon, daß schliesslich in Ministerräten und EU Gipfeln und, ja auch da!, im europäischen Parlament gemeinsam beschlossen wird. Nun wird den Briten bald dämmern, daß sie eben keine Kosten sparen durch den Austritt. Daß es ganz alleine viel schwerer ist, die eigenen Interessen weltweit zu vertreten. Denn das britische Weltreich gibt es nicht mehr! 1998 hatte sich eine Partei gegründet. Die Initiative pro DM. Die wollten die Euroeinführung verhindern. Bei der entscheidenden Bundestagswahl, sind da überhaupt 75% hingegangen? Der Euro ist heute für die südeuropäischen Länder eine Belastung. Dies liegt vor allem daran, daß es allen Ländern schwer fällt, auch Deutschland und Frankreich!, die selbst beschlossenen Regeln zu beachten. Der Euro war von Beginn an eine inflationsfreie Währung. Aber dazu gehört eben auch eine solide Wirtschaftspolitik.  Und da liegt der Hase im Pfeffer. Die Vorteile, die Europa bietet, sind für viele so selbstverständlich, daß übersehen wird, daß es das nicht einfach so geben kann sondern erarbeitet werden muss!!!!!!!! Wenn jetzt einfach so der Euro wieder abgeschafft wird, dann wird erst einmal wieder Angst und Verunsicherung um sich greifen. Die Länder mit Lira, Drachme, Peseta und Escudo usw. werden erst einmal Preissteigerungen erleben, weil mit schwacher Währung die Importe teuer werden. Gleichzeitig wird die schwache Währung beim Export nicht allzuviel nützen. Denn wenn eine Wirtschaft auf Landwirtschaft und Tourismus basiert und die Industrie zu schwach ist, sind auch keine grossen Exportgeschäfte zu machen. Jahrzehntelang haben sich vor allem die Griechen von ihren sogenannten Eliten aufs Glatteis führen lassen und brav ihre Bestechungsgelder bezahlt, um gute Jobs, gute Arztbehandlung und guten Unterricht für ihre Kinder zu bekommen. Das war nicht die Schuld der EU!!!!! Nun müssen die kleinen Leute es ausbaden, daß sie sich von den Grossen haben bevormunden und berauben lassen. Und zwar deswegen, weil sie z.B. die Steuerfreiheit für Reeder einfach hingenommen und alles mitgemacht haben. Und das im Geburtsland der Demokratie. Wenn Europa kaputt geht, dann wenn jeder nur an sich denkt und keiner das Miteinander will. Wenn man bedenkt, wieviel Geld jedes EU Land für seinen Verteidigungshaushalt ausgibt und wie wenig effizient das Ergebniss ist, wäre das ein schönes Beispiel dafür, was ein gemeinsames Handeln erreichen kann. Mit dem Geld, was jedes Land einzeln für die eigene Armee ausgibt, liesse sich eine europäische Armee finanzieren, die der EU weltweit ein ganz anderes Gewicht verleihen würde. Dann wäre es leichter, die USA, Russland und China in ihre Schranken zu weisen und schlicht auf die Einhaltung des Völkerrechts zu pochen.

Niels Dettenbach / 10.07.2016

Als “Ex-Zoni” kann ich den Artikel nur begrüßen, allerdings.: 1.) Der Boom und Crash der “neuen Märkte” war ein Produkt naiver Gier und hat fastxnur jene getroffen, die dieser Gier freiwillig nachgerannt sind, während - als Sklave des Staates bzw der Demokratur - jeder für die Gier eines Teils der Bevölkerung / der Staatskaste aufzukommen hat, ohne überhaupt sein Einverständnis gegeben zu haben. Meinetwegen können Leute freiwillig mit ihrem Geld hocken, sie ihnen beliebt - staatlicher Etatismus und Sozialismus jedoch bedeuten, das Leute auf anderer Kosten oder/und Risiko leben oder zocken. 2.) Wer dem Staat vertraut - dem wohlfeilen Versprechen von Menschenfängern , die im Gegenzug “nur etwas” Macht - im Klatext: die Freiheit des Einzelnen - fördern, muss sich nicht wundern, wenn er verarmt in der Diktatur aufwacht. Gerade das sollte eigentlich jeder Deutsche - vor allem DDR Bürger - verstanden haben, aber selbst neue rote SED Ministerpräsidenten zeigen, das dem wohl immer noch nicht so ist. Der Sozialismus in braun und rot, später im stasi-finanzierten rotgrün und mit schwarz heute in “bunt” feiert als ewiger Wiedergänger in Deutschland stetig neue erhoffte Endsiege… Die Idee des ewigen naiven Kind-Seins, indem bei Erwachsenen das Staat die Rolle des Elternhauses übernimmt, ist so beliebt die selbstverständlich im Land. Schon Stresemann wusste in der Weimarer Republik: Wenn es den Deutschen an etwas fehlt, dann ist es der Mut zur eigenen Verantwortung. Recht hatte er ... und ja, er meinte die höchstpersönliche Verantwortung eines jeden Deutschen für sich selbst und sein eigenes Leben wie seine Person…

Peter Meyer / 10.07.2016

Sie haben es gut analysiert, schade, dass hier wahrscheinlich keine Politiker mitlesen. Sie müssten diesen Beitrag in einer aktuellen Stunde des Bundestages vortragen, das live im TV zur besten Sendezeit! Anstatt Heute Sendung oder Tagesschau! Wenn dann ein Volk immer noch nicht erwacht und sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, dann werde ich es den Rest meines Lebens auch nur noch mit Rotwein versuchen.

Wolfgang Richter / 10.07.2016

Sehr geehrter Herr Ackner, ich bin im Westen aufgewachsen, was aber nichts daran ändert, daß ich auch als “Wessi” ein Gefühl dafür habe, daß die im eigenen Mikrokosmos kreisenden Eurokraten -da zähle ich neben den Brüsselern auch Draghi, Merkel, Hollande und sonstige Stützen der Eurokratur zu dem elitären Kreis- die Bürger der betroffenen Länder, in manchen ganze Generationen,  schlicht und einfach um ihre grundsätzlich vorhandenen positiven Lebensperspektiven bewußt betrogen haben, dies nicht, weil die Umstände es so wollten, sondern weil man das europäische Schiff bewußt ideologisch verblendet, nur das Wohl einer kleinen Clique der oben schwimmenden Fettaugen im Blick, voll auf das Riff gesemmelt hat. Ca. 1 Jahr nach der €-Einführung in Lettland hat ein Reporterteam eines der 3. Programme das Land bereist u. in den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung nach den Erfahrungen mit der Kunstwährung gefragt. Das Fazit war, daß die ca. 10 % der wirtschaftlich besser gestellten, meist als Unternehmer Tätigen, profitierten. Für eine kleine Gruppe hat sich nichts geändert, während die übrigen ca. 75 % mit den steigenden Lebenshaltungskosten bei nicht angepaßten Gehältern noch mehr “zu knappsen” hatten, als vorher schon. Auch dort war die von den Medien und den Polit- und Wirtschafts-funktionären mit Feuerwerk und lobhudelnden Reden nach außen getragene Euphorie sehr schnell den Erfahrungen des eher grauen Alltags der “kleinen Leute” gewichen. Man fühlte sich “über’s Ohr gehauen”. Die Reaktionen auf den Brexit lassen von Einsicht und Selbstreflexion der “Macher” nichts erahnen. Stattdessen kommt ein weiter so, nur schneller u. die Reflexe zur Harmonisierung der Gurkenkrümmung sind auch wieder aktiv, wenn ich zur Kenntnis nehmen muß, daß man nun seitens “Brüssel” die Abschaffung von umweltschädlichen Rasenmähern ins Auge faßt, deren Betrieb angeblich für 15 der freigesetzten Stickoxide u. 5 % des Feinstaubs verantwortlich seien. Immerhin scheint es in von Brüssel verwalteten Europäischen Landen entsprechend viele und weite Rasenflächen zu geben, die aufwendig mit Benzinmähern kurz gehalten werden, vermutlich auch alternativlos, weil Schafe auch pupsen u. entsprechend Klima schädigend wirken. Und was die viel beschworene Kriegsgefahr im Falle des Scheiterns des “Brüsseler Europa” angeht, so glaube ich, daß sich die Volkschaften der Länder entsprechend weiter entwickelt haben, daß sie sich von irgend welchen verblendeten “Eliten” nicht mehr aufeinander hetzen lassen. Da dürften die “einfachen Leute” bereits weiter sein,  als die “Eliten” . Zumindest habe ich diese Hoffnung gewonnen bei meinen diversen Reisen durch West- und Ost- Europa, noch mit Grenzkontrolle und auch ohne, mit € und jeweils eigener Landeswährung.

Andrea Reich / 10.07.2016

Es ist erschreckend zu erkennen, wie gravierend sich die Vorstellungen von einem gemeinsamen Europa zwischen denen, die es finanzieren und denen, die treuhänderisch dessen Werte verwalten, unterscheiden. Dem Souverän werden von den Verwaltern allenfalls die Rechte von Pflegeheiminsassen zugestanden. Irgendwie denke ich gerade an korrekte Massentierhaltung. Gecheckt haben die Briten da etwas, bzw. noch rechtzeitig vor langer Zeit auch die Dänen und Norweger. Noch scheint es sich für viele hier wohlig anzufühlen so im eigenen warmen Mist, aber wie hieß das nochmal?: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.”

Ronald B. / 09.07.2016

Danke! Es ist ein wunderbares Gefühl, einmal mehr zu sehen/zu lesen, dass “irgendwo da draußen” noch Menschen mit so klarem Verstand sind! Die Probleme der jüngsten Geschichte sind in diesem kurzen Text so komplett und konkret benannt, dass allen (Eliten), die sie nicht sehen (wollen), nur böswilliger Vorsatz unterstellt werden kann.

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