Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 27.07.2013 / 00:06 / 1 / Seite ausdrucken

Europas neue ‘Haftungs’-Union

Letzte Woche schrieb ich darüber, wie die Eurokrise bis zur deutschen Bundestagswahl auf Eis gelegt wurde (Die Eurokrise auf deutsches Eis gelegt, 26. Juli). Eine der von diesem Aufschub der Krise betroffenen Maßnahme ist die so genannte Bankenunion. Wird sie umgesetzt, könnte sich dies als kostspieliger erweisen als die bisherigen Bailouts für die Peripheriestaaten. Kein Wunder, dass deutsche Politiker vor der Wahl nicht gerne darüber sprechen.

Der Begriff ‘Bankenunion’ wirkt ein wenig wie ein Wort aus Alice im Wunderland. Es hat die Bedeutung, die EU-Politiker und die Zentralbank ihm verleihen, nicht mehr und nicht weniger. Für naive Beobachter meint dies hauptsächlich eine technische Verlagerung der Finanzaufsicht auf die Europäische Zentralbank – und das ist sie in gewisser Hinsicht auch. Sie bildet aber auch ein europaweites Einlagensicherungssystem und einen Mechanismus für den Umgang mit insolventen Finanzinstituten. Das ist der Weg, auf dem die angebliche ‘Banken’-Union sich rasch in eine Haftungsunion verwandeln wird.

Wenn es bei dieser Union nur um die Einführung einheitlicher Finanzaufsichtsstandards für Europas Banken ginge, wäre kaum jemand dagegen. Eine solche Maßnahme würde wahrscheinlich sogar einen europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen fördern. Die einzige Frage wäre die, ob die EZB wirklich die am besten geeignete Institution eine solche Aufsicht wäre. Der Interessenskonflikt der EZB zwischen ihrer Funktion als Kreditgeber für Europas Banken und als deren Aufsichtsbehörde liegt auf der Hand, vor allem, da einige Banken schon jetzt zum Überleben auf die EZB angewiesen sind.

Der Wunsch, die Pläne für eine Bankenunion durchzusetzen, hat jedoch mit solchen Überlegungen wenig zu tun. Er ist hauptsächlich von der Angst vor den neun Billionen Euro Schulden in den Büchern von Geschäftsbanken in den Krisenländern getragen, von denen ein beträchtlicher Teil toxisch sein könnte.

Die Berechnungen zur Höhe notleidender Kredite schwanken, die besten Schätzungen liegen jedoch irgendwo zwischen 500 Milliarden und 1 Billion Euro. Zu irgendeinem künftigen Zeitpunkt müssen diese Kredite abgeschrieben werden.  Falls (oder eher wenn) das geschieht, wird jemand die Zeche zahlen müssen – und bei der gesamten Diskussion um die Bankenunion geht es eigentlich darum, wer dieser Jemand sein wird.

Im bisherigen Verlauf der Eurokrise galt die größte Sorge der Solvenz der Staaten. Als die Renditen für Staatsanleihen an der Euro-Peripherie zu steigen begannen, waren die gemeinsamen Bemühungen der Europäischen Union und der EZB darauf gerichtet, sie wieder zu senken. Zu diesen Bemühungen gehörte die Bereitstellung hoher Zentralbankkredite an den Bankensektor in der Hoffnung, diese zinsgünstigen Kredite würden zur Aufnahme von höher verzinslichen Staatsschulden verwendet.

Wie inzwischen deutlich geworden ist, hatten diese Operationen unter Umständen zwar eine beruhigende Wirkung auf die Staatsanleihen, erhöhten jedoch die Anfälligkeit der Finanzinstitute. Die Banken der europäischen Peripherieländer sind vollgestopft mit Anleihen ihrer eigenen Nationalstaaten und stehen dadurch eigentlich schlechter da als zu Beginn der Eurokrise.

Es ist klar, dass Europas Bankensektor, der allgemein als zu groß gilt, früher oder später auf einen gesünderen Umfang schrumpfen wird und dass dieser Prozess einige angeschlagene Banken zwingen wird, entweder zu schließen oder sich verstaatlichen zu lassen. Befürworter einer europäischen Bankenunion, vor allem aus der Euro-Peripherie und der Europäischen Kommission, versuchen zu erreichen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM für den größten Teil der Verluste aufkommt. Diese Lösung sieht sehr nach einer Einladung zu fahrlässigem Verhalten aus und könnte sich für Euro-Kernländer wie Deutschland als kostspielig erweisen.

Nach diesen Plänen wären die nationalen Regierungen nicht verpflichtet, die Banken ihrer Länder zu retten, wenn dies ihre eigene Solvenz gefährden würde. In der Praxis sind dann hohe Einlagen von Peripherieländern in ihren Bankensektor kaum zu erwarten. Entscheidend ist, dass auch verschiedene Kategorien von Einlagen aus den Plänen ausgenommen würden, wie etwa Kredite von der EZB, aber auch private Einlagen bis zu 100.000 Euro.

Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung, warnt in einer Kolumne für die deutsche Zeitung Wirtschaftswoche in dieser Woche, angeschlagene Banken würden als Reaktion auf diese Anreize wohl “versuchen, ihre Gläubigerstruktur so umzuschichten, dass es praktisch nur noch geschützte Gläubiger gibt.” Dadurch wäre dann der ESM gezwungen, alle Kosten der Bankpleiten und Sanierungsmaßnahmen zu tragen.

Im Bailout von Zypern Anfang dieses Jahres wurden erstmals Einleger zur Bankenrettung herangezogen, um die Steuerzahler zu schützen. Damals wurde dies zum Modell für zukünftige Krisen erklärt. Wenn jedoch nach wie vor der Schutz der Steuerzahler das Ziel ist, lässt sich dies mit der geplanten Bankenunion nicht erreichen. Im Gegenteil, sie würde die (überwiegend deutschen) Steuerzahler gegenüber dem ESM anfällig machen.

Leider werden die Deutschen möglicherweise auch noch auf andere Weise für die Bankenunion zahlen. Wenn Pläne für ein gemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem verabschiedet werden, sind davon die Sparer in den Euro-Kernländern betroffen. Vor allem Deutschlands zahlreiche Genossenschaftsbanken sind besonders strikt gegen ein solches System. Da ihre eigene Form der Einlagensicherung über eine gute Kapitalausstattung verfügt, sind sie wenig geneigt, für spanische, italienische oder griechische Sparer zu zahlen.

Einstweilen jedoch sind die Pläne für eine europäische Bankenunion auf Eis gelegt. Wie Maltas Premierminister Joseph Muscat letzte Woche in einem Interview mit Bloomberg erläuterte, ist der Grund für die Verzögerung die deutsche Bundestagswahl: “Die EU bleibt bis zur Wahl in Wartestellung.” Danach rechnet er mit der Bildung einer Bankenunion.

Nach der Bundestagswahl am 22. September könnte es durchaus ein böses Erwachen geben. Die ahnungslose deutsche Öffentlichkeit wird schnell herausfinden, in welchem Zustand sich der Euro tatsächlich befindet, wie viel Sparguthaben er kosten wird und welchen Anteil an Bankverlusten in der Euro-Peripherie die deutschen Sparer und Steuerzahler werden übernehmen müssen.

Und sie werden außerdem lernen, dass der scheinbar harmlose Begriff ‘Bankenunion’ eines der teuersten Projekte bezeichnen könnte, das Deutschland jemals aufgezwungen wurde.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der New Zealand Initiative (www.nzinitiative.org.nz).

‘Europe’s new ‘liability’ union’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 25. Juli 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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Rudi Wolf / 29.07.2013

Da hat der gute Hartwich absolut recht. Es wird nach dem 22. September ein böses Erwachen geben. Schade nur das es fast keinem in diesem Land auffällt was sich da anbahnt. “Wir sind das Volk, wir dürfen ignorieren was wir wollen und dürfen uns von der Politkaste bescheißen lassen so oft wir wollen”

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