Vera Lengsfeld / 13.09.2016 / 11:00 / Foto: Rocky Roe / 9 / Seite ausdrucken

Europa zu Besuch beim Arzt

Der Untergang Europas: Das ist der etwas reißerische Titel eines kleinen, sehr lesenswerten Buches des britischen Essayisten Anthony Daniels. Es enthält Beiträge, die er unter seinem Pseudonym Theodore Dalrymple veröffentlicht hat. Natürlich wird Europa nicht untergehen, aber es ist dabei, sich in immer schnellerem Tempo bis zur Unkenntlichkeit zu verändern.  Dalrymple beschreibt einen beklemmenden Prozess, der von der Mehrheit der Europäer eher unterbewusst wahrgenommen, als kritisch beobachtet  wird.

Dalrymple, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Arzt und Psychologe ist, verarbeitet den reichen Erfahrungsschatz  seiner Berufstätigkeit. Als Arzt in sozialen Problemvierteln konnte er beobachten, wie der Sozialstaat in England Menschen systematisch zur Verantwortungslosigkeit verleitet, weil die Menschen vor den materiellen Folgen ihres Tuns bewahrt werden.

Mehr als 40 Prozent der britischen Kinder werden unehelich geboren, die meisten davon in der Unterschicht.  Indem der Staat durch die Versorgung dieser Kinder die Stelle der Väter einnimmt, werden die Männer von aller Verantwortung befreit. Sie handeln in vollem Wissen, was sie ihren Kindern antun, die  sie in einer vaterlosen Patchwork-Familie aufwachsen lassen. Indem der Staat den Menschen die Verantwortung für ihr Leben abnimmt, reduziert er sie auf den Status eines Kindes, “launenhaft, fordernd, nörgelnd, egozentrisch und auch gewalttätig, wenn es nicht nach seinem Willen läuft“. 

Der Staat bügelt individuelle Verantwortungslosigkeit aus

Der Staat bügelt nicht nur durch Umverteilung die materiellen Folgen individueller Verantwortungslosigkeit aus, sondern versucht, die „emotionalen, erzieherischen und geistigen Folgen durch eine Armee von Sozialarbeitern, Psychologen, Pädagogen, Beratern und dergleichen mehr zu beheben“. Die Frage ist, was passiert, wenn mal die Mittel nicht mehr vorhanden sind, die gegenwärtige Rundumversorgung aufrecht zu erhalten. Dalrymple macht die Feigheit und die „ideologische Liederlichkeit“ der Intellektuellen für  das kommende Desaster verantwortlich, das um so schlimmer ausfallen wird, als die westliche Gesellschaft bereits atomisiert und die Solidarität von Gemeinden und Familien zerstört ist.

Die Probleme werden durch die anhaltende Einwanderung verschärft. Bereits jeder dritte Bewohner Großbritanniens  wurde außerhalb der Landesgrenzen geboren. Nicht nur bei Briten, sondern auch bei Zugewanderten macht sich ein immer größer werdendes Unbehagen breit, dass Großbritannien seinen nationalen Charakter verloren hat. Damit geht eine Erosion des Rechtsstaates einher. Der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, hat bereits öffentlich dafür plädiert, die Scharia ins britische Rechtssystem zu integrieren, denn Menschen , die in einer multikulturellen Gesellschaft leben, sollten wählen können, unter welcher Rechtssprechung sie leben möchten. In der Konsequenz fordert der Kirchenmann die Legalisierung der Steinigung, gegen die sich Jesus gewehrt hat.

Die Mehrheit der Bevölkerung Großbritanniens, auch der zugewanderten, will die Einwanderung deutlich begrenzen. Aber kaum jemand wagt es, das zu sagen. Diese Zurückhaltung ist nach Ansicht des Autoren das Ergebnis der ununterbrochenen Propaganda von „Intellektuellen der selbsthassenden Sorte, welche die Zerstörung der nationalen Identität gutheißen“. Die findet man auch in Deutschland zuhauf.

Multikulturalismus als Ausdruck kultureller Demontage

Die Doktrin des Multikulturalismus entstand laut Dalrymple als Antwort auf einen Zuwandererstrom, von dem man anfangs glaubte, er sei nur temporärer Natur. Die Zuwanderer sollten den Kontakt zur Heimat halten, in die sie zurückkehren würden. Inzwischen ist Multikulturalismus das Schlagwort für die kulturelle Demontage der Aufnahmeländer und das Banner, unter dem sich die Gegner der westlichen Demokratie versammeln.

„Sogenannte Experten für kulturelle Sensitivität und Chancengleichheit - das sind in aller Regel Leute, deren Ambitionen bei weitem ihr Talent übersteigen...- schufen sich  kleine Imperien, deren Existenz abhing vom Vorhandensein ethnischer  und anderer sozialer Brüche.“ Die Personalabteilung von Dalrymples Krankenhaus verteilt inzwischen Fragebogen, mit Details über Rasse (17 Kategorien), Religion (7 Kategorien), sexuelle Orientierung (6 Kategorien), Familienstand (6 Kategorien). Die sich daraus ergebenden Kombinationsmöglichkeiten sorgen dafür, dass den Gleichstellungsbeauftragten die Arbeit niemals ausgeht.

Auf diese  Weise werden alle möglichen Minderheiten kreiert. Man muss berechtigte Zweifel haben an der Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft, in der hunderte Minderheiten um den größtmöglichen Anteil an den umverteilten Ressourcen konkurrieren. Vermehrter Kontakt zwischen Menschen führt nicht unbedingt zu mehr gegenseitiger Sympathie, stellt Dalrymple fest. Er belegt seine These mit dem Hinweis auf  die größtenteils in Großbritannien geborenen und ausgebildeten Terroristen, meist Kinder vermögender muslimischer Kleinunternehmer, denen alle Karrieremöglichkeiten offengestanden hätten.

Ethnische und kulturelle Zwistigkeiten gebären radikalen Fremdenhass.  Dalrymple weist darauf hin, dass es schon Streiks in Ölraffinerien und Kraftwerken gegeben hat, bei denen gegen fremde Arbeitskräfte protestiert wurde, selbst wenn die aus der EU kamen. Das ist erst das Wetterleuchten, der Gewittersturm kommt noch. Es sieht nicht gut aus für das europäische Projekt.

Theodore Dalrymple: Der Untergang Europas

Ebenfalls zum Thema: Henryk M.Broder Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken

Dieser Text erschien zuerst auf "Freedom is not free".

Foto: Rocky Roe CC BY 2.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 13.09.2016

Die Briten haben mit dem “Brexit” die Reißleine gezogen, aber vermutlich den richtigen Zeitpunkt bereits seit längerem verpaßt. Die beschriebenen Rivalitäten zwischen den konkurrierenden Anspruchstellern auf die kleiner werdenden Ressourcen des “Nanny- Staates”  werden sicher nicht reibungslos verlaufen. Daß die EU-Granden nicht bereit sind, die Folgen ihres Tuns zu begreifen und daraus zu lernen, zeigt der aktuelle verbale Ausfall des Luxemburgers Asselborn, der Ungarn u. a. wegen seiner sperrigen Haltung zur Zuwanderung per Balkanroute aus der EU befördert sehen will, wegen der dort praktizierten Ablehnung der angeblichen Werte dieses Kunstprojektes von Intellektulllen u. vor allem an der Selbstversorgung interessierter Politiker, wobei witzigerweise der u.a. durch die Maßnahmen der Balkanländer gestoppte Massenzuwanderung von den selben Leuten als Erfolg ihrer Politik versucht wird zu verkaufen.

Burkhart Berthold / 13.09.2016

Mit einem Wort: Enoch Powell hatte recht.

Hans Wartner / 13.09.2016

Sehr geehrte Frau Lengsfeld Oswald Spengler hat das ähnlich schon vor knapp 100 Jahren durch Vergleich unterschiedlicher Kulturen erkannt und in “The Decline of the West” beschrieben. Es lässt sich nicht aufhalten. Die westliche Zivilisation als Höhepunkt abendländischer Kultur geht mit raumgreifenden Schritten ihrem nahenden Untergang entgegen. Ich hoffe, er geht für uns schnell und schmerzlos, fürchte mich dennoch nicht. Die Welt wird es überleben.

Dietrich Herrmann / 13.09.2016

Hervorragender Artikel, Frau Lengsfeld! Für mich einige neue Aspekte, die zu bedenken sind.

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