Gunnar Heinsohn / 03.04.2017 / 06:00 / Foto: Olivier Luma / 7 / Seite ausdrucken

Brexit: Europa hat die große Klappe, Britannien den Hammer

Ziemlich abfällig lauten viele Kommentare zum britischen Kündigungsbrief vom 29. März 2017. Es sei doch London, dass etwas von der EU wolle und nicht umgekehrt. Theresa May „bettele“ um Entgegenkommen und liefere eine naive „Wunschliste“.  Dabei halte Brüssel alle Trümpfe in der Hand und sitze am längeren Hebel. Aus Berlin ist das selbstverständlich Dauertenor. Doch am 30. März droht auch Frankreichs Präsident Hollande, dass erst nach Londoner Zusagen über saftige Zahlungen substantielle Verhandlungen geben könne. Das macht guten Sinn für ein Land, aus dem 2015 rund 10.000 und 2016 schon 12.000 Millionäre, also Könner aus der oberen Mittelschicht und darüber geflohen sind.

Der Brexit scheint mit einem Stillstand zu beginnen. Dabei gibt es noch viel heftigere Klagen über die Engländerin. In ihrem Brief sorgt sie sich nämlich explizit um eine „Schwächung“ der Geheimdienstkooperation und der militärischen Zusammenarbeit, falls Brüssel Unmögliches verlange. Das nun wird als rundweg niederträchtig verworfen. Vor allem Guy Verhofstadt, flämischer Chefunterhändler für das EU-Parlament, zeigt sich empört und obendrein zutiefst erschüttert, dass der militärische Schirm für die Europäer etwas kosten könnte. Weil er ein Gentleman sei und sie nur eine Frau, wolle er auf Drohungen in Namen der Europäer jedoch verzichten. Dass seine belgische Heimat mit nur 0,9 statt 2 Prozent Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt – neben Spanien und Luxemburg – Europas größter Sicherheitsschnorrer sei, spiele in diesem Kontext überhaupt keine Rolle. 

Das aktuelle Maximum für Londons Zahlungen - aus zukünftig fällig werdenden Verpflichtungen -  liegt bei 87 Milliarden Euro. Das wird zwar mit viel Frohlocken berichtet, könnte einige der 27 verbleibenden EU-Mitglieder aber auch nachdenklich stimmen. Denn es geht bei der Summe ja nur um den auf London entfallenden 15-Prozentanteil. Die übrigen 637 Milliarden müssen irgendwann auch aufgebracht werden. Sollte sich das von Berlin geforderte eiserne Zusammenstehen im Abtragen dieser Schuld beweisen müssen?  Doch die Laune hellt sich in London bei Berechnungen seines 15-Prozentanteils am Vermögen und auch den Weinkellern der EU schnell wieder auf. Bei den verwöhnten Bürokraten gibt es vor allem zum Rebensaft ein homerisches Gelächter. Sie sind erstklassige Kreszenzen aus besten Terroirs gewöhnt und würden die englischen Weißweine aus ihren Gewölben lieber heute als morgen verbannen.

Könnte womöglich Washington helfen?

Gewiss wird man in Brüssel auch weiterhin kostspielig dinieren. Wie aber soll das den Brexit voranbringen? Könnte womöglich Washington helfen? Zuhören würde man in Europa schon; denn wie es bisher unter Berliner Führung gegen London und Amerika ausging, hat man in etlichen Hauptstädten nicht vergessen.

Donald Trump hätte also mit einer generösen Geste die Chance zur großen Vermittlung. Er könnte daran erinnern, dass er Angela Merkel kürzlich eine Rechnung über knapp 347 Milliarden Euro für den NATO-Schutz der letzten Jahrzehnte aufgemacht habe. Für eine freundschaftliche Scheidung zwischen London und Brüssel werde er auf die 87 Milliarden Euro verzichten, die Merkel über seinen Danziger Namensvetter Donald Tusk jetzt von London wolle. Umgehenden Verhandlungen über bilateral vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen stehe damit nichts mehr im Wege.

Da er ja berüchtigt dafür sei, bei seinen Deals sehr hoch einzusteigen, werde er die Schlichtung für Berlin noch attraktiver machen und weitere 60 Milliarden einfach streichen. Für lediglich noch 200 Milliarden Nachzahlung bleibe Amerikas Garantie für Europa erhalten. Das wären gerade zwei Fünfjahresraten für die gleich mitbeschützten Flüchtlinge von 2015, was ganz lässig ohne Zusatzverschuldung gestemmt wurde.

Natürlich hätte Berlin nach diesem Schnäppchen in Zukunft dann doch zu leisten, was es bisher für das Erlangen ökonomischer Vorteile, aber zum Nachteil des Bürger-Schutzes versäumt hat. Da er bereits wisse, dass Deutschlands Außenminister Gabriel jede weitere Rüstung ablehnt, werde er sich auch mit jährlichen Zahlungen ins amerikanische Budget zufrieden geben.

Abrundend könnte Trump Theresa Mays Offerte vom 17. Januar 2017 in Erinnerung rufen: „Wir werden zuverlässige Partner sein, hilfsbereite Alliierte und enge Freunde“. Er wolle dem nur hinzufügen, dass Europas Schutz durch die „special relationship“ der beiden Anglo-Nuklearmächte im UN-Sicherheitsrat zwar preiswert, eigentlich aber unbezahlbar sei.

Foto: Olivier Luma CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Chaim Noll / 03.04.2017

Danke! Exzellente Analyse.

Klaus Wenzel / 03.04.2017

Wie genau sich die Dinge zwischen der EU und Großbritannien entwickeln werden, ob es zum “Brexit” überhaupt kommt und was dieser, falls er kommt, für die verbliebenen EU-Mitglieder bedeuten wird, kann heute seriös niemand sagen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird man aber bereits heute sagen können, dass die Herrn Varoufakis zugeschriebene Sentenz, “Die Deutschen werden zahlen” auch in diesem Falle zum Tragen kommt. Einer muss schließlich den durch einen Austritt Großbritanniens ausgelösten Nettozahler-Schwund ausgleichen und wer wäre besser als Deutschland dafür prädestiniert?

Igel Johannes / 03.04.2017

Bei allem Respekt. Der Autor verkennt die Realität. Die Engländer haben sich von dem weltweit größten Binnenmarkt verabschieden. Dabei genossen sie Privilegien, die sonst kein anderes Land in Anspruch nahm. Das dieser Austritt ein Schuss ins Knie, leuchtet bereits dem dümmsten Engländer ein. Der Autor scheint das noch registriert zu haben. Denn er verwechselt die NATO mit der EU. Die Verpflichtungen in der NATO haben nun überhaupt nichts mit der EU zu tun. Sie miteinander zu verknüpfen, zeigt wieder einmal, dass deutsche Intellektuelle in einem Wolkenkuckucksheim sitzen.

Alexander Rostert / 03.04.2017

Die Abschreckung durch einen Nuklearschirm funktioniert am zuverlässigsten, wenn das potentielle Ziel eines Angriffs selbst den Finger am Knopf hat - und nicht darauf angewiesen ist, dass Dritten die Verteidigung “gemeinsamer Werte” oder auch nur ein angenommenes “nationales Interesse” so wichtig ist, dass sie selbst die nukleare Vernichtung riskieren, um uns zu verteidigen. Da genau das im Ernstfall zuverlässig nicht geschehen wird, kann die Lösung nur lauten, vertragsbrüchig zu werden und den eigenen nuklearen Schutzschirm aufzubauen. Not kennt kein Gebot, wenn die Voraussetzungen des 2+4-Vertrags und des Atomwaffensperrvertrags nicht mehr gegeben sind. Die passenden Raketen und Gefechtsköpfe liefert notfalls Israel im Austausch gegen ein paar deutsche Träger-U-Boote, sollte man im Lande Wernher von Brauns, Otto Hahns und Albert Einsteins inzwischen zu dumm geworden sein, Atomraketen selbst zu bauen.

Alexander Renz / 03.04.2017

Für diese Forderungen können wir doch locker unsere Bewaffnung um die atomare Komponenete ergänzen. Fürs erste ein paar nukleare Sprengköpfe aus China, Indien oder Pakistan. Dann ein Kooperationsabkommen mit solchen Ländern über die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Raketen und modernen Sprengköpfen auch für unsere U-Boote. Dann eine Entwicklungsinitiative mit Russland andenken und eine Gegenrechnung für Trump bezüglich der Nutzung dt, Gebiete für militäridsche Aktionen weltweit. Sicherlich warden die beiden Atommächte sehr schnell ihre Schutzzusicherungen sofort aufleben lassen. Ach ja, da ist ja noch die serbische Option für Deutschland. Wir übernehmen kostenlos überflüssige Nuklearwaffen von Russland und lassen sie in Deutschland zusammen mit den Russen modernisieren.  Wenn uns der Westen nicht mehr nuclear schützen will…. dann warden wir das selber tun müssen - auch mit ABC Waffen. Der entsprechende Vertrag über deren Verzicht war ja nur durch den US/GB/GF Schutz möglich.

Gerhard Amrhein / 03.04.2017

Mal davon abgesehen, dass Britannien in Kennerkreisen als durchaus hoffnungsvolles Weinanbaugebiet der Zukunft gilt, darf man die in dem Artikel genannten Zahlen, egal ob sie nun die Kosten für den Brexit oder für die NATO beschreiben, in dieselbe Kategorie einsortieren wie die Weltkriegsreparationsforderungen der Regierung Tsipras oder das Vermögen Dagobert Ducks: Als Fantastillionen. Immerhin: Zu den wenigen NATO-Staaten, die das 2 %-Ziel nun wirklich garantiert übererfüllen, zählen Griechenland und die Türkei; für die These, dass mehr Verteidigungsausgaben automatisch zu mehr Sicherheit führen, sind diese beiden Beispiele allerdings keine sehr gute Referenz.

Wolfgang Kaufmann / 03.04.2017

Berlin meint Verteidigung ganz nach ideologischem Belieben umdefinieren zu können durch Vermischung der Schubladen Defensive (hier) und Prävention (dort). Freilich sind die Angelsachsen noch realistisch genug um effektive Waffenstärke unterscheiden zu können von Traumtänzerei à la Taka-Tuka-Land. Nur der wohlstandsverwöhnte deutsche Michel lässt sich mit Fake Defense in Form von Besenstielen und Entwicklungshilfe zufrieden stellen. Das ist der moderne Ablasshandel: Für ein gutes Gewissen zahlen wir Geld an jeden, der bereit ist es anzunehmen. Intellektuell sind wir ohnehin schon seit längerem unbewaffnet.

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