Gastautor / 21.02.2011 / 22:48 / 0 / Seite ausdrucken

Europa 2.0: Neuzuschnitt der Alten Welt

Von Gunnar Heinsohn

I.
Milliardäre sollen nicht zu Multimillionären verkommen und diese nicht als Millionäre enden. Niemals zuvor geben deshalb so viele so reichlich an so wenige. Es geht um den Segen von 2008 für einheimische Bankiers, den die deutsche Mittelschicht unge-fragt zu spenden hat. Dabei kann sie noch nichts wissen von Griechenlands Absturz im März 2010 und dem Euro-Schnappatmen ab Mai desselben Jahres.
Die 25 Millionen Bundesbürger, die mehr Steuern zahlen als sie an staatlichen Be-glückungen kassieren, zeichnen damals 545 Milliarden Euro für direkte Rekapitalisie-rungen, Ausfallgarantien und Bürgschaften. Es läuft nicht anders als in Amerika, wo etwa die 860 Partner von Goldmann-Sachs ein Vermögen von dreißig Milliarden Dol-lar haben, dann 12,9 Milliarden beim bankrotten Versicherer AIG verlieren und für deren Ausgleich nicht etwa auf 17,1 Milliarden herunter müssen – blieben immer noch rund 20 Millionen pro Kopf allein in diesem Geschäft -, sondern die 12,9 Milli-arden bis zum letzten Cent von Onkel Sam bekommen. Die Eigner der Deutschen Bank, deren Namen und Aktiva viel schlechter bekannt sind, schmunzeln bekanntlich über 11,8 Milliarden Dollar aus derselben Quelle.
2010 nun stellen unsere Tüchtigen die Eigentümer griechischer Banken so komforta-bel wie ihre deutschen oder amerikanischen Pendants. 25 Milliarden Euro gehen an die hellenische Oberschicht und ihre europaweiten Gläubiger, 150 Milliarden aus dem 750 Milliarden-Paket beschirmen die Fünfsterne-Milieus zwischen Dublin und Lissabon.  Dabei ahnen die ins Obligo gehenden Deutschen nicht einmal ansatzwei-se, wie sie das alles tragen sollen. Bei 7,2 Billionen offenen und verdeckten Staats-schulden fallen auf jeden der Nettozahler bereits jetzt knapp 290.000 Schulden, zu denen die privaten Verpflichtungen noch obendrauf kommen. 
Die Menschen wissen auch nicht, wie sie längerfristig sieben Millionen Sozialhilfe-empfänger sowie immer neue Vierteljahrgänge versorgen sollen, die niemals ausbil-dungsreif werden, aber ein Leben lang menschenwürdig zu bezahlen sind. Doch selbst diese Armee von Hilfebedürftigen ist nur die Vorhut für die Forderungen, die aus den blitzvergreisenden Staaten und Aspiranten der EU im Osten angemeldet werden. Zwischen Bulgarien und Lettland wachsen pro Frau nur knapp 1,3 Kinder auf. Man sieht seine Jungelite ziehen und steht ohne jede Attraktivität für verwendba-re Zuwanderer da. Selbst unter der irrealen Annahme, dass dort ab morgen niemand mehr weggeht, sackt die Bevölkerung zwischen Ostsee und Schwarzem Meer von knapp 160 Millionen 1990 auf nur noch 115 Millionen im Jahre 2050, während gleichzeitig das Durchschnittsalter auf 50 Jahre steigt. Die Herrschenden zwischen Riga, Kiew und Sofia können ihre Rentner und Unqualifizierten teilweise schon jetzt nur noch über Staatsanleihen die monatlichen Beträge beschaffen. Diese Papiere aber werden unverkäuflich, wenn sie nicht aus Deutschland verbürgt werden. Ir-gendwann flehen 50 bis 70 Millionen ohne Versorgung in Berlin um Hilfe. Eine surre-ale Aussicht angesichts der bis 2060 von 80 auf 65 Millionen sinkenden Einwohner-zahl der Bundesrepublik bei gleichzeitigem Anstieg ihres Durchschnittsalters von 44 auf 54 Jahre.
II.
Wo es nicht einmal Auswege aus der eigenen Altersarmut gibt, ist sicher nur eines: Niemand wird da sein, um die deutsche Mittelschicht herauszuhauen, wenn ihre Zu-sagen nach oben, unten und draußen fällig gestellt werden. Deshalb sucht man zwi-schen Flensburg und Rosenheim seit Mai 2010 nach dem Notausgang aus Euroland. Anfang 2011 sehen nur noch 41 Prozent in der EU ihre Zukunft. 67 Prozent haben das Vertrauen in ihre Institutionen verloren (Allensbach). Überraschen kann das nicht, denn bereits im Juli 2010 – gleich nach all den Rettungen - ermittelt SwissOpi-nion, dass sich 48 Prozent der Baden-Württemberger der Eidgenossenschaft an-schließen wollen. Die Menschen im französischen Savoyen halten es genauso. Ös-terreicher aus Vorarlberg und Italiener aus Como streben sogar zu 52 Prozent weg von ihren Hauptstädten.
Im Ländle wollen selbst 36 Prozent der links Orientierten wie Schweizer leben, bei den gerne verächtlich gemachten Besserverdienern aus dem liberalen und konserva-tiven Spektrum sind es doppelt so viele. Schaut man jedoch nur auf die Bürger unter 35 Jahren, auf deren Schultern all die Lasten landen, gibt es keine Parteien mehr. 66 Prozent der Jungen aller Befragungsgebiete träumen von der Verschweizerung. 53 Prozent von ihnen wollen auch gleich weg vom Euro. 84 Prozent bevorzugen die di-rekte Demokratie und 86 Prozent das Schweizer Steuersystem. Immerhin behalten ledige Berufsanfänger dort 70 Prozent ihres Verdiensts in der Tasche gegen weniger als 50 Prozent in Baden-Württemberg.
Niemand hatte in Stuttgart für eine Abtrennung von Berlin geworben. Aus dem Stand heraus verstehen die Befragten, dass die dortige Dauerrede von der Alternativlosig-keit zu all den deutschen Haftungen das letzte Wort nicht sein kann. Ein Kontinent mit so viel Stolz auf den überwundenen Nationalismus – das versteht man spontan -, kann sich auch ganz anders aufstellen, also politische Räume jenseits überkomme-ner Nationalgrenzen schaffen. Deshalb brauchen sie keine Pan-Europa-Bewegung, die für den ganzen Erdteil noch einmal die Macht akkumulieren will, die man in den alternden Metropolen von London über Paris, Amsterdam und Berlin bis nach Mos-kau fahren lassen musste.
Gerade diese Schwäche sorgt ja nach 1945 dafür, dass Europa Zug um Zug Frieden findet. Das kosmopolitische Gefühl ist direkter Ausdruck der demografisch-militärischen Impotenz. Wo es aber zu nationalistischen Überdrehungen nicht mehr reicht, braucht man auch keine Zentralbehörden für ihre Bändigung.  Weder „Verei-nigte Staaten von Europa“ noch ein Rückschritt zu den „Vaterländern“ erweist sich deshalb als Gebot der Epoche, sondern der Neuzuschnitt des Kontinents für den Aufbau nachhaltiger Wirtschafts- und Kulturräume.
Auf dem Weg zu diesem Europa 2.0 verfügt die viersprachige Willensnation Schweiz über einen beträchtlichen Erfahrungsvorsprung. Ihre Genfer wollen keine Franzosen, ihre Tessiner keine Italiener und ihre Züricher keine Deutschen sein. Savoyarden, Mailänder und Stuttgarter, die das ebenfalls nicht mehr wollen, muss die Schweiz deshalb nicht fürchten. Sie haben nichts gemein mit den EU-Zentralisten, die sie ö-konomisch knebeln oder gar zu einem Anschluss nötigen wollen.
Bei der Flucht vor Brüssel und den eigenen Hauptstädten streben Europas noch zu rettende Gebiete also nicht mehr nach Größe und Gefährlichkeit, sondern nach ei-nem Territorium mit erstklassig besicherter Währung und hoher Einwanderungsatt-raktivität. Denn für ihren Geburtenmangel haben auch die noch blühenden Land-schaften bisher keine elegante Lösung. Aus dieser Interessenlage gerät die Schweiz zwangsläufig ins Blickfeld:
(1) Ihre Zentralbank akzeptiert keine Schuldtitel schlecht bewerteter Regierungen als Pfand und kauft sie auch nicht direkt an. Ungeachtet einer Bevölkerung von nicht einmal 8 Millionen kann deshalb der Franken als Reservewährung fungieren.
(2) Da für Immigranten die Ansiedlungshoheit bei den Gemeinden liegt, sind die Eid-genossen frei von einer Zentrale, die bildungsferne Populationen einfach irgendwo-hin drücken kann. Deshalb ziehen die Kinder vieler Zuzügler bei den Schulleistungen mit den eidgenössischen Kindern gleich. Gerade aufgrund der dezentral entschiede-nen Zuwanderung hat die Schweiz bei PISA 2009 stolze 7,6 Prozent ihrer Kinder auf der höchsten Mathematikleistungsstufe, während es beim deutschen Nachbarn ge-rade mal 4,6 Prozent sind. Bekanntlich ist es die Dichte an der Spitze, die über Inno-vationen entscheidet und nicht der törichte Stolz auf eine riesige Gruppe, die von ganz unten ein paar Punkte weggeführt wird: Solche Vermehrung der Mittelmäßigen kostet Milliarden, ersetzt aber kein einziges Ass. Ein Raymond Kurzweil beispiels-weise hält 39 Patente, von deren Qualität selbst 100 Millionen Durchschnittliche nicht ein einziges entwickeln könnten. Er trägt allerdings auch 19 Ehrendoktorhüte. Die werden – in geringerer Frequenz natürlich - auch beim Mittelmaß angetroffen. Auch aufgrund der strengen Auswahl an ihren Grenzen steigt in der Schweiz der Akademi-keranteil von den 55-64-Jährigen zu den 25-34-Jährigen von 25,6 auf 35 Prozent, während er in Deutschland von 23,1 auf 22,6 Prozent absackt (College Board 2010).
(3) Anders als Deutschland und die EU kennt die Schweiz keine Subventionen für den Ausgleich des Wohlstandsgefälles. Während die Bremer und Berliner Transfer-industrien immer neue Winkelzüge aushecken, mit denen sie den solideren Bürgern in Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg in die Tasche greifen können, müssen Schweizer Kantone ihre Kreativität für das Anlocken innovativer Firmen und leis-tungsfähiger Arbeitskräfte einsetzen und dann mit diesen ihr Einkommen mehren. Wo deutsche Bundesländer sich in Ausbeuter und Abgezockte aufteilen, stehen die Kantone in einem sportlichen Wettkampf, in dem auch die schwächeren ihre Hilflosen versorgen und dennoch noch besser dastehen als die deutsche Spitze. Darf ange-sichts all dieser Hoheitsrechte des gewöhnlichen Bürgers überraschen, dass nur 29 Prozent der Deutschen und 34 Prozent der Österreicher, aber 67 Prozent der Schweizer Respekt für ihre Demokratie empfinden (Universität Bielefeld, 11-2010)?
Während also in Brüssel und den großen EU-Hauptstädten versucht wird, auch noch die Schweiz in die europäische Auszehrungsgemeinschaft zu pressen, denken ihre nächsten Nachbarn an die Schaffung eines neuen Raumes, dessen Bündnis die Eid-genossen für die Verteidigung ihres eigenen Systems aktiv suchen können und nicht mehr als Zwingherren zurückweisen müssen wie 1291 die Habsburger.

III.

Eine postnationale Grenzziehung für Europa 2.0, die den gerne als „reich“ apostro-phierten Deutschen noch abwegig vorkommen mag, diskutiert man im Norden des Kontinents bereits seit 2009, als der Stockholmer Historiker Gunnar Wetterberg eine neue Föderation vorschlägt und dafür große Zustimmung findet. Die Skandinavier wurmt, dass sie für die G8 und selbst die G20 zu klein sind. Zudem begreifen auch sie, dass die EU, vor der allein Norwegen noch sicher ist, zur Verelendungsgemein-schaft wird, in der an den Pranger kommt, wer nicht immer neue Beihilfen ausspuckt.

Ein neues Grenzregime soll diesen Zustand beenden. Dazu gehören würden Däne-mark mit Grönland, Norwegen mit Färöer und Spitzbergen sowie Schweden, Finn-land und womöglich Estland. Ausgestreckt bliebe die Hand auch nach Schleswig-Holstein und Hamburg, wo zwei der 30 dynamischsten deutschen Landkreise behei-matet sind – neben der Hansestadt das benachbarte Stormarn. Auf 3,5 Millionen Quadratkilometern und mit 26 Millionen Einwohnern würde die achtgrößte Wirt-schaftsmacht der Erde entstehen. Zu ihr würden vier Länder gehören, die nach ei-nem internationalen Demokratieranking von 2010, das objektive Kriterien ermitteln will und sich nicht auf Befragungen verlässt (democracyranking.org), noch vor der Schweiz die Plätze eins bis vier belegen: Norwegen, Schweden, Finnland, Däne-mark.

Schon heute - und beargwöhnt aus Brüssel - signalisiert Kopenhagen, wie ent-schlossen es die Leistungs- und Lebensfähigkeit dieses Raumes verteidigen will. So gibt es Sozialhilfe für Zuwanderer erst nach sieben Jahren legalem Aufenthalt. 14.000 Euro muss als Versorgungs-Reserve vorweisen, wer ein Familienmitglied nachholen will, das aber nicht älter als sechzig Jahre sein darf. Einen Pass gibt es frühestens nach acht Jahren, aber nur dann, wenn niemals Transfers beansprucht wurden.

IV.
Wo im Norden längst Weichen für die Zukunft gestellt werden, dominiert im Süden einstweilen noch der Hochmut der Nomenklatura. “Gelächter“ meldet der Züricher Tages Anzeiger am 11. Juni 2010 aus Deutschlands Berner Botschaft. Für die Erhei-terung sorgt das Föderationsangebot des Nationalrats Dominique Baettig an Baden-Württemberg. Daheim wird dem SVP-Politiker sogar Chauvinismus vorgeworfen. Als aber 66 Prozent der jungen Baden-Württemberger, die für Brüssel und Berlin die Ge-hälter bezahlen, die Offerte annehmen wollen, hört man von neuerlichem Wiehern nichts mehr. Denn was da zusammen käme, wäre mit rund 450.000 Quadratkilome-tern zwar kleiner als die Nordföderation, stände mit 70 Millionen Einwohnern aber umgehend - nach USA, China und Japan - auf Platz vier der ökonomischen Welt-rangliste.
Wer wäre dabei? Aus Deutschland hätte neben Baden-Württemberg und Bayern auch noch Südhessen eine Chance - mit Fernaussichten für die gescheiten und sparsamen Sachsen. Mit diesen Gebieten träten – einschließlich Frankfurt und Main-Taunus-Kreis - 27 der 30 dynamischsten deutschen Landkreise in die Föderation ein. Wenn auch noch das rheinland-pfälzische Mainz-Bingen mit seinem feinen fünften Platz zur Alpenföderation flöhe, könnte – nach dem Abmarsch von Hamburg und Stormarn zur Nordföderation - die gesamte deutsche Spitzengruppe langfristig durchkommen. Schon jetzt bezieht sie einen beträchtlichen Teil ihrer Kraft aus Wan-derungsgewinnen, die als Binnenwanderung aus anderen Regionen der Republik aber weniger ins Auge fällt. Für die Sicherung der weiteren Perspektive müssen die Menschen der 30 Kreise lediglich politisch wandern, also nicht ihre geografische La-ge, sondern ihre politische Zugehörigkeit ändern.
Die Schweiz selbst wird von der OECD schon 2009 als weltweit bester Innovations-standort gekürt – vor Japan und Schweden - und bekommt das mit dem ersten Platz im Global Competitiveness Index 2010-2011 glänzend bestätigt. Bei PISA-Mathematik liegt sie 2009 - hinter dem ebenfalls geladenen Liechtenstein –  global auf Platz acht. Davor gibt es nur noch Ostasiaten und Finnen.
Nun wäre ohne Österreich eine Alpenföderation nicht optimal geschnitten, aber bei PISA-Mathematik reicht es 2009 lediglich zu Platz 24 (496 Punkte gegen 534 in der Schweiz). Überdies können niederschmetternde 28 Prozent der 15- und 16-Jährigen Austriaken nicht sinnerfassend lesen. Das gemahnt an Bremer und Berliner Zustän-de, in deren Richtung selbst die Süddeutschen zu schlittern beginnen. Denn selbst nach einem Erfolg ihrer Verfassungsklage gegen den „Länderfinanzausgleich“ bliebe das Recht auf Ansiedlung der von Düsseldorf oder Hannover nicht mehr bezahlbaren Transferbürger direkt an Donau und Oberrhein unberührt.
Noch belegen die Schüler Bayerns und Baden-Württembergs beim innerdeutschen Vergleich für Muttersprach- und Englischkompetenzen die ersten Plätze, während Berlin und Bremen die Schlusspositionen einnehmen (Zahlen von 2009). Doch auch die Migranten im Süden schneiden - etwa beim Deutschlesen - weit schlechter als die Einheimischen ab. In Bayern steht es dabei 524:454 Punkte und in Baden-Württemberg 520:460 für die Altdeutschen. Eine massive Zuwanderung von Migran-ten etwa aus Bremen oder Berlin mit einem Durchschnitt von sogar nur 428 Punkten könnte den süddeutschen Kompetenzvorsprung in einer Generation auslöschen. Schon jetzt verlassen in München jugendliche Migranten doppelt so häufig die Schu-le ohne Abschluss wie Deutsche, sind aber mit 52 Prozent aller Kleinkinder die de-mografische Zukunft (AZ, 28-01-2011).
Viel Zeit für das Unterbinden dieser Trends gibt es zwischen Wien und Stuttgart nicht mehr. Ohne Hoheit über die eigenen Grenz- und Steuerregime aber wird das nicht gelingen. Noch hat man Pfeile im Köcher. Allein 2010 vergeben Bayern und Baden-Württemberger 5,2 Milliarden Euro für den Ausbau bildungsferner Sektoren in ande-ren Ecken der Republik. Allein Berlin nimmt sich davon 2,9 Milliarden. Nach Wieder-gewinn ihrer Souveränität könnten diese Transfermilliarden in Steuererleichterungen für Menschen unter 35 Jahren verwandelt werden, diese so vom Auswandern abhal-ten und gleichzeitig fremde Talente anziehen.
Ähnlich wie die Süddeutschen zu Berlin stehen die Norditaliener zu Rom. Bisher kämpfen sie lediglich für ihre Steuerhoheit, um der Korruption, Inkompetenz und Verschwendung im Mezzogiorno zu entkommen. Jetzt könnten sie ganz weg vom Zentrum und das ohne Angst vor einer deutschen Übermacht. Sie würden Teil eines Bundes, der gerade nicht von eifersüchtigen Nationen gebildet wird, sondern einen uralten Kulturraum freiwillig zusammenbringt. Dabei wären Aosta, Piemont, Ligurien, Lombardei, Emiglia-Romagna, Trentino-Südtirol, Venetien und Friaul-Venetien - mit einer ausgestreckten Hand in die Toskana und nach Urbino (Marken). Im Osten könnten die Slowenen mit ihren imponierenden Deutsch- und Italienischkenntnissen die Föderation abrunden.
Das Ganze hätte gute Chancen, selbst die Konkurrenz mit den Ostasiaten durchzu-halten. Die sind zwar fleißiger und können auch besser rechnen und schreiben, aber demografisch besetzen sie mit 1,2 bis 0,9 Kindern pro Frauenleben die sechs letzten Plätze der Welt (Süd-Korea, Japan, Taiwan, Singapur, Hongkong und als Schluss-licht Macao).  Volkschina schafft zwar noch 1,5 Kinder, steht aber bei der Relation zwischen 15-jährigen Jungen und 5-jährigen Mädchen mit 1.000:650 noch schlechter da als selbst Deutschland (1.000:707; 2009). Hierzulande hat man nämlich „nur“ Geburtenrückgang, in China obendrein auch noch die Tötung von weiblichen Föten und Neugeborenen. Eher werden junge Ostasiaten, für die es daheim keine Renten gibt, bei den neuen Bünden anklopfen als umgekehrt.
Wem das Zusammengehen heimatlos werdender Intelligenzen zu neuen politischen Räumen skurril vorkommt, vergisst, dass ein solcher Weg längst mit viel radikaleren Lösungen wie seasteading konkurriert und dagegen entschieden bodenständig wirkt. Diese Alternative will die Gescheiten und Kreativen auf künstliche Inseln locken, die als reine Wirtschaftsrepubliken außerhalb der 200-Meilen-Zonen leben und den Be-gehrlichkeiten herkömmlicher Regierungen entzogen sind.
V.
Sobald Nord- und Alpeneuropäer nicht mehr nach Brüssel zahlen, müssen auch alle übrigen EU-Gebiete über ein Leben ohne regelmäßige Milliardenüberweisungen nachdenken. Das Rest-Baltikum mit Polen sowie den EU-Aspiranten Weißrussland und Ukraine ähnelt im Umfang dem polnisch-litauischen Großreich, das 1795 zwi-schen Berlin, Wien und St. Petersburg geteilt wird. Eine Neuauflage der Rzeczpospolita Obojga Narodów könnte mit ihren rund 110 Millionen Menschen auch zum Auffangraum von Talenten werden, die anderen demografisch nicht haltbaren slawischen Gebieten entkommen müssen. Angst à la Tschetschenien oder Georgien vor Russland, das in 40 Jahren weniger als 100 Millionen Einwohner haben wird, müsste ein solcher Block nicht mehr haben. 
Am Mittelmeer gäbe es von Lissabon über Madrid nach Rom und Athen Substanz und römisch-griechische Tradition für einen Bund, der gegenüber einer auf 9 Milliar-den wachsenden Weltbevölkerung als subtropische Musterlandwirtschaft und ökolo-gischer Ferienraum mit Solarenergie glänzen könnte. Eine Verlängerung der Achse bis nach Tel Aviv, die von den Griechen schon geprobt wird, würde diesem Raum von knapp 110 Millionen Menschen auch die Nuklearpotenz beschaffen, die es ge-gen ebenfalls atomaren Kalifatsambitionen von Istanbul über Teheran bis Islamabad schon bräuchte.
Restdeutschland würde womöglich auch weiterhin mit Frankreich eine ganz spezielle Partnerschaft pflegen. Auch dort wird ja ein Fünftel bis ein Viertel der Jugend nicht mehr ausbildungsreif. Gleichwohl müsste niemand eine Dominanz Berlins fürchten, das – bei nur noch 95.000 Beschäftigten in der Industrie – intensiv mit der Versor-gung seiner 600.000 Hartz-IV-Empfänger beschäftigt wäre. Vielleicht stieße noch das schwerindustriell gezeichnete Wallonien dazu, dessen Anschluss Paris seit Dezem-ber 2010 ohnehin logistisch vorbreitet. Die Dominanz von 70 Millionen Französisch-sprachigen mit ihrer Force de frappe gegenüber 50 Millionen ehemaligen Bundes-bürgern würde dann alle frankophonen Sorgen hinfällig machen.
Flandern und die Niederlande würden so als Exklave für die Nordföderation frei. Dass Religionsgräben zwischen Katholiken und Protestanten genauso veralten wie Staatsgrenzen, erweist sich dabei als zusätzlicher Schub Richtung Europa 2.0. Eine so südwesterweiterte Föderation strebt naturgemäß in eine Allianz mit der Atom-macht Großbritannien, das seinem hausgemachten Islamismus jetzt ebenfalls ein-dämmen will. Dadurch gewönne dieser Nordseeblock mit rund 115 Millionen Men-schen eine Sicherheitsarchitektur, die auch für Nordamerika einen berechenbaren Verbündeten schafft und den Nordatlantik unangreifbar hält.
Im Gesamtterritorium von Europa 2.0 könnte bei den Währungsnamen das europäi-sche Gefühl durchaus weiter gepflegt werden. Neben Nordkrone und Alpenfranken könnten dann ein östlicher, ein westlicher und ein mediterraner Euro um internationa-le Akzeptanz konkurrieren.
VI.
Die Alpenföderation würde der alten Transferklientel keineswegs die kalte Schulter zeigen. Ihre schlichte Existenz wäre die vorgelebte Lehre, wie man eine Angel baut, statt immer wieder geschenkten Fisch zu fordern. Wie gegenüber der Dritten Welt längst verstanden, macht sie auch den Europäern begreiflich, dass Überweisungen für Entwicklungshilfe nur neuerliche Bitten um Entschuldung nach sich ziehen und jedes Vorankommen blockieren. Die draußen Bleibenden würden sich zur Föderati-on deshalb verhalten müssen wie in der Kernschweiz ein Kanton zum anderen. Die Subventions- und Bailout-Ketten wären gekappt, dafür aber der Phantasie für die eigene Attraktivitätssteigerung keine Grenze mehr gesetzt.
In den nun getrennten Räumen fortlebende Spannungen könnten durch Austausch gemildert werden. Baumkämpfer aus Stuttgart können nach Bremen auswandern und dort Großbauten vor dem Eingraben bewahren. Im Gegenzug zögen - zur Ge-nugtuung tiefgrüner Hanseaten – die Mercedes-Werke aus Hemelingen zu ihrem schwäbischen DNA. Islamisten aus Mannheim fänden Unterkunft bei Gesinnungs-genossen, die in der alten Hauptstadt Bonn die Errichtung eines Gottesstaates vo-rantreiben. Ein Altkommunist aus der Linken Münchens, der in Bayern ohnehin niemals nach oben gelangt, wechselt nach Berlin und schafft es dort bis in die Lan-desregierung.
Aller Homogenisierung zum Trotz dürfte der Kampf zweier Linien im Berlin-Pariser Herrschaftsgebiet aber weiter gehen. Die eine will mehr Zuwanderer aus Afrika und dem Islambogen. Gerade durch ihre aktuelle Rebellion begreift die dortige Jugend ganz handfest, dass es für ihre große Mehrheit auf friedlichem Wege Positionen niemals geben wird. Da lassen sich leicht 100 Millionen Neubürger gewinnen. Die sollen über Sozialhilfe oder Grundgehalt Nachwuchs bekommen, der dann durch Erziehung in Spezialkrippen an die mathematische Weltspitze geführt wird. Die Fahne dieser Fraktion wäre Rot-Grün-Rot-Grün und stände für Marxisten, Ökolo-gisten, Sozialisten und die Farbe des Propheten. Diese Formierung, die am ehes-ten das Etikett Eurabien in einen Ehrentitel verwandeln könnte, würde ihren Schwung wohl erst verlieren, wenn gegen 2025 die ersten Absolventen der revolu-tionären Volksbildung bei PISA- oder IMSS dann doch wieder gegen die mathema-tischen Dauersieger aus Ostasien, aber auch ihre hartnäckigen Verfolger aus der Alpenföderation verlieren. Dort können bis dahin auch die jüdischen Bürger eine Heimat finden, die aus Eurabien vertrieben werden.
Die zweite Linie formuliert bereits 2007 Nicolas Sarkozy, als er die Immigration aus Afrika als erlittene Invasion und damit als Niederlage eingesteht. Auch 2011 beklagt er den Skandal, dass die Einheimischen zum Bevölkerungsumbau niemals befragt wurden. Angela Merkel setzt am 16. Oktober 2010 nach: “Multikulti ist absolut ge-scheitert!” Die Zivilreligion Europas, deren Nichtbefolgung jahrzehntelang die öffent-liche Steinigung nach sich zieht, verliert ihre Oberpriester. Für eine Wende in der EU oder auch nur zu Hause kommen die beiden allerdings zu spät. Doch für eine zukünftige Oppositionsarbeit zwischen Perpignan und Anklam gäbe es aus der Al-penföderation jederzeit Anregungen, wie man Leben, Freiheit und Eigentum auf Dauer stellt. Und – wer weiß? – vielleicht würden eines Tages dort Ideen umge-setzt, die Bürger der Alpenföderation nachdenklich machen könnten.

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