In einem seiner Songs hat Herbert Grönemeyer die Zeile „wir werden in Grund und Boden gelacht“ untergebracht. Er begründet in diesem Song seine Hypothese, nach der Kinder an die Macht kommen sollten, weil die Erwachsenen versagt haben. Nun ist es an der Zeit, diejenigen „in Grund und Boden zu lachen“, die mit ihrem volksverblödenden Mummenschanz die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten an der Nase herumgeführt haben.
Kandidaten gibt es, wie Leser der Achse wissen, viele, aber heute soll es um die Gentechnik und insbesondere das skurrile Urteil des EuGH der vergangenen Woche zu den neuen Züchtungstechniken gehen. Wer sind diejenigen Strippenzieher, die jene wissenschaftlich nicht auf der Höhe der Zeit urteilenden Straßburger Richter so aufs Glatteis geführt haben?
Es sind in unserer Republik Leute wie Renate Künast, Harald Ebner, Martin Häussling oder auch den unter obskuren Bedingungen zu einem Berater des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit berufenen Tier-Homöopathen und Ex-Greenpeace-Aktivisten Christoph Then. Vergessen sollten wir auch nicht den Greenpeace "Kampaigner" Dirk Zimmermann (schlauer als über 100 Nobelpreisträger), der es sicher besser weiß, aber seine Seele halt an Greenpeace verkauft hat.
Zurück zu den Opfern, den Journalisten, der Öffentlichkeit und den unbedarften Richtern des EuGH – was besagt deren Urteil? Im Kern wollen die Richter eine gezielte Mutation bei einer Kulturpflanze, die durch „Genome Editing“ erzeugt wird, genauso streng regeln wie einen gentechnischen Eingriff, bei dem genetische Information aus einem Organismus (etwa einem Bakterium) in eine Pflanze eingebracht wird und dort eine neue Eigenschaft bewirkt.
Zwar haben Jahrzehnte an Sicherheitsforschung gezeigt, dass von der mittlerweile „klassischen“ Gentechnik – sie geht auf eine Entdeckung vom Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück, ist also bereits mehr als 35 Jahre alt – keine besonderen Gefahren ausgehen, aber lautstarke Lobbyisten aus den Bereichen grüner Esoterik, linke Sozialdemokraten, Biolandbau und Blut & Boden-Romantiker der AfD und der AbL haben der Öffentlichkeit erfolgreich vorgegaukelt, dass die Gentechnik gefährlich sei, wohlwollend unterstützt von großen Teilen der Presse und den ÖR-Medien (besonders dabei WDR, MDR und ARTE).
Eine kleine Geschichte der Pflanzenzüchtung
Um die Bedeutung des EuGH-Urteils einschätzen zu können, hier ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Pflanzenzüchtung: Sie begann zaghaft vor etwa 10.000 Jahren, und als ihre erste Phase muss man den Zeitraum vom Beginn der Landwirtschaft durch sesshaft werdende Nomaden bis zur Wiederentdeckung und Anwendung der Mendelschen Gesetze ansehen. Diese erste – auch als „naive“ Phase bezeichnete Periode der Züchtung – war eine Auslesezüchtung, wobei zufällig entstandene und entdeckte Mutationen den Züchtungsfortschritt bestimmten. Dieser Fortschritt war stetig, aber langsam.
In dieser Phase entstanden unsere wesentlichen Kulturpflanzen. Mit der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln um die Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert entwickelte sich die wissenschaftlich begründete Züchtung, durch die der Züchtungsfortschritt gesteigert werden konnte. Aber auch hier waren zufällig beobachtete Mutationen und sogenannte „weite Kreuzungen“ (= Kreuzungen über die taxonomischen Artgrenzen hinweg) die einzigen biologischen Werkzeuge zur Verbesserung von Qualität und Ertrag der Nutzpflanzen.
Mit der Entdeckung der mutagenen Wirkung von ionisierenden Strahlen auf Pflanzen durch Emmy Stein in Deutschland (1921), später allgemein bestätigt von Herrmann Muller (Nobel-Preis 1946) in den späten 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erhoffte man sich eine Erweiterung der züchterischen Möglichkeiten („Mutationszüchtung“). Später wurde die Mutagenität (und, dies sei nebenbei erwähnt, auch cancerogene Wirkung) alkylierender Chemikalien wie Ethylmethansulfonat oder Nitrosoguanidin entdeckt und eingesetzt.
Ionisierende Strahlen verursachen zunächst Brüche in der DNA, die durch die zelleigenen Reparaturmechanismen repariert werden können. Dies erfolgt jedoch oft fehlerhaft, so können Deletionen (Fehlstellen) oder Veränderungen des Leserasters entstehen. Die alkylierenden Chemikalien wirken anders: Sie verändern die Basen der DNA so, dass diese bei der nächsten Replikation nicht erkannt werden und es zu einer Fehlpaarung und so zu einem Basenaustausch (= einer Punktmutation) kommt.
Allen Methoden zur Erhöhung von Mutationsraten ist gemein, dass sie (a) völlig ungerichtet und zufällig Veränderungen im Genom bewirken, (b) die entstandenen Mutationen rezessiv waren, was aufgrund der Tatsache, dass (c) jeweils nur eine Genkopie verändert worden war, dazu führte, dass die Mutation, wenn sie nicht letal war, nur bei 25 Prozent der Nachkommen der übernächsten Generation detektierbar war. Hinzu kam, dass (d) stets mehr als eine Mutation erzeugt wurde, auch unerwünschte.
Mutanten auch im Ökolandbau
Das war alles nicht kontrollierbar, weil es kaum molekularbiologische Untersuchungen zu diesen Mutationen gab, in denen in Einzelfällen festgestellt wurde, was genau passiert war. Dies liegt darin begründet, dass zu den Zeiten, in denen diese Methoden eingesetzt wurden, keine effektiven Sequenziermethoden bekannt waren. Zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Mutationszüchtung weitgehend wegen Erfolglosigkeit aufgegeben, da der Aufwand in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen stand. Lediglich bei Braugerste, Durum-Weizen und überwiegend bei Zierpflanzen wurden induzierte Mutationen in der Züchtung eingesetzt, diese Mutanten finden sich heute noch in „alten“ Sorten, übrigens auch im Ökolandbau.
Abgelöst wurde die Mutationszüchtung um 1983 durch die Methoden des Gentransfers. Dies wurde möglich, nachdem molekularbiologisch aufgeschlüsselt wurde, dass das Agrobacterium tumefaciens seine pathogene Wirkung durch den Transfer bakterieller DNA in Pflanzenzellen bewirkt: Die bakterielle DNA enthält Gene, die in das Genom der Pflanze eingebaut werden und den Hormonmetabolismus der Pflanze umsteuern. Als zudem entdeckt wurde, dass die Übertragung dieser Gene ein kontrollierter Prozess ist, der nicht von diesen Genen selbst gesteuert wird, wurde klar, dass man diese Methode des Gentransfers nutzen kann um gewünschte Gene in die Pflanzen zu integrieren.
Diese – mittlerweile „klassische“ – Gentechnik wird dann eingesetzt, wenn eine bestimmte, aber erwünschte Eigenschaft in einer Pflanze nicht vorhanden ist. Die Universalität des genetischen Codes macht diesen „horizontalen Gentransfer“ möglich. Seit 2015 berichtet wurde, dass etwa die Süßkartoffel (Ipomea batata) deshalb zu einer Kulturpflanze geworden ist, weil Agrobacterium tumefaciens in das Genom 4 Gene stabil eingeschleust hat, kann man davon ausgehen, dass es sich beim horizontalen Gentransfer um einen natürlichen Prozess handelt, der neben Mutation, Rekombination und Selektion einer der Treiber der Evolution und damit der biologischen Vielfalt ist.
Von daher ist auch festzuhalten, dass die aus 1990 stammende Formulierung des GenTG, was ein gentechnisch veränderter Organismus ist, nicht mehr mit den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt und neu gedacht werden muss (“Ein GVO ist ein Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.“)
Nichts anderes als Mutationszüchtung 2.0
Die neuen Methoden des „Genome Editing“ (CRISPRcas, TALEN) sind bei genauer Betrachtung nichts anderes als Mutationszüchtung 2.0: Auch hier werden, wie bei der alten Mutationsauslösung, Veränderungen im Genom hervorgerufen, diese sind aber, anders als dunnemals, gezielt. Hinzu kommt, dass mit den heute verfügbaren Methoden der DNA-Sequenzierung sehr schnell geprüft werden kann, ob es sogenannte „off target“-Effekte gibt, das heißt, man kann schnell prüfen, ob mehr als nur die gewünschte Mutation erfolgt ist.
Ein Beispiel: Aus einer Wildpflanze kennen wir die Variante eines Gens, welches für eine besondere Eigenschaft verantwortlich ist. Da Gene in der Evolution in ihrer Grundstruktur konserviert werden, existieren diese Gene auch in unserer Kulturpflanze, allerdings nicht in derselben Version. Durch Genome Editing können wir nun dieses Gen so umbauen, dass es der Version der Wildpflanze entspricht. Theoretisch, aber mit wesentlich größerem Aufwand an Material und Zeit und deutlich geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit könnten wir dies auch mit der klassischen Mutagenese angehen.
Von daher gibt es wissenschaftlich eigentlich keinen logischen Grund, beim Genome Editing besondere Risiken zu postulieren, und es ist anzuraten, den Beispielen anderer Länder zu folgen, eine Pflanze nach ihren Eigenschaften zu beurteilen und nicht nach der Methode, mit der sie gezüchtet wurde. Und hier entsteht das Problem: Logik und Wissenschaft hin, politische Überzeugung her. Anders, als es die regierende Politik glaubt, basiert Wissenschaft auf Evidenz und nicht auf oft klamaukhaft vorgetragenen „Konsens“ (die Klimaforschung lässt grüßen). Beispiel gefällig? Es ist nur ein paar Jahrhunderte her, da galt es als „wissenschaftlichen Konsens“, dass sich die Sonne um die Erde drehe. Kepler und Kopernikus haben mit Evidenz das Gegenteil bewiesen.
Das Problem: Die oben namentlich genannten Personen (und viele andere) haben ihre Karrieren aufgebaut auf – sagen wir es einmal politisch korrekt – „ihnen passend vorkommenden Narrativen“. Man könnte auch sagen, dass sie ein „framing“ inszeniert haben, mit dem eine unbedarfte Öffentlichkeit/Journallisten/Richterschaft eingefangen und in die Irre geführt werden konnte. Nun wieder zu Grönemeyer: Sollten wir sie nicht jetzt, wo diese Aktivitäten zu einem für klar denkende Menschen skandalösen und für die Bio-Wissenschaften der EU katastrophalem EuGH-Urteil geführt haben, in Grund und Boden verlachen? Was anderes bleibt uns ja nicht mehr und: Verdient haben sie es allemal. Pardon kann leider, weil sie es sicher besser wussten, nicht mehr gegeben werden, sorry.
Hans-Jörg Jacobsen ist Professor für Molekulargenetik und lehrte bis 2014 an der Leibniz-Universität Hannover, seither an der Northeastern University in Boston.