Gestern hat das britische Unterhaus für die Verschiebung des für Ende März geplanten EU-Austritts gestimmt. Sollten die Abgeordneten nächste Woche wider Erwarten doch noch für das von Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen stimmen, wird die britische Regierungschefin die EU um eine recht kurze Verlängerung der Frist bitten – vorrausichtlich bis zum 30. Juni 2019.
Falls Mays Deal im dritten Anlauf erneut vom Unterhaus abgelehnt wird, wird die Premierministerin nächste Woche beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs wohl um einen sehr viel längeren Aufschub bitten. Wie der Brüsseler Korrespondent der britischen Tageszeitung „The Times“, Bruno Waterfield, schreibt, ist die EU grundsätzlich bereit, einer beträchtlichen Verlängerung der Frist zuzustimmen – etwa bis Ende 2020. Sie werde dies jedoch an gewisse Bedingungen knüpfen. Laut Waterfield ist Theresa May bereits in den vergangenen Tagen in privaten Gesprächen mit europäischen Regierungschefs und EU-Vertretern, darunter EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, über die Bedingungen unterrichtet worden. Im Wesentlichen wünsche sich die EU, dass die Verlängerung dazu genutzt wird, um entweder a) ein zweites Brexit-Referendum durchzuführen; b) den Brexit abzublasen oder c) einen sehr weichen Brexit-Deal zu verabschieden, bei dem Großbritannien im gemeinsamen Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion verbleibt.
Laut Waterfield ist es sehr unwahrscheinlich, dass die EU diese Bedingungen öffentlich darlegen wird. Stattdessen werde man wohl eine neutralere Sprache wählen und von einer „Reflexionsphase“ sprechen. Von einer „Reflexionsphase“ sprach diese Woche bereits der irische Außenminister Simon Coveney. Die Wortwahl ist bedeutsam. Wie Waterfield schreibt, wurde der Begriff „Reflexionsphase“ 2008 genutzt, als die irischen Bürger in einem Referendum den sogenannten Lissabon-Vertrag ablehnten. Anschließend wurde über einen Zeitraum von einem Jahr Druck auf das Land aufgebaut und die Abstimmung wiederholt – diesmal mit EU-genehmem Ausgang. Auch nachdem die französischen und niederländischen Wähler im Jahr 2005 den EU-Verfassungsvertrag ablehnten, sprachen EU-Vertreter laut Waterfield von einer „Reflexionsphase“. Zwei Jahre später wurden wesentliche Inhalte des EU-Verfassungsvertrags in den Lissabon-Vertrag übernommen.