Zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika liegen nicht nur die tiefen Gewässer des Atlantischen Ozeans, sondern mittlerweile Welten. Dies gilt nicht nur für die Freiheit der Wirtschaft, sondern auch die der Meinung.
Während Donald Trump gleich die ersten Tage seiner Präsidentschaft dafür genutzt hat, um aus der WHO, dem Pariser Klimaabkommen und Zensurmaßnahmen auszusteigen, tönt es aus der EU noch immer stramm ideologisch.
Das wurde nicht nur in der Rede Ursula von der Leyens beim Weltwirtschaftsforum in Davos am 21. Januar deutlich (achgut berichtete), in der sie betonte, dass „alle Kontinente den Übergang zu 'Netto-Null'“ – also zur Klimaneutralität – beschleunigen und die zunehmende Last des Klimawandels schultern müssten, sondern auch bei ihrer Ansprache im EU-Parlament einen Tag später. Auch das hat mittlerweile schon Tradition: Zunächst verkündet von der Leyen gerne etwas in Davos, bevor sie dann das EU-Parlament darüber informiert. Bereits vor zwei Jahren hatte sie ihren „Industrieplan für den Grünen Deal“ ebenfalls zuerst beim Weltwirtschaftsforum vorgestellt. Im Rahmen der Plenartagung in Straßburg bezog sich von der Leyen nun auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 19. Dezember 2024 und auf den sogenannten Draghi-Bericht, der im September 2024 veröffentlicht wurde (Achgut berichtete).
Von der Leyen hob die Bedeutung des europäischen Binnenmarkts mit seinen 450 Millionen Menschen hervor und nannte drei Ziele: erstens das Schließen der "Innovationslücke" gegenüber Wettbewerbern, zweitens einen gemeinsamen Fahrplan zu Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit sowie drittens die Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und Sicherheit. Um Innovationen etwa in den Bereichen KI, Quantentechnologie und Biotechnologie in der richtigen Größenordnung und Geschwindigkeit auf den Weg zu bringen, sei neben öffentlichen Mitteln vor allem auch privates Kapital erforderlich.
Spar- und Investitionsunion
Die europäischen Unternehmen seien allerdings bereits dabei, ihre Investitionen in Innovation aufzustocken. Im vergangenen Jahr habe die europäische Industrie beispielsweise ihre Investitionen für Forschung und Entwicklung (FuE) um fast 10 Prozent erhöht, was erstmals seit zehn Jahren mehr sei als in den USA und in China. Künftig müsse die EU jedoch noch abgestimmter und konzentrierter handeln, wofür ein Kapitalmarkt mit zuträglichen Bedingungen für die Unternehmen und insbesondere für Startups nötig sei.
Dafür will von der Leyen nun eine „Europäische Spar- und Investitionsunion“ gründen und mehr Kapital mobilisieren, damit sich in Europa Innovation und Risikobereitschaft entwickeln können. Sprich: Es geht um weitere Vergemeinschaftung. Auch die Energiepreise möchte von der Leyen senken und gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen aus Russland abschließen. Dafür müsse die Energieversorgung der EU weiter diversifiziert werden. Außerdem müsse mehr in Technologien der nächsten Generation für saubere Energie investiert werden.
In diesem Zusammenhang nennt von der Leyen sogar die Kernfusion, aber auch verbesserte Geothermie und Feststoffbatterien. Durch mehr privates Kapital könnten die Netze und Speicherinfrastruktur modernisiert werden. Auch hier gehe es um „einen tiefen und liquiden Kapitalmarkt“ sowie um die Vollendung der europäischen Energieunion. Die sauberen und CO2-armen Energiesysteme innerhalb der EU müssten besser miteinander verbunden werden.
Nicht zuletzt müsse die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit durch den Zugang zu Rohstoffen und Lieferketten gewährleistet sein. Deshalb habe die EU in den letzten Jahren bereits mehr als 35 neue Abkommen mit Partnern in der ganzen Welt geschlossen. Zu diesem Netzwerk merkte von der Leyen wörtlich an:
„Diese Partnerschaften dienen einigen unserer wichtigsten wirtschaftlichen Interessen. Sie eröffnen uns neue und dynamische Märkte. Sie schützen unsere einzigartigen Produkte – durch die geografischen Angaben – und Schlüsselsektoren wie die Landwirtschaft. Und sie garantieren uns den Zugang zu kritischen Mineralien und sauberer Energie.“
Diese neue Zusammenarbeit mit Ländern überall auf der Welt sei nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern müsse auch eine Botschaft an die ganze Welt sein: Europa wolle mehr Zusammenarbeit mit allen, die dafür offen seien. Was selbstverständlich auch die Vereinigten Staaten von Amerika als engsten Partner einschließe. Das Handelsvolumen zwischen der EU und den USA betrage derzeit 1,5 Billionen Euro. Die EU werden pragmatisch nach Gemeinsamkeiten mit der neuen US-Regierung suchen, aber auch „stets unsere europäischen Grundsätze wahren“.
EU-Wirtschaft nach wie vor an Klimaideologie gekoppelt
Ein grundsätzliches Umdenken der EU-Kommission ist also noch lange nicht in Sicht. Europäische Unternehmen sollen in strategisch wichtigen Bereichen schlichtweg bevorzugt behandelt und ihre Planungssicherheit etwa durch langfristige Stromabnahmeverträge erhöht werden. Immerhin sollen die Berichtspflichten für Unternehmen hinsichtlich ihrer Lieferketten verringert, europäische Fördermittel leichter zugänglich gemacht und Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. Das war es dann aber auch schon.
Am Ziel der Klimaneutralität des europäischen Kontinents bis 2050 wird – noch – nicht gerüttelt. Zu viele lukrative Geschäftsmöglichkeiten stehen offenbar auf dem Spiel. Das gilt auch für den Export klimaneutraler Technologien wie etwa für ein umfassendes Stromnetz mit erneuerbarer Energie in Afrika. Schaut man sich die vierzehn Projektgruppen an, in die von der Leyen ihre neue Kommission eingeteilt hat, fällt ebenfalls auf, dass die EU-Wirtschaft nach wie vor an die Klimaideologie gekoppelt ist.
So wird der Bereich „Clean Industrial Deal“ von Teresa Ribera (Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Wandel), Stéphane Séjourné (Exekutiv-Vizepräsidenten für Wohlstand und Industriestrategie) sowie Wopke Hoekstra (Kommissar für Klima, Netto-Null-Emissionen und sauberes Wachstum) gemeinsam geleitet. Durch dieses Aufsplitten der Zuständigkeiten erhält lediglich die Kommissionspräsidentin als koordinierende Instanz mehr Einfluss.
Was die Meinungsfreiheit etwa im Internet angeht, für die sich Trump gerade stark macht, sieht es in der EU auch eher düster aus. Soeben ist sogar das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: DSA) verschärft worden. So teilte die EU-Kommission mit, dass der überarbeitete „Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hassreden im Internet“ in den Rahmen des DSA aufgenommen worden ist. Der Verhaltenskodex soll Online-Plattformen beim Umgang mit Inhalten stärken, die im EU-Recht und in den nationalen Rechtsvorschriften als „illegale Hassreden“ definiert sind. Außerdem soll er „die Einhaltung und wirksame Durchsetzung des Gesetzes über digitale Dienste“ erleichtern, wenn es um das „Risiko der Verbreitung illegaler Inhalte“ geht. Die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Verhaltenskodex soll Teil der jährlichen „unabhängigen Prüfung“ sein, der die Plattformen im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste unterliegen.
Nachteilige Auswirkungen auf Wahlprozesse einschränken
Konkret machen die Unterzeichner des Verhaltenskodex unter anderem folgende Zusagen: Sie geben einem Netz von „Berichterstattern“, bei denen es sich um gemeinnützige oder öffentliche Einrichtungen mit „Kenntnissen im Bereich rechtswidriger Hassreden“ handelt, die Möglichkeit zur „regelmäßigen Überwachung der Überprüfung von Meldungen über Hassreden durch die Unterzeichner“. Zu den Berichterstattern können auch Einrichtungen gehören, die im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste als „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ benannt wurden. In Deutschland werden diese sogenannten „Trusted Flaggers“ derzeit von der Bundesnetzagentur eingesetzt, die sich übrigens just mit der EU-Kommission und mit Vertretern von großen Onlineplattformen getroffen hat. Dabei wurde über die Verantwortung der Online-Plattformen im Vorfeld von Wahlen gesprochen.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, betonte, dass die Agentur in Hinblick auf die Bundestagswahl gemeinsam mit weiteren nationalen Behörden genau beobachten werde, ob die Online-Plattformen die Vorgaben des Digital Services Act umsetzen. Etwaige Verstöße gegen das Gesetz würden sofort an die EU-Kommission gemeldet. Die Online-Plattformen sind durch den DSA unter anderem dazu verpflichtet, alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf Wahlprozesse einzuschränken. An dem Runden Tisch der Bundesnetzagentur nahmen Vertreter von Google (YouTube), LinkedIn, Microsoft, Meta (Facebook, Instagram), Snapchat, TikTok und X sowie von nationalen Behörden und NGOs teil.
Darüber hinaus verpflichten sich die Unterzeichner des Verhaltenskodex dazu, sich nach besten Kräften zu bemühen, innerhalb von 24 Stunden mindestens zwei Drittel der von den Berichterstattern eingegangenen Meldungen über Hassreden zu überprüfen, automatische Erkennung von Hassreden einzusetzen, mit NGOs zusammenzuarbeiten sowie das Bewusstsein der Nutzer für illegale Hassreden und für die Verfahren zur Meldung illegaler Online-Inhalte zu schärfen. Auch wenn es sich bei Verhaltenskodizes prinzipiell um freiwillige Instrumente handelt, können sie laut EU-Kommission im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste eine wichtige Rolle im umfassenderen System zur Rechtsdurchsetzung spielen. Diese Vorgehensweise ist derjenigen Trumps eindeutig diametral entgegengesetzt. Zwar weht durch Trump tatsächlich ein frischer Wind auch bis nach Europa, aber es besteht noch kein Grund zum Jubeln.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.
Quellen:
Rede von der Leyens im EU-Parlament
Projektgruppen der EU-Kommission
Verschärfung des Gesetzes über digitale Dienste
Runder Tisch der Bundesnetzagentur