Die EU-Kommission fragt die EU-Bürger aktuell gnädigerweise nach ihrer Meinung, bevor sie eine Vorlage zu einem neuen Migrations- und Asylpakt beschließt. Es ist ja schließlich nicht irgendwas, was da fünf Jahre nach dem plötzlichen Millionen-Zuzug im Rahmen von „Flüchtlingskrise“ und „Willkommenskultur“ auf der Tagesordnung steht. Offiziell heißt es:
„Mit dem neuen Migrations- und Asylpakt soll ein umfassender, nachhaltiger und krisenfester Rahmen für die Steuerung von Asyl und Migration in der EU geschaffen werden. Er umfasst die gesamte Migrationsroute – von den Herkunfts- und Transitländern bis zu den Aufnahmeländern in der EU.
Der Pakt wird zwar auf den Vorschlägen der Kommission aus den Jahren 2015 und 2018 aufbauen, er wird aber Schlupflöcher schließen und das Gemeinsame Europäische Asylsystem modernisieren, damit die EU-Länder eine wirksame Asyl- und Migrationspolitik durchführen und umsetzen können.“
Wie schön, dass man also als Bürger ein wenig mitreden darf. Seit dem 20. Juli und noch bis zum 27. August Mitternacht können Sie dem Brüsseler EU-Apparat mitteilen, was Sie davon halten beziehungsweise erwarten. Wirklich zu sagen haben die Bürger damit nichts. Auch das, was in der amtlichen Gebrauchsanweisung zu lesen ist, klingt nicht gerade nach Mitsprache:
„Den eingehenden Rückmeldungen wird bei der weiteren Entwicklung und Feinabstimmung der Initiative Rechnung getragen. Die Kommission wird die eingegangenen Beiträge in einem Bericht zusammenfassen und dabei erläutern, in welcher Weise sie berücksichtigt werden bzw. warum bestimmte Vorschläge nicht aufgegriffen werden können. Die eingegangenen Rückmeldungen werden auf dieser Website veröffentlicht. Sie müssen daher den für Feedback geltenden Regeln entsprechen.“
Ignoranz oder Inkompetenz?
Auch wenn das Bürgervotum sicher kaum Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat, so wäre diese Plattform ja dennoch ein interessantes Forum für eine öffentliche Debatte zum Thema, die gibt es ja sonst kaum. Nur leider weiß keiner von dieser Frage der EU-Kommission an ihre Bürger. Wollte man nicht unterstellen, dass eine rege Beteiligung gar nicht erwünscht ist, dann hat sich in dem teuren Brüsseler EU-Apparat wohl kein Presse- und PR-Profi finden lassen, der sich der Verbreitung dieses Anliegens entsprechend professionell gewidmet hätte. Auch der Autor dieser Zeilen ist erst durch einen Leserhinweis darauf aufmerksam geworden.
Die heimlichtuerische Art, in der die Kommission hier mit den Bürgern kommuniziert, hat dafür gesorgt, dass mit Stand 24. August 2020, 14:18 Uhr, nur 130 Rückmeldungen verzeichnet waren. Schaut man sich diese 130 Rückmeldungen an, so zeigen sie einen Bürgerwillen, der wahrscheinlich nicht so ganz zur Intention der EU-Kommission passt. Und viele der Rückmelder machen auch deutlich, dass sie zwar hier Meinung kund tun, aber damit keinesfalls einem obrigkeitsstaatlichen Entscheidungsweg mit einem Bürgerbeteiligungs-Feigenblatt legitimieren wollen. Als Beispiel sei aus dem Schreiben von Martha S. zitiert:
„Zufällig bin ich im Internet auf Ihre Initiative gestoßen. Ich war überrascht, dass die EU auf diesem Gebiet eine neue Initiative plant. Ich bin politisch sehr interessiert und besonders das Thema Migration verfolge ich mit großem Interesse. Ich war deswegen sehr verwundert, dass mich die Information über diese Initiative erst auf Umwegen über einen privaten, politischen Blog, den ich täglich lese, erreicht hat.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Selbst- und Außenwahrnehmung staatlicher Institutionen sehr weit auseinander liegen. Woran liegt das? Woran liegt es in Ihrem Fall? Wie kann es sein, dass ich als politisch interessierte Bürgerin nichts von Ihren neuen Planungen zum Thema Migrations- und Asylpakt weiß, einem Thema, das die Lebenswelt aller EU-Bürger tiefgreifend und langfristig verändern wird? Haben Sie sich ein eigenes Limit gesetzt im Sinne von – so und so viele Rückmeldungen sind nötig, damit wir die Initiative fortsetzen? Und wenn Sie dieses Limit nicht erreichen, haben Sie sich Maßnahmen überlegt, wie Sie dem Bürger tatsächlich nahe kommen? Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Möglichkeit zum Mitspracherecht nur ein Feigenblatt ist, hinter dem sich politischen Ambitionen verbergen, über die mit den Bürgern nicht offen diskutiert wurde.
Meine Wünsche als EU-Bürgerin ganz konkret:
Wenn Sie Rückmeldungen zu Ihrem Fahrplan wünschen, ist es Ihre Aufgabe, diesen in deutscher Sprache bereitzustellen. Ich möchte nicht Stunden damit verbringen müssen, mir einen komplexen Sachverhalt vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
Wenn Sie registrieren, dass es zu wenige Rückmeldungen gibt, könnten Sie über die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Werbespots ausstrahlen, in denen Sie über die Initiative informieren. Nachrichtenmoderatoren wie z.B. Herr Kleber könnten regelmäßig über die Initiative berichten und über die Möglichkeit zum Mitspracherecht. Oder schalten Sie Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen.
Ich möchte, dass die EU, bevor ein weitreichender neuer Migrations- und Asylpakt geplant und umgesetzt wird, auch auf die negativen Seiten von bisher immer noch unkontrollierter Migration schaut. Ich möchte, dass über diese Probleme offen gesprochen wird. Natürlich hat Migration positive Seiten. Da ich aber den Eindruck habe, dass die negativen Aspekte von Ihnen weggelassen werden, fällt es mir schwer, Vertrauen in Ihre Initiative zu entwickeln. Der Bürger muss sicher sein können, dass er an erster Stelle steht, dass offen über Vor- und Nachteile von Migration und Asyl gesprochen wird.“
Vermutlich wird die Stimme von Frau S. kaum Gehör finden. Die Brüsseler Funktionsträger könnten auch guten Gewissens sagen, dass 130 Wortmeldungen im großen Europa wirklich nicht relevant seien. Denn Schweigen verrechnen politische Akteure immer als Zustimmung.