Peter Grimm / 25.08.2020 / 12:00 / Foto: Simon A. Eugster / 48 / Seite ausdrucken

EU-Placebo-Befragung zur Migration

Die EU-Kommission fragt die EU-Bürger aktuell gnädigerweise nach ihrer Meinung, bevor sie eine Vorlage zu einem neuen Migrations- und Asylpakt beschließt. Es ist ja schließlich nicht irgendwas, was da fünf Jahre nach dem plötzlichen Millionen-Zuzug im Rahmen von „Flüchtlingskrise“ und „Willkommenskultur“ auf der Tagesordnung steht. Offiziell heißt es:

„Mit dem neuen Migrations- und Asylpakt soll ein umfassender, nachhaltiger und krisenfester Rahmen für die Steuerung von Asyl und Migration in der EU geschaffen werden. Er umfasst die gesamte Migrationsroute – von den Herkunfts- und Transitländern bis zu den Aufnahmeländern in der EU.

Der Pakt wird zwar auf den Vorschlägen der Kommission aus den Jahren 2015 und 2018 aufbauen, er wird aber Schlupflöcher schließen und das Gemeinsame Europäische Asylsystem modernisieren, damit die EU-Länder eine wirksame Asyl- und Migrationspolitik durchführen und umsetzen können.“

Wie schön, dass man also als Bürger ein wenig mitreden darf. Seit dem 20. Juli und noch bis zum 27. August Mitternacht können Sie dem Brüsseler EU-Apparat mitteilen, was Sie davon halten beziehungsweise erwarten. Wirklich zu sagen haben die Bürger damit nichts. Auch das, was in der amtlichen Gebrauchsanweisung zu lesen ist, klingt nicht gerade nach Mitsprache:

„Den eingehenden Rückmeldungen wird bei der weiteren Entwicklung und Feinabstimmung der Initiative Rechnung getragen. Die Kommission wird die eingegangenen Beiträge in einem Bericht zusammenfassen und dabei erläutern, in welcher Weise sie berücksichtigt werden bzw. warum bestimmte Vorschläge nicht aufgegriffen werden können. Die eingegangenen Rückmeldungen werden auf dieser Website veröffentlicht. Sie müssen daher den für Feedback geltenden Regeln entsprechen.“

Ignoranz oder Inkompetenz?

Auch wenn das Bürgervotum sicher kaum Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat, so wäre diese Plattform ja dennoch ein interessantes Forum für eine öffentliche Debatte zum Thema, die gibt es ja sonst kaum. Nur leider weiß keiner von dieser Frage der EU-Kommission an ihre Bürger. Wollte man nicht unterstellen, dass eine rege Beteiligung gar nicht erwünscht ist, dann hat sich in dem teuren Brüsseler EU-Apparat wohl kein Presse- und PR-Profi finden lassen, der sich der Verbreitung dieses Anliegens entsprechend professionell gewidmet hätte. Auch der Autor dieser Zeilen ist erst durch einen Leserhinweis darauf aufmerksam geworden.

Die heimlichtuerische Art, in der die Kommission hier mit den Bürgern kommuniziert, hat dafür gesorgt, dass mit Stand 24. August 2020, 14:18 Uhr, nur 130 Rückmeldungen verzeichnet waren. Schaut man sich diese 130 Rückmeldungen an, so zeigen sie einen Bürgerwillen, der wahrscheinlich nicht so ganz zur Intention der EU-Kommission passt. Und viele der Rückmelder machen auch deutlich, dass sie zwar hier Meinung kund tun, aber damit keinesfalls einem obrigkeitsstaatlichen Entscheidungsweg mit einem Bürgerbeteiligungs-Feigenblatt legitimieren wollen. Als Beispiel sei aus dem Schreiben von Martha S. zitiert:

„Zufällig bin ich im Internet auf Ihre Initiative gestoßen. Ich war überrascht, dass die EU auf diesem Gebiet eine neue Initiative plant. Ich bin politisch sehr interessiert und besonders das Thema Migration verfolge ich mit großem Interesse. Ich war deswegen sehr verwundert, dass mich die Information über diese Initiative erst auf Umwegen über einen privaten, politischen Blog, den ich täglich lese, erreicht hat.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Selbst- und Außenwahrnehmung staatlicher Institutionen sehr weit auseinander liegen. Woran liegt das? Woran liegt es in Ihrem Fall? Wie kann es sein, dass ich als politisch interessierte Bürgerin nichts von Ihren neuen Planungen zum Thema Migrations- und Asylpakt weiß, einem Thema, das die Lebenswelt aller EU-Bürger tiefgreifend und langfristig verändern wird? Haben Sie sich ein eigenes Limit gesetzt im Sinne von – so und so viele Rückmeldungen sind nötig, damit wir die Initiative fortsetzen? Und wenn Sie dieses Limit nicht erreichen, haben Sie sich Maßnahmen überlegt, wie Sie dem Bürger tatsächlich nahe kommen? Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Möglichkeit zum Mitspracherecht nur ein Feigenblatt ist, hinter dem sich politischen Ambitionen verbergen, über die mit den Bürgern nicht offen diskutiert wurde.

Meine Wünsche als EU-Bürgerin ganz konkret:
Wenn Sie Rückmeldungen zu Ihrem Fahrplan wünschen, ist es Ihre Aufgabe, diesen in deutscher Sprache bereitzustellen. Ich möchte nicht Stunden damit verbringen müssen, mir einen komplexen Sachverhalt vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen.

Wenn Sie registrieren, dass es zu wenige Rückmeldungen gibt, könnten Sie über die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Werbespots ausstrahlen, in denen Sie über die Initiative informieren. Nachrichtenmoderatoren wie z.B. Herr Kleber könnten regelmäßig über die Initiative berichten und über die Möglichkeit zum Mitspracherecht. Oder schalten Sie Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen.

Ich möchte, dass die EU, bevor ein weitreichender neuer Migrations- und Asylpakt geplant und umgesetzt wird, auch auf die negativen Seiten von bisher immer noch unkontrollierter Migration schaut. Ich möchte, dass über diese Probleme offen gesprochen wird. Natürlich hat Migration positive Seiten. Da ich aber den Eindruck habe, dass die negativen Aspekte von Ihnen weggelassen werden, fällt es mir schwer, Vertrauen in Ihre Initiative zu entwickeln. Der Bürger muss sicher sein können, dass er an erster Stelle steht, dass offen über Vor- und Nachteile von Migration und Asyl gesprochen wird.“

Vermutlich wird die Stimme von Frau S. kaum Gehör finden. Die Brüsseler Funktionsträger könnten auch guten Gewissens sagen, dass 130 Wortmeldungen im großen Europa wirklich nicht relevant seien. Denn Schweigen verrechnen politische Akteure immer als Zustimmung.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

F. Auerbacher / 25.08.2020

Das ist ja wohl die Unverschämtheit in Form gegossen! So gewissermaßen im Geheimen ein Feedback abzufragen um dann nachher zu sagen: Ach ja, die Einwände waren marginal! Es sind jetzt (25.8. um 12 Uhr) ca. 250 Rückmeldungen aus ganz Europa!  Ohne Achgut wüsste ich gar nichts von dieser Befragung. Wissen die Menschen in den Visegrad Staaten überhaupt davon? Es ist noch nicht zu spät, Haltung zu zeigen (ja, Haltung zu zeigen!) - dass damit nichts geändert wird ist schon klar, aber ich will morgen noch ohne Scham in den Spiegel schauen können. Mein Feedback geht heute noch raus!

Jürgen Fischer / 25.08.2020

Hatten wir derartiges nicht schon bei der Sommerzeitgeschichte? Was kam da raus? Genau, nichts. Wobei fairerweise eingewendet werden muss, dass wir inzwischen ganz andere Probleme haben als eine Stunde hin oder her. Aber es geht ja weder um Zeitumstellung noch um Migration, sondern wie man ein Maximum an Geld aus dem jeweiligen Thema schlagen kann. Volkes Stimme wird da so oder so nicht gehört, da störend, aber man will wenigstens den Eindruck erwecken, als ob.

Claudius Pappe / 25.08.2020

Jens Span lässt sich in Wuppertal durch Polizeigewalt den Weg freiräumen…siehe TE

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 12.04.2024 / 06:15 / 136

Kein Drama beim Höcke-Duell

Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt mit seinem AfD-Pendant Björn Höcke in ein TV-Duell ging, sorgte für Aufsehen und Protest. Heraus kam eine ganz normale Fernsehsendung,…/ mehr

Peter Grimm / 11.04.2024 / 12:45 / 50

Die Rundfahrt eines Polizeibekannten

Der Irrwitz deutscher Asylpolitik zeigt sich zuweilen auch in absurden Geschichten aus dem Polizeibericht. Bei zu vielen Asylbewerbern drückt sich das Verhältnis zur Gesellschaft im…/ mehr

Peter Grimm / 09.04.2024 / 06:15 / 140

Droht eine Landesregierungs-Entmachtung nach AfD-Sieg?

Fünf Jahre nach dem „Rückgängigmachen“ einer Ministerpräsidentenwahl überlegen Juristen jetzt, wie man missliebige Landesregierungen mittels „Bundeszwang“ entmachten und zeitweise durch einen Staatskommissar ersetzen könnte. Sie…/ mehr

Peter Grimm / 03.04.2024 / 13:00 / 33

Wer darf Feindsender verbieten?

Wenn Israel das Gleiche tut wie EU und deutsche Bundesregierung zwei Jahre zuvor, dann ist selbige Bundesregierung plötzlich besorgt. Bei Doppelstandards ist Deutschland immer noch…/ mehr

Peter Grimm / 30.03.2024 / 09:00 / 75

Durchsicht: Die populärste Kommunistin?

Sahra Wagenknecht verteidigte als Kommunistin die DDR und begeistert heute selbst Konservative. Klaus-Rüdiger Mai beschreibt, wie die Frau zu verstehen ist. / mehr

Peter Grimm / 24.03.2024 / 12:00 / 77

Fürchtet Putin Angriffe aus verdrängten Kriegen?

143 Todesopfer hat der Anschlag auf ein Konzert in der Moskauer Region gefordert. Der Islamische Staat hat sich dazu bekannt, doch der Kreml hätte gern andere…/ mehr

Peter Grimm / 18.03.2024 / 10:00 / 78

Durchsicht: Migrationstheater im Bundestag

Am Freitag debattierte der Bundestag wieder einmal über die Migrationskrise. Die Selbstdarstellung der Nach-Merkel-CDU war, wie auch die Reaktion aus der SPD, bemerkenswert. Politisch wenig…/ mehr

Peter Grimm / 14.03.2024 / 12:30 / 55

Nix rausgekommen beim Kanzler?

Am Mittwoch stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz den Fragen der Bundestagsabgeordneten und schaffte es wieder, mit vielen Worten keine klare Antwort zu geben. Und er…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com