Die EU will „wieder in den Krisenmodus wechseln“ und strickt an zahlreichen „Kriseninstrumenten“. Nicht zuletzt soll mit dem „Europäischen Schutzschild für die Demokratie“ ein Zensurinstrument etabliert werden.
Ein Satz im Rückblick der EU-Kommission auf die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit lässt aufhorchen. Wörtlich heißt es hier: „In den kommenden Monaten und Jahren werden wir wieder in den Krisenmodus wechseln müssen.“ Was genau meint die Kommission mit „Krisenmodus“? Und was mit „wieder“? Wieder wie in Corona-Zeiten? Angesichts der „weltweiten tektonischen Verschiebungen“ müsse sich die Europäische Union „neuen und bisher nie dagewesenen Herausforderungen“ stellen, um „Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit zu gewährleisten“. Und weiter: „Die Kommission ist bereit, sich diesen neuen Herausforderungen mit außergewöhnlichen Maßnahmen in beispiellosem Ausmaß, Umfang und Tempo zu stellen.“
Das klingt heroisch. Doch geht es der Kommission tatsächlich ausschließlich um „Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit“ – oder um weit mehr? Jedenfalls strickt sie gerade rührig an zahlreichen Verordnungen und „Kriseninstrumenten“ in unterschiedlichen Politikfeldern. Dazu zählen vor allem der „Europäische Schutzschild für die Demokratie“, die „Verordnung über die Vergabe von Zwangslizenzen für das Krisenmanagement“, das „Veteidigungsinstrument SAFE“ und natürlich die Einführung des digitalen Zentralbankgeldes und der digitalen EU-Identität. Dass COVID-19 tatsächlich zur Etablierung einiger „Kriseninstrumente“ geführt hat, verhehlen die EU-Institutionen nicht.
So wurde zum Beispiel eine Verordnung zur Schaffung eines Notfallinstruments für den Binnenmarkt initiiert (Internal Market Emergency And Resilience Act, kurz: IMERA), das unter anderem beschleunigte Verfahren zur Markteinführung bestimmter Produkte vorsieht und es der EU-Kommission sogar erlauben würde, sich im Krisenfall direkt in die Produktionsabläufe von Unternehmen einzuklinken (Achgut berichtete). Auch die Verordnung über einen Rahmen zur Gewährleistung der Bereitstellung von krisenrelevanten medizinischen Gegenmaßnahmen im Falle einer gesundheitlichen Notlage gehört zu diesen neuen Instrumenten, die für eine Verbesserung der epidemiologischen Überwachung, des Datenaustauschs und der gemeinsamen Beschaffung etwa von Impfstoffen sorgen soll.
Vergabe von Zwangslizenzen
Zwar beruhen die Instrumente angeblich vor allem auf freiwilligen Ansätzen, aber in einigen Fällen könnte die Vergabe von Zwangslizenzen einen Weg bieten, um die rasche Herstellung von Produkten zu ermöglichen, die während einer Krise benötigt werden. Das behauptet jedenfalls der Europäische Rat (also die EU-Mitgliedstaaten), der aktuell eine vorläufige Einigung mit dem EU-Parlament zur Verordnung über die Vergabe von Zwangslizenzen für das Krisenmanagement erzielt hat. Die unionsweite Zwangslizenz ist demnach ein Instrument, das die Nutzung eines Rechts des geistigen Eigentums (das heißt eines Patents) ohne die Zustimmung des Rechteinhabers vorsieht, um die Verfügbarkeit kritischer Produkte im Binnenmarkt sicherzustellen. Bei der Vergabe von Zwangslizenzen handele es sich allerdings um ein letztes Mittel.
Außerdem fallen zum Beispiel Verteidigungsgüter nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung. In Krisensituationen (zum Beispiel bei einer Pandemie oder einer Naturkatastrophe) könne die Vergabe von Zwangslizenzen jedoch dazu beitragen, den Zugang zu Schlüsselprodukten und -technologien zu ermöglichen, wenn beispielsweise der Patentinhaber nicht über die Kapazitäten verfügt, um die erforderlichen Mengen eines kritischen Produkts herzustellen, und freiwillige Vereinbarungen nicht verfügbar oder durchführbar sind. Der EU-weite Rahmen für die Vergabe von Zwangslizenzen wird erst nach Aktivierung eines Notfall- oder Krisenmodus auf EU-Ebene ausgelöst. Unklar ist, ob die EU-Kommission davon ausgeht, dass dieses „Kriseninstrument“ in absehbarer Zeit zum Einsatz kommen wird.
Auch in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen am 29. Mai bleibt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eher vage. Sie beginnt mit dem prätentiösen Bekenntnis: „Europa ist mein Leben.“ Um dann mit Nachdruck zu fordern, dass Europa nun „die Dinge selbst in die Hand nehmen“ müsse. Denn die „internationale Ordnung“ habe sich innerhalb kürzester Zeit in eine „internationale Unordnung verwandelt“. Die Welt sei erneut geprägt von imperialem Machtstreben, imperialen Kriegen und autoritären Mächten, die bereit seien, alle lauteren und unlauteren Mittel einzusetzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Europa müsse daher unabhängig werden und denselben Ehrgeiz, dieselbe Einheit und dieselbe Tatkraft beweisen wie in den vergangenen Jahren.
Die EU habe nämlich gezeigt, dass sie geschlossen und schnell handeln könne, etwa in der Pandemie und bei der Überwindung ihrer wirtschaftlichen Folgen, beim Schutz von Natur und Klima, bei der Energiesicherheit sowie bei der Unterstützung der Ukraine. Sie müsse sich künftig auf vier zentrale Aufgaben konzentrieren: An erster Stelle stehe die Entwicklung einer neuen Pax Europaea des 21. Jahrhunderts. Da Russland und andere ihre Kriegswirtschaft weiter hochfahren würden, müsse die EU dringend in die eigene Sicherheit investieren. Dass die EU jetzt 800 Milliarden Euro für Verteidigung ermöglicht hat und die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben auf historische Höchststände erhöht haben, wäre noch vor wenigen Jahren unmöglich gewesen, so von der Leyen.
Ambitionen von Konzernen und Finanzinstitutionen
In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass im Rat der EU gerade eine Einigung über das Instrument „Sicherheitsmaßnahmen für Europa“ (SAFE) erzielt worden ist. Dadurch kann die Kommission bis zu 150 Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten mobilisieren und den EU-Mitgliedstaaten „finanzielle Hebel“ zur Verfügung stellen, um in Verteidigungsbereiche wie etwa Drohnen zu investieren. Mit anderen Worten: Die darbende europäische Wirtschaft soll mit Investitionen in die Rüstungsindustrie angekurbelt werden. Und es fällt noch ein weiterer bemerkenswerter Satz in Aachen.
Wörtlich sagte von der Leyen in ihrer Karlspreis-Rede: „Noch in dieser Dekade wird sich eine neue internationale Ordnung herausschälen.“ Und weiter: „Wenn wir die Konsequenzen, die sich für Europa und die Welt daraus ergeben, nicht einfach hinnehmen wollen, dann müssen wir diese neue Ordnung gestalten. Die Geschichte verzeiht weder Zögern und Zaudern. Unser Auftrag heißt – europäische Unabhängigkeit.“
Die zweite Priorität laute daher, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum der Erneuerung Europas zu rücken. Europa habe alles, um eine Führungsrolle in der Weltwirtschaft von morgen zu übernehmen. Die Universitäten müssten Magneten für Exzellenz werden. Und die Chancen, diese Vision zu verwirklichen, stünden gut, da ein riesiger Pool privaten Kapitals darauf warte, investiert zu werden. Außerdem habe die EU einen Masterplan, der Investitionen in Künstliche Intelligenz sowie andere innovative Technologien ins Zentrum rücke und dabei Rücksicht auf die Umwelt und die Gesundheit kommender Generationen nehme.
Bei dieser Aufzählung drängt sich unmittelbar die Frage auf: Stehen hinter der Floskel der „Unabhängigkeit“ Europas womöglich in erster Linie Geschäftsinteressen? Nämlich die Ambitionen von Konzernen, Finanzinstitutionen und andere Organisationen, die in den USA keine Zukunft mehr sehen, weil politische Ideologien wie die Klimaneutralität dort von höchster Stelle beendet werden? Und die deswegen verstärkt in der EU Fuß fassen wollen, weil hier noch unerbittlich am Ziel der Klimaneutralität festgehalten wird?
Schließlich hat die EU-Kommission gerade eine Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP) der Mitgliedstaaten veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommt, dass die EU derzeit auf gutem Kurs ist, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um rund 54 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Damit wird die EU nahezu ihrem Legislativpaket „Fit für 55“ gerecht, in dem eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 festgeschrieben ist. Für alle Unternehmen, Stiftungen und NGOs, die die Klimaneutralität zu ihrem Geschäftsfeld gemacht haben, stellt die EU also einen denkbar attraktiven Markt dar.
Zusammenarbeit mit dem Schwarzmeerraum
Die dritte Aufgabe bestehe darin, an der „nächsten historischen Wiedervereinigung“ des Kontinents zu arbeiten, so von der Leyen weiter. Die Länder Europas willkommen zu heißen, die sich aus freien Stücken für einen Beitritt zur EU entschieden haben, sei nicht nur moralisch geboten, sondern eine Grundvoraussetzung für ein stärkeres Europa: Eine größere, wiedervereinigte Europäische Union werde Europas Stimme in der Welt mehr Gewicht verleihen und dazu beitragen, Abhängigkeiten zu verringern. O-Ton von der Leyen:
„Ich bin davon überzeugt, dass die Geschichte uns jetzt ruft. Genau wie damals, 1989, als der Wind des Wandels Europa erfasste. Wir sehen doch jeden Tag in der Ukraine, was es bedeutet, für die Freiheit zu kämpfen. Wir sehen doch, welche Opfer die Menschen bereit sind zu bringen – seit nunmehr dreieinhalb Jahren. Ja, dies ist ein historischer Moment. Und wir dürfen ihn nicht untätig vorbeiziehen lassen. Wir müssen uns der Aufgabe stellen. Für die Ukraine. Für den Westbalkan. Für die Moldau-Republik. Hoffentlich für Georgien. Für all jene, die sich entschieden habenn“
Passend dazu hat die EU-Kommission soeben eine neue Strategie für die Schwarzmeerregion vorgelegt, um die geopolitische Rolle der EU zu stärken und Europa enger mit dem Südkaukasus und Zentralasien zu verknüpfen – namentlich mit der Ukraine, der Republik Moldau, Georgien, der Türkei, Armenien und Aserbaidschan. Die künftige Zusammenarbeit mit dem Schwarzmeerraum gliedert sich danei in drei Säulen: Sicherheit und Stabilität, nachhaltiges Wachstum und Umwelt- sowie Klimaschutz. Auch ein maritimes Sicherheitszentrum für das Schwarze Meer, durch das zum Beispiel unterirdische Kabel und Schiffahrtswege geschützt werden sollen, sowie der Wiederaufbau der Ukraine sind Teil der neuen Strategie.
Vertrauen in die Institutionen der EU untergraben
Als vierte Aufgabe schließlich nennt von der Leyen die Erneuerung und die Stärkung der Demokratie, und sie führt aus:
„Wenn ich das Wiedererstarken extremistischer Parteien oder illiberaler Strömungen in Europa beobachte, bin ich besorgt. Das ist ein Trend, der nicht einfach vorübergeht. Doch weitaus stärker als die Sorge, ist die Verpflichtung, unsere Demokratien vor Angriffen zu schützen, sie zu stärken, sie zu bewahren. Und genau das tun wir.“
Und wie tut das die EU-Kommission? Unter anderem mit der Einführung eines „Europäischen Schutzschildes für die Demokratie“ (European Democracy Shield, kurz: EUDS). Am 12. Mai hat sich nun auch ein entsprechender Ausschuss im EU-Parlament konstituiert. Ausschlaggebend für die Notwendigkeit eines derartigen „Schutzschildes“ seien Angriffe von autoritären Regimen und nichtstaatlichen Akteuren auf die europäischen Demokratien zum Beispiel in Form von Wahleinmischung. Hier werden unter anderem Russland, China und Elon Musk genannt. Letzterer ergreife Partei und nutze die Macht seines sozialen Netzwerks, um seine eigenen Interessen durchzusetzen.
In einem Arbeitspapier schlägt der verantwortliche Berichterstatter Tomas Tobé, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EPP), in dieselbe Kerbe: In den letzten Jahren sehe sich die Europäische Union mit einer eskalierenden Bedrohungslage durch ausländische Informationsmanipulation und Einmischung („Foreign Information Manipulation and Interference“, kurz: FIMI), hybride Angriffe und Desinformationskampagnen bedroht, die von böswilligen Akteuren aus Drittländern inszeniert würden. Durch diese feindlichen Aktivitäten würde das Vertrauen in die Institutionen der EU untergraben, da Einfluss auf die öffentlichen Meinung und die Bevölkerung ausgeübt würde.
Auch die Entscheidung der US-Regierung, ihre Beihilfepolitik zu ändern, habe sich negativ auf den Medienmarkt der EU ausgewirkt. Bei der Bekämpfung von Desinformation könnten jedoch zivilgesellschaftliche Netzwerke zur Faktenüberprüfung eine entscheidende Rolle spielen. Sprich: Meldestellen wie die „Trusted Flaggers“ sollen noch mehr Macht bekommen, damit „Hass und Fake News“ im Internet schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden können. Es müsse ein hohes Niveau der zivilen und militärischen Abwehrbereitschaft erreicht werden.
Und zwar durch einen gesamtgesellschaftlichen, gesamtstaatlichen und auf alle Gefahren ausgerichteten Ansatz, der die Behörden der Mitgliedstaaten mit den Organen der EU sowie mit Unternehmen, Hochschulen, der Zivilgesellschaft und den Bürgern zusammenbringe. Dazu sei ein verbesserter Informationsaustausch und klare Koordinierungsmechanismen zwischen zivilen und militärischen Akteuren nötig, um sicherzustellen, dass Notfallmaßnahmen schnell, effizient und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sind. Gleichzeitig sei eine klare Kommunikationsstrategie innerhalb der EU erforderlich, die so straff wie möglich gestaltet werden müsse.
EU-Strategie für die „Zivilgesellschaft“
Zwischen dem 31. März und dem 26. Mai hat die EU-Kommission nun eine öffentliche Konsultation durchgeführt, in der sie um Stellungnahmen zum geplanten „Europäischen Schutzschild für die Demokratie“ gebeten hat. Im Infotext zu dieser Sondierung ist zu lesen:
„2024 ergab die Flash-Eurobarometer-Umfrage 550, dass die Bürgerinnen und Bürger der EU wachsendes Misstrauen und wachsende Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen (36 %) und falsche und/oder irreführende Informationen im Internet und offline (34 %) als die beiden größten Bedrohungen wahrnehmen. Das Standard-Eurobarometer 102 zeigte zudem, dass 82 % der Europäerinnen und Europäer sich einig sind, dass Nachrichten oder Informein ationen, die die Realität verdrehen oder gar falsch sind, ein Problem für die Demokratie im Allgemeinen darstellen.“
Mit anderen Worten: Die EU-Kommission erfüllt mit dem „Europäischen Schutzschild für die Demokratie“ lediglich den angeblichen Bürgerwillen. Es sei „eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit und Vorsorge seitens der Gesellschaft“ notwendig – unter anderem durch „verbesserte Medien- und digitale Kompetenzen, ein kritischeres Denken der Bürgerinnen und Bürger sowie durch eine Stärkung der öffentlichen und sozialen Infrastruktur –, um demokratische Gesellschaften weniger anfällig für Manipulations- und Einmischungsversuche zu machen“.
Und es sei „ein entschlossener, strategischer, operativer und gesamtgesellschaftlicher Ansatz“ erforderlich, um die Demokratien vor solchen Bedrohungen zu schützen. Es müsse daher für ein „effizientes Instrumentarium“ und „Maßnahmen auf Unionsebene“ gesorgt werden. Parallel zu dem „Schutzschild“ plane die Kommission, eine EU-Strategie für die „Zivilgesellschaft“ (sprich: NGOs und Stiftungen) vorzulegen. Die Strategie werde den „Organisationen der Zivilgesellschaft“ den Rücken stärken, ihre Zusammenarbeit mit der Kommission intensivieren und gewährleisten, dass ihre Arbeit besser abgesichert ist.
EU-Bürger wollen das gleiche wie EU-Kommission?
Die EU-Kommission hat auch schon flugs eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen zur Unterstützung des Aufbaus eines europäischen Netzes von Faktenprüfern im Einklang mit den politischen Leitlinien von Präsidentin von der Leyen für den Zeitraum 2024 bis 2029 veröffentlicht, mit denen die Initiative „Europäischer Demokratieschild“ eingeführt worden ist. Die Frist dafür läuft noch bis zum 2. September. Die Initiative verfügt über eine Mittelausstattung in Höhe von insgesamt 5 Millionen Euro. Sie steht nicht nur Interessenträgern aus den EU-Mitgliedstaaten offen, sondern auch Beitrittskandidatenländern sowie Nachbarländern, die mit dem Programm „Digitales Europa“ assoziiert sind. Heißt: Einschlägige NGOs können sich auf eine noch höhere finanzielle Förderung freuen, und gleichzeitg soll das Faktenchecker-Netz europaweit verdichtet und koordiniert werden.
Da kommt es wie gerufen, dass die jüngste Eurobarometer-Umfrage angeblich das höchste Maß an Vertrauen in die Europäischen Union seit 18 Jahren belegt. Auch die Unterstützung für die gemeinsame Währung Euro sei so hoch wie nie zuvor. Außerdem würden sich die Menschen in Europa eine stärkere und entschlossenere EU durch eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wünschen. Es ist schon praktisch, dass sich die EU-Bürger immer genau das wünschen, was die EU-Kommission gerade sowieso vorhat. Oder sollte dieses Ergebnis das Resultat der Erhebungmethode sein, bei der die Fragen geschickt vorgegeben sind?
Jedenfalls kommt es der EU-Kommission sicherlich gelegen, dass sie in Hinblick auf die anstehende Einführung des digitalen Euro und der digitalen EU-Identität auf die hohe Zustimmung der EU-Bürger zum Euro und zur EU verweisen kann. Falls es dabei doch zu einem Widerstand in der Bevölkerung kommen sollte, werden wohl das bis dahin ausgebaute europaweite Faktenchecker-Netz und der „Europäische Schutzschild für die Demokratie“ dafür sorgen, dass die kritischen Stimmen nicht allzu laut werden.
Als Desinformation und Propaganda gebrandmarkt
Und die kritischen Stimmen gibt es durchaus. Wenn nämlich die Fragen nicht vorformuliert sind, sondern die Möglichkeit zu freien Kommentaren gegeben wird, tritt ein gerüttelt Maß an Misstrauen gegenüber dem „Schutzschild“ zu Tage. Falls die Rückmeldungen im Rahmen der öffentlichen Konsultation tatsächlich irgendeinen Einfluss auf den Legislativ-Vorschlag der Kommission haben sollten, müsste das „Schutzschild“ sofort gestoppt werden, denn von den über 1.500 Feedbacks fiel ein Großteil negativ aus. Von Zustimmung der Bürger kann kaum die Rede sein. Doch die Konsultation soll wohl vor allem nur den Anschein einer Bürgerbeteiligung wecken. In der automatisierten Antwort nach der Abgabe eines Kommentars auf der Konsultationswebseite heißt es dazu: „Die Kommission wird dem Parlament und dem Rat eine Zusammenfassung der eingegangenen Rückmeldungen vorlegen, sodass Ihre Ansichten in die Gesetzgebungsdebatte einfließen.“ Da wird die Kommission bestimmt gut aufpassen, was sie in ihre „Zusammenfassung“ der Rückmeldungen aufnehmen wird.
Ein Großteil der Bürger, die ihre Meinung mitgeteilt haben, befürchtet, dass unter dem Deckmantel des „Europäischen Schutzschildes für die Demokratie“ eine Zensurinfrastruktur entstehen soll, in der NGOs ohne jede demokratische Kontrolle Unsummen dafür kassieren werden, kritische Stimmen im Internet zu unterdrücken, während regierungsnahe Plattformen und Medien unverhältnismäßig subventioniert werden. Außerdem wird moniert, dass sich die EU-Kommission anmaßt zu entscheiden, welche Informationen gut und welche schlecht sind. Und es wird gefordert, dass auch unbequeme Meinungen und Medien zugelassen bleiben müssen, anstatt sie als Desinformation und Propaganda zu brandmarken. Vor allem wird der Kommission jedoch vorgeworfen, dass sie die EU-Bürger nicht als mündig erachtet, sich selbst eine Meinung bilden zu können!
„Wollen Sie DDR-Verhältnisse in der EU?“
Zum Abschluss noch eine Auswahl der kritischen Bürger-Stimmen, die auf der Konsultationswebseite veröffentlicht worden sind:
„Ich sehe den Europäischen Schutzschild für die Demokratie äußerst kritisch. Statt den Bürgern mehr Vertrauen in ihre eigene Urteilskraft zu schenken, scheint diese Initiative darauf abzuzielen, Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit einzuschränken. Demokratie lebt von offener Debatte, nicht von Bevormundung. Daher fordere ich, diese Pläne zurückzunehmen und lehne diese ab!“
„Es ist inakzeptabel, dass die Europäische Union überhaupt in Erwägung zieht, das Recht der Bürger zur Information und Meinungsäußerung zu beschränken.“
„Hören Sie auf, die Meinungsfreiheit und Demokratie immer weiter einzuschränken! Wollen Sie DDR-Verhältnisse in der EU?“
„Eine lebendige Demokratie muss abweichende Meinungen aushalten. Vielleicht erweisen sich diese abweichenden Meinungen ja später als die richtigen. Die Meinung von Regierenden mag von den jeweiligen für richtig gehalten werden. Diese Meinungen aber für unangreifbar, weil angeblich einzig wahr zu erklären, ist ein typisches Zeichen von Diktatur. Sie sollten diesen Weg nicht weiter beschreiten.“
„Als europäischer Bürger will ich das nicht!“
„Die Meinungsfreiheit in der EU muss erhalten bleiben, gestärkt und geschützt werden. Was wir nicht brauchen sind Chatkontrollen, Trusted Flagger und Meldeportale, die dazu missbraucht werden können, unliebsame Meinungen zu kriminalisieren und zu verfolgen. NGOs sollten sich selbst finanzieren und nicht durch die EU und Steuergelder gefördert werden. Wir brauchen nicht noch mehr institutionelle Einmischung, sondern Institutionen, die die Bürger und ihre Ansichten respektieren und ihre Forderungen und Wünsche berücksichtigen und umsetzen. Das wäre der bessere Schutzschild für die Demokratie. Deshalb: Nein zum Europäischen Schutzschild für die Demokratie!“
„Das gestiegene Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen liegt zum größten Teil an den Personen, die dort tätig sind. Korruption, Lügen und Unfähigkeit sind leider an der Tagesordnung. Mehr Bürgerbeteiligung, zum Beispiel durch Volksabstimmungen, würden den Bürgern die Möglichkeit geben, die schlimmsten Entgleisungen der Bürokraten zu verhindern.“
„Als europäischer Bürger will ich das nicht! Ich lehne das ab! Das wird in Zensur münden. So verlieren Sie immer mehr mein Vertrauen.“
„Ich bin sehr skeptisch, dass die im Entwurf dargelegten Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit der Demokratie in der EU verbessern werden. Ich habe Angst, dass sie nur das Gegenteil tun werden. Die Redefreiheit ist das Fundament der Demokratie und der Entwicklung liberaler Denkweisen. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit wird zu Frustration und letztlich zum Rückzug der Bürgerinnen und Bürger aus dem politischen Diskurs führen. Die Demokratie in der EU braucht mehr Schutz der freien Meinungsäußerung und nicht mehr staatliche Kontrolle darüber.“
„Politisches Frühwarnsystem zur Zensur“
„Ich finde es zutiefst beunruhigend, mit welcher Selbstverständlichkeit unter dem Vorwand des Schutzes der Demokratie Eingriffe in die Meinungsfreiheit vorbereitet werden. Demokratie lebt vom Streit der Meinungen, von Vielfalt, Offenheit und auch vom Aushalten unbequemer Sichtweisen. Was hier allerdings geplant wird, erinnert eher an ein politisches Frühwarnsystem zur Zensur als an einen Schutzschild für die Demokratie. Begriffe wie tragfähiges Informationsökosystem oder Resilienz gegen Desinformation klingen technokratisch-vernünftig, dienen aber offenbar der gezielten Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger. Ich halte das für einen gefährlichen Irrweg. Ich wünsche mir eine EU, die sich dem freien Diskurs verpflichtet fühlt, nicht einer durch Algorithmen, Faktenchecker und Gremien kontrollierten Einheitsmeinung. Denn Meinungsfreiheit heißt eben auch: Menschen Dinge sagen zu lassen, die andere für falsch halten. Wer das nicht aushält, sollte sich nicht Demokrat nennen.“
„Wir benötigen keine Instanzen oder NGOs zum Schutz der Demokratie, sondern eine möglichst große und freie Medienlandschaft. Im Übrigen ist der größte Garant der Meinungsfreiheit die freie Rede und die freie Gegenrede, und zwar uneingeschränkt und auf jeder Plattform.“
„Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Demokratie! Wir Bürger sind der Souverän und das Parlament sind unsere Staatsdiener. Der Souverän muss offen und transparent über alle Kanäle freien Zugang finden, um sich breit informieren zu können. Daher bin ich als mündiger Bürger gegen ein Schutzschild für die Demokratie! Eine freiheitliche Demokratie braucht kein Schutzschild in dieser Form!“
„Vielfalt von Informationen und Meinungen macht die Stärke der Demokratie aus. Bestrebungen, diese obrigkeitlich zu reglementieren, wie hier beabsichtigt, gefährden die Demokratie. Die in diese Richtung gehenden Bestrebungen und Maßnahmen beobachte ich mit großer Sorge. Daher lehne ich einen europäischen Schutzschild für Demokratie ab. Schon diese Bezeichnung ist anmaßend!“
Unbequeme Positionen aus dem Diskurs verdrängen
„Ich lehne den Vorschlag der EU-Kommission entschieden ab, einen sogenannten europäischen Schutzschild für die Demokratie (EUDS) einzuführen, der unter dem Vorwand des Schutzes vor äußeren Bedrohungen wie Desinformation, Cyberangriffen und Wahleinmischung agieren soll. Die vorgesehenen Maßnahmen von der Bekämpfung vermeintlicher Manipulationen über den Aufbau eines EU-weiten Netzwerks von Faktenprüfern bis hin zur Regulierung von KI-generierten Inhalten und politischer Werbung laufen in Wahrheit auf die Schaffung eines zentralisierten Überwachungs- und Zensurapparats hinaus. Statt demokratische Prozesse zu stärken, besteht die reale Gefahr, dass missliebige Meinungen unterdrückt, alternative Perspektiven diskreditiert und öffentliche Debatten durch eine politisch gesteuerte Informationshoheit manipuliert werden. Die gebündelten Kompetenzen und Kontrollinstrumente bergen das Risiko, rechtlich unangreifbare, aber unbequeme Positionen systematisch aus dem Diskurs zu verdrängen. Dies untergräbt die Meinungsfreiheit und gefährdet die Grundpfeiler einer offenen Gesellschaft. Ich spreche mich daher kategorisch gegen die Einrichtung des EUDS in jeglicher Ausgestaltung aus.“
„Eine Demokratie benötigt kein Programm wie hier vorgeschlagen. Der mündige Bürger benötigt lediglich freien Informationszugang um sich seine eigene Meinung zu bilden. Alles andere ist Zensur und steht eher einer Autokratie oder Diktatur gut zu Gesicht.“
„Ein sogenannter Schutzschild gegen vermeintliche Desinformation und ausländische Einflussnahme birgt erhebliche Risiken: In der Praxis könnte dies zu einer verstärkten Überwachung und Kontrolle von Informationen führen, mit weitreichenden Folgen für Meinungsfreiheit und Pluralismus. Die ohnehin schwierige Balance zwischen Schutz und Freiheit gerät damit weiter ins Wanken. Es besteht die reale Gefahr, dass legitime Kritik oder oppositionelle Meinungen vorschnell als Desinformation gebrandmarkt und unterdrückt werden. Bereits seit 2020, im Zuge der Corona-Pandemie, lässt sich beobachten, wie sich der Raum für freie Meinungsäußerung zunehmend verengt hat. Die Angst, für abweichende Ansichten gesellschaftliche oder berufliche Konsequenzen tragen zu müssen, ist gewachsen. Ein solcher Schutzschild könnte diesen Trend weiter verschärfen und einen weiteren Sargnagel für die Meinungsfreiheit darstellen. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen kein Wahrheitsministerium und keinen EU-Schutzschild, der an Kriegszeiten erinnert, in denen Informationen gezielt unterdrückt werden. Solche Maßnahmen wecken vielmehr Misstrauen und gefährden das Fundament einer offenen Gesellschaft. Zudem sind Begriffe wie Desinformation oder ausländische Einflussnahme oft vage und bieten Raum für politische Instrumentalisierung. Es besteht das Risiko, dass diese Instrumente gezielt gegen politische Gegner oder unbequeme Medien eingesetzt werden mit der Folge, dass die Demokratie selbst Schaden nimmt. Die Initiative ist daher klar abzulehnen: Sie gefährdet die Meinungsfreiheit, zentralisiert Macht, öffnet Missbrauch Tür und Tor, ist in der Praxis schwer umsetzbar, lässt Bürgerbeteiligung vermissen und droht, geopolitische Spannungen weiter zu verschärfen.“
„Risiko politischer Willkür“
„Demokratie braucht keinen Schutzschild, der beste Schutz sind Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit selbst. Sie sind Voraussetzung für einen offenen und transparenten Diskurs unter mündigen und freien Bürgern! Denn genau davon lebt Demokratie. Eine Vorauswahl oder sogar Zensur von Information widerspricht einem aufgeklärten Menschenbild, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit widerspricht der Idee der Menschenwürde und der Demokratie. Demokratie lebt von Debatte, nicht durch Bevormundung durch politische Akteure der EU, die wohlmöglich unerwünschte Meinungen unterdrücken könnten. Deshalb fordere ich auf, diese Pläne zurückzunehmen.“
„Demokratie lebt von Vielfalt und einem breiten Spektrum und ist ein offenes System. Eine Demokratie ist der Schutzmechanismus für die Bürger, sich gegen einen übergriffigen und bevormundenden Staat zu schützen. Ein Schutzschild für Demokratie ist daher nicht nur überflüssig, sondern gefährlich, da er der Versuch ist, als Staat sich die Demokratie anzueignen und im Sinne einer Regierung zu regeln und zu steuern. Ein sog. Schutzschild würde letztlich nur den Meinungskorridor und die individuelle Freiheit der Bürger einengen. Ich lehne dieses Schutzschild auf das Schärfste ab.“
„Die durch die Initiative im Ergebnis geplanten Einschränkungen der Informationsfreiheit durch Gesetze, Exekutive, staatliche und mittelbare staatliche Akteure widerspricht in wesentlichen Punkten den Prinzipien eines demokratischen, freiheitlichen, rechtsstaatlichen Gemeinwesens. Vermutlich treffen folgende Einschätzungen zu: - Verfassungsrechtlich problematisch - Demokratietheoretisch bedenklich - Korruptionsanfällig - Innovationshemmend - Risiko politischer Willkür. Deshalb lehne ich die Initiative ab.“
„Die Meinungsfreiheit schützt auch die Lüge“
„Die EU muss von Grund auf reformiert oder vollständig umstrukturiert werden. Insbesondere die EU-Kommission ist nicht ausreichend demokratisch legitimiert, sondern bündelt Zuständigkeiten, die bei den Mitgliedstaaten verbleiben sollten. Besonders besorgniserregend ist, dass die EU-Kommission Notfälle (aufgrund von Pandemien, Klimawandel, Kriegsgefahr usw.) ausrufen kann, die ihr einen enormen politischen Einfluss verleihen würden. Die EU-Kommission in ihrer derzeitigen Form dient nicht den Interessen der Bürgerinnen und Bürger, sondern den Interessen von Lobbyisten und Investoren!“
„Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das nicht beschränkt werden darf. Zur freien Meinung gehört auch, unwahre Behauptungen aufzustellen. Dabei ist es irrelevant, ob das intentional oder nicht geschieht. Die Meinungsfreiheit schützt auch die Lüge (siehe Urteil Bundesverfassungsgericht). Der Begriff der Desinformation ist relativ neu und gehört in den Bereich des political framing. Er wird verwendet, um Meinungen, die nicht gefallen, zu kennzeichnen und zu unterdrücken. Demokratische Strukturen können jedoch nur erhalten werden, wenn demokratische Grundrechte ohne Einschränkung geschützt sind. Sämtliche Beschränkungen freier Rede sind daher sofort aufzuheben!“
„Der Europäische Schutzschild für die Demokratie (European Democracy Shield) stellt eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie dar, da er die Meinungsfreiheit einschränkt. Denn wer entscheidet, was Desinformation ist? Die EU-Kommission, die sich dazu dubioser NGOs bedient? Die EU-Bürger sind mündig genug, um sich selbst eine Meinung zu Informationen zu bilden! Wenn das Feedback der Bürger im Rahmen dieser Konsultation bei der Schutzschild-Initiative tatsächlich berücksichtigt werden würde, müsste die Initiative sofort gestoppt werden, da die meisten Bürger sie ablehnen. Wird es dazu kommen? Sicher nicht. Die Konsultation erweckt lediglich den Anschein, als würden die Stimmen der Bürger ernst genommen. Die EU muss von Grund auf reformiert oder vollständig neu ausgerichtet werden!“
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.