Das EU-Migrations- und Asylpaket wird vermutlich kaum zu einer Verringerung der Asylanträge führen – von Rückführungen ganz zu schweigen. Er zeigt die Ideologie einer grenzenlosen Welt.
Die Anzahl der Asylanträge in der EU bewegte sich im Jahr 2023 fast auf dem Niveau von 2015/2016: Bei den EU+-Ländern (EU-Mitgliedstaaten plus Norwegen und Schweiz) gingen über 1,1 Millionen Anträge auf internationalen Schutz ein. 30 Prozent der Anträge wurden in Deutschland gestellt. Nicht zuletzt in Hinblick auf die Europawahl hatten sich kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres EU-Parlament und Rat daher auf ein Migrations- und Asylpaket geeinigt, das von der EU-Kommission bereits im September 2020 vorgeschlagen worden war. Jetzt veröffentlichte die EU-Kommission einen Umsetzungsplan, mit dem sie „die Mitgliedstaaten Schritt für Schritt begleiten“ will.
In einer Pressemitteilung vom 12. Juni wird Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas mit den Worten zitiert:
„Heute legen wir ein Konzept für die nächsten zwei Jahre vor, das dazu beiträgt, das Migrations- und Asylpaket vor Ort zu verwirklichen. Damit stellt die Kommission erneut unter Beweis, dass sie alles dafür tut, dass die Mitgliedstaaten über das erforderliche Fachwissen sowie die nötige operative und finanzielle Unterstützung verfügen, um ihre rechtlichen Verpflichtungen in die Praxis umzusetzen. Nicht alle Mitgliedstaaten befinden sich in derselben Ausgangsposition, aber wir werden die Ziellinie gemeinsam erreichen.“
Zur Erinnerung: Das von der EU-Kommission als „historisch“ bezeichnete Migrations- und Asylpaket, das im April dieses Jahres vom Europäischen Parlament und im Mai vom Rat endgültig angenommen worden und am 11. Juni in Kraft getreten ist, sieht vor allem vor, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig die Wahl zwischen der Aufnahme von Asylbewerbern und finanziellen Beiträgen haben (achgut berichtete ausführlich hier). Außerdem sollen Asylanträge schneller bearbeitet und biometrische Daten von Asylbewerbern erfasst werden, die in eine EU-Mega-Datenbank einfließen.
EU-Umsetzungsplan dient nun als Grundlage für die Ausarbeitung der nationalen Umsetzungspläne
Darüber hinaus soll die EU-Kommission gegebenenfalls eine Migrationskrise ausrufen können, worunter sie einen Massenzustrom von Migranten oder Asylbewerbern versteht, durch den ein nationales Asylsystem blockiert wird oder der schwerwiegende Folgen für das Funktionieren des gemeinsamen EU-Asylsystems hat. In einem derartigen Krisenfall sind die Mitgliedstaaten nun verpflichtet, Solidaritätsbeiträge zu leisten, um den betroffenen Staat zu unterstützen. Insgesamt fällt auf, dass das EU-Paket, das ab dem 12. Juni 2026 zur Anwendung gelangen soll, weniger darauf ausgerichtet ist, „irreguläre“ Migration zu verhindern, als für eine bessere „Regulierung“ und Umverteilung zu sorgen.
Wie dringlich das Thema Migration ist, wird aus dem aktuellen Asylbericht der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) deutlich. Hier ist wörtlich zu lesen:
„So stieg die Anzahl der Asylanträge im Jahr 2023 auf ein Niveau, das an die Flüchtlingskrise von 2015/2016 erinnerte. Doch es erhielten noch weitaus mehr Menschen Schutz von den Ländern, denn zu den über 1,1 Millionen Asylbewerbern im Jahr 2023 sind die mehr als 4,3 Millionen Registrierten hinzuzurechnen, die seit Beginn der russischen Invasion vorübergehenden Schutz genießen.“
Den von Frontex erhobenen Daten zufolge wurden im vergangenen Jahr 385 000 irreguläre Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen festgestellt, was einem Anstieg von 18 Prozent gegenüber 2022 entspricht. Die meisten Anträge auf internationalen Schutz wurden von Syrern, Afghanen und Türken gestellt, auf die mehr als ein Drittel aller in den EU+-Ländern gestellten Anträge entfielen. 334 000 Anträge gingen allein in Deutschland ein, was ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zu 2022 bedeutet. Außerdem sind im Jahr 2023 laut Bundesregierung insgesamt 130 799 Visa zum Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen erteilt worden.
Der EU-Umsetzungsplan dient nun als Grundlage für die Ausarbeitung der nationalen Umsetzungspläne, die von den einzelnen Mitgliedstaaten bis Dezember 2024 erstellt werden müssen. Die EU-Kommission hat eigens spezielle Unterstützungsteams eingerichtet, die bis zum Herbst alle Hauptstädte der Mitgliedstaaten besuchen und die Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung ihrer nationalen Umsetzungspläne unterstützen sollen. Die Kommission hat sich verpflichtet, die Fortschritte bei der Umsetzung des Pakts genau zu überwachen und dem Parlament und dem Rat regelmäßig Bericht zu erstatten. Der EU-Umsetzungsplan, der sich als 56 Seiten umfassende pdf-Datei downloaden lässt, ist derzeit nur in englischer Sprache abrufbar.
Welche Abmachungen gibt es noch zum Thema Migration?
Er ist in zehn Bausteine gegliedert, die eng miteinander verknüpft sind und parallel umgesetzt werden müssen. Dazu zählen u.a. die Überarbeitung des EU-Informationssystems für die Bereiche Migration und Asyl (Eurodac) und ein neues System für das Migrationsmanagement an den EU-Außengrenzen, aber auch neue Garantien für Asylbewerber und die Gewährleistung angemessener Aufnahme- und Lebensstandards der Antragsteller. Außerdem wird betont, dass der Umsetzungsplan ausdrücklich auch in Rücksprache mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) entstanden ist.
Es lohnt sich also, sich noch einmal vor Augen zu führen, welche Abmachungen zum Thema Migration es bereits auf UN-Ebene gibt. Zunächst ist hier wieder einmal die Agenda 2030 zu nennen, in der sich die Vereinten Nationen 2015 verpflichtet haben, „die Art und Weise, in der unsere Gesellschaften Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, grundlegend zu verändern“. Auch der „positive Beitrag der Migranten zu inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung“ ist in der Agenda festgehalten und die angestrebte Senkung der „Transaktionskosten für Heimatüberweisungen von Migranten auf weniger als 3 Prozent“ bis 2030.
Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt übrigens am 25. September 2015 bei der Eröffnung des UN-Gipfels zur Verabschiedung der Agenda 2030 eine Rede und nahm dort auch an einer gemeinsamen Veranstaltung Deutschlands mit Ghana und Norwegen zum Thema „Securing a Healthy Future“ teil, bei der es um die Stärkung des globalen Gesundheitssystems und einen besseren Umgang mit zukünftigen Pandemien ging. Aber das nur am Rande. Jedenfalls springt ins Auge, dass Merkels „Grenzöffnung“ respektive „Offenhaltung der Grenzen“ genau wie die Verabschiedung der Agenda 2030 in den September 2015 fällt. Im Dezember 2018 wurde dann der UN-Migrationspakt von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Er trägt den vollständigen Titel „Globaler Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration, kurz: GCM) und wurde noch um den Flüchtlingspakt ergänzt.
Klimawandel als möglicher Migrationsgrund
Wie schon in der Agenda 2030 wird Migration auch im UN-Migrationspakt uneingeschränkt positiv bewertet. So ist gleich in der Präambel zu lesen: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.“ Offenkundige Probleme von Migration für die Zielländer werden bewusst ausgeblendet. Insofern vertritt der Pakt überwiegend die Perspektive von Migranten und enthält vor allem Forderungen an die Aufnahmeländer. Zwar sind die aus dem Pakt resultierenden Verpflichtungen für die Unterzeichnerstaaten rechtlich nicht bindend: Politisch bindend sind sie dagegen sehr wohl. So haben sie beispielsweise konkrete Auswirkungen auf die Ermessensentscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte. Auch das Pariser Klimaabkommen ist schließlich rechtlich nicht bindend, hat aber mit der Zeit etwa über EU-Richtlinien dennoch eine Verbindlichkeit entfaltet.
Als ein möglicher Fluchtgrund wird übrigens auch der Klimawandel genannt, was wiederum im EU-Asylbericht unhinterfragt aufgegriffen wird. Das ungebremste Bevölkerungswachstum besonders in den afrikanischen Ländern wird im UN-Migrationspakt dagegen nicht thematisiert. Auch der Unterschied zwischen tatsächlich asylberechtigten Flüchtlingen und sonstigen Migranten wird verwischt. Unter Ziel 7 ist etwa zu lesen: „Wir werden aufbauend auf bestehenden Verfahrensweisen Migranten mit irregulärem Status auf Einzelfallbasis und mit klaren und transparenten Kriterien den Zugang zu einer individuellen Prüfung, die zu einem regulären Status führen kann, erleichtern“. Es lohnt sich auch, den „Faktenchek“ des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge und António Guterres-Nachfolgers Filippo Grandi zum Thema „Vorurteile gegen Flüchtlinge“ zu lesen.
In Hinblick auf migrantische Gewaltkriminalität relativiert Grandi beispielsweise:
„Straftaten, die von Zuwander*innen verübt werden, sind durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren bedingt. Zum einen ist die Gruppe der Zuwanderer*innen ganz anders zusammengesetzt als die deutsche Gesamtbevölkerung und weist einen wesentlich höheren Anteil junger Männer auf: 71,5 Prozent derjenigen, die 2023 ihren Asylerstantrag gestellt haben, waren männlich, 72 Prozent von ihnen unter 30 Jahren alt. Männer zwischen 14 und 30 Jahren gelten als besonders risikobereit und sind bei Gewaltdelikten überrepräsentiert, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. Zum anderen spielen vor allem konkrete Lebenslagen und die Bleibeperspektive eine wichtige Rolle. Geduldete und sich unerlaubt in Deutschland aufhaltende Zugewanderte werden statistisch gesehen häufiger zu Straftäter*innen, weil sie unter der Unsicherheit und Perspektivlosigkeit leiden, die ihre Situation mit sich bringt. Auch schwere soziale Lebensbedingungen, wie sie etwa durch die Unterbringung unterschiedlicher ethnischer Gruppen in Massenunterkünften entstehen, können gewalttätige und andere strafbare Verhaltensweisen begünstigen.“
Alle Länder der Welt sind gleichermaßen Herkunfts- wie Einwanderungsländer?
Mit anderen Worten: Die Gewalttäter sind nicht selbst Schuld an ihren Taten, sondern die aufnehmende Gesellschaft muss sich mehr anstrengen. Die Forschung zeige zudem, dass insbesondere Armut und mangelnde Bildungsteilhabe kriminalitätsfördernd sind. Die Herkunft spiele keine Rolle, wenn diese Faktoren berücksichtigt würden. Daher seien bessere Integrationsmöglichkeiten und die Bekämpfung der Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund in Schulen nötig. Und zum Begriff „Obergrenze für Flüchtlinge“ merkt Grandi an:
„Mit der Forderung nach einer Obergrenze kann die Annahme einhergehen, dass ein Staat (Deutschland) ansonsten nicht mehr `Herr der Lage´ sei bzw. ein Zustand der Kontrolllosigkeit eintrete.“
Und weiter:
„Da die Gewährung des Flüchtlingsstatus jedoch mit völkerrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie unserer Verfassung, Menschen Schutz zu gewähren, die vor Verfolgung fliehen, einhergehen, kann es eine derartige Obergrenze nicht geben.“
Im UN-Migrationspakt wird zudem der Eindruck erweckt, als wären alle Länder der Welt gleichermaßen Herkunfts- wie Einwanderungsländer. So heißt es unter Ziel 23:
„Wir verpflichten uns, einander durch verstärkte internationale Zusammenarbeit und eine neu belebte globale Partnerschaft bei der Verwirklichung der in diesem Globalen Pakt festgelegten Ziele und Verpflichtungen zu unterstützen, wobei wir im Geist der Solidarität die zentrale Bedeutung eines umfassenden und integrierten Ansatzes für die Erleichterung einer sicheren, geordneten und regulären Migration bekräftigen und anerkennen, dass wir alle Herkunfts-, Transit- und Zielländer sind.“
Dabei dürfte jedem klar sein, dass die Pull-Faktoren einzelner Länder unterschiedlich stark ausgeprägt sind.
Es ist nun mal kein Zufall, dass Deutschland die meisten Asylanträge verzeichnet, sondern dieser Umstand verdankt sich den weit überdurchschnittlichen Sozialleistungen Deutschlands. Wollte man alle Länder gleich attraktiv für Migranten machen, müsste man die Standards der Sozialleistungen vereinheitlichen. Es ist jedoch höchst unrealistisch, dass die ganze Welt das Niveau der deutschen Sozialleistungen erreicht. Somit müsste eine Niveau-Angleichung letztlich durch die Reduzierung der deutschen Standards erfolgen.
Problem der „irregulären“ Migration
Am 8. November 2018 hielt übrigens ein gewisser Stephan Harbarth, damaliger Bundestagsabgeordneter für die CDU/CSU, eine Rede zum Tagesordnungspunkt „Umsetzung des Global Compact for Migration“. Darin sagte er wörtlich:
„Warum ist der Migrationsdruck nach Europa und nach Deutschland so hoch? Ist er so hoch, weil die Standards in der Welt zu verschieden sind oder weil die Standards in der Welt zu einheitlich sind? Die Standards in der Welt sind zu unterschiedlich. Muss es also unser Ziel sein, diese Standards anzunähern, oder muss es unser Ziel sein, diese Unterschiede zu vergrößern? Unser Ziel muss es sein, die Standards anzunähern.“
Ob Harbarth sich u.a. mit dieser Rede für das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts qualifiziert hat? Nebenbei bemerkt: Im vergangenen Jahr war hierzulande nur noch rund jeder zweite Empfänger der staatlichen Grundsicherung für Langzeitarbeitslose deutscher Staatsbürger. 2020 betrug der Anteil der Ausländer am Bürgergeld (damals Arbeitslosengeld II oder Hartz IV) knapp 20 Prozent. 2023 lag er bei 47,3 Prozent. Es bewahrheit sich einmal mehr, dass offene Grenzen und ein üppiger Sozialstaat einander auf Dauer ausschließen. Zum 1. Januar 2024 ist das Bürgergeld nun noch um zwölf Prozent gestiegen.
In Anbetracht der aktuellen Zahlen der EU-Asylagentur wird jedenfalls klar, dass der UN-Migrationspakt nicht zu einem Rückgang der Migration geführt hat, sondern sie im Gegenteil offenbar nur erleichtert hat. Nun kann man, um das Problem der „irregulären“ (also illegalen) Migration zu lösen, selbige entweder verhindern oder sie schlichtweg in „reguläre“ Migration umwandeln. Besonders „regulär“ wird Migration im Fall von Einbürgerungen. Und hier hat der Bundestag gerade dafür gesorgt, dass seit dem 27. Juni Einbürgerungen schon nach fünf oder bei „besonderen Integrationsleistungen“ sogar schon nach drei Jahren statt wie bisher nach acht Jahren möglich sind. Auch doppelte Staatsbürgerschaften sind jetzt zugelassen. Dabei gab es schon im vergangenen Jahr 200 095 Einbürgerungen: die größte Zahl an Einbürgerungen seit der Jahrtausendwende. Darunter waren beispielsweise 75 485 Syrer und 6520 Afghanen. Gleichzeitig waren Afghanen und Syrer in der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2023 deutlich überrepräsentiert.
Der Umsetzungsplan für die nächsten Jahre
Es steht zu befürchten, dass auch das Migrations- und Asylpaket samt Umsetzungsplan der EU die illegale Migration, die nicht zuletzt den tatsächlich Asylberechtigten schadet, eher befördern wird. So stellte auch Hans-Jürgen Papier, oberster Verfassungsrichter a.D., in der „Welt“ am 27. November 2023 kritisch fest: „Die überwiegende Auffassung der Politik und auch der Rechtspraxis besagt, dass mit der Anzeige, man werde einen Asylantrag stellen, die Einreise legal vollzogen werden kann. Aus dem damit verbundenen vorläufigen Aufenthaltsrecht wird dann faktisch oder auch aus Rechtsgründen vielfach ein Aufenthalt von unüberschaubarer Dauer. Das Problem dabei: Es handelt sich vielfach um illegale, rechtswidrige Migration, für die das Asylrecht zweckentfremdet als Türöffner dient.“ Und auch Prof. Dr. Fritz Söllner, Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Ilmenau, äußerte sich im Interview mit Milena Preradovic am 28. Juni dieses Jahres dahingehend, dass aus irregulärer Migration offensichtlich reguläre gemacht wird.
Der Umsetzungsplan liest sich dementsprechend vor allem wie eine Aneinanderreihung von Verwaltungsvorgaben und wird die EU-Mitgliedstaaten in den kommenden beiden Jahren gut beschäftigen. So sollen die einzelnen Länder zunächst ihren nationalen Rechtsrahmen überprüfen und erforderliche Anpassungen ihrer Rechtsvorschriften vornehmen. Gegebenenfalls müssen sie neue Dienste einrichten oder die Umstrukturierung von Behörden durchführen. Dabei soll die IT-Infrastruktur eine wesentliche Rolle spielen. Der nationale Durchführungsplan muss auch die derzeitige Zahl der entsprechenden staatlichen Mitarbeiter sowie deren erforderliche Aufstockung und den Schulungsbedarf widerspiegeln. Außerdem muss festgelegt werden, welche Aktivitäten einschlägige Organisationen wie etwa Anwaltsvereinigungen und NGOs durchführen können. Einschlägige NGOs sehen also weiterhin rosigen Zeiten entgegen.
Konkret müssen die EU-Staaten der Kommission bis Oktober 2024 den Entwurf ihres nationalen Umsetzungsplans vorlegen und ihr den Plan dann bis zum 12. Dezember 2024 zukommen lassen. Im ersten Halbjahr 2025 will die Kommission eine Entscheidung über die Zuweisung von Finanzmitteln fällen und einen Teil der Gelder aus dem mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) an die Mitgliedstaaten weiterleiten. Bis Juni 2026 sollen die Mitgliedstaaten schließlich in der Lage sein, den Migrations- und Asylpakt anzuwenden. Dabei soll das neue Eurodac-System, in dem u.a. die biometrischen Daten der Asylbewerber und Migranten gespeichert werden, zum „operativen Rückgrat“ werden.
Resettlement und Rückführungen
Bis September 2024 will die EU-Kommission den Eurodac-Regelungsausschuss (Eurodac Regulatory Committee) einberufen, damit der in der Eurodac-Verordnung vorgesehene Durchführungsrechtsakt erlassen werden kann. In den gesamten Umsetzungsprozess des Migrations- und Asylpakets ist auch die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (European Agency for the operational management of large-scale IT Systems in the area of freedom, security and justice, kurz: eu-LISA) involviert. Mit der neu verabschiedeten Verordnung über die Verwaltung von Asyl und Migration (AMMR) soll zudem das Dublin-System reformiert werden, indem gerechtere und effizientere Zuständigkeitsregeln eingeführt werden sollen. Eine systematische und zügige Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat soll dazu beitragen, das „Asylshopping“ (also die unerlaubte Weiterreise in bevorzugte Länder) zu unterbinden, was wiederum irreguläre Einwanderer abschrecken soll.
Auch das Thema Resettlement wird im EU-Umsetzungsplan aufgegriffen. Mit Resettlement ist wörtlich „Umsiedlung“ gemeint, also eine organisierte und dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten. Dazu heißt es wörtlich: „Der Pakt bekräftigt die Verpflichtung der EU, sichere und legale Wege für schutzbedürftige Personen zu verbessern. Um eine verlässliche Alternative zu irregulären und gefährlichen Reisen zu bieten und die Partnerschaften mit Nicht-EU-Ländern, die große Flüchtlingsgruppen aufnehmen, zu stärken, wird die EU auch weiterhin dazu beitragen, den weltweit steigenden Resettlement-Bedarf zu bewältigen und die Qualität der Resettlement- und humanitären Aufnahmeverfahren zu verbessern.“
Zwar werden im EU-Umsetzungsplan auch Rückführungen thematisiert, etwa wenn der Antragsteller bestimmten Verpflichtungen nicht nachkommt, wie z. B. der Anforderung, biometrische Daten vorzulegen, doch einen weitaus größeren Raum nehmen die erforderlichen Strukturen in den Aufnahmeländern ein. Hierfür hätten sich „Multi-Stakeholder-Partnerschaften“ bewährt wie etwa die Einbeziehung von lokalen und regionalen Behörden, Sozial- und Wirtschaftspartnern, internationalen Organisationen, NGOs oder von Organisationen, die von Migranten geleitet werden.
Ideologie einer grenzenlosen Welt
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass sie in der Lage sind, einen ausreichenden Zugang zur physischen und psychischen Gesundheitsfürsorge sowie einen schnelleren Zugang zu frühzeitigen Integrationsmaßnahmen zu gewährleisten (z. B. Bildung, Sprachunterricht und Zugang zum Arbeitsmarkt innerhalb von sechs Monaten nach der Registrierung des Antrags). Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass angemessen geschultes Personal für benötigte Dienstleistungen zur Verfügung steht (z. B. Dolmetscher, Übersetzer, Sozialarbeiter, medizinisches Personal, Psychotherapeuten und Kinderschutzbeauftragte). Wenn sich lokale und regionale Behörden, die „Zivilgesellschaft“ (also NGOs oder Stiftungen) oder internationale Organisationen an der Umsetzung der neugefassten Richtlinie über Aufnahmebedingungen beteiligen, müssen die Mitgliedstaaten ihnen die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.
Außerdem sollen die Mitgliedstaaten ein modernes und leistungsfähiges IT-System für die Verwaltung von Rückkehrfällen einrichten. Klingt ganz so, als könnte sich die IT- und Digitalbranche auf lukrative Aufträge freuen. In diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich auch der Besuch von Olaf Scholz im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 8. Juli zu sehen, bei dem er betonte, dass es für die Beschleunigung von Asylverfahren neben genügend Personal und schnelleren Gerichtsverfahren insbesondere auch digitale Technologien brauche. Wörtlich sagte Scholz: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir `state of the art´ sind, dass wir an der Spitze stehen, was die Nutzung digitaler Technologien betrifft.“ Dabei werde es auch um künstliche Intelligenz gehen, betonte Scholz und versprach die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel. In Bezug auf die Geschwindigkeit von erstinstanzlichen Verwaltungsgerichtsverfahren, wenn „jemand mit einer ablehnenden Entscheidung nicht einverstanden ist“, müsse ganz Deutschland sich ein Vorbild an Rheinland-Pfalz nehmen, das die erste Instanz in unter sechs Monaten abschließt. Der deutsche Durchschnitt betrage dagegen aktuell zwanzig Monate.
Fazit: Ob das EU- Migrations- und Asylpaket samt Umsetzungsplan zu einer Verringerung der Asylanträge in der EU und insbesondere in Deutschland führen wird, bleibt fraglich, und ist vielerorts ja auch gar nicht gewollt. Jedenfalls beispielsweise nicht in den insgesamt 321 „aufnahmebereiten Städten“ in Deutschland, die sich als „sichere Häfen“ dazu bereit erklärt haben, „mehr Menschen als bisher aufzunehmen“, und damit „eine starke Gegenstimme zur europäischen Abschottungspolitik“ bilden wollen. Die dahinter stehende Organisation „Seebrücke“ ist sich sicher: „Eine Welt, in der nicht Zufälle wie der Geburtsort oder der Pass darüber entscheiden, wo ein Mensch leben darf, ist möglich.“ Diese Ansicht hat allerdings nichts mehr mit dem eigentlichen Asylrecht zu tun, sondern mit der Ideologie einer grenzenlosen Welt, in der alle gleich sind.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.