Beim Blick auf die EU-Kommission und ihr "Arbeitsprogramm 2025" werden Bilder vom zementgrauen Zentralkomitee der kommunistischen Partei und die Erinnerung an Michail Gorbatschow legendären Satz wach: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Die gute Nachricht zuerst: Die EU-Kommission hat ihren Gesetzesvorschlag zu strengeren Emissionsgrenzwerten für Holzöfen zunächst verschoben. Ursprünglich sollte die Obergrenze von derzeit 40 mg Feinstaub pro Kubikmeter ab 2027 auf 28 mg abgesenkt werden. Nach Protesten vor allem von tschechischen EU-Abgeordneten wird der Gesetzesentwurf nun aber noch einmal überarbeitet. In Tschechien würden nämlich 90 Prozent der im Land verkauften Heizungen über dem neuen Emissionswert liegen. Auch hochmoderne Biomasse-Öfen und Holzpellet-Heizungen wären von der Regelung betroffen, was den Zorn entsprechender Interessenverbände erregte: Wurden Pelletheizungen im Gebäudeenergiegesetz doch bisher als „nachhaltig“ eingestuft und sogar als ökologische Heizmethode gefördert. Wer mit Holz heizt, kann also vorerst aufatmen. Vorerst.
Jetzt die schlechte Nachricht: Jede deutsche Regierung, die die EU in ihrer jetzigen Form unterstützt, sorgt für weiteren wirtschaftlichen und strukturellen Niedergang. Das wird aus mehreren aktuellen Veröffentlichungen der EU-Kommission klar: insbesondere aus ihrem Arbeitsprogramm für 2025, ihrem Kompass für Wettbewerbsfähigkeit, einer Mitteilung über den Weg zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen sowie aus vier Rechtsakten zur Verordnung über die Netto-Null-Industrie. Das Arbeitsprogramm für das kommende Jahr, das die Kommission am 12. Februar vorgelegt hat, ist überschrieben mit „Moving forward together: A Bolder, Simpler, Faster Union“ (zu deutsch ungefähr: „Gemeinsam vorankommen: Eine kühnere, einfachere und schnellere Union“).
Was sich hinter dem Wörtchen „bold“ verbirgt, das nicht nur „kühn“ im Sinn von mutig und tatkräftig, sondern auch im Sinn von verwegen meinen kann, wird in der Mitteilung über den Weg zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen deutlich, die die Kommission ebenfalls am 12. Februar veröffentlichte. Hier heißt es wörtlich:
„Europa muss die Quadratur des Kreises bewerkstelligen: Es ist unmöglich, dass der EU-Haushalt unseren Ambitionen gerecht wird und insbesondere die Rückzahlung der NextGenerationEU-Schulden ermöglicht und gleichzeitig die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten stabil bleiben und keine neuen Eigenmittel eingeführt werden. Wir müssen uns entscheiden.“
Erhöhung der Verteidigungsausgaben
Hintergrund ist: Die Corona-Aufarbeitung hat nicht nur inhaltlich in der EU noch nicht stattgefunden, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Der europäische Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ ist das größte Konjunkturpaket, das je aus dem Haushalt der Europäischen Union finanziert wurde. Übergeordnetes Ziel war die Abfederung der negativen ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Coronakrise. Die insgesamt rund 800 Milliarden Euro sollten aber auch dazu verwendet werden, dass die EU „Green, Digital, Healthy, Strong and Equal“ wird. Die Schulden – plus Zinsen – aus dem Corona-Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ müssen bis 2058 vollständig zurückgezahlt werden und belaufen sich auf etwa 25 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist fast ein Fünftel des derzeitigen Jahreshaushalts der EU.
Um also sowohl die Rückzahlung der „NextGenerationEU“-Schulden als auch notwendige Investitionen zu gewährleisten, will die Kommission nun die Einnahmenseite des EU-Haushalts „modernisieren“. Der künftige EU-Haushalt soll beispielsweise einen Plan für Reformen und Investitionen in jedem einzelnen Land beinhalten, der in Zusammenarbeit mit nationalen, regionalen und lokalen Behörden entworfen und umgesetzt werden soll. Der derzeitige Finanzrahmen gilt seit dem 1. Januar 2021 und noch bis zum 31. Dezember 2027. Er sieht Gesamtausgaben in Höhe von 1 211 Milliarden Euro vor. Im Juli dieses Jahres will die Kommission Vorschläge für den nächsten langfristigen EU-Haushalt vorlegen und mit den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) ab 2028 beginnen. Das EU-Parlament wird voraussichtlich im Mai seine Position dazu beschließen. Das heißt: Schon jetzt stellt die EU-Kommission die finanziellen Weichen für die kommenden zehn Jahre!
Für den kommenden EU-Haushalt plant die Kommission vor allem auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Jahrzehntelang sei zu wenig investiert worden: Zwischen 1999 und 2021 stiegen die Verteidigungsausgaben der EU nämlich insgesamt um nur 22 Prozent, während sie in den USA um 66 Prozent, in Russland um 289 Prozent und in China um 579 Prozent wuchsen. Die EU-Mitgliedstaaten seien zudem noch weit davon entfernt, ihr bereits vor mehr als fünfzehn Jahren gesetztes Ziel, zusammen 35 Prozent in europäische Kooperationsprojekte zu investieren, zu erreichen. Die Fragmentierung aufgrund national ausgerichteter Strukturen schade der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie. Im Sinne einer echten Europäischen Verteidigungsunion müsse Europa künftig mehr ausgeben, die Ausgaben besser einsetzen und dabei gemeinsam vorgehen. Die Kommission will im März daher ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung vorlegen.
Immer weitreichendere Zentralisierung
Dazu benötigt die EU allerdings neue Eigenmittel, muss also neue Einnahmequellen für den Haushalt erschließen. Konkret schlägt sie vor, 30 Prozent der Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel, die derzeit in die nationalen Haushalte fließen, für den EU-Haushalt zu nutzen. Der Kommission schwebt also auch hier eine größere Vereinheitlichung des EU-Haushalts vor, was eine weitere Verschiebung von Kompetenzen der Mitgliedstaaten an die Kommission bedeuten würde. Zudem sollen Gelder aus dem neuen CO2-Grenzzoll (CBAM) sowie umverteilte Erlöse der Besteuerung multinationaler Unternehmen einbezogen werden. Ein Europäischer Fonds für Wettbewerbsfähigkeit soll die Investitionskapazität zur Unterstützung strategischer Technologien sowie „wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ stärken. Der Zugang zu EU-Fördermitteln erfolgt momentan allerdings über mehr als 30 verschiedene „Instrumente“, die sich teilweise überschneiden.
Zur Vereinfachung gerade für kleine und mittlere Unternehmen will die Kommission daher eine zentrale Anlaufstelle für alle EU-Finanzierungs- und Beratungsdienste schaffen. Was im konkreten Fall tatsächlich eine Erleichterung bedeuten kann, läuft allerdings abermals auf mehr Zentralisierung hinaus. Außerdem wünscht sich die Kommission eine größere Flexibilität des siebenjährigen Finanzrahmens, da zwischen dem Zeitpunkt der Politikgestaltung und der Umsetzung eben jener Politik viel Zeit vergehe. Schlussendlich hält sie jedoch an ihrem Credo der Klimaneutralität des europäischen Kontinents bis 2025 fest und betont: „Zur Finanzierung des grünen, digitalen und sozialen Wandels bedarf es der Maximierung öffentlicher Investitionen und der Mobilisierung von privatem Kapital.“
Auch in ihrem Arbeitsprogramm für 2025 legt die Kommission zwar wohlklingend dar, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken will, indem sie den Verwaltungsaufwand für Unternehmen um mindestens 25 Prozent verringern und EU-Vorschriften wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung vereinfachen will, doch auch hier verbirgt sich der Ansatz einer immer weitreichender Zentralisierung: Die Kommission will nämlich gleichzeitig das sogenannte „Gold-Plating“ beseitigen. Damit ist die Praxis gemeint, dass EU-Mitgliedstaaten zusätzlich zu den EU-Gesetzen weitere nationale Regeln erlassen, was laut EU-Kommission zur „Zersplitterung des Binnenmarktes“ führt. Die Kommission will nun „mit dem Europäischen Parlament, dem Rat, den Behörden der Mitgliedstaaten auf allen Ebenen und den Interessenträgern zusammenarbeiten“, um voneinander abweichende Vorschriften innerhalb der EU zu bekämpfen, da diese „eine Belastung für Menschen und Unternehmen“ darstellten. Was allerdings nur die halbe Wahrheit ist. Durch die Abschaffung der Möglichkeit zum „Gold-Plating“ werden Rechte und Standards nicht nur vereinheitlicht, sondern gegebenenfalls auch abgebaut. Damit würde nationales Recht zugunsten von EU-Vorgaben weiter aufgeweicht werden.
„KI-Kontinent“
Vorangestellt ist dem Arbeitsprogramm übrigens ein Zitat von Ursula von der Leyen: „Die größten Herausforderungen unserer Zeit – von der Sicherheit über den Klimawandel bis zur Wettbewerbsfähigkeit - können nur durch gemeinsames Handeln gelöst werden. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass Europa seine beste Option wählen muss: Die Union.“ Heißt: Die Mitgliedstaaten sollen zunehmend entmündigt werden. Und mit dieser Phrasendrescherei geht es weiter. Nur eine starke und geeinte Union könne dafür sorgen, dass Europa auch in Zukunft zu Hause etwas leisten und seinen Einfluss und seine Interessen in der Welt geltend machen könne. Diese Einheit schütze „unsere europäischen Werte“, fördere Demokratie, Solidarität und Gleichheit und sorge für einen sozial gerechten Kontinent, in dem niemand zurückgelassen werde. Und abermals erklingt das Mantra: „Um das langfristige Ziel Europas zu erreichen, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, müssen wir die strukturellen Bremsen für die Wettbewerbsfähigkeit der EU beseitigen.“
Am 27. Januar hatte die Kommission bereits eine Pressemitteilung zur Verordnung über die Netto-Null-Industrie (Net-Zero Industry Act, kurz: NZIA) veröffentlicht, in der sie Vorschläge zu vier sekundären Verordnungen mitteilte, die einen Rechtsrahmen für die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie schaffen sollen. Auch hier geht es um die Produktionskapazitäten der EU für „saubere Technologien“ und die angestrebte „Dekarbonisierung“ der Industrie – also letztlich um die Deindustrialisierung der europäischen Wirtschaft. Und nicht zuletzt bezieht sich die EU-Kommission derzeit gerne auf ihren neuen „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“, der auf dem „Draghi-Bericht“ basiert: Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank, hatte auf Wunsch von der Leyens einen Wirtschaftsbericht erstellt (achgut berichtete), in dem er im Grunde eine europäische Schuldenunion, also die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden, empfiehlt. Außerdem fordert er, dass die EU ihre Investitionen in den Bereichen Umwelt, Digitalisierung, Verteidigung und Forschung um mindestens 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen müsse. Eine Summe, die rund 4,5 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU entspricht.
Diese „Innovationslücke“ der EU soll nun durch einen „gemeinsamen Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit“ geschlossen und das „Regelumfeld“ vereinfacht werden. Der europäische Binnenmarkt soll gefördert und eine „Spar- und Investitionsunion“ gebildet werden, für die die Kommission im laufenden Jahr eine eigene Strategie vorlegen will. Außerdem plant sie, Europa zu einem „KI-Kontinent“ zu machen und „KI-Gigafabriken“ einzurichten, die auf das Training sehr großer KI-Modelle spezialisiert sind. Das verkündete Ursula von der Leyen auch beim Gipfeltreffen für künstliche Intelligenz am 11. Februar in Paris und stellte eine Milliarden-Initiative in Aussicht: Mit „InvestAI“ sollen 200 Milliarden Euro für Investitionen in KI mobilisiert werden. Zu den ersten sieben „Gigafabriken“ gehört übrigens auch „HammerHAI“ an der Universität Stuttgart. Von der Leyen hob hervor, dass Europa einer der führenden KI-Kontinente sein wolle. Das bedeutet, „sich auf eine Lebensweise einzulassen, in der die KI omnipräsent ist“. Insgesamt 60 Staaten haben bei diesem Gipfel eine Abschlusserklärung unterzeichnet, in der sie sich unter anderem zur Einhaltung internationaler Rahmenbedingungen verpflichten. Die USA gehörten nicht zu den Unterzeichnern. Warum? Weil insbesondere das restriktive KI-Gesetz der EU problematisch sei, wie US-Vizepräsident J.D. Vance in seinem Statement unterstrich.
Klimaneutralitäts-Ideologie
Das Ziel ihres Kompasses für Wettbewerbsfähigkeit formuliert die EU-Kommission unmissverständlich: „Europa muss der Ort sein, an dem die Technologien, Dienstleistungen und sauberen Produkte von morgen erfunden, hergestellt und vermarktet werden, während wir den Kurs auf Klimaneutralität beibehalten.“ Von echter Kurskorrektur also keine Spur. Die Kommission setzt zwar statt auf ihren bisherigen „Green Deal“ künftig auf einen „Clean Industrial Deal“. In Wahrheit handelt es sich dabei aber nur um alten Wein in neuen Schläuchen, denn nach wie vor steht die angestrebte Klimaneutralität im Mittelpunkt. So soll die Dekarbonisierung der Industrie durch beschleunigte Genehmigungsverfahren unterstützt werden. Eine Reihe von „Partnerschaften für sauberen Handel und Investitionen“ soll die Lieferketten und die Versorgung mit Rohstoffen, „nachhaltigen Kraftstoffen“ und „sauberen Technologien“ aus der ganzen Welt sichern.
Vor allem aber sollen europäische Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in strategisch wichtigen Bereichen künftig schlichtweg bevorzugt werden. Das betonte die Kommissionspräsidentin auch in ihrer diesjährigen Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dazu sollen das Steuer-, das Arbeits- und das Insolvenzrecht der 27 EU-Staaten einander angeglichen werden. Außerdem will von der Leyen neben öffentlichen Mitteln erheblich mehr privates Kapital mobilisieren, um Innovationen etwa in den Bereichen künstliche Intelligenz und Biotechnologie voranzutreiben. Auch bei der Energieversorgung will von der Leyen vermehrt in Technologien der nächsten Generation für saubere Energie investieren. In diesem Zusammenhang nennt sie unter anderem sogar die Kernfusion. Letztlich geht es ihr um einen gemeinsamen EU-Kapitalmarkt und um die Vollendung der europäischen Energieunion. Am „ehrgeizigen Ziel“, bis 2050 eine dekarbonisierte Wirtschaft zu schaffen, wird nicht gerüttelt. Die EU will ausdrücklich „den Kurs beibehalten“ und hat sich als Zwischenziel gesetzt, die europäische Wirtschaft bis 2040 zu 90 Prozent zu dekarbonisieren.
Am 31. Januar veröffentlichte die EU-Kommission zudem eine Mitteilung zu ihrem aktuellen Bericht über den globalen Energie- und Klimaausblick 2024, in der sie feststellt, dass weitere Klimaschutzmaßnahmen dringend erforderlich seien. Zwar bringe der europäische Grüne Deal die EU auf den richtigen Weg zur Klimaneutralität bis 2050, doch es seien globale Maßnahmen nötig, um „den Temperaturanstieg zu begrenzen und die extremsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden“. Während die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen und sich von der Klimaneutralitäts-Ideologie verabschieden, hält die EU-Kommission wie erstarrt daran fest. Am 19. März will sie mit der Veranstaltung „Europäischer Klimapakt: Gemeinsam in Aktion“ in Brüssel, die auch online übertragen wird, sogar „die Fortschritte Europas im Kampf gegen den Klimawandel“ feiern. Dabei soll es „Diskussionen über Klimaanpassung, integrativen Klimaschutz, die Überwindung von Öko-Angst und die Rolle der künstlichen Intelligenz im Klimaschutz“ geben. Die Veranstaltung soll auch Möglichkeiten zum „Networking“ bieten, um „Changemaker“ aus ganz Europa zu treffen. Zu den Highlights gehört zudem ein Austausch mit EU-Kommissar Wopke Hoekstra, der für Klima, Netto-Null-Emissionen und sauberes Wachstum zuständig ist.
Diskrepanz zwischen der verkrusteten EU-Spitze und der neuen US-Regierung
Ein weiteres Lieblingsthema der EU-Kommission bleibt der Kampf gegen „Desinformation“: Dafür hat sie nun eigens einen „Schutzschild für die Demokratie“ ins Leben gerufen, der „die sich entwickelnden Bedrohungen für unsere Demokratie und unsere Wahlprozesse“ bekämpfen soll. Laut EU-Kommission werden nämlich „die Demokratien in der Europäischen Union und auf der ganzen Welt durch den zunehmenden Extremismus, die Bedrohung von Journalisten, die Beeinflussung von Wahlen, die Verbreitung von Informationsmanipulation und verschiedene Formen hybrider Bedrohungen angegriffen“. Dies werde durch die Digitalisierung noch verschärft, da sie es ermögliche, Fehlinformationen mit noch nie dagewesener Geschwindigkeit zu verbreiten. Daher unterstützt die Kommission die „Zivilgesellschaft“ (sprich: NGOs), die sich dem Kampf gegen Desinformation verschrieben haben. Die Einführung von „Vertrauenswürdigen Hinweisgebern“ lässt grüßen.
Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen der verkrusteten EU-Spitze und der neuen US-Regierung im Vergleich der Rede Ursula von der Leyens mit derjenigen von US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor wenigen Tagen. Während von der Leyen stolz davon spricht, dass Europa sich reformiere und die Macht habe, „Berge zu versetzen“, hält Vance der EU-Kommission unverblümt den Spiegel der Realität vor. Und der fällt rundum desillusionierend aus. Von der Leyen führt äußere „Herausforderungen“ ins Feld wie die „Pandemie“, die „schwere Energiekrise“ und den Krieg in der Ukraine, die die EU allesamt gemeistert habe. Ein derart gestärktes Europa werde mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, um „die Bedrohungen abzuwenden, denen wir uns als Partner gemeinsam gegenübersehen“. Daher seien Handelskriege und Strafzölle sinnlos. Ungerechtfertigte Zölle für die EU würden nicht unbeantwortet bleiben. Die EU sei einer der weltgrößten Märkte und werde ihre Instrumente nutzen, um ihre wirtschaftliche Sicherheit und ihre Wirtschaftsinteressen zu wahren. Zwar gehe es Trump genauso wie der EU um einen Frieden in der Ukraine, der ein „ Frieden durch Stärke“ sei, doch Europa habe mit insgesamt 134 Milliarden Euro finanzielle und militärische Unterstützung „in historischem Umfang“ geleistet und stehe damit „auf einer Stufe mit den Vereinigten Staaten“. Außerdem habe die EU ihre Abhängigkeit von russischem Gas innerhalb kürzester Zeit beendet und arbeite nun mit der Ukraine an ihrem Beitritt zur EU. Denn die Ukraine sei Teil „unserer europäischen Familie“.
Hingegen wies Nato-Generalsekretär Mark Rutte am 13. Februar ausdrücklich darauf hin, dass die geplanten Friedensverhandlungen nicht zwangsläufig in einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine münden müssten. Wahrscheinlich wird die EU noch nicht einmal am Verhandlungstisch zum Frieden in der Ukraine sitzen. Und auch sonst hält die Selbstbeweihräucherung von der Leyens dem Realitätscheck nicht stand: Die EU ist aus den Krisen der letzten Jahre keineswegs gestärkt hervorgegangen. Im Gegenteil: Die europäischen Landwirte haben derzeit mit eklatant „steigenden Düngerpreisen“ zu kämpfen, und durch die Reform des EU-Emissionshandels, die Ende Januar auch in deutsches Recht umgesetzt worden ist, wird der Preis für eine Tonne CO2 ab dem 1. Januar 2027 voraussichtlich bei mehr als 200 Euro liegen statt bei momentan 55 Euro. Das hat zum Beispiel eine stetige massive Erhöhung der Kraftstoffpreise und der Heizkosten zur Folge. Erfolg sieht andres aus. Doch die wenig erfreuliche Realität blendet von der Leyen in ihrem salbungsvollen Selbstlob aus. Mehr noch: Sie droht den USA in abgehobener Selbstüberschätzung sogar unterschwellig noch Vergeltung für „ungerechtfertigte Zölle“ an.
„Es gibt keinen Platz für Brandmauern“
Ganz anders J. D. Vance: Er weist völlig zutreffend darauf hin, dass die Krise der westlichen Welt im Grunde selbst verursacht ist und konfrontiert die EU mit scharfer Kritik. Besonders nimmt er die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die EU-Kommission ins Visier und sagt in München wörtlich: „Ich blicke nach Brüssel, wo EU-Kommissare Bürger davor warnen, dass sie beabsichtigen, soziale Medien in Zeiten ziviler Unruhen abzuschalten – sobald sie etwas entdecken, das sie als `hasserfüllte Inhalte´ beurteilen.“ Auch die Biden-Regierung habe soziale Medien gezwungen, sogenannte „Fehlinformationen“ zu zensieren, zum Beispiel die Theorie, dass das Coronavirus möglicherweise aus einem Labor in China stammte. Damit macht er klar, dass in den USA mittlerweile Konsens darüber besteht, dass der Ursprung des Coronavirus in einem Laborunfall zu sehen ist. Von dieser Erkenntnis ist die EU ebenfalls noch immer weit entfernt.
Der sicherste Weg, die Demokratie zu zerstören, sei es – so Vance weiter – , „Menschen und ihre Sorgen abzutun oder, noch schlimmer, die Medien zum Schweigen zu bringen, Wahlen zu unterdrücken oder Menschen aus dem politischen Prozess auszuschließen“. Keine Demokratie, weder die amerikanische, noch die deutsche oder eine andere europäische, werde es überleben, „Millionen von Wählern zu sagen, dass ihre Gedanken und Sorgen, ihre Hoffnungen und ihre Bitten um Hilfe ungültig sind oder nicht einmal in Betracht gezogen werden müssen“. Vance wird sogar noch deutlicher und fügt wörtlich an: „Es gibt keinen Platz für Brandmauern.“ Und dann droht auch er unterschwellig der EU, indem er feststellt: „Wenn Sie vor Ihren eigenen Wählern davonlaufen, kann Amerika nichts für Sie tun.“ Von der anderen Seite des Atlantiks sehe es immer mehr so aus, „als würden alte, festgefahrene Interessen sich hinter hässlichen Wörtern aus der Sowjetzeit wie Fehlinformation und Desinformation verstecken, die einfach nicht mögen, dass jemand mit einer alternativen Sichtweise eine andere Meinung äußern oder, Gott bewahre, anders wählen oder noch schlimmer, eine Wahl gewinnen könnte“.
In der Tat werden beim Blick auf die EU-Kommission Bilder vom zementgrauen Zentralkomitee der kommunistischen Partei und die Erinnerung an Michail Gorbatschow legendären Satz wach: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Und auch wenn Gorbi diesen Satz womöglich so nie gesagt hat, hat ihn die Geschichte schneller bestätigt als geahnt. Die Welt ist derzeit wieder im Umbruch, doch die EU-Kommission will die gravierenden Veränderungen noch nicht wahrhaben. Sie schaltet stur auf ein Weiter-so. Ihre Durchhalteparolen erinnern an den Kalauer: „Heute stehen wir am Abgrund, morgen sind wir einen großen Schritt weiter.“ Die nächsten Jahre werden spannend: In ihrer jetzigen Form ist die EU nicht reformierbar. Wenn sich in Deutschland politisch wirklich etwa ändern soll, muss es also zu einer grundlegenden Umstrukturierung der EU kommen – sei es durch einen Dexit oder andere Hebel wie die Migrationspolitik. Erst wenn sich die EU wieder neu findet als Bund souveräner Staaten statt als von Lobbyinteressen gesteuertes zentralistisches Bürokratiemonster, besteht Hoffnung auf bessere Zeiten.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.
Quellen:
Mitteilung über den Weg zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen
Arbeitsprogramm für 2025
Pressemitteilung zur Verordnung über die Netto-Null-Industrie
Kompass für Wettbewerbsfähigkeit
Bericht über den globalen Energie- und Klimaausblick 2024
Schutzschild für die Demokratie
Rede Ursula von der Leyens bei der Münchner Sicherheitskonferenz
Rede Ursula von der Leyens beim KI-Gipfel in Paris
Rede Ursula von der Leyens beim Weltwirtschaftsforum in Davos
Rede von J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz