Die EU-Kommission ist ganz scharf auf Krisen, von Pandemie über Klimawandel bis Krieg, denn im Ausnahmezustand herrscht es sich leichter. Ein undurchsichtiges Netz von Institutionen und NGOs mit weitreichenden Befugnissen wurde bereits installiert.
Innerhalb von wenigen Tagen hat die EU-Kommission zwei neue Strategien veröffentlicht, für die sie erklärtermaßen die EU-Bürger in die Pflicht nehmen will: Am 1. April legte sie mit „ProtectEU“ eine europäische Strategie der inneren Sicherheit vor, die darauf abzielt, einen „Kulturwandel“ zu fördern, der einen „gesamtgesellschaftlichen Ansatz“ verfolgt und neben Privatpersonen auch Unternehmen, Forscher und die Zivilgesellschaft (sprich: NGOs und Stiftungen) mit einbezieht.
Außerdem soll ein neuer europäischer „Governance-Rahmen“ die Umsetzung der Strategie unterstützen. Und bereits am 26. März hatte die Kommission die EU-Strategie für Krisenvorsorge vorgestellt und mit einem Bericht zur EU-Behörde HERA kombiniert. HERA wurde im September 2021 gegründet und ist zuständig für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (European Health Emergency Response Authority, kurz: HERA). Als Übrigbleibsel aus Corona-Zeiten spielt HERA eine zentrale Rolle bei der im Aufbau befindlichen EU-Gesundheitsunion.
Es lohnt sich, sich diese drei Veröffentlichungen im Zusammenhang anzuschauen, stellen sie doch lediglich unterschiedliche Facetten ein und desselben politischen Ansatzes der aktuellen EU-Kommission dar: Die Kommission setzt eindeutig auf die Verstetigung von Krisen und versucht, dafür zu sorgen, dass sie im Krisenfall weitreichende Befugnisse erhält. Zum Beispiel eben über HERA. Die direkt an die EU-Kommission angegliederte Behörde arbeitet in zwei Modi: einem Vorsorgemodus und einem Notstandsmodus. In der Vorsorgephase sammelt HERA Informationen zu potenziellen Gesundheitskrisen und baut „Reaktionskapazitäten“ auf. Dazu zählen beispielsweise die Entwicklung, Herstellung und Beschaffung von Arzneimitteln, Impfstoffen, diagnostischen Tests oder anderen medizinischen Produkten wie Masken.
Der Notstandsmodus tritt ein, sobald die EU-Kommission eine Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf EU-Ebene feststellt. Dann kann HERA Sofortmaßnahmen ergreifen und Mechanismen für die Überwachung und Neuentwicklung sowie für die „gerechte“ Verteilung von wichtigen Medizinprodukten veranlassen („Krisenreaktionsmodus“). Der Notstandsmodus wäre also sozusagen eine perpetuierte Corona-Krise, in der die nationale Politikgestaltung beispielsweise hinter eine gemeinsame Impfstoffbeschaffung durch die EU-Kommission zurücktreten würde.
Nicht nur Gesundheit, sondern auch Klima
Bereits im November 2020 hatte die Kommission ein Gesetzespaket zur Gesundheitsunion vorgeschlagen, dessen Verabschiedung zur Verordnung 2022/23717 („Verordnung über schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen“) führte. Diese Verordnung erteilt der Kommission das Mandat für die Koordinierung der Reaktionen auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen und stärkt das Europäische Zentrum für Seuchenbekämpfung (European Centre for Disease Prevention and Control, kurz: ECDC) sowie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Die Verordnung zielt auch auf eine Verbesserung der Datenübertragung innerhalb der EU und den Ausbau der epidemiologischen Überwachung ab. Dadurch soll laut HERA die EU in die Lage versetzt werden, Gesundheitsbedrohungen – nicht nur Infektionskrankheiten, sondern beispielsweise auch klimabedingte Bedrohungen – zu antizipieren, sich darauf vorbereiten und darauf zu reagieren.
Dieser Ansatz spiegele „die sich verändernde Bedrohungslandschaft“ wider. Im Einklang mit den Konzepten „Eine Gesundheit“ und „Gesundheit in allen Politikbereichen“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die Durchführung der Verordnung durch einschlägige EU-Programme finanziert, wie zum Beispiel durch Horizont Europa, dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, sowie durch das Gesundheitsprogramm EU4Health.
HERA hat auch die Critical Medicines Alliance (CMA) ins Leben gerufen, einen Verbund aus EU-Agenturen, nationalen Behörden, Industrievertretern und Gesundheitsorganisationen, um Strategien zur Vermeidung und Bewältigung von Engpässen bei kritischen Arzneimitteln zu entwickeln. Außerdem wird HERA durch die Europäische Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (European Health and Digital Executive Agency, kurz: HaDEA) unterstützt, die laut dem Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO) der EU-Kommission dabei helfen soll, ein „Europa aufzubauen, das grüner, digitaler, widerstandsfähiger und besser auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen vorbereitet sein wird“.
HaDEA verwaltet ebenfalls Projekte und Initiativen im Rahmen der Programme EU4Health, Horizont Europa und Digitales Europa, um unter anderem die Umsetzung des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS) zu fördern. Die entsprechende EHDS-Verordnung trat am 26. März 2025 in Kraft. Der europäische Gesundheitsdatenraum soll Einzelpersonen zum grenzüberschreitenden Austausch ihrer elektronischen Gesundheitsdaten befähigen und die Weiterverwendung von Gesundheitsdaten für Forschung, Politikgestaltung und Regulierungstätigkeiten ermöglichen. Dadurch soll auch ein „Binnenmarkt für elektronische Patientenaktensysteme“ entstehen (Achgut berichtete).
Initiativen sind kaum mehr durchschaubar
HERA kooperiert zudem mit weiteren EU-Einrichtungen wie etwa mit der Lenkungsgruppe für Arzneimittelknappheit (Medicine Shortages Steering Group, kurz: MSSG) der EMA und dem Gesundheitssicherheitsausschuss (Health Security Committee, kurz: HSC). Außerdem engagiert sich HERA für die Beschaffung und die Spende von Impfstoffen zur Bekämpfung der Affenpocken (Mpox) sowohl in Europa als auch in den betroffenen afrikanischen Ländern, für die Einrichtung eines globalen Systems zur Überwachung von Abwässern sowie über das Finanzierungsinstrument „HERA Invest“ für die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen in der EU, die medizinische Gegenmaßnahmen (medical countermeasures, MCMs) für Gesundheitsbedrohungen entwickeln. In der Zusamenfassung des EU-Berichts zu HERA wird – nicht gerade überraschend – betont, dass die besondere Struktur von HERA enge und konstante Beziehungen zu den wichtigsten Akteuren wie den Mitgliedstaaten, der Industrie, der Zivilgesellschaft und den EU-Agenturen ermögliche. Dies habe positiv dazu beigetragen, ein wirksames gemeinsames europäisches Handeln zu gewährleisten, um die Sicherheit im Gesundheitswesen zu verbessern.
Das heißt: Obwohl der eigentliche Anlass für HERA – nämlich die Coronakrise – längst nicht mehr existiert, wird an HERA festgehalten, um die Zusammenarbeit der Akteure, die sich in der EU bei der „Bereitschaft und Reaktion auf gesundheitliche Notfälle“ betägigen, zu intensivieren. Zur Begründung wird angegeben, dass in dem Maße, in dem neue Bedrohungen auftauchen oder an Bedeutung gewinnen – sei es durch den Klimawandel oder auch durch unfallbedingte oder vorsätzliche Gesundheitsbedrohungen – weiterhin Maßnahmen zur Stärkung der Abwehrbereitschaft und Reaktion auf EU-Ebene erforderlich seien.
Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass HERA objektive Schwachpunkte aufweist: Dazu gehören die mangelnde Unabhängigkeit von der EU-Kommission, das Fehlen eines wissenschaftlichen Beratungsausschusses, die Wahrnehmung einer unausgewogenen Vertretung von Interessengruppen sowie Transparenzprobleme. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass zum Beispiel allein bei der Arzneimittel-Agentur EMA sechs einzelne „Mechanismen“ angesiedelt sind: die Medicine Shortages and Safety Steering Group (MSSG), das Industry Single Point of Contact Network (iSPOC), die European Shortages Monitoring Platform (ESMP), das Data Analysis and Real-World Interrogation Network (DARWIN EU), die Medicines Shortages Single Point of Contact (SPOC), Working Party und die Working Party Emergency Task Force (ETF). Die zahlreichen Initiativen, Instrumente und Mechanismen, die in der Gesundheitspolitik auf EU-Ebene greifen, sind kaum mehr durchschaubar. Dabei geht es selbstverständlich um viel Geld.
Unterabteilung der WHO
So verfügt allein das Programm EU4Health über ein Budget von 4,7 Milliarden Euro für den Finanzierungszeitraum 2021 bis 2027. Derzeit werden von HERA und HaDEA jährlich 160 Millionen Euro für die Sicherstellung „ausreichender und flexibler Herstellungskapazitäten“ für drei verschiedene Impfstoffplattformen in sechs EU-Produktionsstätten aufgewendet. Dieses Netz (EU FAB) kann im Falle eines gesundheitlichen Notfalls schnell aktiviert werden und jährlich bis zu 325 Millionen Impfdosen liefern. Aktuelle Profiteure in Bezug auf mRNA-Impfstoffe sind konkret Pfizer Ireland Pharmaceuticals und Pfizer Manufacturing Belgium.
Auch private finanzielle Mittel wurden über HERA Invest mobilisiert, wobei vor allem die Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbankgruppe genutzt wurde. HERA organisiert daneben regelmäßig Simulationsübungen, um die Koordinierung und Interoperabilität zwischen den EU-Institutionen zu bewerten, die an der derzeitigen Krisenarchitektur im Gesundheitsbereich beteiligt sind. Auf globaler Ebene arbeitet HERA mit dem World Health Organization Hub for pandemic and epidemic intelligence mit Sitz in Berlin, das 2021 von der WHO und der Bundesregierung ins Leben gerufen wurde, sowie mit dem African Centre for Disease and Control zusammen. HERA fungiert also auch nahezu wie eine Unterabteilung der WHO.
Im Kommissions-Bericht zu HERA wird darauf verwiesen, dass insbesondere das Instrument der gemeinsamen Beschaffung von Impfstoffen zukunftsweisend sei und in die EU-Strategie für die Vorratshaltung einfließen werde, die demnächst verabschiedet werden soll. Die Erfahrung aus der COVID-19-Krise habe die Erkenntnis bestätigt, dass die Krisenkoordinierung „agile Governance-Strukturen“ erfordere. Ein hohes Maß an Koordinierung zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten und den EU-Agenturen sei von entscheidender Bedeutung, insbesondere angesichts der vielen betroffenen Politikbereiche wie etwa Gesundheit, Katastrophenschutz, Forschung und Innovation, Industrie, Handel, Wettbewerb, Verkehr und Grenzverwaltung.
Und so gehört für die EU-Kommission alles irgendwie zusammen: gesundheitliche Krisen, Klimanotstände, Digitalisierung oder auch die militärische Aufrüstung sind im Grunde austauschbar. Immer geht es um gemeinschaftliche Investitionen und Beschaffungsmaßnahmen auf EU-Ebene. Dabei bezieht sich die Kommission in ihren aktuellen Veröffentlichungen ausdrücklich auch auf den sogenannten Niinistö-Bericht, den der ehemalige finnische Präsident Sauli Niinistö auf Geheiß von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Oktober 2024 vorlegte und in dem die „Stärkung der zivilen und militärischen Vorsorge und Einsatzbereitschaft Europas“ gefordert wird.
„Es darf nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen“
Von der Leyen betonte dazu schon im vergangenen Herbst, dass die EU ihre „Vorsorge“ mit einem „ressortübergreifenden Ansatz“ in Hinblick auf den Klimawandel, auf hybride Angriffe, auf die Abhängigkeit von Gütern und auf militärische Risiken verstärken müsse. Wörtlich sagte sie:
„Wir müssen in der Lage sein, alle notwendigen Instrumente und Ressourcen der öffentlichen Ordnung konzertiert und koordiniert zu nutzen und die Behörden auf allen Ebenen – auf nationaler, lokaler und EU-Ebene – entsprechend ihren unterschiedlichen Rollen zu mobilisieren. Dies erfordert aber auch einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz unter Einbeziehung des Privatsektors, der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger. Mit anderen Worten: Bei der Vorsorge darf nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen. Vorsorge erfordert Interaktion. Dies wird im Mittelpunkt der Strategie für eine krisenfeste Union stehen, die die neue Kommission und die neue Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin vorlegen werden.“
Jetzt hat die Kommssion also ihr Versprechen eingelöst und die Strategie veröffentlicht. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Kaja Kallas, ist derweil am 28. März in Berlin mit dem Henry-A.-Kissinger-Preis für herausragende Beiträge zu den transatlantischen Beziehungen ausgezeichnet worden. Die Laudatio hielt Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz.
Kallas hob in ihrer Dankesrede hervor, dass die EU ihre jährliche Unterstützung für die Ukraine auf ein durchschnittliches Niveau von 0,21 Prozent des BIP verdoppeln müsse, um die Hilfsströme der USA in die Ukraine zu ersetzen. Das sei weniger als die Hälfte dessen, was Dänemark und die baltischen Länder bereits täten. Europa als Ganzes müsse dem skandinavischen Beispiel folgen. Die wahre Stärke der Europäischen Union liege in der Einheit. Bei der Militärhilfe wäre es zwar schwieriger, die USA zu ersetzen, aber in vielen Bereichen möglich. Die europäische Industrie verfüge über tragfähige Alternativen für fast alle wichtigen US-amerikanischen Schwerwaffensysteme, die an die Ukraine gespendet wurden. Und Kallas gartulierte dem Deutschen Bundestag zu seiner historischen Entscheidung, durch die Verabschiedung der Verfassungsreformen Hunderte von Milliarden Euro für die Verteidigungsausgaben freizusetzen.
„Vorsorge ist eine regierungs- und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“
Auch im Niinistö-Bericht wird hervorgehoben, dass die EU bei der Abwehrbereitschaft einen All-hazards-and-all-threats-Ansatz (Alle-Gefahren-und-alle-Bedrohungen-Ansatz) verfolgen müsse, der alle Arten von Bedrohungen, seien es natürliche oder vom Menschen verursachte, zivile oder militärische, umfasst. Dabei dürfe Preparedness nicht allein in der Verantwortung der Regierungsbehörden liegen, sondern solle vielmehr in enger Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und auch mit den einfachen Bürger erfolgen. Mindestens 20 Prozent des EU-Gesamthaushalts sollten für Sicherheit und Abwehrbereitschaft ausgegeben werden.
Zudem müsse der Informationsaustausch zwischen den europäischen Geheimdiensten verstärkt sowie den Strafverfolgungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Daten gewährt werden. Nötig sei ein vollwertiger Nachrichtendienst für nachrichtendienstliche Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Die Mitgliedstaaten sollten Leitlinien zu Themen wie Vorratshaltung, Evakuierungen und Situationen mit chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen (CBRN) Bedrohungen entwickeln. Außerdem sollten EU-Bürger wissen, wie sie in Notfällen Zugang zu medizinischen Diensten oder Schulen erhalten. Haushalte in der gesamten EU sollten darauf vorbereitet sein, sich in verschiedenen Arten von Notfällen mindestens 72 Stunden lang autark versorgen zu können. Investitionen in eine „Risikobildung der Bürger“, die Themen wie „Cybersicherheit, Katastrophenrisiken und Desinformation“ abdeckt, werden im Niinistö-Bericht ebenfalls vorgeschlagen.
Die neue Strategie der Europäischen Bereitschaftsunion zur Krisenvorsorge liest sich nun im Grunde wie die Weiterführung des Niinistö-Berichts. Konkret umfasst die Strategie für die „Preparedness Union“ insgesamt 30 Leitaktionen und einen detaillierten Aktionsplan, um in der EU für alle Politikbereiche eine Kultur der „eingebauten Vorsorge“ zu entwickeln. Kaja Kallas kommentierte die Strategie mit den Worten:
„Heute stehen wir vor einer zunehmenden Zahl von Herausforderungen im Bereich der äußeren Sicherheit und einer wachsenden Zahl hybrider Angriffe in unserem gemeinsamen europäischen Raum. Unsere Strategie zielt darauf ab, ein umfassendes Bild der Bedrohungen zu erstellen, mit denen wir konfrontiert sind, und die Bürgerinnen und Bürger vorzubereiten, unter anderem indem sie ihr Risikobewusstsein verbessern, die zivil-militärische Zusammenarbeit intensivieren und enger mit externen Partnern, einschließlich der NATO, zusammenarbeiten. Vorsorge ist eine regierungs- und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“
Breites Spektrum von Risiken und Bedrohungen
Zu den wichtigsten Zielen und Maßnahmen der Strategie gehören unter anderem die Bevorratung kritischer Ausrüstungen und Materialien, die Anpassung an den Klimawandel, die Aufnahme von Vorsorgeunterricht in die Lehrpläne der Schulen, die Einführung eines EU-Vorsorgetags, die Einrichtung eines EU-Krisenzentrums, einer öffentlich-privaten Vorbereitungs-Taskforce sowie eines Krisen-Dashboards für Entscheidungsträger, die Koordinierung zwischen zivilen und militärischen Behörden, die Stärkung des Zentrums für die Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC), der EU-Erdbeobachtungsdienst (EOGS), die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Industrie und die Erleichterung von Investitionen mit doppeltem – also zivilem wie militärischem – Verwendungszweck in allen Mitgliedstaaten.
Vorsorge- und Sicherheitsaspekte sollen künftig in alle Rechtsvorschriften, Maßnahmen und Programme der EU integriert und durchgängig berücksichtigt werden. Außerdem soll die Bevölkerung sich mindestens 72 Stunden lang selbst versorgen können, was exakt dem Vorschlag von Niinistö entspricht. Bis Ende 2026 wollen die Kommission und die Hohe Vertreterin mit Unterstützung der zuständigen EU-Agenturen die erste umfassende EU-Risiko- und Bedrohungsanalyse abschließen. Außerdem will die Kommission eine EU-weite Bevorratungsstrategie und einen Europäischen Klimaanpassungsplan vorlegen.
Insgesamt müsse sich die EU auf ein breites Spektrum von Risiken und Bedrohungen vorbereiten, das sowohl Naturkatastrophen als auch vom Menschen verursachte Katastrophen umfasse. Dazu gehörten Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Waldbrände, Erdbeben und extreme Wetterereignisse, die durch den Klimawandel noch verstärkt werden. Aber auch vom Menschen verursachte Katastrophen wie Industrieunfälle, technisches Versagen und Pandemien. Außerdem hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und ausländische Informationsmanipulation und -einmischung (FIMI) sowie Sabotage kritischer Infrastrukturen. Und nicht zuletzt geopolitische Krisen wie bewaffnete Konflikte, einschließlich der Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs auf Mitgliedstaaten.
Gemeinschaftsbildung und Freiwilligenarbeit
Europa sei der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt habe. Es habe verheerende Naturkatastrophen erlebt, von Überschwemmungen über Dürren und Waldbrände bis hin zu Küstenerosion, Hitze- und Kältewellen sowie Stürmen. Wenn die strukturelle Fähigkeit, Risiken zu bewältigen, nicht verbessert werde, würden die menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten des Klimawandels in den kommenden Jahren noch zunehmen, einschließlich des wachsenden Drucks durch die negativen Auswirkungen des Klimawandels in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel durch Unterbrechungen der Handelswege und der globalen Lieferketten. Klima, Umwelt und Sicherheit seien eng miteinander verknüpft. Europa habe in den letzten Jahren auf Krisen mit beispielloser Geschwindigkeit und Entschlossenheit reagiert. Keine der Krisen sei jedoch isoliert oder von kurzer Dauer gewesen, sondern Teil eines umfassenderen Trends, der von langfristigen politischen, wirtschaftlichen, klimatischen, ökologischen und technologischen Veränderungen angetrieben werde. Europa könne es sich nicht leisten, reaktiv zu bleiben.
Es sei ein Paradigmenwechsel erforderlich, um eine Mentalität zu schaffen, die eine Kultur der umfassenden Bereitschaft und der generationsübergreifenden gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit fördert. Diese Bereitschaft müsse alle Teile der Gesellschaft erreichen. Gemeinschaftsbildung und Freiwilligenarbeit müssten unterstützt werden. Die Kommission werde auf ein europäisches Zivilschutzverfahren hinarbeiten, das sich mit allen Aspekten des Krisen- und Katastrophenmanagements befasst, um das gesellschaftliche Bewusstsein weiterzuentwickeln und in die Risikoerziehung der Bürger zu investieren. Schulen, Lehrer, Jugendbetreuer und Ausbilder müssten eine Schlüsselrolle bei der Förderung der digitalen und medialen Kompetenz sowie des bürgerschaftlichen Engagements spielen.
Die EU-weiten Krisenkommunikationssysteme – sowohl im Vorfeld (Risikokommunikation) als auch während einer Krise (Krisenkommunikation) – müssten verbessert werden, um alle Menschen unter allen Umständen zu erreichen. Beispielsweise könnte im Rahmen der geplanten EU-Geldbörse für digitale Identitäten eine Funktion zur Warnung der Öffentlichkeit für Notfallmeldungen entwickelt werden. Dies würde den Regierungen eine einfache und authentifizierte Möglichkeit bieten, direkt mit den Bürgern zu kommunizieren. Außerdem müsse die Mobilität von Arbeitskräften und Freiwilligen in Krisenzeiten gewährleistet sein.
Bei einer zunehmenden Zahl von Szenarien (zum Beispiel Gesundheitsnotfälle, extreme Wetterereignisse, hybride und Cyberangriffe) würden die zivilen Behörden militärische Unterstützung benötigen, und im Falle eines bewaffneten Angriffs wären andersherum die Streitkräfte auf zivile Unterstützung angewiesen, um das kontinuierliche Funktionieren von Staat und Gesellschaft zu gewährleisten. Daher müsse die Interaktion zwischen zivilen und militärischen Akteuren verbessert werden. Darüber hinaus will die Kommission Standards für Maßnahmen mit doppeltem Verwendungszweck festlegen, die sowohl zivile als auch militärische Anforderungen berücksichtigen. Beispielsweise soll beim Ausbau der Infrastruktur des transeuropäischen Verkehrsnetzes geprüft werden, inwieweit über die zivilen Verkehrsnormen hinaus der militärische Transport von Truppen und Material möglich ist. Eine neue EU-Online-Plattform soll künftig Reisenden Informationen über die Risiken, denen sie ausgesetzt sein könnten, und praktische Schritte zur Minderung dieser Risiken bieten.
Strafverfolgungsbehörden sollen auf verschlüsselte Daten zugreifen können
So stellt sich also die EU-Kommission die neue Europäische Bereitschaftsunion zur Krisenvorsorge vor. Am 19. März hatte die Kommission bereits ihr „Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung“ veröffentlicht (Achgut berichtete). Darin kündigt sie an, 800 Milliarden Euro für Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie zu mobilisieren. In der zugehörigen Mitteilung über eine Spar- und Investitionsunion hatte sie zudem dargelegt, wie sie die EU-Bürger dazu bewegen will, von ihren insgesamt 10 Billionen Euro an privaten Ersparnissen, die derzeit als Bankeinlagen gehalten werden, bis zu 8 Billionen Euro in die Rüstungsindustrie zu investieren. Nun legte die Kommission mit „ProtectEU“ noch einmal nach: Der Feind befindet sich demnach nämlich nicht nur im Äußeren, sondern auch im Inneren. Die neue Europäische Strategie für die innere Sicherheit enthält einen Arbeitsplan für die kommenden Jahre mit einem schärferen rechtlichen Instrumentarium. Vordergründig geht dabei es um Sicherheitsbedrohungen wie Terrorismus, organisierte Kriminalität, Cyberkriminalität und Angriffe auf kritische Infrastrukturen.
Doch an erster Stelle steht die Stärkung von Europol. Die EU-Behörde soll zu einer „wirklich funktionsfähigen Polizeibehörde“ umgebaut werden und „innovative Technologien“ zur Bekämpfung der Kriminalität an die Hand bekommen. Dafür soll sie ihre Mitarbeiterzahl verdoppeln. Konkret soll Europol mehr Befugnisse zur Untersuchung grenzüberschreitender Fälle, die eine ernste Bedrohung für die innere Sicherheit der Union darstellen, erhalten und enger mit anderen EU-Agenturen zusammenarbeiten, und zwar vor allem mit der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) und der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA/EPPO). Generell sollen die EU-Behörden besser miteinander agieren. Dazu zählen unter anderem die Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit (ENISA), die EU-Zollbehörde, die EU-Zolldatenzentrale, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), die Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (AMLA), die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) sowie das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS).
Aber auch Forscher, Unternehmen und sogar Bürger könnten zu mehr Sicherheit für alle beitragen. Die „neue europäische Governance für die innere Sicherheit“ sieht vor allem eine Verbesserung des Austauschs nachrichtendienstlicher Erkenntnisse durch die Mitgliedstaaten mit der Einheitlichen Kapazität der EU für nachrichtendienstliche Analysen (SIAC) vor. Sprich: Der Zugriff auf Daten soll erleichtert werden. Denn 85 Prozent der strafrechtlichen Ermittlungen beruhen laut der EU-Kommission auf digitalen Informationen. Daher will die Kommission einen „Fahrplan für den rechtmäßigen und wirksamen Zugang zu Daten für Strafverfolgungsbehörden“ entwickeln. So soll es den Strafverfolgungsbehörden erlaubt sein, auch auf verschlüsselte Daten zuzugreifen. Außerdem sollen die EU-Vorschriften über die Vorratsdatenspeicherung aktualisiert – also vermutlich gelockert – werden.
Sicheres Online-Umfeld mit "rechenschaftspflichtigen Akteuren"
Der mit der Europäischen Strategie für die innere Sicherheit verfolgte gesamtgesellschaftliche Ansatz erfordert laut EU-Kommission erhebliche Investitionen aller betroffenen Akteure – der EU, ihrer Mitgliedstaaten und des privaten Sektors. Die in der Strategie dargelegten Prioritäten und Maßnahmen benötigten zudem ausreichende personelle Ressourcen. Über die künftige Finanzierung von Maßnahmen für die innere Sicherheit durch die EU soll in den Verhandlungen über den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) entschieden werden. Die Kommission stellt für die Sicherheit bereits beträchtliche Mittel in verschiedenen Programmen bereit, die in die Maßnahmen der Strategie fließen können.
Rund 9,77 Milliarden Euro stehen für den Zeitraum 2021 bis 2027 zur Verfügung, wovon 1,9 Milliarden Euro auf den Fonds für die innere Sicherheit (ISF) und 6,2 Milliarden Euro auf das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BMVI) entfallen. Darüber hinaus werden im Rahmen von Horizont Europa 1,6 Milliarden Euro für Forschung und Innovation im Bereich Sicherheit ausgeschüttet. Die Kommission bezieht sich auch direkt auf den Global Risks Report 2025 des Weltwirtschaftsforums, demzufolge Fehlinformation und Desinformation, Kriminalität und illegale Aktivitäten sowie Cyberspionage zu den zehn größten Risiken weltweit gehören.
Um die Fähigkeit der EU, auf Krisen zu reagieren, zu verbessern, will die Kommission zudem Rechtsvorschriften zur Schaffung eines Europäischen Systems für kritische Kommunikation (EUCCS) vorschlagen, in dem die Kommunikationssysteme der nächsten Generation verbunden werden können. Die Kommission arbeitet auch mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zusammen, um die europäische Quantenkommunikationsinfrastruktur (EuroQCI) auf der Grundlage der Quantenschlüsselverteilung (Quantum Key Distribution, QKD) als Teil von IRIS, dem EU-Programm für sichere Konnektivität, zu entwickeln und einzuführen. Diese Initiativen sollen es letztlich ermöglichen, Daten leichter zu übertragen und Informationen sicher zu speichern. Auch die rigorose Durchsetzung des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: DSA) sei von größter Bedeutung, um ein sicheres Online-Umfeld mit rechenschaftspflichtigen Akteuren zu gewährleisten.
„Europäischer Schutzschild für die Demokratie“
Die EU-Kommission reißt auf diese Weise offensichtlich unter dem Deckmantel der Vorsorge und der inneren Sicherheit sämtliche Themenfelder an sich. Das würde es ihr ermöglichen, im Fall eines Notstandes, den sie selbst aufgrund etwa einer Pandemie, einer Klimakrise oder einer drohenden militärischen Aggression ausrufen kann, die nationalen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten weitgehend einzuschränken. Über das Gesetz über digitale Dienste hätte sie zudem im Krisenfall direkten Zugriff auf Online-Plattformen wie Google. Als Begründung für ihre übergriffige Politik zieht die Kommission schlichtweg Experten-Berichte heran, die sie selbst in Auftrag gegeben hat.
So diente der sogenannte Draghi-Bericht (Achgut erichtete) als Grundlage für die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden, um die Wirtschaft zu digitalisieren und zu dekarbonisieren sowie die Verteidigungskapazität der EU zu erhöhen. Der Investitionsanteil in Europa müsse um etwa fünf Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen, wozu zusätzliche jährliche Mindestinvestitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro nötig seien, heißt es im Draghi-Bericht. Tatsächlich hat die EU-Kommission dann entschieden, 800 Milliarden Euro für die Aufrüstung zu mobilisieren. Letztlich war es jedoch Mario Draghi, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, der diese Zahl offiziell in den Raum gestellt hat.
Nun ist es also der Niinistö-Bericht, auf den sich die EU-Kommission stützt, um unter anderem die autarke Versorgung der Bürger für mindestens 72 Stunden zu fordern. Das Vorgehen, dass die Kommission einen Bericht bei einem von ihr selbst bestimmten „Experten“ in Auftrag gibt, den sie dann benutzt, um ihre Politik zu rechtfertigen, ist jedoch mehr als fragwürdig. Zumal es der Kommission ohnehin an demokratischer Legitimation fehlt. Zudem ist allen aktuellen Aktionsfeldern (Pandemien, Kampf gegen den Klimawandel, digitale Identitäten und Währungen, Aufrüstung) der EU-Kommission gemeinsam, dass sie äußerst lukrativ für Investoren sind. Fragt sich, ob die EU-Kommission tatsächlich überhaupt noch ansatzweise den Interessen der EU-Bürger dient oder immer unverhohlener auschließlich den Interessen der Lobbyisten.
Nach dem Weißbuch zur Verteidigung, der Strategie zur Krisenvorsorge und der Strategie zur inneren Sicherheit („ProtectEU“) will die EU-Kommission übrigens nun noch einen „Europäischen Schutzschild für die Demokratie“ initiieren. Derzeit laufen dazu öffentliche Konsultationen. Wer sich daran beteiligen möchte, kann dies auf der offiziellen Webseite der EU-Kommission tun. Es kann sowohl ein freier Kommentar abgegeben als auch an einer Umfrage teilgenommen werden, in der etwa abgefragt wird, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um „Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland und Desinformation aufzudecken und zu bekämpfen“. Eine möglich Antwort lautet: „Sammlung von Informationen, Wissensaustausch und Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren (auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU) und nichtstaatlichen Akteuren (Faktenprüfer, Forscher, Organisationen der Zivilgesellschaft usw.).“ Hier kann man seine Zustimmung auf einer Skala von 1 bis 5 ausdrücken. Vielleicht sollten sich möglichst viele EU-Bürger beteiligen, ihre Zustimmung verweigern und eine grundsätzliche Reform respektive einen Great Reset der EU fordern?
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.
Quellen:
HERA-Bericht
EU-Strategie zur Krisenvorsorge
ProtectEU-Strategie
Verordnung über schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen
Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung
Mitteilung zur Spar- und Investitionsunion