EU-Totenschein für das gedruckte Buch?

Bücher dürfen nach einer EU-Verordnung demnächst nur noch in den Verkehr gebracht werden, wenn sie "entwaldungsfrei" sind. In der Praxis ist der Nachweis so gut wie unmöglich. Geht es hier um den Wald oder das Zurückdrängen nicht nachträglich manipulierbarer Bücher?

Manchmal erschließt sich nicht sofort, ob durch eine EU-Verordnung absichtlich Angriffe auf unsere Kultur verfolgt werden oder ob diese lediglich als Kollateralschaden entstehen. So verhält es sich aktuell zum Beispiel mit der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EU-Verordnung 2023/1115 – EUDR), die vom Europäischen Parlament und dem Rat bereits am 31. Mai 2023 verabschiedet worden war, daraufhin am am 29. Juni 2023 in Kraft trat und ursprünglich ab Anfang kommenden Jahres in den einzelnen Mitgliedstaaten gelten sollte. Nun wird sie jedoch um ein Jahr verschoben.

Zum Hintergrund: Die Verordnung für entwaldungsfreie Produkte soll einen EU-Rechtsrahmen gegen die Zerstörung von Wäldern bieten und Anreize für den Übergang zu nachhaltigen Lieferketten in allen Erzeugerländern innerhalb und außerhalb der EU schaffen. Sie soll laut der Webseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) „dazu beitragen, die globale Waldzerstörung, Klimakrise und den Verlust der Biodiversität zu bekämpfen und die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten“. Allein von 1990 bis 2020 seien weltweit rund 420 Millionen Hektar Wald verloren gegangen. Die globale Entwaldung gelte „als wichtiger Treiber des Klimawandels und des Artensterbens“. Rund 90 Prozent der weltweiten Entwaldung werde durch die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen hervorgerufen.

Allerdings stellt sich die Situation in der EU selbst deutlich anders dar als im globalen Durchschnitt. So wird in der Verordnung festgestellt:

„In Bezug auf die Lage der Wälder in der Union heißt es im Bericht über den Zustand der Wälder in Europa von 2020, dass die Waldfläche in Europa zwischen 1990 und 2020 um 9 %, der in der Biomasse gespeicherte Kohlenstoff um 50 % und das Holzangebot um 40 % zugenommen haben.“

Die Waldflächen in der EU nehmen also bereits seit über 30 Jahren zu? Kein Grund zur Entwarnung, denn so heißt es in der Verordnung weiter:

„Die Union hat zwischen 1990 und 2008 ein Drittel der weltweit gehandelten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung stehen, eingeführt und verbraucht. In diesem Zeitraum war der Unionsverbrauch für 10 % der weltweiten Entwaldung im Zusammenhang mit der Erzeugung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen verantwortlich. Selbst wenn der relative Anteil des Unionsverbrauchs abnimmt, trägt der Unionsverbrauch in unverhältnismäßig hohem Maß zur Entwaldung bei. Die Union sollte daher Maßnahmen ergreifen, um die weltweite Entwaldung und Waldschädigung, die durch den Verbrauch bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse bedingt sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken, um so ihren Beitrag zu Treibhausgasemissionen und zum weltweiten Verlust an biologischer Vielfalt zu verringern sowie nachhaltige Erzeugungs- und Verbrauchsmuster in der Union und weltweit zu fördern.“

Außerdem hat die Europäische Umweltagentur festgestellt, dass heute weniger als 5 Prozent der europäischen Waldflächen als ungestört oder natürlich gelten, und 10 Prozent als intensiv bewirtschaftet eingestuft. Die Waldökosysteme müssten mit einer Vielzahl von durch den Klimawandel verursachten Belastungen, die von extremen Wetterverhältnissen bis hin zu Schädlingsbefall reichen, und mit menschlichen Tätigkeiten, die sich negativ auf Ökosysteme und Lebensräume auswirken, zurechtkommen.

"Bürokratiearme Anwendung"?

Daher erfolgt die Verschiebung des Starts der Verordnung auch nicht aus inhaltlichen, sondern aus rein formalen Gründen, um „eine effiziente, praktikable und bürokratiearme Anwendung sicherzustellen“. So hat die Europäische Kommission beispielsweise noch nicht die von ihr versprochene Einstufung der Länder in „Risikoklassen“ vorgelegt. Durch ein sogenanntes Benchmarking-System sollen nämlich Ländern innerhalb und außerhalb der EU eine Risikokategorie im Zusammenhang mit Entwaldung und Waldschädigung (gering, normal oder hoch) zugewiesen werden. Die Risikokategorie bestimmt dann, in welchem Umfang die Marktteilnehmer und die Behörden der Mitgliedstaaten konkret verpflichtet sind, Kontrollen durchzuführen, um zu überprüfen, ob die in der Verordnung festgelegten Vorschriften befolgt werden.

Die Bekämpfung von Entwaldung und Waldschädigung sei darüber hinaus ein wichtiger Bestandteil des Pakets von Maßnahmen, die zur Erfüllung der Verpflichtungen der Union im Rahmen des europäischen Grünen Deals sowie des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen („Übereinkommen von Paris“) führen sollen, um bis spätestens 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken. Und in der EU-eigenen Bescheidenheit wird gleich noch auf die Vorbildfunktion der EU für die ganze Welt hingewiesen: „Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, sollte die Politik der Union darauf abzielen, Einfluss auf den gesamten Weltmarkt und nicht nur auf die Lieferketten der Union auszuüben.“

Es kann also nicht schaden, sich auf die Folgen der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte gefasst zu machen. Zu den Holzprodukten, auf die sich die Verordnung unter anderem bezieht, gehört nämlich selbstverständlich auch Papier. Und damit sind nun mal auch Bücher betroffen. Das bedeutet konkret: Bücher und andere Druckerzeugnisse dürfen gemäß Art. 3 EUDR ab dem 30. Dezember 2025 (große und mittlere Unternehmen) bzw. ab dem 30. Juni 2026 (kleine und Kleinstunternehmen) nur noch dann in der EU in den Verkehr gebracht oder ausgeführt werden, wenn sie entwaldungsfrei sind, das heißt, wenn sie aus Papier hergestellt worden sind, dessen Holz aus einem Wald geschlagen wurde, in dem es nach dem 31. Dezember 2020 zu keiner Entwaldung oder Waldschädigung gekommen ist. Unter Entwaldung wird die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftlich genutzte Flächen verstanden.

Nicht umsetzbare Nachweispflichten

Außerdem muss eine Sorgfaltserklärung vorliegen, die von den zuständigen Behörden vor der Ein- oder Ausführung von Rohstoffen oder Erzeugnissen geprüft wird. Diese Sorgfaltserklärung soll über ein neu geschaffenes Internetportal eingereicht werden und Informationen enthalten, durch die die Rohstoffe bis zum Grundstück der Erzeugung zurückverfolgt werden können. Bei Verstößen gegen die Verordnung drohen Geldbußen, die mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes betragen.

Wie jedoch sollen Verlage sämtliche Grundstücke angeben können, auf denen das jeweilige Holz für ihre Bücher erzeugt wurde? Und wie sollen sie den genauen Zeitpunkt der Erzeugung nachweisen? Diese Nachweispflichten sind in der jetzigen Form eindeutig realitätsfern und nicht umsetzbar. Zielt die EU-Verordnung also tatsächlich darauf ab, das gedruckte Buch als nicht manipulierbares Dokument, das im Gegensatz zu Internetinformationen nicht nachträglich verändert werden kann, zu unterdrücken? Oder sollen durch die Verordnung vor allem die Digitalkonzerne weiter gehätschelt werden? Neben Holz sind übrigens noch Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Rinder als relevante Rohstoffe von der Verordnung betroffen. Und entsprechende Produkte wie etwa Schokolade, Möbel und Bestandteile von Körperpflegeprodukten. Wer weiß, mit welch bösen Überraschungen in den nächsten Jahren durch die Entwaldungs-Verordnung noch zu rechnen ist?

Quellen:

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32023R1115 

https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_24_5009

https://circabc.europa.eu/ui/group/34861680-e799-4d7c-bbad-da83c45da458/library/e126f816-844b-41a9-89ef-cb2a33b6aa56/details?download=true

https://green-business.ec.europa.eu/publications/communication-commission-strategic-framework-international-cooperation-engagement-deforestation_en

https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/119-einleitung-laender-verbaendeanhoerung.html

https://www.ble.de/DE/Themen/Wald-Holz/Entwaldungsfreie-Produkte/FAQs/FAQs.html

https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/05/16/council-adopts-new-rules-to-cut-deforestation-worldwide/

https://www.drsc.de/app/uploads/2024/10/241004_DRSC_Briefing_Paper_EUVO_2023_1115_Entwaldungsverordnung_final.pdf

https://www.boersenverein.de/beratung-service/nachhaltigkeit/herstellung/faq-eu-entwaldungsverordnung/

 

Foto: Montage achgut.com

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netiquette:

U. Prengel / 05.11.2024

Einen ersten und wesentlichen Beitrag zum Erhalt von Wäldern wäre, Waldflächen zu erhalten anstelle dessen, dort Windkraftanlagen, die darüber hinaus noch nachhaltig umweltzerstörend (Microplastik, Fundamente, Entsorgung?...) sind, zu errichten - wenn es denn tatsächlich um Wald ginge und nicht um Kontrolle…

Werner Blumenreuter / 05.11.2024

Man muß das mal ganz nüchtern sehen.  Das Europäische Parlament ist, nachdem es das Klima des Universums im Griff hat, über den Umweg des pelzigen Belags des Zentralsterns, auf dem Weg zum Mittelpunkt desselben. Also z.Zt. keine „böse“ Überraschung, oder?

Daniel Kirchner / 05.11.2024

Bücher sind Kohlenstoffspeicher, reduzieren also CO2, solange sie nicht verbrannt werden oder verrotten. Der Verzicht ist daher klimaschädlich.

Nico Schmidt / 05.11.2024

Sehr geehrte Frau Binning, wieviel CO2 würden wir sparen, wenn wir die EU und Brüssel abschaffen würden? Da sehe ich großes Potential. Mfg Nico Schmidt

Walter Weimar / 05.11.2024

Die Angst vor dem gedruckten Wort ist größer denn je! Gerade wird versucht ein fünfhundert Jahre altes Kulturgut zu zerstören. Auch davor macht der Grüne Krebs nicht halt. Wald wächst überall von alleine, er muß mittels Weidevieh ständig zurückgehalten werden, es sei denn der Mensch will dort gerade aufforsten. Dann wächst nichts mehr außer Gestrüpp. Wo der Wald noch wächst, kommt der Borkenkäfer. Das habe ich in Thüringen schon als Kind gehört. Man hat sofort nach dem Befall Fichten nachgepflanzt. Der Kreislauf nimmt seinen Weg, seit Jahrzehnten. Es gibt etwas, das hat unendliche Sicherheit gegen alle Einflüsse: Behördliche Dummheit©.      ©Die Deutschen Behörden

Sam Lowry / 05.11.2024

“Da sage nochmal jemand, die EU tue nichts für den Umweltschutz! Endlich haben wir eine Verordnung, die uns vor dem größten Übel des 21. Jahrhunderts bewahrt: entwaldete Bücher. Bald können wir also sicher sein, dass nicht ein einziger Baum sinnlos geopfert wurde, um uns zum eigenständigen Denken anzuregen. Klar, der Nachweis der „Entwaldungsfreiheit“ ist in der Praxis fast unmöglich, aber das ist ja auch nicht der Punkt. Warum noch Bücher, die sich nicht flexibel „anpassen“ lassen? Man könnte fast meinen, hier wird nicht nur der Wald, sondern auch die Kontrolle über den freien Geist etwas dichter bepflanzt. Auf jeden Fall ein Fortschritt! Für Bäume, für die Umwelt – und ganz besonders für alle, die gerne bestimmen, was wir lesen sollen.” (KI)

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