Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 03.12.2007 / 11:29 / / Seite ausdrucken

Ethik und Pragmatismus

Gestern Abend zeigte die BBC zu später Stunde die Dokumentation “The Blair Years” - eine Mischung aus Archivmaterial und Interviews mit Blair, politischen Weggefährten und Gegnern. Wie bereits vor über einer Woche angekündigt wurde, bestand die größte “Enthüllung” der Sendung darin, dass Tony Blair ein religiöser Mensch sei. Natürlich überrascht dies in Wirklichkeit niemanden, denn dass Blair gläubiger Christ und regelmäßiger Kirchgänger ist, war auch vorher schon bekannt. Einzig die Details, die seine Freunde und Mitarbeiter ausplauderten, waren neu. Dass es bei Auslandsreisen nicht immer leicht gewesen sei, eine Kirche für Blairs sonntäglichen Kirchgang zu finden, oder auch, dass Blair stets mit Bibel im Gepäck reiste, aus der er jeden Abend las.

Allerdings, und auch das kam in der Dokumentation zur Sprache, habe man Blairs Religiosität in der Öffentlichkeitsarbeit von 10 Downing Street stets mit Sorge beobachtet. “We don’t do God,” lautete das Mantra von Blairs langjährigem Spindoctor Alastair Campbell. Das führte zuweilen zu skurrilen Einfällen. Als Blair etwa an einer Karfreitagsprozession teilnahm, erkundigte man sich bei der Kichengemeinde, ob diese auch ohne Kreuz möglich sei. Blair mit Kreuz auf einem Bild, das könnte unvorteilhaft sein. Die Kirchengemeinde legte jedoch überzeugend dar, warum ein Karfreitag ohne Kreuz nicht möglich ist.

Blair selbst war sich der Gefahr eines allzu öffentlichen Bekenntnisses zu seinen religiösen Überzeugungen bewusst. Schon im Amt wich er der Frage eines Interviewers aus, ob er mit US-Präsident George W. Bush gemeinsam bete. Auch in der gestrigen Dokumentation tat er sich schwer mit dem Thema. Man würde als religiöser Mensch, gerade auch als Politiker, ja sofort als Verrückter dargestellt, wenn man sich zu seinem Glauben bekennt - ganz nach dem Motto “er zieht sich jetzt in sein stilles Kämmerlein zurück und empfängt die Befehle für sein Handeln von dem da oben”.

Dass Blairs Befürchtungen nicht unbegründet waren und sind, zeigte sich denn auch im Gespräch mit Sir Menzies Campbell, dem früheren Parteichef der Liberaldemokraten, in derselben Sendung. Wenn die Öffentlichkeit schon früher von Blairs tiefer Religiosität erfahren hätte, wenn sie gewusst hätte, dass bei Blair die ethischen Überzeugungen vor dem Pragmatismus kämen, dann hätte er wohl kaum seine guten Wahlergebnisse erzielt, sagte Sir Menzies.

Wirklich? Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass die Wählerschaft den reinen machtpolitischen Pragmatismus einer auf einer christlichen Ethik beruhenden Politik vorgezogen hätte? Ist es das, was das Volk heute verlangt: ethisch-moralische Beliebigkeit, die sich allein auf das gerade Mögliche beschränkt?

Wenn dem so wäre, dann tat Blair wohl genau das Richtige, als er sich nicht allzu öffentlich zu seinem Glauben bekannte, als er noch Premierminister war. Aber was hätte eigentlich dagegen gesprochen, den Briten klar zu verstehen zu geben, wofür er steht und woran er glaubt? Vielleicht hätte es einigen seiner Landsleute sogar imponiert, dass es noch Politiker gibt, für die es jenseits der Tages- und Machtpolitik noch andere Grundsätze ihres Handels gibt? Und woher will Sir Menzies eigentlich wissen, dass sich christliche Ethik und Pragmatismus ausschließen?

Blairs spätes religiöses Coming-Out nach dem Ausscheiden aus dem Amt zeigt eigentlich nur eines: Dass es heute in Großbritannien deutlich mehr Mut braucht, sich zu seiner Religion zu bekennen als sich über die Religiosität anderer - etwa jene eines George W. Bush - lustig zu machen.

Das mag man bedauern, gerade wenn man glaubt, dass es in der Politik manchmal doch noch um mehr geht als um den reinen Pragmatismus.

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