Die Weltbank hat die Ernährung der Menschheit als globalen Investitionsmarkt entdeckt und ein „Rezept“ entwickelt, über das sich vor allem Insektenzüchter und Großinvestoren freuen können.
Die Weltbank hat nicht nur ihr Herz für den Kampf gegen den Klimawandel entdeckt (achgut berichtete u.a. hier), sondern kümmert sich in diesem Zusammenhang auch verstärkt um die Ernährung der Menschheit. Ende Mai 2024 veröffentlichte sie einen Bericht mit dem Titel „Recipe for a Livable Planet – Achieving Net Zero Emissions in the Agrifood System“ (zu deutsch etwa: „Rezept für einen lebenswerten Planeten – Netto-Null-Emissionen im Agrar- und Ernährungssystem erreichen“). Dessen über 300 Seiten zählende vollständige Version liegt zwar erst in einer vorläufigen Ausgabe vor, die für die UN-Klimakonferenz in Dubai Ende 2023 erstellt wurde, doch nun steht auf der Website der Weltbank immerhin eine 50-seitige offizielle Zusammenfassung zum Download bereit.
Zum Hintergrund: Die Weltbank ist eine Schwesterorganisation des Internationalen Währungsfonds (IWF). Beide sind rechtlich, organisatorisch und finanziell selbstständige Sonderorganisationen der Vereinten Nationen mit Sitz in Washington, D.C. Zweimal im Jahr treten sie zu einer Tagung zusammen. Beide haben ihren Ursprung in der 1944 geschaffenen internationalen Währungsordnung, die auf dem mit Gold gedeckten US-Dollar als Leitwährung beruhte. Und beide vergeben Kredite an Länder ohne ausreichende Währungsreserven, wobei der IWF überwiegend kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen zur Stabilisierung von internationalen Währungssystemen gewährt, die Weltbank hingegen langfristige Programme zum Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern unterstützt.
Deutschland ist bei der Weltbankgruppe wie auch im IWF viertgrößter Anteilseigner (Stand März 2022). Auch der IWF leitet laut einer Pressemitteilung von April 2023 einen „grundlegenden Wandel“ in seinem Finanzierungskonzept ein, um „Billionen von Dollar zur Bewältigung der klimatischen Herausforderung umzuleiten“.
Wenn die Weltbank sich nun also dem Thema Ernährung zuwendet, kann man davon ausgehen, dass es hier ebenfalls wörtlich um Billionen von Dollar geht. Ausgangspunkt des Weltbank-Berichts ist die Feststellung:
„Die globale Agrar- und Ernährungswirtschaft wurde bei der Bekämpfung des Klimawandels bisher weitgehend übersehen. Dabei sind die Treibhausgasemissionen aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft so groß, dass sie allein dazu führen könnten, dass die Welt das Ziel verfehlt, die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigen zu lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft bis 2050 auf Null gesenkt werden.“
Konzerne wollen ihre „emissionsarmen Technologien“ an den Mann bringen
Die Weltbank ruft daher Regierungen, Unternehmen, Bürger und internationale Organisationen zur Zusammenarbeit auf und bietet nun „den ersten umfassenden globalen strategischen Rahmen“, um den Anteil der Agrar- und Ernährungswirtschaft zum Klimawandel zu verringern und „zur Heilung des Planeten“ beizutragen. Axel van Trotsenburg, Senior Managing Director der Weltbank, erklärte in einer Pressemitteilung vom 6. Mai dieses Jahres dazu:
„Das Essen auf Ihrem Tisch mag zwar gut schmecken, aber es ist auch ein großes Stück vom Kuchen der Klimaemissionen. Die gute Nachricht ist, dass das globale Lebensmittelsystem den Planeten heilen kann, indem es die Böden, Ökosysteme und Menschen gesünder macht und gleichzeitig das CO2 im Boden hält. Dies ist noch zu unseren Lebzeiten möglich, aber die Länder müssen jetzt handeln.“
Das Weltbank-„Rezept“ enthält Lösungen für drei verschiedene Kategorien von Ländern, nämlich für Länder mit hohem, mit mittlerem und mit niedrigem Einkommen. Länder mit hohem Einkommen sollen demnach eine Vorreiterrolle übernehmen, indem sie Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen stärker unterstützen, damit diese emissionsarme Anbaumethoden und -technologien einführen können. Zwischen den Zeilen gelesen, heißt das: Konzerne wollen ihre „emissionsarmen Technologien“ an den Mann bringen und dafür einen möglichst großen Markt erschließen. Zahlen sollen die „Länder mit hohem Einkommen“, die zugleich auch ihre eigene Verbrauchernachfrage nach emissionsintensiven, von Tieren stammenden Lebensmitteln verringern sollen.
Ein Drittel der möglichen Maßnahmen, mit denen die Emissionen aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft kosteneffizient verringert werden könnten, bezögen sich jedoch auf Länder mit mittlerem Einkommen, da diese durch die Produktion von tierischem Eiweiß – etwa durch Viehzucht – besonders hohe Treibhausgasemissionen verursachten. Hier müssten vor allem die Umwandlung von Wäldern in Acker- oder Weideland verhindert und die Wiederaufforstung gefördert werden, um Emissionssenkungen zu bewirken. Zwölf der 15 Länder mit dem größten Potenzial zur Bindung von organischem Kohlenstoff in den obersten 30 Zentimetern der Böden gehören laut Weltbank nämlich zu den Ländern mit mittlerem Einkommen.
Soll der Bedarf an künstlich oder aus Insekten erzeugten Lebensmitteln gesteigert werden?
Die Weltbank rät also Ländern mit mittlerem Einkommen allen Ernstes dazu, ihre landwirtschaftlich genutzten Flächen zu verkleinern. Da drängt sich unweigerlich die Frage auf: Soll auf diese Weise womöglich der Bedarf an künstlich oder aus Insekten erzeugten Lebensmitteln gesteigert werden? So wirbt beispielsweise das Beratungsunternehmen Alcimed, das auf Innovationsprojekte und die Erschließung neuer Märkte spezialisiert ist, aktuell ganz offen für die Insektenzucht als „nachhaltige Lösung für die Ernährung des Planeten“, um die steigende weltweite Nachfrage nach Proteinen zu decken. Zukünftig könnten etwa Kekse, Proteinriegel, Schokolade, Steaks und Nudeln aus Insekten hergestellt werden. Außerdem könnte die Zucht von Insekten der Verwertung von Lebensmittelabfällen dienen.
Länder mit niedrigem Einkommen schließlich sollen schlichtweg die Fehler der reicheren Länder vermeiden und sofort „die klimafreundlichen Chancen für eine grünere und wettbewerbsfähigere Wirtschaft“ nutzen. Aber auch sie sollen sich um die Wiederherstellung von Wäldern bemühen. In allen Ländergruppen gleichermaßen soll ein umfassendes Konzept zur Emissionsvermeidung beim Einsatz von Düngemitteln, beim Energieverbrauch sowie bei Verpackung und Vertrieb umgesetzt werden. Die gesamte Wertschöpfungskette vom Bauernhof bis auf den Tisch soll zur Klimaneutralität beitragen.
Um die Emissionen der Agrar- und Ernährungswirtschaft bis 2030 zu halbieren und bis 2050 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, müssten die entsprechenden Investitionen allerdings um das 18-fache auf 260 Milliarden Dollar pro Jahr steigen. Nach Schätzungen würden diese Investitionen jedoch zu einem Gewinn von bis zu 4,3 Billionen Dollar führen, was einem Verhältnis von 16:1 zu den Investitionskosten entspreche. Allerdings wird nicht weiter ausgeführt, wer diese Schätzungen erhoben hat.
Wörtlich ist im Weltbank-„Rezept“ zu lesen: „Die Regierungen müssen die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, um diesen Wandel zu erleichtern. Die Mobilisierung von Finanzmitteln ist unerlässlich, sowohl durch höhere Investitionen als auch durch die Umwidmung von Subventionen, die umweltschädliche Praktiken fördern.“ Ebenso sei rigorose Forschung nötig, um neue Methoden der nachhaltigen Produktion zu erschließen. Die Ernährung der Menschheit als globaler Investitionsmarkt? Diese Schlussfolgerung lässt sich auch aus der Forderung der Weltbank ziehen, dass sowohl private Investitionen als auch öffentliche Maßnahmen zur Förderung emissionsarmer Technologien unterstützt werden müssten.
Jedenfalls müsse das Lebensmittelsystem dringend in Ordnung gebracht werden, denn es mache den Planeten krank. Dabei verschweigt die Weltbank, dass die Welt auch ohne ihr „Rezept“ zumindest bis zu den Corona-Maßnahmen auf einem guten Weg war. Sie veröffentlichte sogar selbst just im Januar dieses Jahres eine Statistik, die zeigt, dass 1990 fast zwei Milliarden Menschen in extremer Armut lebten, während es 2015 nur noch 793 Millionen und 2019 648 Millionen waren.
Wenn die Weltbank also plötzlich behauptet, dass gängige Nahrungsmittel die Nährstoffversorgung und die menschliche Entwicklung beeinträchtigen und es jetzt an der Zeit sei, Landwirtschaft und Ernährung ganz oben auf die Klimaschutzagenda zu setzen, ist es keineswegs abwegig, zu vermuten, dass sie nicht zuletzt die Interessen von Investoren in die Entwicklung von Lebensmitteln auf Insektenbasis vertritt. Und tatsächlich: Weiter hinten im Weltbank-„Rezept“ steht ausdrücklich, dass neue Technologien wie chemische Methanhemmer, Futtermittelzusätze aus Rotalgen, Indoor-Farming-Methoden, Fleisch auf Pflanzenbasis, im Labor gezüchtetes Protein und „andere Proteinquellen“ gefördert werden müssten.
Mit Insekten- und Hydrokulturen eine Kreislaufwirtschaft für Lebensmittel
Außerdem hat die Weltbank bereits im Juli 2021 ein Buch mit dem Titel „Insekten- und Hydroponik-Landwirtschaft in Afrika: Die neue zirkuläre Lebensmittelwirtschaft“ („Insect and Hydroponic Farming in Africa: The New Circular Food Economy“) herausgegeben. Das Buch konzentriert sich auf zwei Arten von „Pioniertechnologien“ in der Landwirtschaft: Insektenzucht und hydroponischer Pflanzenbau. Beide Technologien könnten in kürzester Zeit nahrhafte Nahrungs- und Futtermittel produzieren.
Unter Hydroponik wird eine Form der Hydrokultur verstanden, bei der Pflanzen ohne Erde unter Verwendung wasserbasierter Mineralnährlösungen in einer künstlichen Umgebung gezüchtet werden. Laut Weltbank könnten Insekten- und Hydrokulturen eine Kreislaufwirtschaft für Lebensmittel schaffen, indem sie die organischen Abfälle der Gesellschaft, einschließlich landwirtschaftlicher und bestimmter industrieller Abfälle, wiederverwenden, um Nahrungsmittel für Menschen, Fische und Vieh zu produzieren, ohne dass große Mengen an Ackerland oder Wasserressourcen benötigt werden. Diese Technologien wiesen ein großes Potenzial für Wachstum auf, da der Markt für neuartige Proteinquellen aus gezüchteten Insekten und für nährstoffreiches Obst und Gemüse aus Hydroponik rasch wachse.
In ihrem „Rezept“ betont die Weltbank nachdrücklich, dass die Welt auch die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht erreichen könne, ohne Netto-Null-Emissionen im Agrar- und Ernährungssystem zu realisieren. Zur Erinnerung: Im Dezember 2015 hatten sich 197 Länder auf dieses „anspruchsvolle Klimaregime mit universeller Geltung und völkerrechtlichen Pflichten für alle Staaten“ (O-Ton Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, kurz: BMWK) geeinigt, das dazu führen soll, dass die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter möglichst auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden soll. Dabei bezieht sich jedoch die Definition von „vorindustriell“ lediglich auf eine Zeitspanne in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und blendet sämtliche vorherige Wärmephasen aus.
Da der Energieverbrauch für ein Drittel aller Emissionen aus dem Agrarnahrungsmittelsystem verantwortlich sei, setzt das Weltbank-Rezept auch bei der Erzeugung erneuerbarer Energien an. Zwar sei der Energiebedarf in den Ländern mit hohem Einkommen (high income countries, kurz: HIC) am größten, doch er stelle weltweit ein zentrales Problem dar: Würde beispielsweise ein Viertel der 8,8 Millionen indischen Dieselpumpen zur Bewässerung durch Solarpumpen ersetzt, könnten die Emissionen um 11,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert werden.
Bloß kein Fleisch für die Armen!
Länder mit hohem Einkommen sollten daher Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanzielle und technische Unterstützung zukommen lassen, etwa in Form von Zuschüssen und Krediten. Ein bloßer Technologietransfer sei jedoch nicht ausreichend: Länder mit hohem Einkommen und ihre internationalen Partner müssten zusätzlich umfassende Initiativen zum Aufbau von Kapazitäten durchführen, um sicherzustellen, dass die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen diese Technologien effektiv selbst nutzen können. Auch hier winken also entsprechend lukrative Aufträge beispielsweise für die Solarindustrie.
Länder mit höherem Einkommen könnten darüber hinaus die Verbrauchernachfrage nach emissionsintensiven Lebensmitteln tierischen Ursprungs senken, indem sie ökologische und gesundheitliche Auswirkungen voll einpreisen, Subventionen umwidmen und nachhaltige Lebensmittel fördern. In Nordamerika beispielsweise konsumiere der Durchschnittsbürger 36 Kilogramm Rindfleisch pro Jahr, während der weltweite Durchschnitt bei neun Kilogramm liege. Mittlerweile sei jedoch auch in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen (MICs und LICs) ein Trend zu steigendem Fleischkonsum zu beobachten. Als nämlich die weltweite Armut von 1990 bis 2020 zurückging, habe die Rindfleischproduktion von 53 auf 68 Millionen Tonnen zugenommen, was einem Anstieg von 30 Prozent entspreche und der Atmosphäre fast 0,25 Gigatonnen Treibhausgase hinzugefügt habe.
Aus diesen Zeilen spricht eindeutig, dass es der Weltbank gar nicht in erster Linie um die Überwindung der weltweiten Armut geht (denn dann müsste sie ja den Anstieg der Rindfleischproduktion als Zeichen sinkender Armut begrüßen), sondern dass sie vielmehr die Erschließung neuer Geschäftsfelder betreibt. Und es wird weiter ausgeführt: Gegenwärtig verursache die Nachfrage nach Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs fast 60 Prozent der Gesamtemissionen aus der Landwirtschaft in allen Emissionskategorien. Eine Vollkostenbepreisung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, die ihre wahren planetarischen Kosten widerspiegele, würde die Wettbewerbsfähigkeit emissionsarmer Lebensmittel erhöhen.
Fleischpreise sollen um 20 bis 60 Prozent steigen
Weltweit fließe ein Drittel der Agrarsubventionen in Fleisch- und Milchprodukte, doch Studien hätten gezeigt, dass die Fleischpreise je nach Fleischsorte um 20 bis 60 Prozent steigen müssten, um die tatsächlichen Gesundheits-, Klima- und Umweltkosten von Fleisch widerzuspiegeln. Eine Umwidmung der Subventionen für rotes Fleisch und Milchprodukte zugunsten von emissionsarmen Lebensmitteln wie Geflügel oder Obst und Gemüse könnte daher zu erheblichen Änderungen der Verbrauchsmuster und großen Emissionsreduzierungen führen. Um Verhaltensänderungen zu bewirken, könnten beispielsweise auch Bildungs- und Kommunikationskampagnen durchgeführt werden. Die Umstellung auf eine gesunde, emissionsarme Ernährung würde die ernährungsbedingten Emissionen um bis zu 80 Prozent senken und den Land- und Wasserverbrauch um 50 Prozent reduzieren.
Mit anderen Worten: Die Weltbank spricht sich dafür aus, dass Lebensmitteln tierischen Ursprungs teurer werden sollen, was allerdings dazu führen würde, dass tierische Lebensmittel für Geringverdiener unerschwinglich werden würden. Sieht so ihre Vision der Überwindung von Armut aus? Wenn es nach der Weltbank geht, sollen Länder mit niedrigem Einkommen erst gar nicht auf die Idee kommen, den Ernährungsstandard der Industrieländer zu erreichen. Noch trügen Länder mit niedrigem Einkommen am wenigsten zum Klimawandel bei, würden aber am meisten darunter leiden, betont die Weltbank. Als eine zentrale Lösung proklamiert sie die Aufforstung und rechnet vor: Die Wiederherstellung von Wäldern in Ländern mit niedrigem Einkommen erbringe für jeden investierten Dollar einen Nettonutzen von 7 bis 30 US-Dollar.
Eine weitere Möglichkeit für Länder mit niedrigem Einkommen stelle die umfassende Ausrichtung ihrer Agrarnahrungsmittelsysteme auf emissionsarme Nahrungsmittel dar. Dies käme auch potenziellen Emissionshandelssystemen entgegen, die Treibhausgasemissionen besteuern und Absatzmärkte für gesunde Lebensmittel begünstigen. So seien zwar beispielsweise die globalen Märkte für zertifizierte Bio-Produkte zwischen 2009 und 2019 um 102 Prozent gewachsen, dennoch sei 2019 nur 1,5 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche für die Produktion von Bio-Lebensmitteln ausgelegt gewesen. Eine klimagerechte Landwirtschaft (Climate-smart agriculture, kurz: CSA) biete den Ländern mit niedrigem Einkommen auch Chancen für ihre ländliche Entwicklung. Es habe sich beispielsweise gezeigt, dass die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen in der Landwirtschaft zur Elektrifizierung des ländlichen Raums und zu höheren Einkommen beitragen könne.
Verschuldung Afrikas noch weiter in die Höhe treiben
Auch wenn manche Vorschläge im Weltbank-Rezept gut klingen und im konkreten Fall tatsächlich eine Verbesserung der Lebensumstände bewirken mögen, stellt sich die Frage, ob Länder mit niedrigem Einkommen überhaupt wollen, dass sich die Weltbank derart in ihre Angelegenheiten einmischt. Kredite für Klimaprojekte könnten die Verschuldung Afrikas schließlich noch weiter in die Höhe treiben. Aktuell lehnt der Präsident von Burkina Faso daher auch Kredite des IWF und der Weltbank ab. Offenbar stößt es mittlerweile manchem auf, dass die Weltbank unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft weniger die Interessen etwa der afrikanischen Länder als von auswärtigen Investoren vertritt.
Tatsächlich fällt weiter hinten im Weltbank-Rezept denn auch unverblümt der Satz: „Neue Geschäftsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme werden bis 2030 wahrscheinlich einen Wert von 4,5 Billionen US-Dollar pro Jahr haben.“ Allerdings würden Investoren kurzfristige Kredite mit sofortigen Erträgen attraktiv finden, aber davor zurückschrecken, mittel- und längerfristige Finanzlösungen anzubieten, die für die Transformation des Ernährungssystems notwendig seien. Durch Mischfinanzierungen könnten diese Bedenken jedoch ausgeräumt werden, indem öffentliche Mittel eingesetzt werden, um die Kreditrisiken für private Investitionen in den Klimaschutz zu verringern. Zudem könnten digitale Technologien einen schnelleren und einfacheren Zugang zu Informationen für alle Akteure in der Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft eröffnen und eine bessere Überwachung von Treibhausgasemissionsreduzierungen ermöglichen..
Nach den Vorstellungen der Weltbank sollten Klimainstitutionen die Umstellung des Agrar- und Ernährungssystems auf ein Netto-Null-Modell steuern und internationale Regelwerke wie das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change, kurz: UNFCCC) vereinbart werden, um Entwicklungsländer bei der Beschaffung von Finanzmitteln, Technologien und Wissen zu unterstützen.
Schon auf der UN-Klimakonferenz Jahr 2009 (COP15) hatten sich die Länder mit hohem Einkommen dazu verpflichtet, jährlich 100 Milliarden Dollar zu mobilisieren, um Entwicklungsländer bei ihren Klimaschutzmaßnahmen zu helfen. Im Jahr 2021 haben sie dann insgesamt 89,6 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung bereitgestellt. Dies sei zwar ein Anstieg um 7,5 Prozent gegenüber 2020, aber immer noch 10,4 Milliarden Dollar weniger als das vereinbarte Ziel.
„Gerecht, inklusiv und solidarisch“
Die Regierungen und die Zivilgesellschaft müssten nun noch besser zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Wandel des Agrar- und Ernährungssystems gerecht, inklusiv und solidarisch ist. So werde die Transformation des Agrar- und Ernährungssystems wahrscheinlich neue Arten von Arbeitsplätzen schaffen, und es sei wichtig, dass die Regierungen den Wechsel von der landwirtschaftlichen Arbeit zu höherwertigen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen durch Qualifizierungsmaßnahmen und Mobilitätshilfen erleichtern. Lösungen für die Umstellung des Agrarnahrungsmittelsystems auf Netto-Null-Emissionen seien verfügbar und erschwinglich, und die Länder mit niedrigem Einkommen hätten jetzt die Gelegenheit, kluge Entscheidungen zu treffen, die ihnen langfristig zugute kommen, indem sie einen Entwicklungspfad mit hohen Emissionen vermeiden, dessen spätere Umkehr kostspielig wäre.
Nicht zuletzt fordert die Weltbank, dass die in ihrem Rezept vorgestellten Maßnahmen unverzüglich und gleichzeitig von allen Ländern der Welt umgesetzt werden sollten. Dabei sollten die hochentwickelten Länder, die Weltbank und andere bilaterale oder multilaterale Geber das Wissen und die Finanzmittel bereitstellen und zunächst Analysen auf Länderebene durchführen. In der vollständigen Version ihres „Rezepts“, die demnächst auch in Buchform erscheinen soll, geht die Weltbank denn auch exemplarisch auf einzelne Länder wie Indien, Brasilien, China und verschiedene afrikanische Staaten ein. Auch im Globalen Bericht über Ernährungskrisen 2023 (Global Report on Food Crises, kurz: GRFC) des Globalen Netzwerks gegen Ernährungskrisen (Global Network Against Food Crises, kurz: GNAFC), das aus den Vereinten Nationen, der Europäischen Union sowie Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen besteht, wird auf einzelne Länder eingegangen. Hier wird UN-Generalsekretär António Guterres mit den Worten zitiert: „Diese Krise erfordert einen grundlegenden, systemischen Wandel.“
Mehrfach beruft sich die Weltbank übrigens auch auf das World Economic Forum, beispielsweise auf dessen gemeinsam mit der Unternehmensberatung McKinsey & Company 2018 veröffentlichten Bericht „Die Rolle der technologischen Innovation bei der Beschleunigung des Wandels der Lebensmittelsysteme“ („The Role of Technology Innovation in Accelerating Food Systems Transformation“). Darin wird wiederum Rajiv Shah, der Präsident der Rockefeller Foundation, wie folgt zitiert:
„Eine neue Lebensmittelrevolution hat das Potenzial, gesunde Lebensmittelsysteme zu schaffen, die unsere Familien und unseren Planeten versorgen. Wir haben die Mittel und die Technologie, um Innovationen zu schaffen, die den schwachen Bevölkerungsgruppen mehr Würde und Gerechtigkeit bringen könnten. Zu diesem Zweck müssen wir die Kapazitäten von Unternehmen und philanthropischen Organisationen, religiösen Einrichtungen sowie staatlichen und lokalen Regierungen weiter ausbauen, um gemeinsam die dringlichsten Probleme der Welt zu lösen.“
Den Hunger auf der Welt eher vergrößern als verkleinern
Klingt wunderschön, bedeutet jedoch, dass demokratisch nicht legitimierte Institutionen, Stiftungen und Konzerne unverhohlen größeren politischen Einfluss einfordern – und auch erhalten. Das betrifft nicht nur die Transformation des Nahrungsmittelsystems. Die Rockefeller-Stiftung ist zum Beispiel auch schon eine Partnerschaft mit der WHO zur „globalen Pandemievorsorge im Zeitalter des Klimawandels“ eingegangen. In einer weiteren Publikation des WEF zu Lebensmittelinnovationen („Creating a Vibrant Food Innovation Ecosystem through Alternative Proteins“), die auf den 21. Mai 2024 datiert ist, wird auf Unternehmen verwiesen, die durch Fermentation Lebensmittel herstellen, die den „unverwechselbaren Geschmack von tierischen Produkten“ bieten, ohne dass dafür Tiere gehalten werden müssen. Eine weitere Möglichkeit stelle Fleisch dar, das direkt aus tierischen Zellen gezüchtet wird. Insgesamt zielt das Weltbank-Rezept auf die Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren Nachhaltigkeitszielen ab, die von den Vereinten Nationen 2015 beschlossen wurde und zur Klimaneutralität von Wirtschaft und Gesellschaft führen soll.
Auch die WHO hat übrigens eine Globale Strategie für Lebensmittelsicherheit als integralem Bestandteil der UN-Nachhaltigkeitsziele entwickelt. Darin heißt es: „Die Strategie erkennt an, dass die Sicherheit von Lebensmitteln eng mit der Gesundheit von Tieren, Pflanzen und der Umwelt, in der sie produziert werden, verbunden ist. Die Strategie fordert die Mitgliedstaaten auf, bei der Planung der Umsetzung den One-Health-Ansatz zu berücksichtigen.“
Durch Lebensmittelkontrollsysteme sollen Regierungen bestehende und neu auftretende Krankheiten an der Schnittstelle Mensch-Tier-Umwelt schnell erkennen und auf sie reagieren können. Die Weltbank nimmt ihrerseits wiederum regelmäßig Bezug auf den One-Health-Ansatz der WHO. Am 1. April dieses Jahres legte die Weltbank zudem eine Veröffentlichung vor, in der sie den Einsatz von künstlicher Intelligenz „für eine Welt ohne Armut auf einem lebenswerten Planeten“ thematisiert („The Knowledge Compact for Action: Transforming Ideas Into Development Impact – For a World Free of Poverty on a Livable Planet”). Und wer noch tiefer in das Engagement der Weltbank für „Klimagerechte Landwirtschaft“ („Climate-smart agriculture“, kurz: CSA) eintauchen möchte, findet auf ihrer Website weitere Veröffentlichungen.
Insgesamt erhärtet sich der Verdacht, dass die Transformation der Ernährungssysteme, die von Konzernen, Stiftungen und Institutionen wie der Weltbank vorangetrieben wird, den Hunger auf der Welt eher vergrößern als verkleinern wird. Setzt die Weltbank, indem sie beispielsweise die Verringerung von landwirtschaftlich genutzten Flächen unterstützt, die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung nicht sogar vorsätzlich aufs Spiel? Ihre Bestrebungen, durch die Umgestaltung der Lebensmittelsysteme vor allem neue Geschäftsmöglichkeiten für Investoren zu erschließen, können jedenfalls zumindest als fahrlässiges Spiel mit dem Feuer bewertet werden.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.