Fleisch und Fisch sind in Japan – im Gegensatz zu Deutschland – sehr in Mode.
If I were trapped in one city and had to eat one nation‘s cuisine for the rest of my life, I would not mind eating Japanese. I adore Japanese food. I love it.
(Anthony Bourdain)
Fernöstliche Küchen sind freilich Geschmackssache; Indonesien, Malaysia, Singapur, Taiwan bieten kulinarische Tiefpunkte, wie ich Höhepunkte in Korea, Thailand und Vietnam schmecken konnte; eine Nation aber ragt in vielerlei Hinsicht heraus – Japan. Wohlgelungene Speise ist hier nicht nur „Inselbegabung“, sondern Ausweis hoher Kunst, mit Enthaltsamkeit das Richtige und Nötige zu tun, um den Eigengeschmack aller Zutaten sich entfalten zu lassen. Dies ist ein Land, das im Wohlgeschmack seiner Speisen nur noch übertroffen wird von der Ästhetik ihrer Präsentation. Obschon Japaner recht pragmatisch in ihrer Anrichte vorgehen, sind es hier die kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen. Im Vergleich zu prachtvoll überladenen Stillleben europäischer Festbankette wirken japanische Essenstafeln manchmal wie güldene Miniaturen exaltierter Noblesse.
Göttlich zu tafeln, wird in Japan durch alle Bevölkerungsschichten hindurch mit Vorliebe praktiziert, denn Essen ist hierzulande nicht einfach Nahrungs- oder Energiezufuhr, sondern wird manchmal wie ein Kult zelebriert. Auch wir als gemischtes Ehepaar genießen häufig zu Neujahr, in bequeme Yokata gekleidet, stundenlang köstliche Riesenkrabben, pazifische Austern, Wagyu-Filet oder Sashimi edler Fische mit köstlichem Reis, umringt von Dutzenden Schälchen allerlei Delikatessen aus Flora und Fauna, sowie begleitet von Bechern mit Goldblättchen bereichertem Sake (wird nur zum Jahreswechsel angeboten). Der in Japan gängige Ausspruch Lieber Fresslust als Wollust (色気より食い気 – Iroke yori kuike) verweist auf volkstümliche Schlemmerlust, wobei Gefräßigkeit oder durch unmäßiges Essen erworbene Leiden hier im Gegensatz zu Deutschland kaum zu beobachten sind.
In diesem stark buddhistisch geprägten Land hat die Achtsamkeit von Speisen gehobenen Status, wie auch gute Nahrungsmittel ihren hohen Preis haben. Tag für Tag bieten TV-Programme zahlreiche Sendungen rund um Nahrungszubereitung, viele japanische Youtuber fokussieren rund ums Essen, und allerorten finden sich von Imbissen über Ramen-Shops bis zu Stehkneipen, Sushi-Läden oder Restaurants aller Couleur. Auch Fastfood-Ketten wie McDonald’s sind reichlich vertreten, und trotz alledem ist Fettleibigkeit in Japan – anders als in Deutschland, doch vergleichbar zu umliegenden asiatischen Ländern – kein gravierendes Problem, wenn auch seit dem Einzug westlicher Moden hier ein Anstieg zu verzeichnen ist.
Eine unvergleichlich hohe Kulturentfaltung
Convenience Stores, Konbini (meistverbreitete in Japan: 7Eleven, FamilyMart, Lawson) bieten 24 Stunden nicht nur zahlreiche Dinge des täglichen Bedarfes, sondern auch Fertiggerichte, Essenszutaten, Gewürze, Gemüse, große Getränkeauswahl und essensfertige Bento-Boxen, mit denen sich Angestellte in ihren knappen Pausen oder Reisende leicht und preiswert verköstigen. Bei Übernachtungen in Ryokan (旅館, traditionelle Gästehäuser) werden exzellente Gerichte gewöhnlich im Haus serviert. Für Besuche in hochwertigeren Restaurants sollte gebucht oder wenigstens angerufen werden. So schnell wie bequem sind Kaitenzushi (回転寿司), in denen sich der Gast von den auf Band vorbeilaufenden Portionen bedienen kann, doch besonders populär sind japanische Kneipen namens Izakaya (居酒屋) für Zusammenkünfte zu Speis und Trank, zumeist mit einer guten Auswahl lokaler Köstlichkeiten. In traditionellen, älteren Izakaya gibt es häufig nicht allein TV-Unterhaltung, sondern einige dieser Nachbarschaftskneipen haben sogar Karaokeanlage, falls ein paar Gäste abends ihrer Sangeslust Stimme verleihen wollen.
Trinkgeld ist in Japan generell tabu, doch wird gewöhnlich in solchen Kneipen zu Anfang unaufgefordert und unkommentiert eine für jeden Gast vorbereitete, kleinere Portion serviert (o-tōshi お通し), die zusätzlich auf der Rechnung steht, quasi als Extra-Obulus fürs Haus, und der jeweilige Chef hinterm Tresen – da ist der unterhaltsamste Platz – freut sich jederzeit über spendierte Getränke vom Gast. Üblich ist es auch, wenn die Stammgäste dort eine Flasche Shōchū (焼酎, eine Art Branntwein, wird häufig vermischt mit Eis/Wasser o.ä. getrunken) ihrer Wahl erwerben, die dann Abend für Abend mit ihrem Namensschild versehen mit den beschilderten Flaschen anderer Gäste auf ihre Wiederkehr wartet, bis sie geleert ist und eine neue Flasche die Reihe fortsetzt.
Japanisch kulinarische Vielfalt kann in dieser Kürze hier gerade einmal angerissen werden, denn Japans unvergleichlich hohe Kulturentfaltung generiert unzählige lukullische Genüsse, welche diese Nation zum Gourmetland Nummer 1 werden ließen. Grundlage vieler Speisen und Getränke sowie unbedingte Zutat etlicher Gänge bildet der Reis, dessen eine Benennung – in gekochtem Zustand – Gohan (ご飯 ) synonym auch als Gesamtbezeichnung für Essen gilt. So mancher Gaumenkitzel, wie Krabbenhirn oder die Leber des Lophius (Seeteufel), mögen gewöhnungsbedürftig sein, doch dem Karnivoren werden hier die Geschmacksknospen aufblühen. Zwielichtige Spezialitäten, wie die Leber des Kugelfisches – hin und wieder sterben deren Liebhaber, die sich in der Dosierung winziger Mengen dieser Köstlichkeit verrechnen – sind legal auf dem Speisemarkt nicht erhältlich, obschon Fugu, sein kräftiges Muskelfleisch, in unterschiedlichen Restaurants und Sushi-Shops angeboten, sehr lecker ist.
Wer vegetarisch oder vegan isst, bestraft sich selbst
Hiesiges Fleischangebot zwischen den nördlichen Kaltzonen Hokkaidos und den Subtropen Okinawas beinhaltet Bären, Pferde, Rehe, Rinder, Schafe und Ziegen, Schweine, Wale (sehr selten), vielerlei Vögel, Fische, Mollusken, Krustentiere und überhaupt sehr vieles, was unter Wasser aufwächst, schwimmt und lebt. Einige Tiere allerdings, die in göttlichen Sagen und Mythen eine Rolle spielen, wie Koi, Hasen, Schildkröten, Affen, Waschbären, Füchse oder die Hirsche von Nara stehen gewöhnlich nicht auf der Speisekarte. Die brillant anzuschauende Marmorierung im Fleisch eines edlen Thun oder spezieller japanischer Rinder (Wagyu) muss jeden Bewunderer verzücken lassen. Wenn hieraus edle Filetstücke fein zugeschnitten roh serviert werden, hat dies nichts mit Faulheit ihrer Zubereitung, aber alles mit Lust zu möglichst frischem Genuss nahe ihres Urgeschmackes zu tun, was für hiesige Feinschmecker ein wichtiges Kriterium ist.
Wer in Japan vegetarisch oder gar vegan essen mag, wie es in Deutschland verbreitet Mode wird, bestraft sich nur selbst im Lichte der so ausgewogen vielfältigen wie nahrhaften und leckeren Speisenangebote. Exaltierte buddhistische Tempelküche beispielsweise soll zwar ganz ohne tierische Komponenten auskommen, doch üblicherweise bilden Saucen, Pasten und Gewürze aus Fisch sowie viele andere tierische Zutaten die geschmackliche Grundlage der meisten Mahlzeiten. Katsuobushi (鰹節) beispielsweise – Bonitoflocken, gewonnen aus nahezu steinhart getrocknetem, geräuchertem Bonito (eine Thunfischart), deren Herstellung je nach Veredelungsstufe bis zu 2 Jahre dauert – bilden die Basis vieler Suppen und geschmackliche Zutat leckerer Speisen.
Schlussendlich hat sich in Japan schmackhafte, ausgewogene Ernährung zu solcher Höhe an Qualität entwickelt, wie sie mir von keinem anderen Land bekannt ist. Der Shintoismus dieser kulinarisch so sehr auf guten Geschmack fokussierten Nation zentriert nicht ohne Grund rund um göttliche Kräfte in der Natur, denn Japaner stellen sich bis heute unwägbare Herausforderungen – vor allem kritischer Geologie – ihres faszinierenden Landes. Die Lust zum Leckeren ist ein wichtiger Aspekt japanischen Lebens, und es ist mir immer wieder erstaunlich, mit welcher Finesse und Akribie unter erwägenswerter Schonung hier größtmöglicher Nutzen sowie Genussgewinn aus ihrer so schönen wie reichhaltigen Natur gewonnen wird – vielleicht ist es ja auch in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass in Japan keine „Grüne“ Partei im Parlament sitzt und Umwelt- sowie Naturpolitik am Wohle des Landes und seiner Bürger ausgerichtet wird.
Bernd Hönig ist Altertumswissenschaftler (Magister Artium Religionswissenschaft/Judaistik), Jahrgang 1966, lebte fast 30 Jahre in Berlin, traf seine heutige Ehefrau Mayu 2016 in Deutschland und lebt jetzt mit ihr in Japan. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog japoneseliberty.com. Dort beleuchtet er bevorzugt nichtalltägliche Themen, beurteilt aus der liberalen Sicht eines abendländisch freien Geistes.