Beda M. Stadler, Gastautor / 22.10.2007 / 14:49 / 0 / Seite ausdrucken

Esoterik-Check für Politiker

An dieser Stelle habe ich mich schon mal als Wahlhelfer betätigt. Da wir heute nicht ein Land, sondern Politiker wählen, entspricht ein Wahlhelfer dem Gegenteil von einem Fluchthelfer. Den Unentschlossenen soll mit ein wenig Schwarzweissmalerei geholfen werden, obwohl praktisch nur weisse Politiker zur Wahl stehen. Smartvote.ch auf dem Internet hilft herauszufinden, welche öffentlichen Politikermeinungen zu einem passen. Da aber bereits junge Politiker sich hinter Parteiprogrammen und der eigenen Aalglätte verstecken, braucht es tiefer schürfende Fragen. Ein solche Wahlhilfe meinerseits, nur Atheisten zu wählen, ging bereits daneben. Geoutet hat sich bis jetzt nur die neue Miss Schweiz, und dies auch erst nach der Wahl…

Man könnte die Frage neu auflegen: sollen wir Politiker wählen, die an Wunder glauben? Ein echtes Wunder widerspricht den Naturgesetzen und der menschlichen Vernunft. Wundergläubige sollten somit als nicht zurechnungsfähig gelten. Religiöser Glaube beinhaltet den Glauben an Wunder (in Lourdes wurde noch nie eine Amputation geheilt, bloss Krankheiten mit einer spontanen Heilungstendenz). Die Geschicke unseres Staates sollten aber nicht von Wundergläubigen bestimmt werden. Wer noch daran glaubt, Bruder Klaus von der Flüe habe damals die Schweiz vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt, sollte auf dem Wahlzettel gestrichen werden. Nur, wie findet man heraus, ob ein Politiker wundergläubig ist?

Es gibt untrügliche Anzeichen: Erwischt man einen Politiker beim Lesen eines Horoskops, sollte dies sein Aus bedeuten. Hier verwechselt jemand Astrologie mit Astronomie. Das ist das gleiche, wie wenn man Philosophie und Theologie durcheinander bringt. Eine Politikerin, die vor einer Arena Sendung Bachblüten Notfalltropfen oder gar Globuli einwirft, verwechselt Chemie mit Alchemie. So jemand ist in der Debatte um CO2 oder die Kernenergie eine Bedrohung, weil nicht zurechnungsfähig.

Arithmetik hilft ebenfalls gegen blinden Glauben. Etwa diese Frage: wie dick wird eine Zeitung, wenn man eine Seite hundertmal auf sich selber zurückfaltet? Intuitiv ergibt dies ein etwas dickeres Bündel als die Sonntagszeitung. In Wahrheit wäre der Durchmesser grösser als das uns bekannte Universum. Unsere derzeitige CO2 Debatte hat stark mit Glauben zu tun. Nichts gegen Intuition, aber wenn es um Glauben geht, sollte doch auch ein bisschen Arithmetik zählen.

Unkritische Wissenschaftsgläubigkeit ist eine neue Form von Wunderglauben. Politiker mit Phiten Halsbänder, glauben an eine virtuelle Nanotechnologie (Macht nichts, falls Sie nicht wissen was Phiten sind: es ist bloss eine neue Art geistiger Verunreinigung. In ihrer Umgebung werden Sie sportliche Menschen finden, die Sie mit Begeisterung aufklären). Es bleibt allerdings abzuklären, ob Phiten tragende Politiker die gleichen Menschen sind, die ebenfalls vor den virtuellen Gefahren der Gentechnologie warnen? Zumindest kann absurde Wissenschaftsgläubigkeit dazu führen, dass Menschen bereit sind, in ihrer Einbildung die Naturgesetze auszuhebeln.

Das Absurdeste an dieser Wahl ist aber wohl, dass wir unsere Steuern online ausfüllen, unsere Bankgeschäfte und Rechnungen (die einen nun wirklich in den Abgrund ziehen können) am Bildschirm abwickeln, aber um zu wählen, immer noch einen ganzen Wald abholzen. Die meist geschmacklose Wahlpropaganda strotzt vor Hobbys und Überzeugungen, die so unverbindlich sind, dass man getrost Linke und Rechte auf einer Liste vereinen kann. Ein elektronischer Wahlzettel mit Filtermöglichkeit muss her. Mit einem Mausklick könnte man alle Politiker ausblenden, die an das Irrationale glauben. Sollte es also bei den nächsten nationalen Wahlen immer noch nicht möglich sein via Internet abzustimmen, wäre es an der Zeit, als Internet-User nur noch virtuell abzustimmen und daran zu glauben, dass sich in acht Jahren etwas ändert.

Die Kolumne erschien zuerst am 21. Oktober 2007 in der NZZ am Sonntag.

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