Auch wenn man sie nicht vermissen wird, ist ihr ein gewisser Respekt nicht zu versagen: Respekt für den Mut und die Unbeirrbarkeit, mit der sie an den alten Zeiten festhielt.
Man wird sie nicht vermissen. Wann immer sie irgendwo zu sehen war, meist im Fernsehen, lief es einem kalt den Rücken runter. Der strenge, zurechtweisende Gesichtsausdruck, die gefrorene Kommandomiene. Noch wenn sie – selten genug – zu lächeln versuchte, blieben die Lippen gepresst, die Mundwinkel abwärts weisend. Die Stimme stets barsch, als müsse sie den Angesprochenen ihr Urteil verkünden. Mit dem Charme einer Politkommissarin der Roten Armee bezog Saskia Esken die altlinken Positionen vergangener Klassenkämpfe. Als Vorsitzende der SPD hielt sie an den Ideen der proletarischen Revolution so fest, dass es sogar ihren Genossen gelegentlich zu viel wurde.
Sie war nicht rot, um politische Karriere zu machen, sie war das von innen heraus. Es lag ihr im Blut. Nicht vorzeigbar in einer Großen Koalition, aus der politischen Mode gefallen wirkte die strenge Genossin. Sie hatte gesundheitlich manches durchgemacht, das auch zur Verhärtung der Gesichtszüge beigetragen haben mag. Beruflich konnte sie nie richtig Fuß fassen. In der SPD kam sie von der Straße weg. Den Eindruck, dass sie eine sei, die auch mal nachgeben könne, ließ sie nie aufkommen.
Den Klassenkampf befeuert
So viel Konsequenz störte zunehmend in einer Partei, deren Anführer gar nicht mehr so gern als Genossen auftreten möchten, weil sie fürchten, die ideologische Festlegung könnte ihrer Karriere schaden. Diplomatisches Geschick war Eskens Sache nie. Lieber preschte sie brachial voran, wenn es etwa darum ging, den Klassenkampf mit einer stärkeren Besteuerung der Reichen zu befeuern. Schröders Reformen brachten sie auf die Palme. Hartz IV wollte sie wieder abschaffen. Da es das Proletariat, für das sie auf die Barrikaden ging, so jedoch nicht mehr gab, wurde die kommunistisch bewegte Parteifunktionärin zunehmend zur komischen Figur.
2024 begannen die eigenen Genossen an ihrem Stuhl zu sägen. Weil sie der ideologischen Tradition verhaftet blieb, wurde Esken zur Gefahr für die neuen Anführer, für jene Gewieften, die Karriere als Berufspolitiker machen wollen, geschmeidig, ohne noch viel auf die Grundsätze zu geben. An ihnen, nicht an den Politikern anderer „demokratischer Parteien“, ist die bitter dreinschauende Hüterin vergessener Ideale gescheitert.
Da man sie nicht vermissen wird, gibt es auch keinen Grund, ihr eine Träne nachzuweinen. Trotzdem ist ihr ein gewisser Respekt nicht zu versagen, Respekt für den Mut und die Unbeirrbarkeit, mit der sie an den alten Zeiten festhielt. Auf jeden Fall wusste man bei ihr immer, woran man war. Ihre Ansagen waren ärgerlich, oft absurd, historisch überständig und dumm bisweilen, aber allemal klar. Die Frau kämpfte mit offenem Visier auf verlorenem Posten. Mit ihrem Eifer belebte sie die politischen Nachrichten. Und so wenigstens wird sie in Erinnerung blieben.
Dr. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, Dr. phil, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“. Auf Achgut.com kommt immer Neues hinzu.