Thomas Rietzschel / 09.10.2018 / 14:58 / 6 / Seite ausdrucken

Es werde Schrott!

Zu den untrüglichen Kennzeichen der Dekadenz gehört die Lust an der Zerstörung. Nichts fasziniert die leistungsmüde Gesellschaft so wie die Vernichtung des Geleisteten. Der eigenen Existenz überdrüssig, vom Wohlstand erschöpft, genießt sie den Nervenkitzel der inszenierten Destruktion: die Erlösung von einer Zukunft, für die sie sich krumm legen müsste. Es ist die Stunde der Zyniker. Ihnen applaudiert das Publikum, das sie zum Narren halten, mehr oder weniger dreist und am offensichtlichsten in der Kunst. Kein Preis ist den Verspotteten für den Genuss dieses Spektakels zu hoch.

Als das Auktionshaus Sotheby‘s dieser Tage in London ein Acryl-Spray-Gemälde für 1,2 Millionen Euro versteigerte, das im Moment des Zuschlags geschreddert wurde, geriet der internationale Kunstmarkt in helle Aufregung – nicht vor Entsetzen, sondern aus Begeisterung über den verrückten Einfall. Ein bislang beispielloser Geniestreich dekadenter Kreativität.

Der Künstler selbst hatte den nötigen Mechanismus in den barock überladenen Rahmen seiner schlichten Darstellung „Girl with Balloon“ eingebaut. Bekannt war das 2006 entstandene „Werk“ seit langem. Sammler und Händler gilt sein Schöpfer als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Das Time Magazine zählt ihn zu den „einhundert einflussreichsten Personen der Welt“, ohne einen blassen Schimmer von dessen wahrer Identität zu haben. Bis heute weiß niemand, wer sich hinter seinem Pseudonym „Banksy“ verbirgt.

Eine Legende wird versteigert

Dem Ruhm tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil schürte die Geheimniskrämer ein Interesse, das sich auszahlte. Die mysteriöse Selbstinszenierung trug dem anonymen Streetart-Künstler von Jahr zu Jahr mehr ein, wie belanglos die Objekte – kunstkritisch betrachtet – auch sein mochten. Was zählte, war allein das, was der Kunstmarkt daraus machte. Versteigert wurde die Legende, nicht das Werk als solches.

Immer wieder traf Banksy den Nerv der bürgerlichen Endzeit, einer intellektuell verarmten Spaßgesellschaft, indem er sich einen Spaß draus machte, das Publikum zu veralbern. Den Mangel an künstlerischem Talent gleicht er durch die Begabung des Narren aus. Wenigen gelingt es wie ihm, das dekadent verblödete Bürgertum vorzuführen, den Kunsthandel, die Sammler, die sensationslüsterne Öffentlichkeit überhaupt.

„Heute abend waren wir Zeugen seines Genies“, sagte Alex Branczik, Chef der zeitgenössischen Kunst bei Sotheby’s, gleich nachdem sich das teuer verkaufte Bild „Girl with Balloon“ in Streifen zerschnitten hatte: „Das Schreddern ist nun integraler Bestandteil des Kunstwerks. Man könnte argumentieren, dass das Werk jetzt wertvoller ist als vorher.“ Mit anderen Worten, der unbekannte Käufer des intakten Gemäldes darf sich berechtigte Hoffnung machen, dass ihm Sotheby‘s demnächst anbietet, die gehäckselte Kunst mit einem erklecklichen Gewinn weiterzuverkaufen.

„Denn vielleicht wurde das Kunstwerk gar nicht zerstört – sondern erst vollendet“, wie die FAZ heute, am 8. Oktober 2018, schreibt. Wer wollte das bezweifeln auf dem Narrenschiff der Dekadenz.

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Leserpost

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Roland Stolla-Besta / 09.10.2018

Was wollte der Küüünstler uns damit sagen? Doch ganz einfach wohl dieses: das ganze heutzutage produzierte küüünstlerische Zeugs gehört in den Schredder. Und endlich bin ich da einmal einig mit einem Küüüünstler.

Wiebke Lenz / 09.10.2018

Erinnert mich an den Affen, der einen Namen bekam und die “Werke” in der Kunstwelt hochgelobt wurden. (Es war ein schwedischer Journalist, der das Experiment bereits in den 60? Jahren des letzten Jahrhunderts startete.) Und in einer Zeitschrift war auch bereits zu lesen, dass es Kunst wäre, wenn eine Dame sich Hühnereier in die Vagina steckt, um sie dann am Strand aus eben dieser auf farbbekleckstes Papier fallen zu lassen, damit die Tropfen dann das eigentliche Kunstwerk daraus machen. (Ich bitte um Vergebung, dass ich dieses in dieser Klarheit darstelle.) Aber es wird sich erregt darüber, dass Aktbilder in Mensen hängen und Gedichte über Bewunderung an Hauswänden stehen ...

Karla Kuhn / 09.10.2018

Meine Schwester war Fachärztin, sie sagte immer, wenn der Irrsinn wieder mal zu Tage kam, SCHWACHSINN Und GENIE befinden sich zusammen auf einem SCHMALEN Grat.

Marcel Seiler / 09.10.2018

Ja, muss der Käufer denn das “Kunstwerk”, jetzt geschreddert, bezahlen? Und tut er es? Das würde ich, und zwar als Kunstbanause aber Jurist gern wissen. Wenn ich der Käufer wäre, würde ich meine 1,2 Millionen von Irgendwas jedenfalls behalten wollen.

Hajo Schuhmann / 09.10.2018

War das Müll oder konnte das weg?

Bernhard Freiling / 09.10.2018

Der Wahnsinn greift ja schon länger dort, wo man wirklich weiß was wahre Kunst ist, um sich. Wer in einem Haufen angeranzter Butter in einer Ecke Kunst zu erkennen vermag, dem ist auch alles Andere zuzutrauen. Das muß wohl erblich sein. Jetzt darf auch der hoffnungsvolle Nachwuchs mal ran.

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