Roger Letsch / 11.07.2016 / 15:07 / Foto: Doc.Heintz / 11 / Seite ausdrucken

Es werde „bento“: Der „Führer“ ist tot, es lebe die Meinungsführerschaft!

DER SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE (SPON) gehen die Leser von der Stange. Das ist besonders tragisch, weil es die jungen Leser sind, die keine Erinnerung an die journalistischen Glanzzeiten des Magazins mehr haben und so nicht aus Gewohnheit und Nostalgie Leser bleiben. DER SPIEGEL mußte jünger werden!

Es werde „bento“: Ausschließlich Web-Format, Mobil-First (das Lesen an Desktop-Computern ist eine Zumutung) und jugendgerechte Themen beziehungsweise das, was die Redaktion dafür hält. Das ist „bento“. Dazu kommt ein netter Zweitverwertungseffekt, weil man die „bento“-Artikel gern auch auf SPON wiederfindet. Immer mehr und häufiger bedient sich SPON so im eigenen Haus und spart Zeit und Geld - Qualität leider auch.

Ich bin SPON-Leser der ersten Stunde, als der Online-Auftritt noch wie ein Designunfall aussah, man aber inhaltlich noch meist von Qualitätsjournalismus sprechen konnte. Beides hat sich verändert, das eine zum Besseren, das andere leider nicht. Seit der „bento“-Werdung der political correctness verlässt der SPIEGEL jedoch endgültig den Pfad des Journalismus und begibt sich hinab in meine niederen Gefilde: das Meinungsbloggen und Andere-Meinungen-Zerpflücken.

Die „bento“-Autoren wedeln mit Presseausweisen

Auf meiner eigenen Blog-Seite steht deutlich lesbar der Warnhinweis „Meinung, und zwar ausschließlich meine eigene!“ geschrieben. Die „bento“-Autoren hingegen wedeln mit Presseausweisen und verbreiten ihre Meinungen als unumstößliche Wahrheiten, was zu üblen Vorfällen von Antisemitismus, Verdrehung von Aussagen und gefühlter Besserwisserei führt.

Erstmals wurde ich auf „bento“ aufmerksam, als dort ein Interview mit Chaya Tal zu lesen war, einer quirligen, polyglotten Jüdin aus St. Petersburg, die heute in einem Wohncontainer auf einem Hügel in Samaria lebt. Das war schon eine sehr verkürzende Beschreibung Chayas. „bento“ jedoch konnte das noch deutlich kürzer: Ein Friedenshindernis sei Chaya. Punkt. Der dazugehörige Artikel strotze nur so vor Lügen, Antisemitismus, Verdrehungen und „Gib’s endlich zu, Jude“-Formulierungen, dass es in seiner veröffentlichten Fassung mühelos den Julius-Streicher-Gedächtnispreis gewonnen hätte, würde ein solcher vergeben (eigentlich eine gute Idee, diesen Preis auszuloben. Die „Oscars“ haben die „goldene Himbeere“, der Grimme-Preis braucht auch einen Gegenpart).

Seither versuche ich, „bento“-Artikel zu meiden, weil sie mir körperlich Schmerzen bereiten. Aber da ich auch SPON immer weniger besuche, fällt das kaum ins Gewicht. Es trifft einen wie ein Hammerschlag, wenn man dann doch mal wieder einen „bento“-Artikel liest, der sich mal nicht um Themen wie „Warum wir öfter Sex mit Freunden haben sollten“, „Dinge, die Du wissen musst, wenn…“ oder „Quiz: Wie isländisch bist du?“ drehen. Denn Politik gibt’s auch auf „bento“. In kleinen Dosen und natürlich mit der „richtigen“ Temperatur und dem „richtigen“ Geschmack.

Rechtsaußen, rechtsdraußen und Klickneid

Juliane Marie Schreiber, „bento“-Autorin, kommt in ihrem Artikel „Diesen Bullshit von Rechtsaußen können wir so nicht stehen lassen“ gleich zur Sache. Anabel Schunke hat für ihren Artikel, den „bento“ „rechtsaußen“ verortet, auf „Huffington Post“ und „Tichys Einblick“ über 18.000 Likes erhalten, das kann Frau Schreiber so nicht stehen lassen - oder ertragen. Die eigenen 100 Likes auf die billige Retourkutsche lassen Klickneid vermuten. Aber worüber regt sich Frau Schreiber eigentlich so sehr auf? Anabel Schunke kündigt der Bundesrepublik Deutschland die Gefolgschaft und schreibt über die Gründe - ungeheuerlich!

Die Juliane von „bento“ würde ja darüber hinwegsehen, aber ihr bipolares Weltbild wurde empfindlich gestört! Anabel Schunke ist nämlich jung und hat Abitur, ist gebildet und Großstädterin! Rechtspopulisten (die erkennt „bento“ selbstredend stets zuverlässig) sind für „bento“ nämlich alt, ungebildet und kommen direkt vom Rübenacker in Hintertupfingen. Und dann sowas: Gebildete junge Menschen, die auch noch Modelformat haben, schwimmen nicht auf dem SPON/“bento“-Mainstream mit und verweigern sich der political correctness: „Ich muss gar nix!“, titelt die neu ernannte „Rechtspopulistin“ Anabel Schunke.

„bento“ arbeitet sich Punkt für Punkt an den Gefühlen von Schunke ab. Nicht ein Aspekt ihres Artikels kann man auch nur als Meinung stehen lassen, alles kommt vor Gericht - und Schreiber ist Zeuge, Staatsanwalt und Richter in einer Person. Anabel Schunke hat das Gefühl, dass in Deutschland etwas grundsätzlich schief läuft? Dann stimmt eben mit ihrem Gefühl etwas nicht! Schunke hat Angst? Irrational! Schunke meint, die millionenfache Aufnahme muslimischer Flüchtlinge gefährde liberale westliche Werte? Alles Lüge!

Pseudojournalistische Willkür: „Richtige“ und „falsche“ Meinungen

„bento“ verwendet seit seiner Byte-Werdung viel Zeit darauf, seinen Lesern zu beweisen, dass bestimmte Meinungen falsch und unvertretbar sind. Gern werden dazu „falsche Meinungen“ mit Labeln versehen, die dem Leser eigenes Denken ersparen sollen, weil „gute Menschen“ nur ungern ihre Hände in die geistigen Abgründe der dreißiger und vierziger Jahre stecken, aus denen diese Label stammen. Letztlich betreibt „bento“ aber nichts anderes als die Unterdrückung und Diffamierung Andersdenkender. Mit Fakten zur Untermauerung der vermeintlich richtigen „bento“-Meinung kann man zwar auch nicht aufwarten, man fühlt sich aber moralisch so überlegen, dass dies keine Rolle zu spielen scheint.

Man muss mit Anabel Schunkes wütendem Kommentar nicht übereinstimmen, aber es ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, wenn man ihre Ansichten einfach als irrelevant und falsch abbürstet und versucht, sie in eine Ecke zu stellen, in die sie sicher nicht gehört. Der Versuch von „bento“ und Schreiber, Meinungen in „richtig“ und „falsch“ zu teilen, führt zwangsläufig zur Meinungsmonokultur - und die muss nicht immer gleich so offensichtlich in die Irre laufen wie in der Zeit des Faschismus. Auch die Nazis gaben sich zunächst das scheinbar harmlose Etikett „sozialistisch“, bevor sie in Richtung Krieg und Völkermord abbogen.

Gefahr droht unserer Demokratie heute leider nicht nur von dumpfen Naziglatzen ohne Hauptschulabschluss, sondern aus mehreren Richtungen, die alle eines gemeinsam haben: Die Gewißheit, stets auf der richtigen Seite der reinen Wahrheit Nektar zu saugen. Ich bin ehrlich froh, nicht über derlei stumpfe Gewißheit zu verfügen, stets im Recht zu sein. Der nächste Faschismus, der Europa und die Welt ins Chaos stürzen könnte, wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus“. Man sollte „bento“ gut im Auge behalten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

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Leserpost

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Frank Jankalert / 12.07.2016

Irgendwie ist das alles eine Wiederkehr der DDR mit Blockparteien und breitwilligen (Meinungs-)Blockwarten und anderen Mitläufern. Nur kannte ich Bento bis jetzt nicht und ich verstehe auch nicht, wieso man diesen Beitrag über eine Art Bild-Zeitung für Teenie-Linke schreibt und nicht über die Zeit oder Tagesschau.

Burkhart Berthold / 12.07.2016

Die Unterscheidung nach “richtig oder falsch” ist sozusagen normal; man vergleicht Argumente und stimmt einer These zu oder lehnt sie ab. Problematisch wird es, wenn “richtig oder falsch” in “gut oder böse” umschlägt. Dann wird aus der sachlichen Abwägung eine moralische, und dann steht der Heiko vor der Tür.

Rolf Dudeck / 12.07.2016

“Journalistische Glanzzeiten”? Wann soll das denn gewesen sein? Der Spiegel war schon immer ein sozialistisches Propagandablatt! Er hat dabei eine besondere Methode perfektioniert: Seine Artikel waren und sind eine Mischung aus Tatsachen, klaren Lügen und Meinung des Autors, die so geschickt ineinander verwoben sind, daß man sehr viel Hintergrundwissen haben muß, um das eine vom anderen zu trennen. Wenn man dieses Hintergrundwissen, braucht man aber auch den Spiegel nicht zu lesen. Fazit: Der Spiegel war schon immer überflüssig wie ein Kropf. Es ist gut, wenn die potentiellen Leser das mittlerweile verstehen.

Klaus / 12.07.2016

“bento” ist wie “Vice”, 100% kein Journalismus! Klicks kann man sich also sparen, man wird NIE was verpassen. Einzig positiv an “bento”, es verbrennt die immer knapper werdende Spiegel-Kohle.

John Farson / 11.07.2016

Bei mir, im Bekanntenkreis, heißt der Spiegel nur noch “Lügel” und wird als Bravo der Linken abgetan. Nichts was man ernst nehmen muss. Eine andere Diskussion sind die Erziehungs,- und Hetzartikel in der “Zeit”. Da läuft es einem teilweise eiskalt den Rücken herunter. Besonders wenn man bedenkt, dass diese Leute sich selbst im Lager der Guten verordnen.

Martin Wessner / 11.07.2016

Jugendliche und Adolezente haben meist ein starkes Bedürfnis nach Orientierung und Beneto will augenscheinlich daran antizipieren. Wenn einer daherkommt und einem suchenden Teen oder Tween klar sagt: “Hey, das ist falsch und das ist wahr und richtig, das ist böse und das ist gut und das sind unsere Freinde und das unsere Freunde”, dann führt das mutmaßlich bei vielen bei Lesern in dem Alter mittels…..wie sagt man noch so schön…...“einfachen Antworten auf komplizierte Fragen” zur erhofften Bindung an das neue Medienprodukt des Spiegel-Verlages. Da gibt es jetzt eine Instanz, die einem jungen Erwachsenen ganz fest an die Hand nimmt und mit unkompliziert gestalteten Hauptsätzen sagt, wo es langgeht. Was im Fall des Beneto nichts anders als mundgerecht aufbereiteter Linkspopulismus für Aknegeplagte darstellt. Wie sie sehen Herr Letsch, hat man sich in Hamburg durchaus Gedanken gemacht, mit welcher subtilen Taktik man sich neue, treue Abonnenten heranzüchten kann.

kath / 11.07.2016

Also, ich lese auch lieber “Tichy” oder “Achgut” als Bento. Anabel Schunke schreibt immer sehr reflektiert und intelligent, Klar, daß sie wütend ist, liest man aus ihren Texten heraus, aber mal ehrlich: die meisten Leser haben diese weichgespülte Monokultur satt, die uns Blätter wie der Spiegel oder auch die überregionalen Zeitungen präsentieren. Da wird nichts mehr selbst recherchiert, einer schreibt vom anderen ab, Hauptsache man ist auf Linie und fühlt sich gut….

Uwe Kah / 11.07.2016

o tempora o mores… Das ist genau was unsere Jugend heute will. Wir haben damals noch Tageszeitungen (und Bücher) gelesen und es abends mit Tagesschau/Heute abgeglichen und uns Meinungen gebildet. Mit den Jahren wurde immer weniger gelesen und die Nachrichtenjournale wurden den meisten genug… ist ja bequemer alles vorgelesen zu bekommen. Meinungsbildung wurde seltener. Heute ist es eben bequemer sogar die Meinung vorgelesen zu bekommen. Die Jugend von heute ist grösstenteils zu dumm um hinter die Szenen zu schauen und die meisten haben nie ein anderes Buch gesehen als das Gesichtsbuch. (Facebook) Die Menschheit verblödet und das ist exakt was die Regierungen wollen denn die dumme Masse lässt sich besser verarschen.

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