Nach dem Tod von Loki Schmidt wurde gelegentlich darauf hingewiesen, dass Helmut Schmidt ohne Vertrag und nur per Handschlag seinen Posten als Herausgeber der Zeit antrat. Ohne einen ungebührlichen Vergleich anstellen zu wollen, hier folgender Hinweis: Als ich 1964 meinen ersten Job als Redakteur der Westdeutschen Allgemeinen antrat, geschah dies auch ohne Vertrag und nur mit Handschlag.
Der Chef der Bezirksredaktion hatte mir nach dem Vorstellungsgespräch gesagt, ich solle in den nächsten Tagen nochmal vorbeikommen. Dann werde er mir sagen, ob ich in Mülheim oder in Essen anfange. Es war Essen und da fing ich dann an. Meinen ersten Vertrag bekam ich 1975, als ich für die WAZ, die Augsburger Allgemeine und andere Zeitungen als Korrespondent nach London ging. Dieser „Vertrag“ war nicht mehr als ein, zwei Stück Papier, dünn, leicht zu falten, und er konnte in die Brusttasche gesteckt werden, ohne eine Ausbeulung zu erzeugen.
Warum diese uninteressanten biografischen Angaben? Aus purer Nostalgie.
Wer heute irgendwo eine Stelle antritt, erhält eine papierne Vertrags- und Zusatzbestimmungssammlung, die im Bücherregal neben Krieg und Frieden und der Suche nach der verlorenen Zeit keineswegs mager aussähe. Der oder die Neue erhält diese Textsammlung, nachdem er oder sie zuvor eine ähnliche Sammlung eingereicht hatte, meist hübscher gestaltet, aber nicht weniger bauchig.
Ich werde mich hüten, zu sagen, dass früher alles besser war. Aber ich sehne mich nach den Zeiten des Händedrucks zurück. Im Fall Schmidt sagt man, der Händedruck sei unter Hanseaten üblich und ausreichend. Das ist schön. Ich vermute aber, dass man sagen sollte: Er war einmal unter Hanseaten üblich und ausreichend. Mein Verdacht ist, dass sich heute selbst die Hanseaten der mittlerweile über uns herein gestürzten Flut juristischer Dokumente in der Berufswelt nicht mehr ganz entziehen können.
Außerhalb des Hanseatentums erinnert mich der Handschlag an die schöne Zeit der Pferdehändler, unter denen bekanntlich Treu und Glaube noch etwas zählten. Zwar stehen Pferdehändler im Ruf einer gewissen Gerissenheit. Und das mag auch so gewesen sein. Aber sie waren treuherzige Burschen im Vergleich zur heutigen Geschäftswelt. Sie haben sich tief in die Augen geschaut, sich mehrmals die Hand geschüttelt und fertig war der Vertrag. Dabei haben sie sich im stillschweigend vereinbarten Rahmen ein bisschen beschissen. Aber die übliche kleine Gaunerei war eingepreist. Im Großen und Ganzen genügten Blickkontakt und Handschlag.
Es waren goldene Zeiten. Aber sie sind vorbei. Die Ära der Pferdehändler kommt nicht wieder, nicht einmal in Hamburg.
In der neuen Paragrafenwelt, die alle Menschen und Organisationen juristisch schützt und absichert, haben das gesprochene Wort und der geblickte Blick gänzlich ihren Wert verloren. So perfekt werden wir vor Willkür, Mobbing, Diskriminierung und anderer Schädigung geschützt, dass wir selbst dann, wenn wir den Job nicht kriegen, dies in hochklassigem Juristendeutsch schriftlich bekommen.