„Gucci-Protest”, schnaubte DIE ZEIT verächtlich, als die Hamburger Initiative „Wir wollen lernen“ gegen die vom schwarz-grünen Senat initiierte Schulreform auf die Straße ging. Getragen von gut verdienenden Spießern, die, so behauptete es Bürgermeister von Beust kürzlich, aus verkappter Ausländerfeindlichkeit gegen die Einführung einer sechsjährigen Primarschule seien. Jetzt feiern sie, wie SPIEGEL ONLINE ganz im ZEIT-Geist notiert: „ein Mann mit goldener Brille und weißer Hose“, “zwei gut gebräunte Frauen in sportlicher Kleidung“, „herausgeputzte Kinder“ - als gehörten zu einem ernst zu nehmenden Protest grundsätzlich Palästinensertuch und Fusselbart.
Gegen die sechsjährige Primarschule spricht vieles: die enormen Kosten ohne Garantie, das angepeilte Ziel von mehr Chancengleichheit und Lernerfolgen auch zu erreichen; die Tatsache, dass Bundesländer mit vierjähriger Grundschule (Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg), im PISA-Test besser abschneiden als alle anderen; der Raubbau an den Gymnasien, denen erst das 13. Schuljahr und jetzt auch noch die Klassen 5 und 6 amputiert werden sollten; der Verdacht, dass „längeres gemeinsames Lernen“ nicht wirklich was bringt, so lange Kinder eingeschult werden, die „der Haus“ oder „die Pferd“ sagen; das absehbare organisatorische Chaos, wenn Lehrer von Schule zu Schule pendeln müssen und vieles mehr.
Aber ausgerechnet Journalisten, die selbst in den „wohlhabenden Vierteln“ residieren und deren Kinder, sofern sie überhaupt welche haben, eben keine Klasse mit 85 Prozent Migrantenanteil bzw. deutschem Prekariat besuchen, mokieren sich über die Angst bürgerlicher Kreise, dass nun auch noch die Gymnasien den Bach hinuntergehen könnten.
„Die bürgerlichen Protestler“, schreibt SPIEGEL ONLINE, „konnten ihre Anhänger weit besser mobilisieren als die Reformbefürworter. In den wohlhabenden Stadtteilen war die Wahlbeteiligung zum Teil mehr als doppelt so hoch als in sozial schwachen Bezirken“.
Was, notabene, auch daran liegen könnte, dass in den „sozial schwachen Bezirken“ die sogenannten bildungsfernen Schichten zu finden sind, in denen – traurig, traurig – den Erziehungsberechtigten nur allzu oft die Schule ihrer Kinder völlig wurscht ist, die es jahrelang nicht fertigbringen, auch nur einen einzigen Elternabend zu besuchen, die ihre 9- und 10-jährigen Kinder bis weit nach Mitternacht fernsehen lassen und es nicht einmal schaffen, ihnen ein ordentliches Frühstück vorzusetzen, bevor der Nachwuchs in die Schule oder zu einem Turnier der Fußballmannschaft aufbricht.
DAS ist das eigentliche Problem, und wenn man solchen (von ihren Eltern, nicht vom Staat) benachteiligten Kindern helfen will, dann sollte man verbindlich Kindergarten und Vorschule für alle einführen, dazu Deutschunterricht für Migrantenkinder. Das wäre wahre Chancengleichheit. Dass die Schule / der Staat / die Gesellschaft talentierte Kinder aus „bildungsfernen Schichten“ gewohnheitsmäßig daran hindert, irgendwann mal ihr Abi zu bauen, nur weil Papa nicht Zahnarzt ist, ist jedenfalls kalter Kaffee. Ja, auch Arbeiterkinder dürfen aufs Gymnasium. Glaubt es mir, Leute, ich weiß es aus eigener Erfahrung.