Trauriges bis Makabres erleben die Briten in ihrem Wahlkampf, der unangekündigt, aber heftig begonnen hat. Am 3. Juni läuft die Legislaturperiode ab, irgendwann vorher muss Gordon Brown wählen lassen. Und auf dem Wege langen und tiefen Nachdenkens ist man zu der Auffassung gelangt, dass die Sache im Mai stattfinden dürfte.
Was aber findet bis dahin statt? Eine Gorden-Brown-Chaos-Serie. Der Erbe des in Ungnade gefallenen Charismatikers Tony Blair gilt als gar zu trockenes Alter Ego des New-Labour-Propheten: steif, nicht inspirierend, übellaunig, kurz: so karg wie die Landschaft seiner schottischen Vorfahren.
Da ein solches Charakterbild kein Rezept für einen Wahlsieg ist, beschloss Gordon Brown, Mensch zu werden, und zwar vor großem Fernsehpublikum. Er ging in die Talk-Show von Piers Morgan, eines Mannes, der dafür bekannt ist, viele persönliche und keinerlei politische Fragen zu stellen. Und so war es dann auch. Die persönlichste Frage war die nach dem Tod der kleinen Brown-Tochter Jennifer, die 2002 starb, nur zehn Tage alt. Da wurde Brown in der Tat zum Menschen und ließ Tränen rollen.
Eine traurige Parallelität will es, dass auch sein konservativer Gegner David Cameron ein Kind verloren hat, seinen behinderten Sohn Ivan, und zwar vor zwei Jahren. Und auch dies war seinerzeit Gegenstand einer Talk-Show, bei der Cameron seine Seele offenbarte.
Man könnte also angesichts dieser Politik der Seelenoffenbarungen von einem späten Ausgleichtreffer des Labour-Mannes sprechen. Aber der hielt nicht lange. Denn kaum hatte Gordon Brown sich von seiner bewegenden menschlichen Seite gezeigt, da traf ihn ein Hieb, der eine weniger sympathische Seite offenbarte. Ein Enthüllungsbuch von Andrew Rawnsley (“The End of the Party”) zeichnet den Premierminister als einen extremen Choleriker, der in Downings Street 10 brüllt, tobt, Sekretärinnen und andere Mitarbeiter schikaniert und selbst vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckt.
Ob’s stimmt oder nicht: Die Attacke traf ihn gerade zu dem Zeitpunkt, als seine Chancen auf einen Wahlsieg erstmals nicht völlig aussichtslos erschienen. Nun aber steht er, nach kurzem Aufschwung als wählbarer Mensch, wieder da wie einer, der, wenn auch kein Unmensch, so doch einer zu sein scheint, der es verdient, wieder in den Umfragekeller zu rutschen.
Sein Gegenspieler David Cameron löst auch keine Begeisterungsstürme aus. Er gilt als ein allzu cleverer Tony-Blair-Verschnitt mit konservativem Antlitz. Und Tony Blair ist unten durch, weil er in den Ruf geraten ist, die Briten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Irakkrieg gelockt zu haben. Die Frage, ob der flotte Verschnitt oder das trockene Alter Ego die nächsten fünf Jahre in Downing Street sitzen soll, wird die Briten also bis zum Mai umtreiben. Es ist eine harte Wahl in einer Zeit, in der das Tal der Weltfinanzkrise noch keineswegs durchschritten ist. Aber warum sollen die Engländer es leichter haben als wir?