Das Jahr hat lustig begonnen. Printmedien, Radio und Fernsehen verbreiteten die frohe Nachricht. Eine erstmals in der Schweiz durchgeführte Studie des Bündner Kantonsspitals ergab: «Im Kanton Graubünden hat die Zahl der Herzinfarkte seit Einführung des Rauchverbotes um über einen Fünftel abgenommen. Vor allem bei Nichtrauchern gab es weniger Infarkte.» Alle sind sich einig, mit einem derart schnellen Erfolg der Rauchverbote konnte man nicht rechnen. Es ist ein Wunder.
Es staunt der Laie, und der Herzspezialist Hugo Saner doppelt für das Schweizer Fernsehen nach: «Es ist tatsächlich so, dass man die Gefahren des Passivrauchens massiv unterschätzt hat. Es ist toll, dass man hier die billigste und einfachste Methode der letzten zwanzig Jahre gefunden hat, um die Häufigkeit der akuten Herzinfarkte zu reduzieren.» Damit ist klar, nach diesem Erfolg gehören die Raucher in die Wüste, Pardon, in die Bündner Berge.
Das Wunder von Graubünden ist aber keines, bloss eine kleine Studie in einer Reihe von ähnlichen Studien, die belegen, dass Herzinfarkte weltweit rückläufig sind, dies war bereits vor den Rauchverboten so. Andere Gründe für die Abnahme werden jeweils nicht ausgeschlossen. Andererseits gibt es Zahlen aus Schottland, England, Wales, Dänemark, Florida, Kalifornien, Oregon, New York oder ganz Amerika, die belegen, Rauchverbote zum Schutz der Nichtraucher haben zu keiner Reduktion der akuten Herzinfarkte geführt. Der herbeigeschriebene Erfolg unserer Rauchstopp-Gesetze ist tatsächlich ein Wunder wie in Lourdes: Die Spontanheilung wird besungen, der Zufall unter den Tisch gewischt. Die Medien bereiten damit den Boden für das BAG, welches nächstens behaupten wird, dank Händewaschen sei die Schweinegrippe vorbei.
Hamburger haben den gleichen Effekt
Weil die Passivrauchen-Kampagnen keine messbaren Ergebnisse gebracht haben (der Zigarettenverkauf in Frankreich hat 2009 um zwei Prozent zugelegt), bleibt nur die Flucht nach vorne. Jetzt wird behauptet, bereits eine kurze Passivrauchexposition (geboten werden fünfzehn bis dreissig Minuten oder der Rauch von fünfzehn Paffern) reiche aus, damit es zu Zellwandschädigung in Blutgefässen komme. Bisher galt, dass junge Raucher mit Koronarproblemen selten sind. Gemäss Lehrmeinung dauert es zwanzig Jahre oder länger, bis ein Raucher eine Herzkranzerkrankung entwickelt. Nun sollen es plötzlich dreissig Minuten Passivrauch sein! Blöderweise weiss man seit 2007 aus dem American Journal of Clinical Nutrition, dass ein Hamburger den gleichen Effekt wie Passivrauchen hat. Untersucht wurden bei McDonalds drei «Schlemmermenüs»: ein Hamburger mit Pommes und Softdrink; ein Vegi-Burger mit Pommes und Softdrink und ein Vegi-Burger mit Salat, Früchten, Jogurt und Orangensaft. Die traurige Nachricht: Selbst die «gesunde» Hamburgervariante führte zu einer Zellwandschädigung, wie sie dem Passivrauch in die Schuhe geschoben wird.
Hugo Saner war fasziniert, weil das Herzinfarktrisiko inzwischen an Sonntagen geringer sei, und machte aus dem statistischen Ausreisser eine gesündere Freizeit für Männer. Das erinnert an die frühere Propaganda der Raucherlobby als man versuchte, die Gefahren des Rauchens herunterzuspielen. Heute wird übertrieben. Viele Vertreter der Anti-Rauch-Lobby sind beseelt vom innigen Wunsch neue, schärfere Anti-Raucher-Massnahmen zu propagieren. Die Übertreibungen der Passivraucher-Schützer gefährden somit die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Was soll der Bürger denken, wenn fast gleichzeitig mit dem Wunder in Graubünden das Institut für Sozial- und Präventivmedizin am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel vermeldet, dass im Winter die Feinstaubwerte ansteigen und die notfallmässigen Spitaleinweisungen wegen Herz- und Kreislaufproblemen zunehmen. Was ist jetzt gefährlicher, das Fumoir oder die Strassenkreuzung?
Neben naturwissenschaftlich denkenden Medizinern gibt es auch den Typus «Heiler». Sie wollen uns nicht nur gesunden lassen, sondern eine ganzheitliche Medizin anbieten. So wird Professor I. Roberts von der London School of Hygiene and Tropical Medicine im Naturkost-Magazin Schrot & Korn zitiert: «Übergewicht beschleunigt die Erderwärmung. Dies, weil Dicke 40 Prozent mehr Nahrungsmittel konsumieren als Schlanke und zu einem Überkonsum von Zucker und Fett neigen, zu deren Herstellung sehr viel Energie aufgewendet wird. Ausserdem fahren sie mehr Auto, benutzen öfter Fahrstühle und Klimaanlagen.» Nach den Rauchern werden die Dicken drankommen, so viel scheint festzustehen.
Wo liegen die Grenzen des medizinischen Sendungsbewusstseins? Wer das Fürchten lernen will, soll sich die Homepage der Lungenliga ansehen. Dort läuft die Propaganda für die Volksinitiative «Schutz vor Passivrauchen». Wie lange dauert es wohl noch, bis diese Organisation den «third hand smoke», Rauchen aus dritter Hand, entdeckt? Dieses Schreckgespenst wurde von Medizinern aufgrund einer Umfrage konstruiert. Gefährdet wären demnach Nichtraucher durch Raucher, selbst wenn diese ihre letzte Zigarette vor Tagen oder Wochen konsumiert haben. Rauchende Lehrer und Pflegende dürften wohl bald nur noch frisch geduscht zu ihren Schützlingen.
Beda M. Stadler ist Professor und Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern.
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 02/10