Nun wird es wieder ganz deutlich: Die Natur ist grün. Jedenfalls in unseren Breiten. Rot, Blau, Gelb und Weiß kommen zwar ebenfalls vor, Grün aber überwiegt, weil das Blattgrün, das Chlorophyll, als Assimilationspigment nun mal Grundlage für alles höhere Leben ist. „Raus ins Grüne!“, so hieß es früher, und so heißt es manchmal noch heute, wenn es gilt, der Stubenluft und dem Stadtmief zu entfliehen. Doch sei ernüchternd festgestellt, da draußen findet sich weit weniger Natur, als es grün ist. So weit das Auge reicht, wird die Landschaft mit Pflanzen ausstaffiert, die zum Nutzen des Menschen züchterisch verändert worden sind. Kultur ist das, Kultur im ursprünglichen Sinne des Wortes (lateinisch cultura – Ackerbau).
Längst geht es nicht mehr nur um unsere Ernährung, nein, zunehmend werden „Energiepflanzen“ kultiviert: Mais, Gräser, Getreide, Zuckerrüben, auch Kartoffeln. Deren Biomasse dient als Energieträger, dient als nachwachsender Rohstoff, der hilft, fossile Energieträger zu ersetzen. Auch die Kernenergie. Jede der da angebauten Pflanzen ist Ergebnis der Züchtung, ist – wennschon ausgehend von Vorlagen der Natur – menschgemacht. Selbst unsere Wälder wachsen nicht, wie sie wüchsen, wenn man sie nur ließe. Nicht Ur-Wälder sind es, sondern Forste, menschgemachter Wald, wenn freilich ebenfalls grün. Das Grün jedoch, das vom Menschen unbeeinflusst wächst, ist nur noch auf wenigen Flächen zu finden.
Die Kultivierung unserer Landschaft bringt es mit sich, dass einst häufige Pflanzen- und Tierarten inmitten des vielen Grüns selten geworden sind, ja, auszusterben drohen. Welche Pflanzen sollen denn das sein, hört man da fragen. Falls überhaupt jemand danach fragt. Möglicherweise irgendwelches Unkraut, Pflanzen, die zu nichts nutze sind? – Unkraut? Unmenschen gibt es, keine Frage, aber Un-Kräuter, Un-Pflanzen? Gleichviel, weg damit! Genauso diese Krabbel- und Flattertierchen. Die meisten von ihnen sind sowieso bloß Schädlinge. Hochwirksame Insektizide drauf, Neo-Nicotinoide z.B. Die killen, wo es etwas zu killen gibt. Wenn das nicht mehr funktioniert, dann entwickelt man eben neue Vertilgungsmittel. Und es lohnt sich – keine Mücken mehr, keine Fliegen, die Windschutzscheiben bleiben sauber! Was nur soll dieses andauernde Gerede, ab und zu sieht man ja doch noch einen Schmetterling fliegen. Wen kümmert‘s, dass in Deutschland davon knapp 4.000 Arten zuhause sind. Oder sein sollten. Größtenteils sind das sowieso bloß irgendwelche Motten, die die Lampen auf dem Balkon und im Garten verdrecken.
Was schon nützt es zu wissen, dass Deutschland die Heimat von etwa 10.000 Pflanzenarten ist und von 48.000 Tierarten. Nicht nur der frischgebackene Heimatminister wird das nicht wissen, vermutlich weiß es noch nicht einmal das Gros der Biologie-Lehrer. Selbst wenn sie diese nüchternen Zahlen kennen sollten, wer von denen traut sich noch mit den Schülern hinaus ins Grüne, um ihnen zu zeigen und zu erklären, was dort alles wächst, fliegt und krabbelt?
Zwar wissen die Bio-Lehrer von heute Bescheid über DNA und RNA, über die Wirkungsweise und Gefahren von Drogen und über den Aufbau des Blattes. Wer von ihnen aber will behaupten, den Unterschied zwischen dem Waldveilchen und dem Gundermann zu kennen, zwischen der Sing- und der Misteldrossel? Das alles setzt Kenntnisse voraus, die nicht mehr so recht in unsere Zeit zu passen scheinen, ja, noch nicht einmal mehr ins Biologie-Studium.
Die Feldwege und Hecken sind größtenteils verschwunden, Tümpel und Sümpfe wurden trockengelegt, und fast nirgendwo gibt es Brachen, auf denen es blühen darf, wie es gerne möchte. Bunte Wiesen werden in Fettwiesen umgewandelt und diese dann zu Bio-Energie und Kuhfutter gemacht. Dort, wo es noch Wildwuchs geben könnte, setzen die Randstreifenmäher ein. Früh im Jahre schon und auch später noch, um allem, was da zu blühen versucht, die frechen Köpfe abzuschneiden. Dann endlich kann nichts mehr von diesen Unkräutern aussamen, oder eben nur noch wenig. Wennschon an solchen Stellen kein Raps oder Mais zu ernten ist, dann, bitteschön, soll es wenigstens produktiver Rasen sein. Ergebnis: Allerorten Überproduktion, die zudem noch von der EU gestützt wird, damit landwirtschaftlicherseits keine Tränen fließen. Bezahlt nicht nur mit unserem Geld, sondern eben auch mit der Vielfalt unserer Pflanzen- und Tierwelt, die einst sehr groß gewesen ist.
Früher, da bogen sich die Doldenblüten des Bärenklaus unter der Last der Fliegen, Käfer, Hautflügler und Blattläuse. Heute klettert darauf gerade mal eines dieser Tierchen herum, auch zwei, dafür aber auf der nächsten Dolde gar keines. Viele Jahre lang geht das schon so, immer weniger Insekten. Allerdings sind eben zur selben Zeit auch die Mücken verschwunden, jedenfalls so gut wie, so dass sich das Bedauern in Grenzen hält. Im Gegenteil, die Leute können ihr Wassergrundstück erst jetzt so richtig genießen. Und beim Wandern darf man das Mückenspray getrost zu Hause lassen. Allerdings, dort, wo die Insekten fehlen, dort fehlt es auch an Lurchen, Kriechtieren, Fledermäusen und Vögeln. Nicht nur die insektenfressenden Vogelarten sind betroffen, auch die körnerfressenden. Denn deren Junge müssen mit Insekten gefüttert werden. Und so kann es passieren, dass wir, wenn wir eines schönen Sommertages draußen vor den Toren spazieren gehen, kaum einen Vogel sehen.
Seit vielen Jahren warnen Kenner unserer heimatlichen Natur. Allen voran die wenigen Insektenkundler, die es noch gibt, und einige weitere Naturfreunde. Ganz leise war ihr Ruf, kaum einer hörte ihn. Woher auch sollten diese Leute die Lautheit nehmen. Plötzlich aber war es dann doch passiert: In der Öffentlichkeit wurde die Sache mit dem Insektensterben und dem Verschwinden der Vögel bekannt. Allerdings nicht durch die Partei der Grünen, die zuerst hätte schreien sollen. Nein, die Grünen fingen erst dann mit Schreien und Klagen an, als ihnen das Insektensterben auf dem Tablett serviert wurde.
Wie grün ist sie denn, die Partei der Grünen?
War das Dilemma der Partei der Grünen bis dahin nicht aufgefallen? „Grün heißt: Die Natur erhalten, die uns erhält“, so lautet es in ihrem Parteiprogramm. Und weiter geht es mit „Klima-Erhitzung“ (!), mit Frei-sein-wollen von Hass und Ausgrenzung, von Angst und Armut, von Überwachung und Bevormundung. Man stehe für ein ökologisches, weltoffenes und gerechtes Land: Vom Elektroauto bis zur Integration, von grüner Wirtschaft bis zum Datenschutz.
Die Damen und Herren von der Grünen Partei mal so gefragt: Sind Sie in den letzten Jahren nie durch Felder gewandert, in denen man über Kilometer hin, ganz anders als vor Jahren noch, keine einzige Feldlerche sieht? Oder tirilieren hört? Kennen Sie diesen Vogel nicht? Wie viele von Ihnen wissen Bescheid über die 500 heimischen Bienenarten, von denen jetzt schon die Hälfte auf der Roten Liste gefährdeter Arten steht? Von den Honigbienen, gut, da mag auch von Ihrer Seite her öfter mal die Rede gewesen sein. Einfach, weil diese Tiere doch so herrlich nützlich sind. Sie bestäuben die Blüten von Nutzpflanzen und liefern den Honig, sogar Bio-Honig. Doch was weiß die Partei der Grünen, was wissen ihre Mitglieder davon, dass es in Deutschland mehr als 30.000 weitere Insektenarten gibt, und was weiß man hier von solchen, denen ohne ihre jeweilig spezielle Wirtspflanze das Aus droht? Vor allem, so sei gefragt, was weiß man in der Partei der Grünen über die Ursachen? Konkret, bitte!
Die Erforschung von Ursachen in der Natur und der Gesellschaft gehört zum Aufwändigsten, was sich Menschen zumuten können. Nur ausnahmsweise geht es so einfach zu wie beim Hebelgesetz oder dem Verhältnis von Spannung, Stromstärke und elektrischem Widerstand. Oft bleibt es bei unbefriedigenden Ergebnissen, und das fast immer, wenn es sich um komplexe Ursachengefüge handelt. Manche Debatten ziehen sich über Jahrzehnte hin, sogar über Jahrhunderte. Kontemplativität kann sich die Politik nicht leisten, natürlich nicht. Hier muss gehandelt werden. Selbst dann, wenn die Sachlage verworren bleibt. Die Reduktion auf überschaubare Verhältnisse ist angesagt, und die gelingt am besten, wenn – so absurd dies sein mag – Eine-Ursache-Prinzipien zugrunde gelegt werden. Am wirkungsvollsten so, dass möglichst große Anteile der Bevölkerung zu folgen bereit sind. Je einfacher, umso wahrscheinlicher, möchte man glauben. Auf solche Weise zu argumentieren, ist durchaus so etwas wie Kunst.
Die grüne Politik hat es hierin bis zur Meisterschaft gebracht. Im Regelfall kommt man mit einer Handvoll von Schlagworten aus. Schlagworte, die für Glaubenssätze stehen, die ihrerseits nicht mehr zu hinterfragen sind. Es sei denn, der Hinterfrager will riskieren, in politisch-moralisches Zwielicht zu geraten. Wenn doch, dann zum Beispiel wird ihm, wie neulich im Bundestag geschehen, mit unverhohlener Häme anempfohlen, sich einfach mal eine Zeitung zu kaufen, eine gute. Auf Eine-Ursache-Prinzipien basierende Grünen-Schlagworte sind: Klimaschutz, 2-Grad-Ziel, Ausstieg aus der Atomenergie, Dekarbonisierung, E-Mobilität, Grenzwerte, Glyphosat, Gentechnikfreiheit, Religionsfreiheit, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus – und so eben auch: Schutz der Natur!
Grün-Herzigkeit hin und Gut-Herzigkeit her, wie wäre es denn mal, trotz oder gerade wegen drängender Probleme, mit echten Diskursen, auch und gerade im Bundestag? Mit politisch-ideologisch unvoreingenommenen Debatten, solchen, wie sie in der Wissenschaft üblich sind?
Von Gerald Wolf