Vera Lengsfeld / 09.06.2022 / 16:00 / Foto: Imago / 48 / Seite ausdrucken

Es gibt keine „Corona-Leugner“!

Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) hat es tatsächlich gesagt: „Corona-Leugner“ seien dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Dies schlussfolgert er aus dem von Bundesinnenministerin Faeser vorgestellten neuen Verfassungsschutzbericht 2021.

Das ist aus meiner Sicht eine brandgefährliche Entwicklung, denn mit arroganter Selbstverständlichkeit werden hier völlig sinnfreie Kategorien („Leugner“) von einem Innenminister verwendet, um damit praktisch weite Teile der kritischen Öffentlichkeit unter Verdacht zu stellen. Was soll ein „Corona-Leugner“ gemäß Minister Maier sein? Gibt es tatsächlich Menschen, die die Existenz des SARS-CoV-2-Virus „leugnen“ und behaupten, es gebe die Infektionen, die positiven Testergebnisse, die Krankheitssymptome, die meist milden, manchmal auch schwereren und schweren Verläufe gar nicht? Kaum. Ich kenne keinen.

Was es aber in großer Zahl gibt, sind Kritiker willkürlicher politischer Corona-Maßnahmen. Da kenne ich sehr, sehr viele. Und zu denen gehöre ich auch. Die werden mehr, wenn die Regierung sich weiter weigert, die Corona-Maßnahmen zu evaluieren, die sie droht, im Herbst wieder zu verhängen. Aktuell fordert der Präsident der Bundesärztekammer Reinhardt eine bessere Datengrundlage für die Bewertung der Corona-Maßnahmen und spricht von einem „Datenblindflug“ in den letzten zweieinhalb Jahren. Ist er jetzt ein Corona-Leugner und Rechtsextremist?

Das Beispiel zeigt, wie absurd es ist, um kein treffenderes Wort zu gebrauchen, wenn ein Innenminister eine Kritik an Regierungshandeln mit dem Diffamierungs- und tendenziell Zersetzungsvorwurf „Leugnung“ vermengt! Was ist das für eine Regierung, die ihre Kritiker pauschal als offenkundig geistig minderbemittelt und deshalb extrem und nicht ernstzunehmen abstempelt?

Wer sich rechtfertigt, hat verloren

Warum traut sich ein Georg Maier so etwas? Auch in den Medien wird ja die „Leugnungs“-Denunziation in einer Weise verwendet, als ob es sich um eine selbstverständliche, sachliche Kategorie handeln würde. Ich fürchte, dass viele Kritiker der Regierung und ihre Berater sich hier in eine Falle locken lassen haben: Man muss nämlich ständig und immer wieder das Negativ-Framing zurückweisen und darf auf keinen Fall sich selber in den Medien als „Leugner“ bezeichnen lassen. Nicht mal spaßeshalber, wie ich selbst erfahren habe.

Dafür braucht man auch nicht unbedingt einen Anwalt zu bemühen, es reicht völlig, wenn man diese üble politische Nachrede konsequent medial und politisch zurückweist. Und vor allem nicht selbst wiederholt, erst recht nicht im Rechtfertigungsmodus! Es muss sich niemand rechtfertigen, denn ein Innenminister Maier muss in einem freien Land erklären, welche Aussage oder Handlungen in seiner Vorstellung einen Bürger in einen „Leugner“ verwandeln.

Kritik muss ein Minister aushalten

Es kann leider auch kein ironisches Spiel mit dem Framing der anderen Seite geben, auch und gerade in Runden, wo man vermeintlich „unter sich“ ist und deshalb eine „Hier können wir ja offen reden“-Haltung einnimmt. Dafür gibt es mittlerweile viel zu viele Freizeitdenunzianten oder -spione. Und vor allem auch Provokateure, ob selbstermächtigt oder im Auftrag von zum Beispiel Aktivisten.

Man muss es aushalten, dass, wenn man Regierungspolitik kritisiert, auch kräftig Gegenwind bekommt, meist mit moralisch aufgeladenen Phrasen statt mit Argumenten. Die Antwort sollte dann aber nicht mit den gleichen Mitteln erfolgen, sondern durch die besseren Argumente oder zumindest die klarere politische Haltung. Moralismus mit noch mehr Moralismus zu kontern, ist immer falsch. Und völlig unnötig: In der Demokratie ist es selbstverständlich, dass ein Vorschlag mit einem besseren Vorschlag gekontert werden kann. Noch mehr gilt dies für schlechte Vorschläge und Maßnahmen. Und erst recht für schlechte Politik.

Die Zeiten der Alternativlosigkeit sind vorbei, Minister Maier: Wenn Sie in Thüringen tatsächlich jemanden finden, der die Existenz von SARS-CoV-2 (oder des Klimawandels, der sich in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der Erdgeschichte immer wieder ereignet hat) „leugnet“, wenn Sie, Minister Maier, also tatsächlich einen finden, der die Erde für eine Scheibe hält, dann kann mit diesem Unikum gerne auch die Statistik „rechts“ aufgepeppt werden. So viel politischen Freiraum haben Sie als zuständiger Minister. Ich wette aber einiges, dass die Ausbeute sehr, sehr mager sein dürfte.

Was Sie aber nicht haben, Herr Innenminister, ist das Recht, eine völlig sinnfreie, diffamierende Pauschalkategorie („Leugner“) zu erfinden und noch weniger diese dann gegen kritische Bürgerinnen und Bürger einzusetzen.

Foto: Imago

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Leserpost

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W. Renner / 09.06.2022

Dagegen gibt es unzählige Realitätsleugner in den Regierungen.

Jochen Selig / 09.06.2022

@Alfons Hagenau: vielen Dank für die Aufklärung. Selten genug.

Bernd Michalski / 09.06.2022

Echt witzig, wenn mich jemand Corona-Leugner nennt. Vor allem, wenn derjenige ein schamloser, inkompetenter, korrupter Corona-LÜGNER ist. +++ Das gleiche gilt natürlich beim Klima. +++ Den “diversen” Linksfaschisten fehlt alles, was auch nur entfernt nach Anstand oder Toleranz aussieht.

T. Merkens / 09.06.2022

“Was ist das für eine Regierung, die ihre Kritiker pauschal als offenkundig geistig minderbemittelt und deshalb extrem und nicht ernstzunehmen abstempelt?” Ich würde sagen: Es sind Demokratie-, Grundgesetz- und Rechtsstaatsleugner, mindestens aber -verweigerer. Und zu (sinngemäß): “Was Sie aber nicht haben ist das Recht, eine diffamierende Pauschalkategorie zu erfinden und diese gegen kritische Bürger einzusetzen.” Hierzu passt das bekannteste Zitat des geistesverwandten großen Denkers Alfred E. Neumann: Na und?

Volker Kleinophorst / 09.06.2022

Zu Links/Rechts habe ich noch was vergessen: Lager für Andersdenkende sind gute sozialistische Tradition. Kenne Sie ein sozialistisches Land das keine hat oder (weil pleite gegangen) hatte?

Volker Kleinophorst / 09.06.2022

Für mich ist und bleibt beim Links/rechts Geschrei einfach der Hit: Dass die rechten NationalSOZIALISTEN Kollektivisten und überzeugte SOZIALISTEN also Linke waren. Nein sie waren nach eigener Darstellung “die wahre deutsche Linke”. Die Hakenkreuzflagge ist rot, nicht braun. Es gab also zwischen InternationalSOZIALISTEN und NationalSOZIALISTEN einen Bruderkrieg unter Genossen, wie zwischen Sunniten und Schiiten, der judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa. Bruderkrieg ist ja eh ein Klassiker.

Volker Kleinophorst / 09.06.2022

@ Jakob Mendel Gute Zitate und inhaltlich völlig richtig. Man will sich von der Faktenebene entfernen. Und es trifft ja auch dann zu auf… Das mag verboten, nicht statthaft, ja strafbewehrt oder sonst was sein, aber rein sachlich, stellt sich beim Gebrauch von “Ketzer” immer die gleiche Frage. Warum bedarf es solcher Maßnahmen, wenn doch alles eindeutig ist? Dass beim heute ja inflationären Leugnungs-Basta der ein oder andere mal stutzen würde, war vorher zu sehen. Denn der Begriff wird banalisiert und “Verschonen uns mit Fakten, WIR haben uns deine Meinung schon gebildet” aka Faschist, Nazi, Klima, Corona… -sie wissen schon - ist nicht wirklich vertrauenserweckend. Was daran, auch allerdings nur sachlich, besonders “originell” ist: Leugnung ist eigentlich kein Straftatbestand. Kein Verbrecher, der seine Tat leugnet, kann dafür noch zusätzlich bestraft werden. Die Tat zu leugnen, ist sein Recht. Sogar nachdem sie nachgewiesen wurde.

Ricardo sanchis / 09.06.2022

Offensichtlich gilt Volksverhetzung in partei politischen Kreisen und den öffentlich-rechtlichen als gesellschaftlichfähig. Da das Innenministerium mit Nancy die Staatsanwaltschaft kontrolliert gehen die wahrscheinlich auch straffrei aus.

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