„Die Gesundheit zuerst“ schallt es seit Wochen aus allen Ecken. Kaum, dass jemand Zweifel an der staatlich verfügten Aussetzung bürgerlicher Freiheitsrechte hegt, wird ihm die Kalenderweisheit um die Ohren gehauen.
Als Theo Koll die Bundesjustizministerin in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ fragte, „wie lange müssen wir mit der Einschränkung der Grundrechte leben“, wurde er belehrt, dass „das oberste Gut in diesem Land die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung ist“. Deshalb gelte es, so Christine Lambrecht weiter, das Recht „auf körperliche Unversehrtheit“, festgeschrieben im Art. 2 des Grundgesetzes, gegen die Freiheitsansprüche der Bürger abzuwägen.
Ober sticht Unter, sollte das wohl heißen. Dass der gleich darauf folgende Satz ergänzend vorschreibt, „die Freiheit der Person ist unverletzlich“, vergaß die Ministerin zu erwähnen. Kein Wort über den Unterschied zwischen „körperlicher Unversehrtheit“ und der Gesundheit im Allgemeinen. Von ihr ist im Gesetzestext nirgends die Rede. Mit gutem Grund.
Kann doch als Recht nur gelten, was sich juristisch durchsetzen lässt. Nur wenn jemand absichtlich umgebracht oder tödlich bedroht wird, besteht die Möglichkeit einer Klage. Der Tod an sich ist nicht justiziabel. Weil Krankheiten Teil des Lebens sind, gibt es kein „Recht, gesund zu sein“, sagen die Juristen. Kein Anwalt könnte die Heilung eines Krebsleidens erstreiten. Wie aber verhält es sich dann mit dem Infektionsschutzgesetz? Beweist es nicht, dass durchaus die Möglichkeit besteht, das „Recht, gesund zu sein“, per Verordnung durchzusetzen?
Der Staat wird nur temporär ermächtigt
Ja, insofern mit der Einschränkung von Grundrechten wie der Demonstrations- oder Versammlungsfreiheit die Chance besteht, der Ausbreitung einer Epidemie vorzubeugen. Nein, da der Staat damit bloß temporär ermächtigt wird, per Zwangsverordnung zu regieren, während es dem Bürger unbenommen bleibt, Klage zu erheben, wenn es Anlass zu der Befürchtung gibt, das Grundgesetz könne unverhältnismäßig ausgehebelt werden.
Das sollte auch eine Bundesjustizministerin wissen. Schließlich verpflichtet sie ihr Amtseid weiterhin, den Bürgern Rede und Antwort zu stehen. Das aber scheint nicht allein Christine Lambrecht entfallen zu sein, als sie versuchte, die Fragen von Theo Koll abzubügeln, indem sie das Grundgesetz in irreführender Verkürzung zitierte. Wo die Autorität der Verfassung derart zur Einschüchterung des Volkes missbraucht wird, ist Gefahr im Verzug, nicht minder bedrohlich als die gesundheitliche infolge der Corona-Pandemie.
Zunehmend wächst sich die rhetorische Rosstäuscherei zur Methode autoritär infizierter Politiker aus. Mit dem Mantra „Die Gesundheit zuerst!“ wird das Volk mundtot gemacht. Schon die Diskussion über einen Ausstieg aus dem Ausnahmezustand soll uns als Tabubruch gelten. Von einer „Öffnungsdiskussionsorgie“, die „nicht hilfreich“ sei, spricht die Kanzlerin. Für sie und ihresgleichen mag das freilich insoweit stimmen, als es höchste Zeit ist, die enthemmten Politiker wieder an die Leine der Demokratie zu legen.
Obrigkeit auf dünnem Eis
Allein, wer sich gegen deren Absolutismus auflehnt, es gar wagt, Klage wegen der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu erheben, wird bei Gericht meist abgewiesen. Es kam aber schon vor, dass der Klage unter Auflagen stattgegeben wurde, immerhin.
Andererseits will es die Ironie der Geschichte auch, dass die Hysterie der Obrigkeit offenbart, auf welchem dünnen Eis sie steht, wenn sie die Corona-Krise fortdauernd aufbauscht. Hat sich doch unterdessen gezeigt, dass die Infektion keineswegs so lebensbedrohlich verläuft, wie wir glauben sollen. Mehr und mehr erweisen sich die Tatarenmeldungen des RKI als das, was sie tatsächlich sind, ein Versuch, den Teufel an die Wand zu malen. Dass es sich bei dem Institut nicht um eine unabhängige Forschungseinrichtung, sondern um eine „Bundesoberbehörde“ handelt, mag da manches erklären.
Was sie suggeriert, hat vielen Ärzten von Anfang an die Haare zu Berge stehen lassen. Zwar stimmt es, dass sich die Corona-Viren schneller als andere verbreiten. Nur zieht die Ansteckung in den wenigsten Fällen die erschreckend ausgemalten Folgen nach sich. Tödlich verläuft sie, aufs Ganze gesehen, relativ selten. Die Risikogruppe ist überschaubar. Betroffen sind fast durchweg ältere Patienten und solche mit Vorerkrankungen. Sie überstehen die Infektion meist unbeschadet und in kurzer Zeit, oftmals ohne sie überhaupt bemerkt zu haben. Das ändert nichts an der Tragik einzelner Schicksale, berechtigt aber keineswegs zu kopfloser Panik.
Jeder stirbt für sich allein
Laut einer Mitteilung des hessischen Gesundheitsministeriums war bislang „keine Übersterblichkeit im Zusammenhang mit dem Corona-Virus festzustellen“. Auch in Berlin wurden nicht „mehr Tote als gewöhnlich“ registriert. „Primär“ sei ihr Sterben „auf Influenza, nicht auf Covid 19 zurückzuführen“, meldet die Gesundheitsverwaltung. Für die Schweiz konstatierte das Uni-Spital in Basel, einem Hotspot der Epidemie: „Alle Untersuchten hatten Bluthochdruck, ein Großteil der Patienten war auch schwer adipös, also deutlich übergewichtig ... Mehr als zwei Drittel wiesen vorgeschädigte Herzkranzgefäße auf, ein Drittel war an Diabetes erkrankt.“
In Deutschland jedoch wollte man es zunächst so genau gar nicht wissen. Das RKI hatte anfangs sogar eine Empfehlung herausgeben, keine medizinisch aufklärenden Obduktionen durchzuführen, weil sich die Pathologen dabei selbst anstecken könnten. Einen Unsinn nannte das der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Büschel und ließ sich nicht abhalten, 65 verstorbene Corona-Patienten zu obduzieren. Heraus kam, dass die Opfer an Bluthochdruck, Arteriosklerose oder Herzschwäche litten. Manche von ihnen hatten schon vorher einen Herzinfarkt, Lungen- oder andere Organschäden. Einige lebten mit transplantierten Organen. Allesamt waren sie nicht an, sondern mit Corona gestorben, was die Virologen nicht hinderte, jeden Tod eines Infizierten ursächlich auf Covid-19 zurückzuführen.
Der Ausnahmezustand als neue Normalität
Fürchten sie womöglich, ihnen könne die Show gestohlen werden, oder führten sie uns statistisch nur in die Irre, weil sie medizinisch nicht hinreichend beschlagen sind? Nein, es geht hier nicht darum, die Exzellenz der Wissenschaftler infrage zu stellen. Sie ist unbestritten. Nur wurden mit der Fixierung auf die fraglos drastische Ausbreitung der Pandemie voreilig Dogmen verbreitet, die keiner diagnostischen Überprüfung standhalten. Stattdessen befeuerten sie die Politik, einen Ausnahmezustand zu etablieren, von dem sie nun so schnell nicht wieder ablassen will. So kommt eine "neue Normalität" zustande.
„Die Gesundheit zuerst“ bekommt zu hören, wem das nicht passt. Ein ebenso unschlagbares wie fadenscheiniges Argument. Denn was nützt uns die Gesundheit, wenn uns dafür die Freiheit genommen wird, das Glück zu genießen. Auch in der DDR funktionierte die medizinische Versorgung halbwegs. Die Arbeiter und Bauern waren gesund. Erschossen wurden sie, sobald sie zum Sprung über die Mauer ansetzten. Kuba verfügt seit der Revolution über ein vergleichsweise gutes Gesundheitswesen, über Experten, die jetzt in Italien aushalfen.
Aber wollen wir deshalb kubanische Verhältnisse? Ich ganz bestimmt nicht. Dafür hängt mein Herz zu sehr am europäischen Süden, an der mediterranen Sonne und dem guten Essen, an Bouillabaisse und Spaghetti vongole, an all den Genüssen, von denen mein Immunsystem mehr hätte als von der fortgesetzten Krisen-Depression.