Thomas Rietzschel / 06.02.2017 / 14:45 / 7 / Seite ausdrucken

Es gibt doch schon (fast) alles umsonst, Martin!

Zu den kuriosen Vorkommnissen der letzten Woche zählt der kometenhafte Aufstieg des kleinen Martin aus dem großen Würselen an der Wurm. Von ganz unten, aus den bescheidenen Verhältnissen einer Polizistenfamilie, hat er es nach ganz oben geschafft, mitten ins Berliner Machtzentrum, fast schon ins Kanzleramt. Kaum dass ihn die SPD zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt hatte, ließ er Angela Merkel alt aussehen. Während sie sich mit mageren 34 Prozent der Stimmen begnügen müsste, stünden 50 Prozent der Deutschen hinter ihm, würde das Regierungsoberhaupt jetzt direkt gewählt.

Bei allem Misstrauen, das man gegenüber „repräsentativen Umfragen“ hegen mag, ist das ein Erfolg, den Martin Schulz erst einmal einer oder eine nachmachen muss. Ein Paukenschlag, der umso lauter dröhnt, als der Mann seine Kaninchen aus alten Hüten zaubert. So versprach er „den hart arbeitenden Menschen“ bei seiner Antrittsrede im Willy-Brandt-Haus nicht nur eine „Sternstunde der Demokratie“, sondern auch einen „Ruck“ in der Bildungspolitik. Wörtlich donnerte der Kanzler in spe: „Bildung muss gebührenfrei werden von der Kita bis zum Studium.“

Ein Sturm durch das offene Scheunentor, dem die Genossen johlend applaudierten. Denn tatsächlich wurde das Schulgeld für den Besuch der Grundschulen bereits während der Weimarer Republik, also in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, abgeschafft. Seit 1959 werden Mädchen und Jungen in den staatlichen Gymnasien der Bundesrepublik unterrichtet, ohne dass ihre Eltern dafür zahlen müssen. Abgeschafft sind ebenso die Studiengebühren, die einzelne Bundesländer ab 2003 einführten. Die letzten, die damit Schluss machten, waren die Niedersachsen im Studienjahr 2014/15. Einzig die Kita-Plätze sind weiterhin kostenpflichtig, wenn auch nicht in allen Bundesländern.

Nun wollen wir Martin Schulz, Jahrgang 1955, gern die Gnade der späten Geburt gewähren. Die Weimarer Republik existierte weit vor seiner Zeit. Von dem, was damals abgeschafft wurde, hätte er nur aus dem Schulbuch erfahren können. Auch die Aufhebung der Gebühren an den Gymnasien betraf ihn nie persönlich. Erstens war er 1959 gerade vier Jahre alt, zu jung, um sich Gedanken über die Schule zu machen, geschweige denn über den Besuch einer höheren Lehranstalt. Und zweitens hat er seine schulische Laufbahn dann ohnehin mit der Mittleren Reife beendet. Ein persönlicher Glücksfall, der es ihm jetzt erlauben könnte, der „erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ohne Abitur“ zu werden, was er sich in den vergangenen Tagen mehrfach zugute hielt.

Gleichwohl weiß er natürlich, dass Bildung ein Thema ist, mit dem sich an den Wahlurnen punkten lässt. Wie alles andere preist er es mit dem Geschick eines Marktschreiers an, der die Leute zu dem Glauben verführen soll, sie würden einen guten Fang machen, wenn sie ihm abkaufen, worüber sie längst verfügen. Auf diese Täuschung versteht sich Martin Schulz wie wenige.

Dank der Verve, mit der er offene Scheunentore fuchtelnd und grimassierend einrennt, gelingt es ihm zunehmend, sein Publikum zu bannen, auch wenn es längst gelöste Probleme sind, die er forsch anzupacken verspricht.  Diese hypnotische Begabung, beileibe kein Novum in der deutschen Geschichte, kann man nicht ernst genug nehmen. Darauf muss man aber auch nicht länger hereinfallen. Es würde schon genügen, die bereits gegebenen Möglichkeiten „gebührenfreier“ Bildungsaneignung zu nutzen, um dem Demagogen auf die Schliche zu kommen. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Florian Bode / 06.02.2017

Die CDU hat verpennt, dass die, die schon länger hier leben, der Fr. Dr. Merkel überdrüssig sind. Nu, der immer gleich langweilige und bekannte Siggi hat es eben auch nicht gebracht. Jeder, aber auch wirklich jeder neue Kanzlerkandidat wäre als Alternative zur Alternativlosen bejubelt worden. Ätsch, Herr Tauber, auf die falsche Stute gesetzt. Obwohl, der September ist noch fern.

Roland Müller / 06.02.2017

Die Macht der Medien ist besorgniserregend, die schaffen es einen Hundehaufen als Wackelpudding zu verkaufen und umgekehrt die AFD als braunen Sumpf.

Lutz Herzer / 06.02.2017

Vielleicht hat er sich ja nur im EU-Mitgliedsland vertan. Also Herr Schulz, Sie kandidieren für Schland. Mutti muss wech. Bildung gibt’s für umme, lediglich Verblödung in HD-Auflösung kostet hier was, sofern man nicht obdachlos ist.

Thomas Bonin / 06.02.2017

“Diese hypnotische Begabung, beileibe kein Novum in der deutschen Geschichte, ...”. Brillant!  Musste lauthals lachen, (trotz des ernsten Hintergrundes). Ungeachtet seiner unverwechselbaren politisch-ideologischen Positionierung erinnern die Karriere-Steps von Schulz gleichwohl an Berthold Brechts “Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui”. Irgendwie schon, oder?

Dolores Winter / 06.02.2017

Was ich mich bei diesem Bramarbas und seinem momentanen Höhenflug frage: Ist seinen Anhängern sein mehrfach dokumentierter Antisemitismus völlig egal oder würden sie ihn gerade deshalb wählen?

Michael Lorenz / 06.02.2017

Das Problem: es gibt (leider sehr zahlreich) Wähler, die zwar einen Besenstiel mit Hut als Alternative zur ‘Mutti der Nation’ betrachten würden (welch eine Qualitätsaussage über sie !), aber keines falls die Alternative als Alternative zur Alternativlosen. So wird der Martin das machen. Die Lösung: derzeit keine. Vielleicht 2021, aber nur mit Glück. Und wenn etwas aus der Geschichte gelernt werden konnte, dann das: dieses Land hat politisch NIE Glück.

Bettina Diehl / 06.02.2017

köstlich. Tja Wissen ist Macht. Nichtwissen macht auch nichts

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 25.09.2022 / 13:00 / 35

Vom heißen Herbst kalt erwischt

Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com