Thilo Sarrazin / 23.06.2016 / 08:08 / 3 / Seite ausdrucken

Es gibt auch große Frauen und kleine Männer

Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt stellen in Ihrem Beitrag auf der Achse ("Eine Antwort auf Thilo Sarrazin") offenbar nicht in Frage, dass die bei Menschen gemessenen Intelligenzunterschiede teils angeboren und teils erblich sind. Dabei ist der Erbanteil der gemessenen Intelligenzunterschiede umso höher, je ähnlicher die Umwelt ist.

Allerdings wachsen kaum jemals zwei Kinder in einer gänzlich identischen Umwelt auf: Schon das jahreszeitliche Geburtsdatum, die Stellung in der Geschwisterreihenfolge, die Klassenkameraden oder die Qualität der Lehrer können die Entwicklung der gemessenen Intelligenzunterschiede beeinflussen. Daraus ergibt sich die kolossale Bedeutung der Zwillings- und Adoptionsforschung für die Untersuchung von Intelligenz (Vgl. Detlev H. Rost: Intelligenz Fakten und Mythen, Basel 2009, S. 230 ff: Steven Pinker: The  blank slate. The modern denial of human nature, New York 2002, S. 372 ff.):

- Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, tatsächlich liegt die gemessene Korrelation ihrer IQ´s bei 86 Prozent, wenn sie gemeinsam aufgewachsen sind, und bei 78 Prozent, wenn sie durch Adoption getrennt wurden.

- Leibliche Geschwister haben eine genetische Ähnlichkeit von 50 Prozent, die Korrelation ihrer IQ´s liegt bei 47 Prozent.

- Die genetische Ähnlichkeit zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern liegt bei 50 Prozent. Die Korrelation ihrer IQ´s liegt im Falle eines gemeinsamen Zuhauses bei 42, wenn sie durch Adoption getrennt wurden, bei 24 Prozent

- Der IQ von Adoptiveltern und Adoptivkindern hat bei gemeinsamem Zuhause eine Korrelation von 19 Prozent

- Die Korrelation des IQ´s von miteinander nicht verwandten Adoptivkindern mit gemeinsamem Zuhause liegt bei 32 Prozent. Sobald sie erwachsen sind und das Haus der Adoptiveltern verlassen haben, haben ihr IQ´s keine Korrelation mehr. Eine geteilte Umwelt beeinflusst offenbar nur bei Kindern vorübergehend die gemessenen Intelligenzunterschiede, nicht dagegen bei Erwachsenen. 

Aus einer Fülle von Untersuchungen, von denen ich oben nur ein Substrat zitiert habe, leitet die Intelligenzforschung die Aussage ab, dass die beim IQ gemessenen Intelligenzunterschiede von Erwachsenen zu 50 bis 80 Prozent erblich sind. Es handelt sich hierbei um statistische, gruppenbezogene Aussagen, die keine Rückschlüsse auf den Einzelfall zulassen. So steht ja auch die zutreffende Feststellung, dass Männer im Durchschnitt größer als Frauen sind, keineswegs im Widerspruch zur Tatsache, dass es sehr große Frauen und sehr kleine Männer gibt.

Je mehr Chancengleichheit in einer Gesellschaft verwirklicht wird, umso höher ist der erbliche Anteil an den gemessenen Intelligenzunterschieden. Immer geht es dabei um das Verhältnis von Anlage und Umwelt (nature and nurture). Darin liegt die große Bedeutung erfolgreicher Bildungspolitik, aber auch die Gefahr ihrer Überschätzung, denn niemand kann bei seiner intellektuellen Leistung die durch seine Anlage gegebenen Grenzen überschreiten. Auch bei völlig gleicher Umwelt würde der IQ normal verteilt sein und von unter 70 bis über 130 streuen.

Die politische Brisanz eines perfekten Bildungssystems und einer auf Leistungsgerechtigkeit aufbauenden idealen Gesellschaft sehe ich darin, dass in solch einer Gesellschaft die weniger Begabten vorwiegend unten und die Begabten vorwiegend oben sind. Wehe uns, wenn wir bei der Zuteilung von Lebenschancen nicht mehr begütigend auf die "Ungerechtigkeiten des Systems“ verweisen können.

Ganz rätselhaft ist mir der Vorwurf von Fischbach und Niggeschmidt, ich verstünde den Unterschied von Korrelation und Mittelwert nicht. Den weiß ich spätestens seit meinem im Wintersemester 1967/68 in Bonn erworbenen großen Statistikschein. Für jene Leser, denen der Unterschied vielleicht nicht so präsent ist, die folgende Erläuterung:

- Eine Korrelation ist der zwischen zwei Größen, Merkmalen oder Ereignissen gemessene Zusammenhang. Eine Korrelation kann für sich genommen noch keine Kausalität beweisen. Umgekehrt gilt aber auch: Wo es keine oder nur eine extrem schwache Korrelation gibt, kann eine Kausalität als widerlegt gelten. So ist die hohe Korrelation des IQ´s eineiiger Zwillinge von um die 80 Prozent ein starkes Indiz für die hohe Erblichkeit von Intelligenzunterschieden. Umgekehrt ist die sehr niedrige Korrelation des IQ´s von Adoptiveltern und Adoptivkindern von nur 19 Prozent und der Umstand, dass der IQ erwachsener Adoptivkinder dem IQ ihrer leiblichen Eltern ähnlicher ist als dem IQ ihrer Adoptiveltern, ein Indiz für den begrenzten Einfluss der Umwelt auf das intellektuelle Leistungsvermögen.

- Ein Mittelwert ist eine aus verschiedenen Zahlen ermittelte Durchschnittsgröße. Am bekanntesten sind das arithmetische Mittel oder der Median. Je nach Fragestellung gibt es aber auch zahlreiche andere Mittelwerte. Mittelwerte lassen sich für zahlreiche Fragestellungen verwenden. So kann z.B. die Abweichung zwischen durchschnittlichem Einkommen und Medianeinkommen als Indikator für die Ungleichheit der Einkommensverteilung verwendet werden.

Sehen Sie zu dieser Debatte auch folgende Achse-Beiträge:

Thilo Sarrazin: Neues altes Wunschdenken: Intelligenz darf nicht erblich sein

Gerald Wolf: Intelligenz und Vererbung: Wenn Forschung für den Zeitgeist hingebogen wird

 

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Detlef Dechant / 23.06.2016

Wann ist endlich Schluss mit dem Versuch der Gleichmacherei?! Die Benachteiligung eines Kindes, hier einmal abgesehen von einer vererbten Intelligenz, beginnt doch schon bei der Zeugung. Ernährungs- und Lebensgewohnheiten beeinflussen die Qualität des Spermas und die Entwicklung des Embrios ( oder warum soll Rauchen, Alkohol trinken etc bei Schwangeren verboten werden?). Nach der Geburt geht es weiter. Sprachentwicklung, Erziehung, Vorbild und zuletzt die Umwelt beeinflussen das Kleinkind schon bevor es in die Obhut des Staates kommen soll, um in den Genuss einer staatlich-grün-sozialistischen-gleichmacherischen Erziehung zu kommen. Aber da ist durch die frühkindliche Erziehung der Zug schon zum großen Teil abgefahren. Untersuchungen haben gezeigt, dass den größten Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes immer noch der Familien- und Freundeskreis haben. Kita, Vorschule und Schule haben nur einen geringen Anteil an der Entwicklung eines Heranwachsenden! Auch ein kleiner Trost: Da kann diese staatlich verordnete Unbildung trotz aller Bemühungen der staatlich-grün-sozilistischen Akteure auch keinen großen Schaden anrichten. Schade nur um die verschwendeten Steuergelder für diesen Aktionismus.

Wolfgang Kaufmann / 23.06.2016

Die biologistische Schiene von Herrn Sarrazin führt von Anfang an am Knackpunkt vorbei. Wirklich entscheidend ist der Elefant, der ungenannt im Raum steht: eine politische Ideologie, die sich als Religion tarnt. Man sollte endlich die akademische Debatte über genetische Determinierung beenden und statt dessen die Rolle des Lernens hervorheben. Die kulturelle Weitergabe von Verhaltensweisen ist das zentrale Humanum, mit all seinen Irrungen und Wirrungen. Fanatisierte Germanen sind keinen Deut harmloser als Einwanderer aus anderen Ethnien. Der Diskurs sollte daher nicht im rassistischen Raum verlaufen, sondern vielmehr auf Kultur und Relativismus fokussieren (Anything goes?), politisch zugespitzt in der klassischen Frage: Wie viel Freiheit für die Feinde der Freiheit?

Christian Janovic / 23.06.2016

Sehr geehrter Herr Sarrazin, vielen Dank für die Infos. Eine Sache, die mich interessiert, und vielleicht allgemein klarer herausgestellt werden sollte, sind die Werte zu unterschiedlichen Zeiten. Sie haben nur für das Beispiel der unterschiedlichen Adoptivkinder bei gleichem Zuhause die verschiedenen Werte angegeben (r=32 in der Kindheit, r = 0 als Erwachsener.) Haben Sie diese Zahlen zur Unterscheidung auch für die anderen Fälle? Mit freundlichen Grüßen, Christian Janovic

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