Wenn sie alles rausgehauen haben, was an Wut über weiße, alte, ostdeutsche und abgehängte Männer in ihnen steckt, wenn sie neue Nazis, Rassisten, Rechtsextreme und Antisemiten genug beschimpft haben, wenn ihre Tiraden über Modernisierungsverweigerung, über Homophobie und überkommene Familienbilder abgeschlossen sind, dann erst kommen sie zum Höhepunkt.
Dann senken sie die Stimme, die selbsternannten von der Einbildung tieferen Wissens getriebenen Gesellschaftsversteher, und sagen in fast schon verschwörerischem Tonfall jenen Satz, der nach ihrer Meinung alles überstrahlt:
„Und in dieser Partei gibt es außerdem Leute, die bestreiten den menschgemachten Klimawandel.“
Um sich daraufhin mit jenem zufriedenen Damit-ist-alles-entschieden-Blick zurückzulehnen, der das Wohlgefühl ausdrückt, nun den endgültigen, unwiderlegbaren Beweis für die Unwählbarkeit der AfD und deren Positionierung außerhalb des demokratischen Spektrums formuliert zu haben.
Verstanden haben sie in Wahrheit nichts, die so argumentierenden Kritiker, deren Fokussierung auf die Alternative eigentlich nur Ausdruck heimlicher Liebe sein kann, oder wäre sie sonst so intensiv? Die AfD wurde nicht gewählt, weil es in ihren Reihen Klimaskeptiker gibt. Sondern weil Meinungsmacher und Meinungsführer in Medien und Politik sie unter anderem deswegen für inakzeptabel erklärten.
Überwiegend aus Protest hätten die Menschen ihre Kreuze bei der Alternative gesetzt, sagen die Wahlforscher. Worauf genau sich diese Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien aber bezieht, lassen sie offen. Als ein vorwiegend ostdeutsches Phänomen wird die AfD angesehen, ein auf der Verwechslung relativer mit absoluten Ergebnissen beruhender Irrtum, denn selbst wenn sie in den neuen Bundesländern keine einzige Stimme bekommen hätte, wäre sie mit über acht Prozent in den Bundestag eingezogen.
Tagespolitische Sachfragen zu sakrosankten Grundsatzbeschlüssen aufwerten
Was also treibt bisherige Nichtwähler und vor allem frühere Anhänger von Union und SPD dazu, eine junge, von inneren Konflikten zerrissene, schlecht organisierte und zahlenmäßig vergleichsweise kleine Partei ohne jede Machtoption als drittstärkste Kraft in den Bundestag zu schicken? In den sie nun eine Laienspielschar im politischen Geschäft weitgehend unerfahrener Abgeordneter entsendet?
Es ist eine Reaktion auf die Art und Weise, in der die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung in den vergangenen Jahren umgesetzt wurde. Denn das primär auf den Machterhalt fokussierte Kalkül der Kanzlerin und ihrer Vertrauten endet nicht darin, die Themen politischer Gegner selbst zu besetzen um sie zu neutralisieren. Es beinhaltet zudem, Entscheidungen in tagespolitischen Sachfragen zu sakrosankten Grundsatzbeschlüssen aufzuwerten, um auch potentielle Widersprüche aus den eigenen Reihen im Keim zu ersticken.
So wurden Atomausstieg und Energiewende, Klimaschutz und Elektromobilität zu Bestandteilen der Staatsräson überhöht, als hätten sie einen für alle Zukunft bindenden Verfassungsrang. Da wundert es nicht, wenn sich schleichend aber stetig der synonyme Gebrauch von "Rechtsradikaler" und "Klimaskeptiker" durchsetzt und das Wort vom "Klimaleugner" in Anlehnung an den "Holocaustleugner" allgemein Akzeptanz findet. In diesem wie in anderen Themen, man denke an "Gender Mainstreaming", an "Inklusion" oder an "europäische Integration" wird schon lange nicht mehr über die Sinnhaftigkeit diskutiert, sondern nur noch über die besten Wege zur Umsetzung.
Die flächendeckende Überziehung Deutschlands mit Windrädern gilt als ebenso unverhandelbar, wie die Notwendigkeit, sich mit dem täglichen Messerangriff Allah preisender Jünglinge (und dem ein oder anderen größeren Terroranschlag) abfinden zu müssen. Wer da Bedenken hat, sieht sich mit dem Vorwurf "unmodern" konfrontiert, von dem aus nur ein kleiner Schritt zu "ewiggestrig" führt.
Es gärt im breiten Spektrum kritischer Bürger
Über mindestens die letzten zwei Jahrzehnte wuchsen in der Bevölkerung Frustration und Wut über diese Melange einer durch die politischen und medialen Eliten als "alternativlos" verkauften Veränderung Deutschlands. Von der steigenden Wahlabstinenz über die Entstehung subversiver Zirkel in den sozialen Medien bis hin zu gelegentlichen Erfolgen populistischer Kleinparteien reichten die Hinweise darauf, wie sehr es hierzulande in einem breiten, inhaltlich ausdifferenziertem Spektrum kritischer Bürger gärt.
Da sind solche, die sich fragen, ob man denn die Kernkraftwerke nicht vielleicht doch länger laufen lassen sollte, um Versorgungssicherheit und Preisstabilität zu gewährleisten. Da sind solche, für die eine Zweiverdiener-Ehe mit Kindern in staatlicher Obhut kein erstrebenswertes Lebensziel darstellt. Da sind solche, die es stutzig macht, wenn die Wissenschaft trotz intensiver Suche keinerlei Belege für die Gefährlichkeit gentechnisch optimierter Lebensmittel findet. Wieder andere wollen keine Moschee in ihrer Nachbarschaft, von deren Minaretten der Muezzin ruft. Diese unterschiedlich motivierten Gruppen eint vor allem der Wunsch, angehört und berücksichtigt zu werden, der Wunsch, jemand in Berlin möge doch ihre Interessen vertreten.
Bis die AfD erschien, fehlte der Katalysator, der über alle diese Themen hinweg die innere Opposition vieler Menschen in Deutschland hätte artikulieren können. Und gerade weil sie Vieles als unsagbar geltende laut und deutlich artikuliert, weil sie gefühlte Tabus bricht, wird sie für die resignierten und innerlich längst aus der nur noch innerhalb linksgrüner Dogmen agierenden Demokratie emigrierten Bürger zu einem Sammelpunkt. Sie hat die Wahlen nicht durch das gewonnen, was sie sich traute, sondern dadurch, dass sie sich überhaupt etwas traute. Wenn prominente Vertreter ostdeutscher Landesverbände sogar das nationalsozialistische Vokabular relativieren, dann stößt das zwar zu Recht auf breite Ablehnung. Aber die Botschaft, die bei den AfD-Anhängern ankommt, lautet eben nicht, man könne nun wieder einen Hitler wählen.
Wähler, die vom Ausbleiben der Apokalypse überrascht sind
Sie freuen sich nur über jemanden, der ein Wagnis eingeht, der die gesellschaftliche Stigmatisierung in Kauf nehmend seine Auffassung vertritt. Denn so einer erscheint auch potent genug, mit aller Vehemenz für die Meinungsfreiheit im Internet zu streiten, oder veganen Mülltrennungsfetischisten die verbale Dachlatte über den Kopf zu ziehen. Das ist, was die AfD mit ihren ständigen Provokationen eigentlich intendiert. Da sind geschickte Populisten am Werk, die das erfolgreiche Konzept der frühen Grünen verstanden haben und in perfektionierter Form erneut umsetzen.
Die AfD hat nicht Millionen Rassisten geweckt, sondern schlicht Menschen, die es nicht akzeptieren, wenn man sich Argumenten gegen eine Masseneinwanderung mit der Nazi-Keule entledigt, ohne sie inhaltlich zu diskutieren. Es sind nicht Millionen Nationalisten aufgestanden, die Deutschland vom Rest der Welt isolieren wollen. Sondern schlicht Bürger, die gern über den Sinn und Unsinn einer tieferen europäischen Integration noch einmal sprechen wollen. Es sind nicht Millionen Klimaleugner an die Urne getreten, die Wissenschaft mit Quacksalberei gleichsetzen. Sondern schlicht Wähler, die - vom Ausbleiben der Apokalypse überrascht - endlich darüber debattieren wollen, ob denn vielleicht der Klimaschutz nicht doch riskanter ist als ein Klimawandel.
Und je intensiver die sich selbst noch immer als Deutungshoheiten ansehenden ökologistischen, sozial- und gesellschaftspolitischen Fundamentalisten in Politik und Medien die moralische Ausgrenzung solcher Haltungen betreiben, desto größer wird der Zulauf zur AfD. Die dann auch weiterhin gut davon leben kann, durch das Anbieten von Alternativen einfach nur das zu halten, was ihr Name verspricht. Einstimmig jedenfalls wird ein deutscher Bundestag nie wieder ein Monument kollektiven intellektuellen Versagens wie den Pariser Klimavertrag gutheißen. Die sogenannten "Modernisierungsverweigerer" haben eben begriffen: Was mit dem Etikett "modern" daherkommt, ist häufig einfach nur dämlich.